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Artikel „Bayer, Hieronymus von“ von Karl Theodor von Heigel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 46 (1902), S. 278–281, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bayer,_Hieronymus_von&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 13:43 Uhr UTC)
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Bayer: Hieronymus von B., Rechtsgelehrter, geboren am 21. Septbr. 1792 zu Rauris im Pinzgau, wo sein Vater fürstbischöfl. salzburgischer Landrichter war. Den ersten wissenschaftlichen Unterricht erhielt er in der Studienanstalt des Benedictinerstifts St. Peter zu Salzburg, dann besuchte er das Gymnasium und nach bestandener Reifeprüfung die sogen. philosophischen Curse in der Bischofsstadt. 1810 bezog er die bairische Hochschule Landshut, um philosophische und juristische Vorlesungen zu hören. Die Mittel zum Unterhalt verschaffte sich das in allen Kreisen gern gesehene „Tiroler Büble“ durch Unterricht im Flötenspiel; seine musikalische Begabung vermittelte ihm auch Zutritt im Hause des Pandektisten Mittermaier, der schon damals trotz seiner Jugend zu den bedeutendsten Lehrern der Hochschule zählte. Noch bestimmender und nachhaltiger war der Einfluß Gönner’s. Auf den Rath dieses Lehrers entschied sich der junge B., obwol er 1812 eine von der philosophischen Facultät gestellte Preisaufgabe: „Wie unterscheidet sich die Metaphysik von der Physik?“ gelöst hatte und auf Grund seiner Leistung zum Doctor der Philosophie promovirt worden war, für das Rechtsstudium. Nach zweijähriger Praxis am Landshuter Landgericht erwarb er sich (4. Sept. 1815) auch den juristischen Doctorhut. Um sich mit dem praktischen Proceßverfahren noch vertrauter zu machen, trat er als Concipient in die Kanzlei eines Münchner Advocaten, nahm aber, als ihm 1817 durch Gönner’s Vermittlung ein Staatsstipendium gewährt wurde, nochmals das theoretische Studium auf und hörte in Göttingen bei Bergmann, Bauer, Hugo u. A. juristische Vorlesungen. In Göttingen schrieb er auch seine erste Abhandlung: „Ueber die Aenderung des Klagelibelles.“ (Landshut 1819), eine scharfsinnige Erörterung über den Begriff, die Arten, sowie die Zulässigkeit der Klageänderung nach älterem und neuerem römischen Recht. Die wohlwollende Aufnahme dieser Schrift ermuthigte ihn, seiner Neigung zur akademischen Laufbahn zu folgen; am 27. October 1818 wurde er als Privatdocent in die juristische Facultät der Landshuter Hochschule aufgenommen und schon am 8. April 1819 zum außerordentlichen, am 21. Februai 1822 zum ordentlichen Professor ernannt. Seine Vorlesungen umspannen einen stattlichen Kreis; er las über Institutionen und Hermeneutik des römischen Rechtes, summarischen Proceß, römische Rechtsgeschichte, gemeinen Civilproceß u. A. 1819 wurde er in das Spruchcollegium der Hochschule aufgenommen, eine Auszeichnung, auf [279] welche er besonderes Gewicht legte, da er darin den letzten sichtbaren Ueberrest der praktischen Geltung des gemeinen deutschen Civilprocesses erblickte. Der akademischen Thätigkeit Bayer’s wird von einem Fachmann in der Kritischen Vierteljahrsschrift für Gesetzgebung hohes Lob gezollt. „Bayer’s klarer, gemessener, formell vollendeter Vortrag wird Allen, die zu seinen Füßen gesessen, unvergeßlich sein. In casuistischer Behandlung der Rechtsfragen und besonders der Rechtsfälle war er Meister; um auch die Jugend zu eigener Thätigkeit auf diesem Gebiet anzuleiten, veranstaltete er praktische Uebungen, die sich vier Jahrzehnte lang verdienten Ansehens erfreuten.“ Rasches Denken, behendes Formuliren des Gedachten war nicht seine Sache; ein wissenschaftliches Urtheil war für ihn eine Gewissenssache, und es galt ihm als ernste Pflicht, für die Wahrheit des Urtheils einzustehen; aus diesem Grunde war ihm alles Hastige und Plötzliche peinlich, und über seine Rede, wie über sein ganzes Auftreten war eine gewisse Bedächtigkeit ausgebreitet. Auch die schriftstellerische Production stand im engsten Zusammenhang mit der Lehrthätigkeit. 1820 veröffentlichte er eine „Theorie der summarischen Prozesse nach den Grundsätzen des gemeinen Rechts mit Ausschluß des Concursprozesses“ (in 7. Auflage 1859). Die Schrift war vom Verfasser zunächst für seine Zuhörer bestimmt; die Beobachtung, daß „die Hefte der Studirenden häufig nur ein Aggregat halbaufgefaßter oder mißverstandener Sätze enthalten, welche weder der Lehrer als Resultat seiner Mittheilungen anerkennen, noch der Zuhörer als Hilfsmittel bei seinem Privatstudium mit Erfolg benutzen kann“, habe ihn bewogen, das für die Vorlesungen Gesammelte und Ausgearbeitete dem Drucke zu übergeben. Vom nämlichen Beweggrund geleitet, gab er 1836 eine „Theorie des Concursprozesses nach gemeinem Recht“ heraus; das Buch wurde vier Mal aufgelegt (4. Auflage 1868). „Vorträge über innere römische Rechtsgeschichte“ und „Vorträge über den Bayerischen Civilprozeß“ wurden erst später von Zuhörern in lithographischen Abzügen herausgegeben. Als Hauptwerk Bayer’s sind die 1828 in Druck erschienenen „Vorträge über den gemeinen ordentlichen Civilprozeß“ anzusehen, ein vortrefflicher Führer durch das Civilproceßrecht für Studirende und Beamte. In klarer, durchsichtiger Sprache werden Begriff, Umfang und Quellen des gerichtlichen Verfahrens in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, das systematisch geordnete Ganze der Grundsätze und Regeln, nach welchen sich dieses Verfahren zu richten hat, Rechtsverfolgung, Schriftwechsel, Beweisverfahren, Rechtsmittel und Execution erörtert. Das Buch erwarb sich große Popularität; 1869 erschien die 10. Auflage des immer wieder gründlich umgewandelten Werkes. Der Schwerpunkt der Wirksamkeit Bayer’s lag aber in seiner eigenen akademischen Thätigkeit; ein halbes Jahrhundert hindurch genossen Tausende von Rechtsbeflissenen den einfachen, klaren, von aller Künstelei sich fernhaltenden, mit zahlreichen, genauen Citaten ausgestatteten Vortrag des Unermüdlichen. „Justinian verhilft zu Ehren.“ Welcher Achtung sich B. bei seinen Collegen erfreute, beweist die Thatsache, daß ihm nicht weniger als fünf Mal die goldene Kette des Rectors der Münchner Universität übertragen wurde. Von den aus diesem Anlaß gehaltenen Festreden seien erwähnt: „Ueber Beruf und Aufgaben der studirenden Jugend“ (10. Dec. 1831), „Ueber die Gefahren der Theilnahme der studirenden Jugend am politischen Treiben und das richtige Verständniß der akademischen Freiheit“ (18. Jan. 1837), „Ueber die neue Studienordnung an den bayerischen Hochschulen“ (9. Jan. 1850). Obwol B. als Mitglied des Verwaltungsausschusses gegen die Aufführung des von König Ludwig I. gewünschten „Prachtbaues“ für die Universität auf Kosten der Stiftungsgelder kräftige Verwahrung einlegte, wurden ihm häufig Beweise des Vertrauens und der Werthschätzung des Monarchen zu Theil. 1832 erhielt er den Hofrathstitel, 1842 mit dem [280] Kronenorden den persönlichen Adel. Auch zum Mitglied der Akademie der Wissenschaften wurde er 1843 durch königliches Decret ernannt; er machte jedoch keinen Gebrauch davon, da er selbst des Glaubens war, daß nur durch den Vorschlag der Mitglieder der gelehrten Genossenschaft legitimes Recht verliehen werde. Nach Dresch’s Ableben 1839 wählten ihn die Collegen zum Vertreter der Universität in der zweiten Kammer; 1842 wurde er zum zweiten Präsidenten ernannt. Von seinen Arbeiten für den Landtag sei der 1840 erstattete Bericht über den Gesetzentwurf für Schutz des Eigenthums an Werken der Litteratur und Kunst hervorgehoben. In der bekannten Kniebeugungsfrage ergriff er (10. Jan. 1843) als der Erste, „obwohl ihm nicht gegeben, feierliche Reden zu halten, nur weil er glaube, mit Ruhe und Unbefangenheit über den Gegenstand sprechen zu können“, das Wort. Wie Döllinger, stimmte er gegen den Antrag der Protestanten auf Zurücknahme der kriegsministeriellen Verordnung, weil damit auch den weit zahlreicheren katholischen Soldaten verwehrt wäre, ihre Ehrfurcht zu bezeugen. In anderen Fragen aber stimmte er, obwol allezeit ein gehorsamer Sohn der katholischen Kirche, nicht mit der clericalen Partei, sodaß man ihn, wie ein Nekrolog in den Historisch-politischen Blättern beklagt, als „weißen Raben“ bezeichnete; es widerstrebte ihm, das religiöse Bekenntniß in politischen und anderen mit der Religion nicht zusammenhängenden Fragen als Ausschlag gebenden Factor anzusehen; „in erster Linie war er doch immer ein Mann des Rechtes mit klarem und feinem Urtheil und lebendigem, sein gesammtes Thun und Lassen beherrschenden Rechtssinn“. Am 18. Februar 1843 beantragte er im Landtag die Vorlage eines allgemeinen Civilgesetzbuches für das ganze Königreich Baiern, „da sich für ein allgemein deutsches Gesetzbuch noch keine günstige Aussicht biete“. 1844 wurde er in die Commission für Vorlegung einer allgemeinen Civilgesetzgebung berufen. Obwol B., ein Freund und Gesinnungsgenosse Ringseis’, nicht zur Annäherung an die von Maximilian II. „Berufenen“ zu bewegen war, ehrte ihn der König 1851 durch Verleihung des Geheimraths-Titels, 1853 durch Ernennung zum lebenslänglichen Reichsrath; auch ein Ministerportefeuille, sowie das Präsidium der Akademie (?) soll ihm König Max angeboten haben. Es fehlte im Verkehr mit den Collegen nicht an Störungen und Trübungen, doch auch die politischen Gegner erblickten in ihm, weil es ihnen als ausgemacht galt, daß er nur aus Pflichtgefühl für seine Ueberzeugung eintrete, eine „ehrwürdige Denksäule der alten Zeit“ (Thiersch). Auch ein Schimmer des Humanismus fiel auf das einfache Leben des Gelehrten. B. hatte sich gründliche Kenntniß der lateinischen Sprache angeeignet; es machte ihm Freude, Briefe an vertraute Freunde in elegantem Latein abzufassen; eine Reihe von Epigrammen, Gnomen etc. in lateinischer Sprache ließ er auch drucken; ein 1863 herausgegebener Poëmatum libellus war „den Freunden“ (Ringseis, Schafhäutl, Friedr. Beck, Sigmund u. A.), eine zweite Sammlung 1865 „der geliebten Tochter“ gewidmet. „Das lateinische Gedicht“ feiert er mit den Versen:

„Dulce sonant zephyri per amoena fruteta susurri,
     Lene fluentis aquae murmura dulce sonant.
Dulcius at resonat zephyri fontisque susurris
     Felix ausonio carmen ab ore fluens“
.

1866 erschienen zwei Bändchen „Gedichte einiger, jetzt größtentheils vergessener neulateinischer Dichter (Balde, Taubmann, Owen, Santel u. A.) mit beigefügter deutscher Uebersetzung“. Höheren Werth als diese metrische Künstelei können seine von echter Begabung zeugenden Zeichnungen beanspruchen. Auf allen Ferienreisen war das Skizzenbuch sein treuer Begleiter, und was er in Flur und Wald gezeichnet hatte, wurde während des Winters radirt; seine mit vollendeter [281] Technik geätzten Blätter wurden auch von Kennern gesucht; eine vollständige Sammlung der Werke seiner Radiernadel widmete er der Münchner Hochschule aus Anlaß ihres vierhundertjährigen Bestehens. Auch die Musik war für B. eine Quelle des Vergnügens; 1876 erschienen sechs von ihm componirte einfache „Lieder für eine Singstimme“. Noch immer stand „der alte Bayer“ an der Hochschule in großem Ansehen, denn mochte er auch in vorgerücktem Alter noch mehr sich abschließen und den politischen und kirchlichen Wandlungen der neuen Zeit gram sein, zeigte er doch weder Collegen, noch Studirenden eine unfreundliche Miene; ein freier Gedanke und ein fröhliches Herz konnten bei ihm stets auf gute Aufnahme zählen. „Der schlichte, stets sauber gekleidete Mann von mittlerer Größe, fast schmächtigem Aeußern, mit seiner braunen Perrücke, seinen schwarzen, freundlichen Augen, seiner blitzenden Vorstecknadel, den man stets zur bestimmten Minute in der Kirche oder auf der Straße sah“ (Geiger), war, wie sein Freund Ringseis, eine populäre Erscheinung. 1865 feierte er sein 50jähriges Doctorjubiläum; zwei Jahre später gab er seine Vorlesungen auf, feierte jedoch noch 1869 in voller Geistesfrische sein 50jähriges Professorenjubiläum. In einem seiner Gedichte (I, 75) hatte er den Wunsch ausgesprochen, drei Dinge möchten ihm zu Theil werden: die Pflege seiner Gattin in seiner letzten Krankheit, ein sanfter Tod und der Stand der Gnade bei seinem Hingang. Der erste Wunsch ging nicht in Erfüllung. Seine zärtlich geliebte Gattin Franziska, geb. Eisenrieth, starb schon 1871; er selbst verschied sanft am 13. Juli 1876.

Nekrolog (von R. v. Neuhierl) in d. Chronik d. Ludwig-Maximilians-Universität München, Jg. 1875/76, S. 5. – Nekrolog in d. Augsb. Allg. Zeitung, Jg. 1876, S. 2568. – Erinnerungen an H. v. B. von H. Geiger, in d. Hist.-Polit. Blättern, 80. Bd. (1877), S. 612. – Nekrolog in d. Krit. Vierteljahrsschr. f. Gesetzgebung u. Rechtswiss., hsg. v. Brinz u. Pözl, 19. Bd., S. 177.