ADB:Braun, Karl (politischer Schriftsteller)

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Artikel „Braun-Wiesbaden, Karl“ von Friedrich Dernburg in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 55 (1910), S. 454–459, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Braun,_Karl_(politischer_Schriftsteller)&oldid=- (Version vom 27. November 2024, 06:19 Uhr UTC)
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Braun *): Karl B.-Wiesbaden, Politiker und Schriftsteller, geboren zu Hadamar am 20. März 1822, † zu Freiburg i. B. am 14. Juli 1893. B. gehört zu den Männern, die bei der politischen und wirthschaftlichen Erneuerung Deutschlands, die an den Namen des Fürsten Bismarck anknüpft, als Vorbereiter und Mitarbeiter in hervorragender Weise betheiligt waren. Hierin liegt die bleibende Bedeutung seiner Wirksamkeit. Speciell ist dieselbe einflußreich gewesen für die Ausgleichung der Gegensätze zwischen Süd und Nord, wie für die Reform der veralteten wirthschaftlichen Gesetzgebung. Nach seiner Eigenart und Begabung darf er zu den interessantesten Erscheinungen seiner Epoche gerechnet werden, sowie seine Lebensschicksale typisch sind für die Uebergangsperiode, in die seine Existenz fiel. Nachdem er seine politischen und wirthschaftlichen Ideale in der Richtung auf Freihandelspolitik in umfangreichster, kaum erhoffter Weise realisirt gesehen hatte, schloß er sein Leben in dem bittern Gefühl der Enttäuschung durch die Wendung des Fürsten Bismarck zur Schutzzollpolitik.

[455] Für die erste Entwicklung Braun’s waren die Verhältnisse seiner nassauischen Heimath entscheidend. Er entstammte einer wohlhabenden katholischen Bauernfamilie zu Hadamar im Lahngau. Er selbst pflegte sich als ripuarischen Franken zu bezeichnen. Er war von ansehnlicher Gestalt mit mächtigen, wohlproportionirten Gliedmaßen, in späteren Jahren etwas zur Fettleibigkeit geneigt, lebhaften Blickes, das Gesicht eher rund, von gesunder Farbe, Haupthaar und Bart dicht, braun und etwas lockig, die Art seines Sprechens bedächtig und nachdrücklich. So trug er körperlich die Spuren seines bäuerlichen Ursprungs; ihm verdankt er seinen scharfen Blick für die Wirklichkeit und seinen Sinn für die Details des Lebens und dessen materielle Güter. Nicht minder erfloß aus diesem Ursprung die Gabe volksthümlicher Beredsamkeit und, wenn er wollte, die Derbheit seines Bauernwitzes. Seine in der kleinen Landstadt zugebrachte Jugend hatte ihn die Zustände vom Standpunkte der Regierten anzusehen gelehrt und ihn namentlich die Mißstände, unter denen der Bauer und Kleinbürger stand, nahe gerückt. So war er zum Tribun der Bauern und Kleinbürger seiner Heimath vorgebildet.

B. besuchte das Gymnasium zu Weilburg. Da Nassau keine Landesuniversität hatte, so versahen Marburg und Göttingen einigermaßen diese Stelle. Marburg bezog B. in seinem achtzehnten Jahr (1840) und schloß sich der Landsmannschaft der Nassauer an. Aus seiner Studentenzeit erzählt er in seinen Reiseskizzen von einer großen Suite in Wilhelmshöhe, wo die ganze Schmiere auf elenden Kleppern in tollem Galopp die Allee hinaufraste. „Schön war es doch.“ B. sollte sich zunächst dem Lehrerstand widmen und ließ sich in Marburg als Philologe immatrikuliren; er wandte sich dann nach Göttingen und sattelte zum Jus um. Er hörte namentlich bei Mühlenbruch, einem seiner Zeit renommirten Romanisten, dessen Vortrag ihn jedoch für sein Fach nicht begeistern konnte. Ein inneres Verhältniß zur Rechtswissenschaft hat er bei deren Erstarrung und Abwendung vom Leben nicht zu finden gewußt. Der Rechtszustand seiner Heimath war ein Labyrinth, das sich aus römischem, kanonischem, und verschiedenen Landesrechten, darunter auch namentlich das Katzenellenbogener und Solmser Landrecht, aufbaute, ein Zustand, der erst mit dem deutschen bürgerlichen Gesetzbuch um die Jahrhundertwende ein Ende nahm. In der untern Instanz lag Verwaltung und Rechtsprechung in einer Hand. B. erzählt launig, wie der Beamte seine Functionen wechselte, indem er einfach von einem Bureau in das nebenliegende ging.

Nach abgelegtem Doctorexamen fand B. Verwendung bei den nassauischen Gerichten; das Jahr 1848 wurde indessen für ihn entscheidend. Er wurde seiner politischen Haltung wegen von der in Nassau scharf einsetzenden Reaction beanstandet und wandte sich der Advocatur zu, die ihm genügenden Spielraum zu einer immer ausgedehnteren politischen und parlamentarischen Thätigkeit ließ. Er wurde bald der populärste Mann der liberalen Partei im Herzogthum und der von den Gegnern bestgehaßte.

Als Sechsundzwanzigjähriger wurde er 1849 zum Abgeordneten gewählt. Der politischen Richtung, die er bei Beginn seiner öffentlichen Thätigkeit eingeschlagen hatte, ist er bis zum Ende treu geblieben, der Zusammenfassung Deutschlands durch Preußen im Bundesstaat oder noch lieber im Einheitsstaat. Die Misere der Kleinstaaterei trat nirgends gründlicher hervor als in dem Herzogthum Nassau, einer Schöpfung des Wiener Congresses unter englisch-oranischem Einfluß. Aus allerlei Fetzen deutschen Gebietes zusammengesetzt, entbehrte es in gleicher Weise gesetzrechtlicher Grundlage wie zweckmäßiger Administrirung. Für das Ausland gruppirte es sich um seine Spielbanken und Badeorte. Im Bundestag war es mit Braunschweig zu einer Curie vereinigt, so daß bei jeder Meinungsverschiedenheit [456] die Stimmen sich gegenseitig aufwogen. Die Verfassungsgeschichte des Landes erschöpfte sich in endlosen Streitigkeiten zwischen Herzog und Ständeversammlung über das Eigenthum an den Domänen. Die nach 48 hereinbrechende Reaction benutzte der Herzog Adolf, um sich der Domänen zu bemächtigen, sie wurden das Hauptstreitobject zwischen der Bevölkerung und dem Hofe. Der Herzog hatte kostspielige Passionen, Theater, Pferde und Maitressen und neigte, mitbestimmt durch seinen Verkehr mit der Aristokratie im österreichischen Officiercorps in dem Wiesbaden benachbarten Mainz, nach Oesterreich. Da die liberale Partei, die er im Domänenstreit sich gegenübersah, preußisch gesinnt war, wurde der Herzog um so excentrischer in das österreichische Lager getrieben, wo er Schutz für seine Domänenpolitik und gegen preußische Machtgelüste erwartete. Sein Bundescontingent wurde nach österreichischem Muster uniformirt und reglementirt.

In der Kammer nahm B. eine leitende Stellung ein und war bis zur Annection im J. 1866 deren Präsident. Neben ihm wirkte in gleichem Sinn der ihm in treuer Freundschaft verbundene Rechtsanwalt Fritz Lang. Von Seiten der Partei des Herzogs wurde kein Mittel unversucht gelassen, um B. in der Meinung des Landes zu entwurzeln; ein eigenes Blatt wurde mit herzoglicher Unterstützung gegründet unter Leitung eines gewissen Abt, das ihn persönlich in der scurrilsten Weise beschimpfte und verleumdete, während die Presse im übrigen auf’s äußerste geknebelt war. B. trat zwar dem im J. 1859 gegründeten Nationalverein bei, nahm aber an dessen Verhandlungen, die die Führung Deutschlands noch als offene Frage behandelten, keinen Antheil. Diese Frage war für ihn ein für allemal gelöst. Bereits 1864 erklärte er sich für die Annection von Schleswig-Holstein. Folgerichtig verweigerte die Kammer im Jahre 1866 die für den Krieg mit Preußen geforderte Summe trotz der gefälschten österreichischen Siegesnachrichten, mit denen Süddeutschland überschwemmt wurde. In dem Bundeskrieg selbst spielte das nassauische Contingent eine traurige Rolle und löste sich vor den vorrückenden Preußen in vollständiger Debandade auf. In dem Domänenstreit trug Herzog Adolf allerdings den Sieg davon, als ihm der Werth der Domänen in dem mit Preußen geschlossenen Vertrag reichlich vergütet wurde.

Ein über Nassau hinausgehendes Feld der Bethätigung fand B. in dem volkswirthschaftlichen Congreß, den er seit seiner Begründung im J. 1859 als Vorsitzender leitete. Die zu beseitigenden Mißstände lagen vor allem in den Kleinstaaten vor Augen. Die Zerstreutheit und Buntscheckigkeit des Münzwesens in Maß und Gewicht, die Verfahrenheit des Bankwesens, der Mangel an Einheitlichkeit im Postwesen lähmten den wirthschaftlichen Aufschwung. Niederlassung, Verehlichung, Geschäftsbetrieb unterlagen chicanösen Bestimmungen, die Reaction hatte den Polizeistaat bis zu den äußersten Consequenzen ausgebaut. Im Gegensatz dazu verfolgte der volkswirthschaftliche Congreß eine entschieden freihändlerische Tendenz, wie sie in England im Cobdenclub sich aussprach, dessen Ehrenmitglied B. wurde. Auf dem volkswirthschaftlichen Congreß, dessen Hauptstützen außer B. namentlich Michaelis, Otto Wolff, Lette, Oppenheim, Prince-Smith, Alexander Meyer, Faucher waren, wurden die volkswirthschaftlichen Fragen, die bei der Gründung des Reiches zu lösen waren, so gründlich durchgesprochen, daß die großen Gesetze über Freizügigkeit und Unterstützungswohnsitz, die Gewerbeordnung, die Ordnung des Münz- und Bankwesens, als sie von der Reichsregierung, vertreten durch den Präsidenten Delbrück, eingebracht wurden, unter Zustimmung der gut vorbereiteten öffentlichen Meinung in kurzer Zeit erledigt werden konnten. Ueber die Art seines Vorsitzes schreibt Alexander Meyer: „Frei von jeder Pedanterie [457] wußte er die Verhandlungen, wenn sie langweilig zu werden drohten, abzukürzen, persönlichen Streitigkeiten die Spitze abzubrechen, verwickelte Abstimmungen zu einem guten Ende zu führen; für einen feierlichen Reichstag hätte sich seine Präsidialführung nicht geeignet: für diese Versammlung war sie von unersetzlichem Werth. Und mehr noch als in den berathenden Sitzungen erwies sich die siegreiche Macht seiner Persönlichkeit bei den geselligen Zusammenkünften. B. wurde des Deutschen Reiches größter Toastredner. In überreicher Fülle flossen ihm die Gedanken zu, und er wußte dieselben mit Geschicklichkeit zu verknüpfen“.

B. gehörte dem Reichsstag des Norddeutschen Bundes und dann dem Deutschen Reichstag bis zum Jahre 1887 an. Zuerst als Vertreter von Wiesbaden, dann, ein Zeichen populären Wandelsinns, von seinem heimischen Wahlkreis verlassen, als Vertreter anderer Bezirke, zuletzt von Sagan-Sprottau. Im Reichstag war er ein gern gehörter und fachkundiger Redner. An Schlagfertigkeit, an sprudelnder Laune hat er in der Geschichte parlamentarischer Beredsamkeit in Deutschland nur Georg v. Vincke zum Rivalen gehabt. Er half die nationalliberale Fraction begründen, schloß sich 1880 nach Bismarck’s Uebergang zum Schutzzoll mit Forckenbeck, Stauffenberg, Lasker, Bamberger der Secession an und trat 1884 der freisinnigen Partei bei. Eine leitende Stellung in diesen Fractionen hat er nicht eingenommen. Es fehlte ihm der unermüdliche Fleiß und die Betriebsamkeit Lasker’s, die landsmannschaftliche Gefolgschaft, die sich um Bennigsen scharte; die Details des parlamentarischen Lebens erschienen seinem leichtlebigen, süddeutschen Humor zu philiströs und bureaukratisch. Auf die Probe, ob er sich in einem Reichsamt bewährt hätte, ist er nie gestellt worden. Er gehört zu der Fülle von Talenten, welche der Reichstag einer liberalen parlamentarischen Regierung zur Verfügung stellte, deren Nichtbenutzung die Zerfahrenheit deutschen Parteiwesens und die ständige Verlegenheitspolitik der Regierung zur Folge hatte, an der Deutschland und seine Regierung seitdem laboriren.

Die äußere juristische Laufbahn Braun’s verlief, wie folgt. Er trat 1844 in den nassauischen Staatsdienst, verließ denselben 1849, war von da bis 1855 Rechtsanwalt in Dillenburg, von 1855 bis 1867 Obergerichtsprocurator in Wiesbaden, siedelte in diesem Jahr nach Berlin als Rechtsanwalt im Obertribunal über, ging von da an das Reichsgericht nach Leipzig und kehrte nach Berlin zurück an das Landgericht I, wo er 1887 seine juristische Thätigkeit einstellte,. Schon aus diesem häufigen Wechsel ergiebt sich, wie wenig es ihm gelang, als Rechtsanwalt im Norden festen Fuß zu fassen. Das Aufgeben seines heimischen Bodens hat seinem Leben eine große Ruhelosigkeit aufgeprägt, seine Verbindung mit der Heimath gelockert, zu dem Verlust seiner Wiesbadener Mandate zum Abgeordnetenhaus und Reichstag und zu einem wiederholten Wechsel der Wahlkreise geführt, was seiner politischen und parlamentarischen Stellung Abbruch that. Die Fortsetzung seiner Thätigkeit als Rechtsanwalt in Wiesbaden war allerdings bei der fast permanenten Tagung der parlamentarischen Körperschaften in dem ersten Decennium nach 1866 nicht durchführbar. So zersplitterte sich sein Leben wie sein Talent.

B. war ein fruchtbarer Schriftsteller. Seine „Bilder aus den deutschen Kleinstaaten“ haben mit vernichtendem Spott Zustände aus seinem Gesichtskreis geschildert, die der heutigen Generation bereits wie eine Märchenposse erscheinen. Durch überzeugende Klarheit zeichnen sich seine volkswirthschaftlichen Schriften aus. Die Reisewerke, die sich auf gutes Verständniß stützen, zeigen ein scharfes Auge für die Besonderheiten von Land und Leuten, gute Laune und ursprünglichen Humor; namentlich hat er die Neigung zur Ausgrabung wunderlicher [458] Züge und „kurioser Geschichten“ in den durchzogenen Ländern. Die wunderlichen Zustände seiner Heimath hatten seine Augen dafür geschärft, er hat diesem Zuge indessen zuviel nachgegeben; manche seiner Schriften fehlen durch Mangel an Geschlossenheit und durch ins Breite überschlagende Behaglichkeit der Erzählung. Auch sein journalistischer Stil litt unter diesen mit seinem ganzen Wesen zusammenhängenden Eigenheiten und ermangelte der epigrammatischen Schärfe. Der journalistische Stil ist aber vom rednerischen sehr verschieden. Im J. 1884 übernahm er die Redaction der Spener’schen Zeitung. Er scheiterte an dem Versuch, dies in den letzten Zügen liegende Blatt neu zu beleben. Am bekanntesten von seinen zahlreichen Schriften sind, abgesehen von den in wiederholten Auflagen erschienenen Bildern aus der deutschen Kleinstaaterei: „Vier Briefe eines Süddeutschen an den Verfasser der vier Fragen eines Ostpreußen“ (1867), ferner: „Frankfurts Schmerzensschrei“ (1868), „Gegen Gervinus“ (1871), „Während des Krieges“ (1871), „Mordgeschichten“ (1874), „Aus der Mappe eines deutschen Reichsbürgers“ (1874), „Reisebilder“ (1875), „Reisestudien“ (1875), „Kulturgeschichtliche Novellen“ (1881), „Doktor Sackauer“ (1881), „Eine türkische Reise“ (1876), „Reiseeindrücke aus dem Südosten“ (1878), „Von Berlin nach Leipzig“ (1880), „Der Diamantenherzog“ (1881), „Landschafts- und Städtebilder“ (1881), „Die Wisbyfahrt“ (1882), „Von Friedrich dem Großen bis zum Fürsten Bismarck“ (1882), „Blutige Blätter, Erzählungen“ (1883), „Pandämonium, Kriminal- und Sittengeschichten“ (1887).

B. hat wie wenige Männer Freundschaft gepflegt, geliebt und erfahren in politischen, litterarischen wie in rein bürgerlichen Kreisen; so standen ihm der wackere Volksmann Präsident Josef Götz in Mainz und der Appellationsrath Wilhelm Petri besonders nahe. In dem gastfreundlichen Heim Braun’s in Berlin waltete als Hausfrau seine graziöse Gattin, eine Javanerin, die ihn überlebte; die hoch begabte Tochter Aletta, jetzt mit Professor Creizenach in Krakau verheirathet, stand ihrem Vater und dessen politischen Freunden geistig nahe. Für die Unbefangenheit Karl Braun’s spricht es, daß in seinem Hause Männer aller Parteien, so neben Gneist, Auerbach, Spielhagen auch Windthorst verkehrte.

Eine ungemein wichtige Rolle im Leben Braun’s spielte zu Freud und Leid der Wein. Und er ist seiner Zeit, kaum minder wie als Politiker, als ein begeisterter Verehrer und Kenner des Weins berufen worden. Schon seine Heimath, die die edelsten Gewächse der Welt producirt, wies ihn darauf. Man kann seinen Namen insoweit neben Viktor v. Scheffel stellen. B. übte den Genuß des Weins unter dem Gesichtspunkt einer freien Kunst. Seitdem ist in der Stellung des Weins eine merkliche Aenderung eingetreten. Der Wein galt unangefochten als Menschenfreund, und nur sein Uebermaß galt als schädlich. Die Grenze des Uebermaßes aber wurde willkürlich gesteckt, und es galt als Mannesruhm, ein trinkfester Zecher zu sein, der auch von einem großen Quantum nicht untergekriegt werden kann. Heute hat die Medicin den Wein unter die höchstens noch geduldeten Genußmittel versetzt, auch der beste Wein muß sich unter den Sammelnamen Alkohol bringen lassen, und als das zu erstrebende Ziel gilt vielfach völlige Abstinenz. Hätte B. diesen Umschlag in der Werthschätzung des Weins erlebt, es wäre ihm sicher eine bittere Kränkung gewesen. Seine Weinzunge war berühmt, er hatte davon sprichwörtlich gebliebene Proben gegeben, seine Fähigkeit, ohne Störung des Gleichgewichts bedeutende Quantitäten zu bemeistern, war groß, und seine Kenntniß der Pflege und Behandlung der verschiedenen Erzeugnißorte ausgebreitet. In seinen Schriften hat er sich eingehend damit beschäftigt. Den Vorwurf [459] der Unmäßigkeit konnte man ihm nicht machen, und es blieb immer etwas Aesthetisches in seinem Verhältniß zum Wein, seine Lebenslust, sein Witz und sein Humor entfalteten sich dabei am kräftigsten. Aber an der Hand der heutigen medicinischen Feststellungen läßt sich der Gedanke nicht abweisen, daß die langen, schweren Leiden seines Alters von der Anhäufung schädlicher, durch den Wein eingeführter Stoffe in seinem Körper wenigstens mitverschuldet sind. B. hatte sich eine Theorie des Weingenusses gebildet, aber gerade diese Folge ist ihm entgangen.

Bis zum Jahre 1887 hat B. dem Reichstag angehört; dann zwang ihn ein zunehmendes gichtisches Leiden, der parlamentarischen Thätigkeit zu entsagen. Er sprach in der letzten Zeit nur noch selten, aber so oft er es that, mit der alten Frische. Neben die politische Verstimmung trat der Zwang, der gewohnten Geselligkeit zu entsagen. Er lebte nunmehr sehr zurückgezogen in Berlin, bis er sich in seinen letzten Jahren nach Freiburg i. B. wandte, wo nach schmerzlicher Krankheit ein Schlaganfall am 14. Juli 1893 sein Leben beendigte.

Die religiöse und poetische Seite seines Wesens hat B. für die Außenstehenden verborgen gehalten. Nur einmal hat er den Schleier etwas gelüftet in dem Citiren von Versen Rückert’s, die ihm auf einer Reise nach Neapel immer wieder in den Sinn kamen. Es ist die Anrufung Sanct Raphael’s, des Patrons der Reisenden, vor seiner Grabcapelle:

Sanct Raphael! Dies ist der Reise Ziel
Und diesen hast du heim in Gott geleitet,
Nun führe den auch, der durchs bunte Spiel
Des Lebens noch und seine Trümmer schreitet.

Das kann als Motto für Karl Braun’s äußeres und inneres Leben gelten.


[454] *) Zu Bd. XLVII, S. 196.