Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Erdmuthe Dorothea“ von Georg Brückner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 6 (1877), S. 193–194, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Erdmuthe_Dorothea&oldid=- (Version vom 19. November 2024, 19:22 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 6 (1877), S. 193–194 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Erdmuthe Dorothea von Zinzendorf in der Wikipedia
Erdmuthe Dorothea von Zinzendorf in Wikidata
GND-Nummer 118808494
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|6|193|194|Erdmuthe Dorothea|Georg Brückner|ADB:Erdmuthe Dorothea}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118808494}}    

Erdmuthe Dorothea, als Gattin des Grafen Nik. Ludwig v. Zinzendorf, als Hauptstütze der ersten Herrnhutergemeinden und als Dichterin geistlicher Lieder berühmt, zu Ebersdorf im Voigtland 7. Novbr. 1700 geboren und zu Herrnhut 19. Juni 1756 gestorben, war eine Tochter des Grafen Heinrich X., des Gründers der Linie Reuß-Ebersdorf. Wie ihr Bruder Graf Heinrich XXIX. und ihre um 5 Jahre ältere Schwester Benigna Marie, so war sie durch Spener’s Einfluß tief und fest religiös erzogen, zudem der alten und neuen Sprachen kundig und dabei edel gesinnt, hochmuthig und von stets bereiter Entsagung und Aufopferung. Deshalb erkannte Graf Zinzendorf, der 1721, auf einer Reise durch das Voigtland einer Lebensgefahr entronnen, nach Ebersdorf zu seinem Freunde, dem Grafen Heinrich XXIX., gekommen war, in dessen Schwester eine für seine religiösen Pläne geeignete Gattin, geeignet, ihn, wie er verlangte, nicht allein in allem daheim zu vertreten, sondern ihm auch die volle Freiheit zuzugestehen, daß er das Zeugniß Jesu ohne jegliche Rücksicht auf Haus und Hof, Gattin und Familie jederzeit nach dem Bedürfnisse seines Herzens den Völkern verkünden könnte. Die junge Gräfin, zur Erfüllung des schweren, für ein Weib seltenen Berufes ausgerüstet und trotz der Bedenken und Abmahnungen ihrer Familie dazu entschlossen und bereit, wurde am 7. Septbr. 1722 mit Zinzendorf vermählt. Was die Braut zugesagt, machte die Gattin zur That und Wahrheit. Darum gehören auch die Verdienste, welche Zinzendorf sich um Erweckung und Verbreitung evangelischer Gesinnungen und Vereine erworben, zur Hälfte seiner Gattin, die ihm in Freud und Leid fest und treu, berathend und unterstützend zur Seite stand. Da Zinzendorf, abgesehen von seiner elfjährigen Verbannung aus Sachsen, infolge seiner vielen Missionsfahrten in und außer Europa bald länger bald kürzer von Herrnhut abwesend war, so hatte sie auf ihren Schultern die Verwaltung des Vermögens ihres Gatten, die Sorge um [194] Haus und Gesinde, die Leitung der Brüder- und Schwestergemeinde zu Herrnhut, die Pflege der Armen, die Bewirthung der nach Herrnhut pilgernden Fremden und die Mitobhut der außerhalb Herrnhut neuentstandenen europäischen Brüdergemeinden, mußte zu Zwecken dieser damals noch in ihrer Existenz gefährdeten Gemeinden außer kleineren Touren nach Berlin, Ebersdorf und Marienborn vielfach größere Reisen nach Rußland, Dänemark, Holland und England machen, wie sie namentlich das letztgenannte Land sechsmal besucht hat, und neben all diesen für ein Weib riesigen Anforderungen und Leistungen war sie zugleich die liebreichste Mutter von 12 Kindern, freilich auch die schmerzensreichste, indem sie die meisten derselben frühzeitig durch den Tod verlor. Die Kraft, solche Mühen und Schmerzen zu bewältigen, kam aus der Tiefe ihres frommen, gottbegeisterten Gemüths und aus demselben Quell strömten auch die seelenvollen Lieder, die sie für die Brüdergemeinden und für sich selbst zur freudigen Erhebung über das Weltliche dichtete. Ebendarum brachte ihre auf das Ganze und Einzelne des Brüdergemeinwesens rastlos und gleich kräftig gerichtete, jedem Charakter entsprechend gerechte und dem gesammten Institut den Zauber eines schwunghaften Frauengeistes einhauchende Wirksamkeit ihr einen weltweiten Ruf und den ehrenden Namen einer Mutter der Brüdergemeinden, unterwühlte aber auch zuletzt naturgemäß ihre Gesundheit. Ueber 30 Jahre hindurch widerstand ihr Geist und Körper aller Arbeit, Sorge und Trübsal, endlich indeß, namentlich als der Tod ihren einzigen noch lebenden Sohn hinwegnahm, verfiel sie rasch und endete kurz darauf schlafend und schmerzlos ihr thatenreiches Leben. 1800 Personen begleiteten den Sarg, welchen 24 Geistliche auf den Friedhof zu Herrnhut trugen. Ihr Gatte bekannte offen, daß seine Gehülfin die einzige gewesen sei, die von Ecken und Enden her in seinen Beruf gepaßt, daß sie rechtzeitig immer niedrig und hoch, bald Dienerin bald Herrin gewesen, ohne in vornehme Geistlichkeit oder Weltlichkeit zu verfallen, und daß ihr Lob wegen ihrer Verdienste um ihn und um die Brüdergemeinden und wegen ihrer Lieder nicht untergehen werde. Von ihren Liedern prägen die Kraft und Freudigkeit ihres religiösen Gemüths am lebendigsten aus: „Es bleibt dabei, daß nur ein Heiland sei“; „Das, was ich, treuer Gott, hier Sorge nenne“; „Was liebst du, großer Seelenmann“.

Ihre Schwester, Benigna Marie, geb. 1695 und † 1751, lebte unvermählt erst zu Ebersdorf und dann nach dem Tode ihrer Eltern zu Pottiga, unfern Hirschberg an der obern thüringischen Saale, wo sie mit dem verdienten Ruhm starb, ein echt evangelisch gesinnter und thätiger Charakter, gleichsam eine verkörperte Gottesliebe gewesen zu sein. Wie durch ihr edles Wohlthun, so zeichnete sie sich durch ihre reiche Bildung und durch ihre gefühlvollen religiösen Lieder aus, darunter: „Komm Segen aus der Höh, begleite meine Werke“; „Das ist mir lieb, daß ich mein Stimm“; „So ruht mein Muth in Christi Blut und Wunden“. Ihre Lieder athmen den Geist Zinzendorf’s ihres Schwagers, obwol sie nicht zu dessen Anhängern gehörte, vielmehr bedauerte, daß dessen Richtung eine Spaltung in die evangelische Kirche bringe und daß dessen Flammengeist wilde Unruhe und Selbstliebe in sich berge. Sie war eine Freundin des frommen Staatsmanns Joh. Jak. Moser und Taufpathin dessen jüngsten Sohnes.

Vgl. Karl Strack, Aus dem deutschen Frauenleben.