Wilhelm Löhes Leben (Band 2)/Konflikte mit dem Kirchenregiment

« Die Agitation des Jahres 1856 und dadurch veranlaßte Reformgedanken Löhes Johannes Deinzer
Wilhelm Löhes Leben (Band 2)
Die Suspension »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|
Konflikte mit dem Kirchenregiment.

 Bis zum Jahre 1858 war Löhe vor einem ernsteren Konflikt mit dem Harleß’schen Kirchenregiment bewahrt geblieben. Seine weitgehenden Anträge vom 22. April 1857 hätten einen solchen hervorrufen können, doch war er durch die vertrauliche Art der zwischen Harleß und Löhe darüber geführten Verhandlungen vermieden worden. Allerdings mag das Kirchenregiment auch durch Rücksicht auf seine damals noch erschütterte oder doch noch nicht wieder hinlänglich befestigte Stellung zu glimpflichem Verfahren bestimmt worden sein. Mit desto größerer durch ungerechtfertigtes Mißtrauen noch gesteigerter Schärfe gieng dasselbe aber vom Jahre 1858 an gegen Löhe vor. Von da an nahm der Konflikt Löhes mit dem Kirchenregiment eine immer ernstere Gestalt an, bis er mit seiner Suspension, im Jahre 1860, in einem offenen Bruch mit der Landeskirche zu enden drohte.

 Den ersten Anlaß zum Einschreiten gab der Kirchenbehörde eine Veröffentlichung in Nr. 12 des Korrespondenzblattes der Gesellschaft für innere Mission vom Jahr 1857 unter dem Titel „der apostolische Krankenbesuch“. Der Fall war dieser: Eine im Diakonissenhause verpflegte bereits 70jährige Kranke höheren Standes, welche von einem langwierigen, schwer heilbaren Leiden heimgesucht war, begehrte in nüchterner Überzeugung und ohne tadelnswürdige, schwärmerische Hoffnung auf Erfolg von Löhe das Amtsgebet unter Anwendung der Krankenölung nach Jakobi 5, 14 ff. Löhe erwiderte der Kranken, daß er die Ursache, um welcher willen der Gebrauch des Öls angeordnet sei, dahingestellt sein lasse, allerdings aber den| einfachen Gehorsam gegen jenes Apostelwort für recht befinde, um so mehr als es sich nach dem Wortlaut der Stelle nicht um ein außerordentliches charismatisches Thun, sondern um ein geordnetes amtliches Thun handle, da ja dort „die Ältesten der Gemeinde“ mit der Vornahme des Aktes beauftragt seien. Der Eindruck, den er von der Stelle hatte, war der, daß mit der dort gegebenen apostolischen Anweisung eine bleibende Einrichtung in der Kirche getroffen und das Amtsgebet mit seinem Segen auch zur Abhilfe leiblicher Not empfohlen werden sollte. Durch Berufung auf den deuterokanonischen Charakter des Briefes schien ihm die Bedeutung dieses Apostelworts um so weniger entkräftet werden zu können, als der Apostel ausdrücklich die Handlung „im Namen des Herrn“ vorzunehmen anordnet. Vor dem Irrtum endlich, ein ungebührliches Gewicht auf die Anwendung des Öls zu belegen, sicherte ihn die Wahrnehmung, daß v. 15 nicht dem Öl, sondern „dem Gebet des Glaubens“ die heilende Wirkung (die sich Löhe natürlich nicht als stätig und unfehlbar eintretend dachte) zugeschrieben werde. Nach alle dem glaubte Löhe nicht unbiblisch, sondern vollkommen schriftgemäß zu handeln, wenn er der so bestimmt ausgesprochenen Bitte jener Kranken willfahrte. Er glaubte aber auch nicht den Vorwurf unlutherischen Handelns befürchten zu müssen. Der Handlung irgendwie den Charakter eines Sakramentes, etwa gar im Sinne der letzten Ölung der römischen Kirche zu vindicieren, kam ihm nicht bei. Für die Zulässigkeit der Handlung von reformatorischem Standpunkt aus konnte er sich überdies auf die bekannte Stelle in Luthers großem Bekenntnis vom h. Abendmahl von 1529 berufen, wo Luther sagt: „Die Ölung, so man sie nach dem Evangelium hielte, Marci 6, 13 und Jakobi 5, 14 ließe ich gehen, aber daß ein Sakrament daraus zu machen sei, ist nichts. Denn gleichwie man anstatt der Vigilien und Seelmessen wohl möchte eine Predigt thun vom Tode und ewigen Leben und also bei dem Begräbnis| beten und unser Ende bedenken (wie es scheint daß die Alten gethan haben), also wäre es auch wohl fein, daß man zum Kranken gieng, betete und vermahnte, und so man daneben mit Öl wollt bestreichen, sollt frei sein im Namen Gottes.“
.
 Von diesen Anschauungen geleitet fand Löhe gutes Gewissen und Freudigkeit, die von ihm begehrte Handlung zu vollziehen. Dies geschah unter Assistenz einiger am Ort befindlichen geistlichen Gehilfen und mit Beiziehung der zuvor belehrten Kirchenvorsteher der Gemeinde und einiger weiblichen Zeugen nach einem auf Grund des römischen Sacerdotale ausgearbeiteten Formular.[1] Da man den äußeren Erfolg von Vorneherein ganz in Gottes Willen gestellt hatte, überraschte es niemand, daß die Heilung ausblieb. Die Handlung war bereits im September des Jahres 1856 vorgenommen worden, kam aber erst nach mehr als Jahresfrist zur öffentlichen Kunde – auf die harmloseste Weise. Der damalige Redakteur des Korrespondenzblattes der Gesellschaft für innere Mission, Inspektor Bauer, hatte eben nicht das nötige Manuscript bei der Hand, um die Dezembernummer des Jahrgangs 1857 füllen zu können, und bat deshalb Löhe um die Erlaubnis, jenes Formular des „apostolischen Krankenbesuchs“ zum Abdruck bringen zu dürfen. Löhe hatte dagegen nichts einzuwenden, wenn die Veröffentlichung nur motiviert würde. So kam die Sache in die Öffentlichkeit, wo sie nicht verfehlte das größte Aufsehen, ja einen wahren Aufruhr zu erregen. Das Kirchenregiment sah sich veranlaßt einzuschreiten. Ein Reskript vom 11. Februar 1858 forderte Löhe zur Verantwortung auf. Löhe stellte den Thatbestand unter Angabe der Gründe, die sein Handeln leiteten, dem Kirchenregiment dar. Das mißtrauisch gewordene Kirchenregiment jedoch war von dieser Darlegung nicht befriedigt und verlangte eine eingehende Erklärung darüber,| zu welchem Zweck jenes Formular des apostolischen Krankenbesuchs veröffentlicht worden sei. Gleichzeitig wurde das Dekanat beauftragt, den Religionsunterricht des Pfarrers Löhe, auch im Diakonissenhause, mit aller Sorgfalt zu überwachen, da die Annahme sehr nahe liege, daß Pfarrer Löhe in seinem öffentlichen oder privaten Religionsunterricht die Krankenölung stark betone und auf deren Anwendung vorbereite. Desgleichen sollte das k. Dekanat genau erforschen, ob die gesamte Amtsführung des Pfarrers Löhe, namentlich auch so weit sie sich auf die Missions- und auf die Diakonissenanstalt beziehe, mit den in der evangelisch lutherischen Landeskirche bestehenden Ordnungen übereinstimme, damit das Konsistorium gegebenen Falls im stande sei, rechtzeitig einzuschreiten.

 Löhe gab die vom Dekanate ihm abgeforderte Erklärung am 4. März in ruhig sachlicher Weise, ohne zu verhehlen was er dabei empfand, daß er – seit 28 Jahren ein Vertreter und Vorkämpfer der lutherischen Richtung – wegen einer Handlung, die jedenfalls viel unbedenklicher sei als die in dem gut lutherischen Rigaer Kirchenbuch vorgeschriebene Katechumenenölung, im Ernste auch von dem Kirchenregiment als unlutherisch bemißtraut und nach so lange bewährter Treue gegen die lutherische Kirche überhaupt und die bayerische Landeskirche insonderheit einer besonderen dekanatlichen Beaufsichtigung für würdig und bedürftig gehalten würde.

 Zur Sache selbst bemerkte er, daß der Zweck, um dessenwillen er dem Redakteur des Korrespondenzblattes die Veröffentlichung jenes liturgischen Formulars gestattet hätte, seinerseits kein andrer gewesen sei, als einen liturgischen Versuch zu geben und zu zeigen, wie man nach reformatorischen Grundsätzen unter Benützung alter Muster die kanonische Stelle Jakobi 5 in Praxis setzen könnte, wenn man wollte. Die Krankenölung im öffentlichen oder Privatunterricht besonders zu betonen falle ihm nicht ein. Mit dem Worte: „Das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen“| pflege er seinen Schülern über das andere Wort: „Er lasse sie über sich beten und salben mit Öl“ hinüberzuhelfen u. s. w.

 Hierauf ergieng am 5. März der Bescheid des Oberkonsistoriums, in welchem Löhe „die Vornahme der Krankenölung, dieser in der lutherischen Kirche seit ihrem Bestand niemals und nirgends und in keinerlei Form gebräuchlich gewesenen Handlung, schlechthin und für alle Fälle untersagt und ihm sein eigenmächtiges Verfahren, wodurch ein unleugbar weitgreifendes Ärgernis gegeben worden sei, nachdrücklich verwiesen und er ermahnt wurde, in Zukunft sich alles willkürlichen Vorgehens in solchen Dingen zu enthalten.“ Damit fand die Angelegenheit ihre officielle Erledigung.

 Das öffentliche Urteil über Löhes Verfahren lautete verschieden. Während er in protestantischen Blättern als Romanist verschrieen wurde, nahmen ultramontane Blätter natürlich beifällig Akt von Löhes Handlungsweise. So schrieb ein ultramontanes Augsburger Blatt in der fraglichen Angelegenheit folgendes: „Jene ehrenwerte Richtung, welche wir innerhalb des Protestantismus als eine zur katholischen Kirche rückläufige (sic!) bezeichnen müssen, findet sich wohl am stärksten ausgeprägt bei jenen Lutheranern, an deren Spitze Pfarrer Löhe von Neudettelsau stehet. Derselbe hat nun auch in seiner Gemeinde die letzte Ölung eingeführt und eine Agende hierüber buchstäblich nach den Vorschriften von Jakobi 5, 14 ff. abgefaßt. Allerdings müssen wir begierig sein, was das „kirchliche Regiment“ in München hiezu sagt. Vom Standpunkt der freien Bibelauslegung und des gemeindlichen Kirchenregiments wird sich nicht viel dagegen einwenden lassen.“

 Das besonnenste Urteil in der Frage gab wohl Hengstenberg ab, der sich im Vorwort zum Jahrgang 1859 seiner Kirchenzeitung folgendermaßen vernehmen ließ:


|  „Besonders in Bayern, aber auch über seine Grenzen hinaus, hat es viel Aufsehen erregt, daß Pastor Löhe in aller Förmlichkeit einer Kranken auf Grund von Jak. 5, 14 die Ölung erteilt hat. Daß die Sache zuletzt in einen Verweis von der obersten kirchlichen Behörde und in eine Verwarnung gegen Wiederholung solcher Handlung ausgelaufen, ist aus den politischen Blättern bekannt. Darin nun hat jedenfalls die durch jenen Vorgang aufgeregte öffentliche Meinung fehlgegriffen, daß sie Löhes Verfahren als „katholisierend“ bezeichnet. Die Anwendung der Ölung zur Heilung war vielmehr ein faktischer Protest gegen die letzte Ölung, die immer nur solchen erteilt wird, deren Tod in unmittelbarer Aussicht steht. Im übrigen können auch wir die Wiedereinführung des Brauches kaum für rätlich halten. Daß es sich um ein bloßes Symbol handelt – nicht um eine sakramentale Handlung, welche selbst die Gnade mit sich führt, erhellt daraus, daß man das: „und salben mit Öl in dem Namen des Herrn“, weglassen kann, ohne den Zusammenhang wesentlich zu unterbrechen, daß somit die Worte sich als eine Art von Parenthese darstellen, die Sache als Nebensache.“ Ist jemand krank, der rufe zu sich die Ältesten von der Gemeinde und lasse sie über sich beten. – – Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen. – Betet für einander. „Das Gebet des Gläubigen vermag viel“ u. s. w. Alles wird hier ins Gebet gesetzt, dessen Wirkung noch jetzt fortdauert, und das in der Kirche fortwährend in Übung ist. Was hier über die heilskräftige Wirkung desselben ausgesagt wird, ist nach Matth. 19, 29 zu beurteilen, so daß die Wirkung zur leiblichen Heilung, die auch in der apostolischen Zeit nicht ausnahmslos erfolgte – den Trophimus ließ Paulus zu Milet krank u. s. w. – nur beispielsweise und individualisierend genannt wird... Tragen nun die Worte: salben mit Öl u. s. w. rein symbolischen Charakter – so daß also durch die Salbung mit Öl der Gegenstand der Fürbitte als Ausdeutung des Symboles zu betrachten ist: so steht auch fest, daß diese Handlung, anders wie die Sakramente, unter Umständen der Abschaffung unterliegen kann; ebenso wie unter dem A. T., ob gleich dieses in allen solchen Äußerlichkeiten strenger war, der in 2 Mos. 2,11 vorgeschriebene Habitus beim Passah, das „stehend und in Eile“ aufgegeben wurde... wie unter dem N. B. das Fußwaschen nicht mehr äußerlich in Scene gesetzt wird. Bei der Ölung nun im Sinne des Jakobus hat sich die Kirche, namentlich die evangelische, dafür entschieden, daß sie nicht mehr äußerlich auszuführen ist, obgleich sie noch weit in das Zeitalter der Kirchenväter fortdauerte, wie dies u. A. aus Makarius und Ephraem dem Syrer erhellt. Die plötzliche Wiedereinführung hat, ähnlich wie die Wiedereinführung des echt| biblischen und ansprechenden Symbols des Räucherns zur Abbildung der Gebete der Gläubigen in den evangelischen Kirchen, das Bedenken gegen sich, daß sie gar leicht zur Verkennung der rein symbolischen Bedeutung und der Thatsache, daß der Nachdruck allein auf der Fürbitte ruht, führen kann... Dennoch aber scheint uns zu einem Einschreiten der Behörde hier an sich kein hinreichender Grund vorzuliegen, und ein solches vielleicht nur dadurch motiviert werden zu können, daß Pastor Löhe, nicht zufrieden mit der Wirksamkeit in dem stillen Kreise seiner Gemeinde, den Vorgang der Öffentlichkeit übergab und dadurch die „öffentliche Meinung“ herausforderte und die Entscheidung der Behörden provocierte. Der Apostel sagt doch einmal: „salbet mit Öl“, und wozu er also auffordert, das kann nicht schlechthin verboten sein. Luther – das ist doch von nicht geringer Bedeutung – hat ausdrücklich solches Salben für in der Kirche zulässig erklärt, ebenso Bengel und auch noch neuere Ausleger, wie Stier. Pastor Löhe ist ein Mann, dem man, wie dem im vorigen Jahre Heimgegangenen Goßner, vieles nachsehen muß, dem man einen möglichst freien Spielraum gewähren muß, damit die reichen ihm verliehenen Gaben sich frei entfalten können. Gott hat sein Siegel auf ihn gedrückt, niemand kann verkennen, daß Neuendettelsau der eigentliche Lichtpunkt in der evangelischen Kirche Bayerns ist, ebenso wie Hermannsburg in der Hannovers. Solche Männer sind dazu berufen, neue Bahnen zu eröffnen und wenn man ihnen, sie mit gewöhnlichem Maßstabe messend, gleich mit Verfügungen auf den Leib rückt, so lähmt man ihre Freudigkeit und entfremdet sie der Kirche, die ihrer so sehr bedarf und ihnen zu so großer Dankbarkeit verpflichtet ist, vor ihnen den Hut abziehen muß. Wir können auch in dieser Beziehung manches von der katholischen Kirche lernen. So schonungslos streng diese ist, wenn sie eine Abweichung im Princip wahrzunehmen glaubt; so weitherzig vermag (vielleicht dürfen wir jetzt, wo die jesuitische Richtung überhand zu nehmen droht, nur noch sagen: vermochte) sie wenigstens oft zu sein, wenn es galt den Individualitäten freien Spielraum zu gewähren. Man denke sich einmal den heiligen Franciskus von Assisi im evangelischen Gewande im Verhältnis zu der gegenwärtigen öffentlichen Meinung und einem protestantischen Oberkonsistorium! Auserwählte Rüstzeuge Gottes kommen von selbst wieder zurecht, wenn sie einmal eine falsche Bahn betreten haben. Sie haben ihr Korrektiv an dem heiligen Geiste, etc.“


 Wir haben keinen Beruf, über die Sache selbst hier ein Urteil abzugeben. Unseres Erachtens konnte übrigens gegen die Vornahme| der Krankenölung von Seite Löhes nur vom Gesichtspunkt kirchlicher Ordnung und eines gesunden evangelischen Traditionsprincips (1 Kor. 14, 36) ein Bedenken erhoben werden, sofern Löhe für seine Handlungsweise in der lutherischen Kirche dreier Jahrhunderte keinen Vorgang für sich hatte. Freilich kann andrerseits gefragt werden, mit welchem Recht die lutherische Kirche die Krankensalbung habe dahinfallen lassen, eine Frage, über welche uns auch Hengstenberg viel zu leicht hinwegzugehen scheint.

 Für Löhe knüpften sich übrigens an den Vorfall noch weitere unangenehme Folgen. Löhes Verfahren in der Ölungssache hatte die kirchlichen Behörden mit tiefstem Mißtrauen gegen ihn erfüllt, so daß sie von nun an mit argwöhnischer Aufmerksamkeit seine Thätigkeit überwachten und überall Ketzereien und Abweichungen von der Regel kirchlicher Ordnung witterten. Reskript folgte auf Reskript; war ein Wehe dahin, so war bereits ein anderes im Anzug.

 So traf bereits am 12. März 1858 ein neues Reskript des königl. Oberkonsistoriums ein, in welchem Löhe aufgefordert wurde: 1) sämtliche für den Unterricht im Diakonissenhause gedruckte Lehrmittel, sowie die autographierten Korrespondenzblätter der Diakonissen in Vorlage zu bringen; 2) sich über die Einführung einer neuen Gottesdienstordnung im Diakonissenhause zu rechtfertigen; 3) sich näher darüber zu erklären, was es mit der Nr. 4 des Korrespondenzblattes von 1857 erwähnten Zulassung von nicht konfirmierten Schülerinnen zur Privatbeichte und Absolution für eine Bewandtnis habe; 4) gewisse in der Chronik vom 4. April und 6. Mai 1857 im Korrespondenzblatt berichtete Äußerungen über die Bedeutung des Diakonissendienstes, „welche mit der bekenntnismäßigen Anschauung der Kirche kaum mehr in Einklang zu stehen schienen“ näher zu erläutern; 5) endlich Aufschluß zu geben über die in Nr. 3 des Korrespondenzblattes veröffentlichten Statuten| „wie es mit der Kirchenzucht in Neuendettelsau gehalten werden solle“.

 Wir heben aus der ausführlichen Verantwortung Löhes die beiden wichtigsten Punkte, welche noch weitere Verhandlungen veranlaßten, heraus: die sog. Kinderbeichte und die Zuchtordnung. Die Zuchtordnung, auf welche wir schon gelegentlich einmal zu sprechen kamen (S. 169), war eine Reihe von Beschlüssen, welche die Kirchenvorsteher von Neuendettelsau auf das Generale des königl. Oberkonsistoriums vom 2. Juli 1856 gefaßt hatten. Die Kinderbeichte dagegen verdankte ihre Entstehung einem in den Schulen des Diakonissenhauses hervorgetretenen sehr erklärlichen Bedürfnis geistlich geweckter Kinder, durch Bekenntnis ihrer Kindersünden ihr Gewissen entlasten und den Trost der Vergebung sich zueignen zu dürfen. Vgl. die schönen, für die Kenntnis Neuendettelsauer Lebens und Strebens so instruktiven „Neuendettelsauer Briefe“ im Korrespondenzblatt der Ges. f. innere Mission 1858 Nr. 8 u. 9).

 Solche Errungenschaften und freiwillig hervorgetriebene Blüten geistlichen Lebens, wie die von ihm im Verein mit den Kirchenvorstehern geschaffene Zuchtordnung, und die in den Schulen des Diakonissenhauses in Übung gekommene Kinderbeichte, war Löhe nicht gesonnen dem uniformierenden Ordnungssinn des Bureaukratismus zum Opfer fallen zu lassen. Er erklärte sich deshalb in bezug auf die „Kinderbeichte“ dahin: „Da Kinder sündigen wie Erwachsene, da sie Buße thun können und wirklich Buße thun, da sie bekennen wollen so gut wie andere und die Absolution für sie eben so sehr und oft mehr noch als für ältere ein mächtiges Gnadenmittel ist; da ferner keine Kirchenordnung der ganzen Welt leugnen kann, daß die Absolution allen bußfertigen und gläubigen Menschen angehöre, die fähig sind, sie anzunehmen und zu gebrauchen, endlich da es ein großer Vorzug der hiesigen Anstalt ist,| nicht durch polizeiliche Überwachung, sondern beichtväterlich regiert zu werden, so hat der gehorsamst Unterzeichnete allerdings je und je, aber ohne Drang und Zwang und ohne unzweckmäßige Betonung auch die unkonfirmierte zum Abendmahl noch nicht zugelassene Jugend zur Beichte und Absolution und damit zu ihrem ewig guten Hirten gelockt. Er weiß aufs allersicherste, daß er damit nach dem Sinne des Herrn gehandelt hat, ebenso, daß er keine Kirchenordnung verletzt hat, weil deshalb keine besteht und keine bestehen kann, weil eine einzige Thräne aus dem Auge eines absolvierten Kindes hinreicht, jedem Vater, jedem Lehrer, jeder kirchenregimentlichen Person alles Bedenken auszulöschen und sie anzuleiten, dem Herrn zu danken, daß sein göttliches Wort des Friedens für alle, auch für die Kinder gegeben ist. Ich muß gestehen, daß ich glaube, in diesem wie in vielen anderen Fällen meinen Amtsbrüdern einen guten Vorgang gemacht zu haben... Es versteht sich übrigens von selbst, daß Beichte und Absolution der nicht konfirmierten Jugend keine Ordnung, sondern Erlaubnis ist.“

 In betreff der beanstandeten Zuchtordnung aber erklärte Löhe, daß sie zwar lange nicht seinem Ideal gemeindlicher Zuchtübung entspreche, andrerseits aber freilich eine höhere Stufe der pastoralen Führung der Neuendettelsauer Gemeinde voraussetze und zum Grunde habe, als die für die allgemeinen Zustände der Landeskirche berechneten Anordnungen, daß er aber seiner Gemeinde unter keinen Umständen einen Rückschritt bieten könne, vielmehr in solchem Falle bitten müße, ihm das Amt abzunehmen. „Darf ich – so schloß seine Eingabe – der Kirche nicht dienen, wie ich es kann, so werde ich ihr die kleine Kraft, die ich etwa noch habe, nicht einen Augenblick aufdrängen, sondern in großem Frieden in meine Stille gehen. Das königl. Dekanat wolle diese wohlerwogene Erklärung dem königl. Kirchenregimente ja nicht etwa aus großer Güte gegen den Unterzeichneten vorenthalten.“

|  Hierauf erfolgte erst unter dem 3. Dezember 1858 der Entscheid des Oberkonsistoriums. Übrigens hatte sich Löhe in der Zwischenzeit aufs neue die Mißbilligung des Kirchenregiments in Form einer „nachdrücklichen Zurechtweisung“ zugezogen und zwar durch die Versagung der kirchlichen Ehren bei dem Begräbnis einer derselben allerdings unwürdigen Frauensperson. Nach Erledigung dieser Angelegenheit kam die Reihe an die Kinderbeichte und die Zuchtordnung. Bezüglich der Kinderbeichte bestimmte der oben erwähnte Erlaß des Kirchenregiments vom 3. Dezember, „daß die Zulassung der nicht konfirmierten Jugend zur Privatbeichte und Absolution, wenn sie gleich der Beichte und Absolution der Erwachsenen zu einem allgemein kirchlichen und amtlichen Akt gemacht werden wolle, als ein der lutherischen Kirche bisher ganz fremder Brauch schlechthin untersagt werden müße.“ In betreff des anderen Punktes lautete der kirchenregimentliche Bescheid dahin: „daß die von Pfarrer Löhe entworfene Instruktion zur Übung der Kirchenzucht, welche ungehöriger Weise veröffentlicht worden sei, Bestimmungen enthalte, die teilweise mit bestehenden Ordnungen kollidierten, und daß deshalb dem Entwurf die Genehmigung nicht erteilt werden könne, woraus sich von selbst ergebe, daß Pfarrer Löhe in fraglicher Beziehung sich lediglich an die bestehenden Verordnungen zu halten habe.“ Löhe erklärte hierauf, daß es ihm, wenn das kirchenregimentliche Verbot der Kinderbeichte und der Zuchtordnung bedingungslos gegeben wäre, unmöglich sein würde, den beiden Bestimmungen des königl. Oberkonsistoriums nachzukommen und er dann ruhig dessen weitere Verfügungen abwarten würde. Da aber die „Kinderbeichte“ nur für den Fall schlechthin untersagt sei, „wenn sie gleich der Beichte und Absolution der Erwachsenen zu einem allgemein kirchlichen und amtlichen Akt gemacht werden solle“ und da dem Entwurf der Zuchtordnung nur deshalb die Genehmigung versagt worden sei, „weil er Bestimmungen enthalte, die| theilweise mit bestehenden Verordnungen kollidierten“, so bitte er um nähere Aufklärung, damit er in bezug auf den dann klar vorliegenden Fall seine einfache Erklärung abgeben könne.

 Hierauf ergieng am 17. Januar 1859 ein Reskript des königl. Konsistoriums, in welchem Löhe aufgefordert wurde: 1) sich über Zeit und Ort der von ihm eingerichteten Kinderbeichte und über sein ganzes Verfahren in dieser Beziehung mit Genauigkeit zu äußern; 2) mit vollkommener Genauigkeit anzugeben, welche Teile der von ihm entworfenen Instruktion über die Kirchenzucht bisher ausgeführt worden seien.

 Löhe antwortete in einer ausführlichen Darlegung, in der er zunächst erklärte, daß und warum er es vor seinem Gewissen nicht verantworten könne, einem Christen, den Gott selbst Buße und Glauben gegeben, die amtliche Absolution blos deswegen zu versagen, weil er noch nicht 13 oder 14 Jahre alt sei. Der Genuß des h. Abendmahls habe zwar kirchenordnungsmäßig eine Einschränkung erlitten und erleiden können. Buße und Glaube aber, und damit das Anrecht auf die Verkündigung der göttlichen Vergebung, vertrage der Natur der Sache nach keine solche Einschränkung, wie denn hier auch keine Kirchenordnung Schranken ziehe etc. Gegen den in dem kirchenregimentlichen Erlaß gebrauchten Ausdruck: „Die von Pfarrer Löhe eingerichtete Kinderbeichte“ verwahrte er sich übrigens entschieden. „Es besteht – sagte er – hier kein Institut der Kinderbeichte... Wenn ich die Macht hätte, alles was ich wünsche einzurichten: ich würde auch dann nichts anderes thun, als was ich gethan habe, nämlich gelegentlich beim Unterricht, ohne alle absichtsvolle Betonung sagen, daß jeder bußfertige und gläubige Mensch absolviert werden könne, auch wenn er das vorschriftsmäßige Alter zum Sakrament zu gehen, noch nicht erreicht hat. Würde daraus ein Kind die praktische Folgerung ziehen, daß es auch für sich den Segen der Absolution in Anspruch nehmen dürfe, so würde| es sich gewiß bei mir nicht getäuscht finden, wenn ich auch als ein alter Seelsorger und Erzieher dafür würde zu sorgen wissen, daß nicht aus Beichte und Absolution Kinderspiel gemacht und damit die Absicht des Herrn vereitelt würde.“ Sodann verbreitet sich Löhe ausführlich über Zeit und Ort und die ganze Art und Weise der Abhaltung der Privatbeichte. Es ist interessant hiebei wahrzunehmen, welche Ausdehnung das Beichtwesen in jener Zeit in der Neuendettelsauer Pfarrei, namentlich in den Anstalten, gewonnen hatte. „Seitdem die Anstalten dahier entstanden sind – schreibt Löhe – hat sich die Zahl der Beichtkinder ungefähr um 1000 Personen (pro anno) gemehrt. Im Jahre 1853 war die Zahl der Kommunikanten nicht gering; sie betrug 1398; im Jahre 1858 aber betrug sie 2461. Die Arbeit ist mehr als um das Vierfache gestiegen, weil die Beichtkinder der Anstalten nicht wie Landleute so oft nur Formeln sprechen und einige besondere Sünden dazu angeben, sondern die volle Seelsorge in Anspruch nehmen, und man zuweilen 20 und 30 Landleute abzufertigen vermag, bis ein Glied der Anstalten entlassen werden kann... Es ist deshalb oft nicht möglich alle Beichtkinder, die der Anstalten mit eingeschlossen, am Samstag abzufertigen.[.]. Daher habe ich, wenn ich Gesundheitshalber konnte, die Glieder der Anstalten zu bestimmten Zeiten schon am Mittwoch, Donnnerstag, Freitag oder noch früher, beichten lassen... Von der Arbeit und Mühseligkeit des hiesigen Beichtwesens hat der, welcher nicht ähnliche Erfahrungen gemacht hat, ebenso wenig einen Begriff als von dem Segen, um deswillen man alles gerne trägt. Aus dieser Sachlage begreift sich, daß die hiesigen Beichten nicht immer an einem Orte gehalten werden können. Wer es haben wollte, würde die ganze Sache zerstören, eben damit aber das schönste, was in einer Gemeinde blühen kann.
.
 Die Samstagsbeichten der Landleute werden in der Sakristei der Kirche gehalten. Die Beichten der Anstaltsglieder werden zum| Teil auch in der Kirche gehalten, größtenteils aber in einem Zimmer des Pfarrhauses oder im Betsaal des Diakonissenhauses. Das kann nach Lage der Dinge gar nicht anders sein, weil sonst zu mancher Zeit der Pfarrer seine Wohnung in der ungesunden Sakristei aufschlagen müßte. Etwas Bedenkliches aber liegt darin nicht. Der Pfarrer bewohnt den oberen Teil seines Hauses für gewöhnlich fast allein, da seine Angehörigen nicht bei ihm zu sein pflegen. Es ist also kein Horchen und Lauschen zu fürchten, und überdies ist die Räumlichkeit im Pfarrhause, welche dazu benützt wird, pastoraler, würdiger und schöner als die elende Sakristei, auch das Pfarrhaus ein sehr patentes, öffentliches Gebäude, das von der ganzen Gemeinde beobachtet werden kann; daher auch kein Mensch je einen Anstoß nahm, wenn irgend wer ins Pfarrhaus gieng zu beichten....“

 In betreff der in Neuendettelsau in Übung bestehenden Zuchtordnung äußerte sich Löhe folgendermaßen: „Der ganze Unterschied der hiesigen Weise von der in den Erlassen der kirchlichen Behörden zu findenden besteht darin, daß der Grundsatz festgehalten wird: „Wer öffentlich gesündigt und die Gemeinde geärgert hat, der soll seinem Ärgernis durch irgend öffentliches Bekenntnis die verderbliche Kraft nehmen.“

 Wie sich dieser Grundsatz in der Form darstelle, das ist mir gleich, da doch der in der h. Schrift vorgeschriebene Prozeß der Zucht bei dem Verderben aller unsrer Gemeinden nicht ausgeführt werden kann. Dagegen den Grundsatz in der Praxis fallen zu lassen ist für mich unmöglich, da ich ihn aus der h. Schrift der Gemeinde eingeprägt habe, und es daher höchst ärgerlich und demoralisierend sein würde, wenn ich Jahrzehente lang etwas gepflegt und zur Anerkennung gebracht hätte, und es dann bloß deswegen fallen lassen sollte, weil andere Gemeinden noch schlechter als die meine sind und man ihnen so etwas nicht bieten darf. Wenn ich| die geringste Lehre des Evangeliums fallen lasse, so verletze ich die angelobte Treue gegen den Herrn und meine Gemeinde; wenn ich aber mich nicht schäme, um der geringsten willen alles dahin zu nehmen, so bleibe ich meiner Herde ein getreues Licht und bestätige ihr alles, was ich ihr nun bald 22 Jahre gepredigt habe.

 Die Zuchtordnung, soweit sie hier in Übung ist, ist folgende:

 1) Bei der Anmeldung, welche am Altare geschieht, pflegen Kirchenvorsteher gegenwärtig zu sein, ohne Zwang, welche können und wollen. Zuweilen machen sie mich aufmerksam auf einen Konfitenten, dessen offenbare Sünden die ganze Gemeinde weiß, nur ich nicht. Zuweilen frage ich sie, wenn ich über den einen oder andern Konfitenten einen Zweifel habe, namentlich über den Wandel junger Leute. Ergiebt sich ein Fall, in welchem ein Beichtkind nicht ohne weiteres zugelassen werden kann, so wird derselbe, wenn seine Sünde offenbar und jedermann kund ist, besprochen, und er zur Buße und Umkehr mit Liebe und Ernst ermahnt, wozu die Kirchenvorsteher, zuweilen auch andere Christen treulich helfen.

 Ist die Sache, welche besprochen werden muß, nicht offenbar oder nicht allen offenbar, so wird sie auch nicht vor allen vorgenommen, sondern entweder von dem Pfarrer allein, oder von ihm in Gemeinschaft mit etlichen oder allen Kirchenvorstehern in der Sakristei oder zu besonderer Zeit im Pfarrhause. Über Kirchenvorstehersitzungen dieser Art, welche bloß seelsorgerischer Natur sind, führen wir kein Protokoll, beobachten überhaupt keine Form als die der brüderlichen Liebe.

 2) Nimmt ein Ermahnter das Wort Gottes nicht an, sondern verharrt unbußfertig in seiner Sünde, so daß man ihm das Sakrament nicht reichen kann, ohne ihm zu einer größeren Sünde zu verhelfen, so wird ihm, wenn er standhält und nicht ohne weiteres davon läuft, was oft geschieht, immer angeboten, seine Sache der kirchlichen Behörde vorzulegen. Bisher haben alle gebeten es| ja nicht zu thun, was für die Liebe und Gerechtigkeit der seelsorgerischen Behandlung Zeugnis genug giebt, dem Pfarrer aber eine unverhohlene Freude ist, weil er sonst oft nicht wüßte, wo nur Zeit für Berichte herzunehmen wäre. Es wird auch ferner keinem Abzuweisenden beigehen, den Bericht zu verlangen, so lange nicht etwa ein Fall kund wird, daß jemand ungerecht behandelt wurde.

 3) Wenn ein ermahnter öffentlicher Sünder Buße that, so kommt er an seinem Abendmahlstage vor Beginn der Kirche zum Altar, bekennt vor den Kirchenvorstehern seine Sünde, und wird sodann absolviert. Darauf betet der Pfarrer und die Kirchenvorsteher für ihn, und er wird brüderlich und freundlich entlassen. Ist in einem besonderen Falle besondere Rücksicht zu nehmen, so geschieht es mit Freuden.

 Da das hiesige Verfahren in der Gegend einzig dasteht, deshalb ein zartes Ding ist, so hat es der Pfarrer an dieser Rücksicht nicht fehlen lassen, auch wenn die Kirchenvorsteher ein völlig gleiches und gesetzliches Verfahren in allen und jeden Fällen lieber gesehen hätten.

 Es hat Fälle gegeben, da ich solchen, die öffentliche Buße thaten, den Tag ihrer Buße auf ihr Ansuchen zum Andenken in ihre Gesangbücher schreiben mußte, ein Beweis vom Geiste, in welchem die Sache geführt wird. Andere Fälle hat es gegeben, wo Männer ihre Frauen, Eltern ihre Kinder selbst vor die Kirchenvorsteher brachten, ein Zeichen, daß ein gewisses Maß von Anerkennung der Sache ohne Zweifel vorhanden ist. Es könnten segensreiche Folgen im ganzen und einzelnen nachgewiesen werden.“

 Diese umständlichen Auseinandersetzungen hatten wenigstens den Erfolg, daß Löhe für sein Verfahren, wenn auch nicht Anerkennung, so doch Duldung von Seiten des Kirchenregiments erlangte.


|  Ein Reskript vom 31. März 1859 erteilte auf Löhes Vorstellungen folgenden Bescheid:

 1) Was die Kinderbeichte betrifft, so ist durch diesseitige Entschließung vom 3. Dezember vor. Jahres ausgesprochen worden, daß dieselbe, wenn sie gleich der Beichte und Absolution der Erwachsenen zu einem allgemeinen kirchlichen Akt gemacht werden wolle, als ein der lutherischen Kirche bisher ganz fremder Brauch schlechthin untersagt werde. Hiebei hat es sein Bewenden. Übrigens bleibt dem Pfarrer Löhe hienach unverwehrt, ausnahmsweise in einzelnen Fällen, wenn unter Fernehaltung jedes bestimmenden Einflusses von irgend einer Seite her, ein freigefühltes Bedürfnis Sünden zu bekennen, und deren Vergebung sich zusprechen zu lassen, bei Kindern sich kund giebt, auch deren geistige Reife außer Zweifel steht, dem Bedürfnis auf seelsorgerlichem Wege privatim und außerhalb der Kirche entgegenzukommen.

 2) Hinsichtlich der Kirchenzucht, wie sie in Neuendettelsau gehandhabt wird, muß vor allem erinnert werden, daß Pfarrer Löhe nach der bestehenden kirchlichen Ordnung nicht ermächtigt war, eigenmächtig ohne alle Anzeige oder Bewilligung von Seiten der Vorgesetzten, kirchlichen Behörden eine neue Zuchtordnung ins Leben zu rufen.

 Nachdem indes aus dem Berichte des Dekans erhellt, daß diese Kirchenzuchtordnung zu Neuendettelsau seit einer längeren Reihe von Jahren ohne Widerspruch geübt worden ist, ist zur Zeit kein Anlaß vorhanden, deren Übung zu untersagen. Darin bleibt jedoch den kirchlichen Behörden selbstverständlich vorbehalten, wenn Einsprache oder Beschwerden gegen sein Verfahren erhoben werden würden, in jedem einzelnen Falle nach den allgemeinen kirchlichen Normen zu entscheiden. Ebenso kann weiteren Einrichtungen, die über die bisherige Übung hinausgehen, eine Geltung nicht zugestanden werden, und muß in dieser Beziehung lediglich die| Entschließung vom 3. Dezember vorigen Jahres aufrecht erhalten werden.“

 Auf dieses Reskript hin erklärte sich Löhe für beruhigt „sofern ihm wesentlich gestattet sei zu handeln wie bisher.“ Die mißtrauische Haltung des Kirchenregiments jedoch, durch welche er sich in seiner Thätigkeit so vielfach gehemmt und überall in die Zwangsjacke „der bestehenden kirchlichen Ordnung“ eingeengt sah, hatte ihm die Freudigkeit zum Amtieren genommen. Dazu kam, daß seine sonst so feste Gesundheit zu wanken begann. Zweimal war er – in den Jahren 1858 und 1859 – genötigt eine Kur in Karlsbad zu gebrauchen. Namentlich die krankhafte Erregung seiner Sprachwerkzeuge ließen ihm eine Zurückziehung von den amtlichen Geschäften und eine Beschränkung auf die Leitung und Pastorierung der Anstalten höchst wünschenswert ja fast notwendig erscheinen. Wäre er damals durch eine kirchenregimentliche Verfügung seines Pfarramts enthoben worden: er würde dies Ereignis nicht als ein Unglück angesehen haben. Und diese Eventualität schien im Jahre 1860 eintreten zu wollen.





  1. Wir geben dieses Formular im Anhang.


« Die Agitation des Jahres 1856 und dadurch veranlaßte Reformgedanken Löhes Johannes Deinzer
Wilhelm Löhes Leben (Band 2)
Die Suspension »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).