Wilhelm Löhes Leben (Band 2)/Löhe als Beichtvater

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Wilhelm Löhes Leben (Band 2)
Löhe als Seelsorger an Kranken- und Sterbebetten »
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Löhe als Beichtvater.

 In der im Jahre 1864 verfaßten Pfarrbeschreibung sagt Löhe: „Die erste Zeit der Amtsführung des gegenwärtigen Pfarrers war wie die sechs Monate vorher, da Wilhelm Tretzel die Pfarrverwesung führte, eine Zeit der Erweckung. Diese Zeit aber würde spurlos vorübergegangen sein wie alle Erweckungszeiten, wenn auf sie nicht die Zeit der pastoralen Führung einzelner Gemüter durch den richtigen Gebrauch der Beichte gefolgt wäre. Hier in der tiefen Stille der Beichte und Absolution wird alles vorhandene Leben bis zur Stunde gepflegt und manch neues entzündet. Der Anbruch dieser Segenszeit gehört ins Jahr 1843.“

 Wie es ihm gelang, die Gemeinde zur Uebung der Privatbeichte zu erziehen und das Beichtwesen überhaupt auf die Höhe zu bringen, auf der es sich bis gegen Ende der sechsziger Jahre behauptete, erzählt er selbst in dem zweiten der „Neuendettelsauer Briefe“, welche, von ihm verfaßt, im Jahrgang 1858 des Correspondenzblattes der Gesellschaft f. i. M. erschienen. Die hieher gehörige Stelle mag hier mitgetheilt werden.

 „Als ich vor 21 Jahren, im Sommer des Jahres 1837, hier als Pfarrer aufzog, war fast der erste Mensch, der mir auf freier Straße begegnete, ein halb blöder alternder Junggeselle. Er redete mich freundlich an und sagte: ,Ich kann fein meine Beichte noch ganz gut.‘ Ich gieng frisch auf die Sache ein und rief ihm zu: ,So sag an.‘ Da sprach er denn| unter freiem Himmel vergnügt seine Beichte. Ich aber besann mich hernach, warum doch der arme Blöde auf den Gedanken gekommen war, mich gerade so zu begrüßen. Der Zusammenhang wurde mir bald klar. Ich hatte im Jahre 1836, also ein Jahr vorher, bei Raw in Nürnberg meine Schrift: ,Einfältiger Beichtunterricht für Christen evangelisch-lutherischen Bekenntnisses‘, und in den ersten Wochen des Jahres 1837 ebendaselbst meine ,Prüfungstafel und Gebete für Beicht- und Abendmahlstage‘ drucken lassen. Beide Schriften waren in der Diöcese Windsbach, innerhalb welcher ich zuvor als Pfarrverweser zwei Gemeinden bedient hatte, und zu welcher auch Neuendettelsau gehört, bekannt geworden, und da ich auch von der Kanzel und in den Christenlehren die Privatbeichte empfohlen hatte, so war mir in Neuendettelsau das Gerücht vorangegangen: ,Bei dem neuen Pfarrer muß man die Beichte wieder beten.‘ In den Jahren von 1837 bis zu Anfang des Jahres 1843 hielt ich nun allerdings allgemeine Beichten, aber ich benützte jede Gelegenheit, den Segen der Privatbeichte und Privatabsolution hervorzuheben, ohne daß von der Klasse der Landleute jemand auf den Gedanken gekommen wäre, um diesen Segen zu bitten. Nur das ist mir noch eine dunkle Erinnerung, daß zuweilen doch von den besseren Pfarrkindern männlichen Geschlechts eines und das andere um die Privatabsolution bat. Einmal pries ich auch in einer allgemeinen Beichte die Privatabsolution nach Würden vor einer sehr großen Schaar von Beichtkindern, und nachdem ich die Absolution im Allgemeinen gesprochen hatte, erklärte ich mich bereit, denen, die ein besonderes Verlangen hätten, nach geschlossenem Gottesdienst die Privatabsolution zu sprechen. Was geschah? Die ganze große Schaar blieb und begehrte privatim absolviert zu werden. Das war nun allerdings meine Meinung nicht.| Ich war früherhin Vicar im Fichtelgebirge, wo es bis auf den heutigen Tag gewöhnlich ist, die allgemeine Beichte zu halten und darauf, die Privatabsolution zu sprechen. Die seelsorgerische Erfahrung hat mich gelehrt, daß diese von Vielen gepriesene kirchliche Sitte noch mehr Bedenkliches hat, als die im mittelfränkischen Unterlande gebräuchliche Weise, die allgemeine Beichte zu sprechen und darauf die allgemeine Absolution zu empfangen. Es war mir auf dem Weg der Praxis, klar geworden, daß zu der Privatabsolution die Privatbeichte gehöre. Daher unterließ ich es auch, mich meinen Neudettelsauer Pfarrkindern zur Privatabsolution bereit zu erklären, freute mich aber, daß in der Gemeinde Sinn und Wille für die Absolution in diesem Maße gewachsen war. Einige Monate darauf las ich in einem Generale des kgl. Kirchenregiments von Bayern, daß die Behörde den Gebrauch der Privatbeichte da, wo er entweder eingeführt ist oder gewünscht werde, nicht hindern wollte. Als ich nun den nächsten Abendmahlstag abzukündigen hatte, las ich die Stelle auf der Kanzel vor und setzte dazu: ,Ich weiß schon, wie es bei Euch sein wird, Etliche von Euch werden die Privatbeichte wünschen, die Andern aber werden sie nicht mögen. Damit ich nun beiden Theilen gerecht werde, so will ich mich nächsten Sonnabend um 12 Uhr Mittags in der Kirche einfinden und Privatbeichte hören, und wenn das vorüber ist, wollen wir die Vesper und die allgemeine Beichte halten.‘ Am Sonnabend um 12 Uhr ließ ich in der Kirche nachsehen, ob einige Privatbeichtende vorhanden wären, und siehe, da hieß es, die ganze Kirche sei voll Leute. Da einer meiner Vorfahren den Beichtstuhl hatte zusammenhauen lassen, so hatte ich keinen Beichtstuhl, also gieng ich in die Sakristei der Pfarrkirche und empfieng nun stehend die Beichtlustigen. Der erste, welcher hereintrat, war ein alter großer und starker Mann, welcher sich| in den kirchlichen Aemtern, die er begleitete, manchmal nicht sehr willig und freundlich gezeigt hatte. In Anbetracht dessen sagte ich zu ihm, er möchte meine Abkündigung nicht falsch auffassen; es sei meine Meinung gar nicht gewesen, die allgemeine Beichte ganz zu verdrängen und etwa nur Privatbeichte einzuführen; es solle einem Jeden ganz sein freier Wille gelassen sein; ich müsse nur wünschen, daß auch die Privatbeichte wieder in Gebrauch und zu Ehren käme. Darauf schlug der Alte mit der Faust auf seine Brust und rief mit strömenden Thränen: ,Ich habe Sie bei der Abkündigung schon verstanden, aber ich will beichten.‘ Der zweite, welcher zur Beichte kam, war ein Mann, der, wo nicht der älteste, doch einer der ältesten in der Gemeinde war. Er legte seine Beichte ab, und als ich ihn absolviert hatte, küßte er mir freudenvoll die Hände dafür, daß er nun wieder absolviert sei, wie in seiner Jugend. So kam nun eins nach dem andern; wenige Beichttage reichten hin, so konnte man bereits merken, daß die Privatbeichte die herrschende in der Pfarrei werden würde. Nicht blos alle christlich erweckten, sondern überhaupt alle solideren und angeseheneren Leute machten den Vorgang, und so sehr folgte gleich anfangs die ganze Menge nach, daß zur allgemeinen Beichte sich nur Wenige, nicht der zehnte Theil der Beichtenden hielten. Es lag auch für den Seelsorger auf platter Hand, warum diese dem allgemeinen Zuge widerstrebten. So hielt ich denn von nun an immer Privatbeichte, dann Vesper, und nach der Vesper die allgemeine Beichte. Da kam es manchmal vor, daß hundert oder Hunderte von Beichtkindern privatim beichteten, und nur ein, zwei oder drei Beichtkinder zur allgemeinen Beichte kamen.
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 Das war nun allerdings ein Erfolg, aber nicht der, welchen ich wünschte, denn bei weitem die größte Zahl der Beichtkinder beichtete mit Formeln, und ich mußte nun ebenso| anfangen, wider das Formelbeichten in der Privatbeichte zu reden, wie ich zuvor Jahre lang gegen die sogenannte allgemeine Beichte und ihre alleinige Herrschaft geredet hatte. Das Ziel, welches jetzt zu erreichen stand, war ein höheres, als dasjenige, nach dem ich vorher Jahre lang gestrebt hatte, und ich muß es gestehen, daß ich in fünfzehn langen Jahren zwar immer mehrere, aber bei Weitem nicht die Mehrzahl meiner Beichtkinder dahin führen konnte, frei vom Herzen zu beichten. Ich wurde mit den verschiedenen Formeln der Leute so bekannt, daß ich manchmal in den Christenlehren sagte: ,Plagt mich doch nicht so sehr mit Euren Formeln; ich kann sie nun alle schier auswendig, und Ihr dürft mir getrost nur den Anfang sagen, so weiß ich gleich, was Ihr sagen wollt.‘ Bei alledem aber und bei der großen Anstrengung, welche mir das tagelange Anhören bekannter Formeln verursachte, sagte ich doch oft im Kreise vertrauter Freunde: ,Die schlechteste Privatbeichte ist doch besser, wie die allgemeine.‘ Da kam der Eine und sprach statt der Privatbeichte den Pathendank, den er in seiner Jugend gelernt hatte, der Andere brachte ein Stück aus einem Lied, der Dritte einen Spruch, oder einen Theil von einer Beichte u. s. w. Es gab oft die wunderlichsten, ja possierlichsten Erfahrungen, aber – da corrigierte ich eben die Schnitzer und Böcke und Fehler und Mängel, lehrte die vier Bestandtheile jeder ordentlichen Beichtformel: Bekenntnis der Sünden, Bekenntnis des Glaubens, Bitte um Absolution, Versprechen der Besserung; und diese vier großen Dinge lernte die Gemeinde allerdings je länger, je besser, sich selbst für Leben und Sterben zu großem Gewinn. Wenn auch zuweilen eine ganze Reihe öder Beichten kam, so kamen doch auch wieder andere, bei denen auch die Formel voll Geistes und Lebens wurde, und allmählig fieng der Eine und der Andere an von Herzen zu sprechen, was unsern Landleuten| ja schon deshalb sehr schwer wird, weil sie sich thörichtermaßen ihres Dialektes schämen und hochdeutsch sich nicht auszudrücken wissen. Ich war Zeuge seliger Fortschritte und habe wol Freuden der Seelsorge nie so genossen, als wenn ich merkte, daß wieder Einem mehr in der Beichte das Herz und der Mund aufgieng. Einmal beichtete ein seliger Bruder, ein junger Landwirt, und schloß seine Beichte in folgender Weise: ,Es soll aber besser werden; ich habe mir nun fest vorgenommen, daß ich in meinem Hause nur der Knecht sein will, der Hausherr aber soll Jesus Christus sein, mein Haushalt und meine Feldwirtschaft soll nach Seinem Sinn und zu Seinen Ehren bestellt werden, und was er mit all meiner Habe gethan haben will, das soll mit Freuden geschehen.‘ Ein anderer junger Landmann, der mir es anmerkte, daß ich von vielem Beichthören müde geworden war, sagte: ,Herr Pfarrer, ich will gar nichts, als die Absolution hören. Sie dürfen mir’s vor Gott glauben, daß ich mich als einen armen Sünder erkenne, und allein durch Vergebung meiner Sünden selig werden will: sprechen Sie mir getrost die Absolution.‘ Wer den fränkischen Landmann kennt, der wird es begreifen, wenn ich sage, dergleichen Aeußerungen seien meiner armen Pfarrersseele gewesen wie der Thau, der vom Hermon herabfließt auf die Berge Zions.“

 Von den in protestantischen Kreisen empfohlenen Surrogaten der Privatbeichte (Hausbesuche bei den Pfarrkindern, seelsorgerliche Gespräche mit denselben auf der Studierstube des Pfarrers) hielt Löhe nicht so viel. An Kraft die Seele anzufassen, kämen sie alle der Privatbeichte bei Weitem nicht gleich.

 Wie hoch Löhe die Privatbeichte schätzte, geht aus dem Gesagten schon hervor. Er erklärte sie für die von Segen triefendste unter allen Kirchenordnungen, für das edelste Gewächs der christlichen Freiheit, für das größte Erziehungs- und| Bildungsmittel des Volks. In dieser Hochschätzung beirrte ihn auch die Wahrnehmung des Misbrauchs nicht, der hie und da mit der Privatbeichte getrieben wurde. Er wußte und erfuhr, wie sie zuweilen zu einem Gaukelspiel voll Trug und Heuchelei, zu einem Tummelplatz der Leidenschaften erniedrigt wurde – und empfahl sie dennoch nach dem alten Grundsatz: ,Abusus non tollit usum.‘ Er empfahl sie und wurde Empfehlens nicht müde, obwol bei dem – namentlich seit Gründung der Diakonissenanstalt – sich immer mehrenden Zudrang von Beichtenden seine physischen Kräfte oft kaum mehr ausreichen wollten, um dem Bedürfnis der Absolution und Seelenrat begehrenden Beichtkinder zu genügen. Unter allen Thätigkeiten des Pfarrers – pflegte er oft zu sagen – kenne er keine abspannendere und ermüdendere, als die des Beichthörens. Der Samstag vor dem dritten von drei auf einander folgenden Sonntagen, dem regelmäßigen Communiontag der Dorfgemeinde, war von Morgens 10 Uhr an dem Beichthören gewidmet. Vor Beginn seiner eigenen beichtväterlichen Thätigkeit pflegte Löhe an solchen Sonnabenden selbst privatim zu beichten und die Absolution zu empfangen.
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 Ebenfalls alle drei Wochen – doch nicht an demselben Sonntag wie im Dorfe – wurde auch im Diakonissenhause große Communion gehalten. Hier war die Zahl der Beichtenden und der Anspruch an Löhe’s seelsorgerlichen Dienst noch ohne Vergleich größer, als in der Dorfgemeinde. Der Samstag reichte da nicht aus die Menge der Beichtenden abzufertigen, obwol Löhe vom Vormittag an bis tief in den Abend Beichte stand; er mußte oft schon am Mittwoch vor dem Abendmahlssonntag mit dem Beichtehören beginnen. Was er als Beichtvater war, wissen nur diejenigen zu würdigen, die davon die Erfahrung an ihrer eigenen Seele gemacht haben. Welche| wunderbare Vereinigung von Ernst und Milde in der Beurteilung der sich ihm in der Beichte offenbarenden Seelen, welch theilnehmendes Eingehen auf die Seelenzustände der Beichtenden, welche Weisheit und Bestimmtheit in seinen seelsorgerlichen Ratschlägen, welche feierliche Würde in seinem ganzen Benehmen gegenüber dem Beichtkinde! Wie bewegten die Worte Gottes, die er in der stillen Heimlichkeit des Beichtstuhls zu den Beichtenden redete, den Grund der Herzen, welch tiefer Abscheu vor der Sünde wurde da geweckt, welch kräftige Impulse zur Heiligung gegeben! Und wenn er sich dann am Schluß erhob, um dem Beichtkinde die Absolution zu sprechen, wie tröstlich klangen dann diese hohen Gottesworte und wie giengen sie den Seelen ein, lindernder als Oel und Balsam, erfrischender als Thau, süßer als Honig und Honigseim – Wahrlich der Redner bei der Enthüllung des Standbildes Löhe’s am 13. August 1873, Herr Professor v. Zezschwitz, hatte Recht, wenn er sagte: „Wer hat ihn so ehren und lieben gelernt, als der, dem es vergönnt war, ihn als Seelsorger und Beichtvater kennen zu lernen. Ihr wißt, wie etliche Kaufleute in den Tagen der Reformation den Wunsch aussprachen, daß sie Luther einmal ihre Sünden beichten könnten. Sie fühlten, der Mann habe ein väterliches Herz und einen evangelischen Geist, daß man ihm seine Sünden sagen könnte, als sage man es Gott selber. So war’s bei ihm. Diese Vereinigung eines heiligen Ernstes und väterlicher Güte, diese wunderbare Gebundenheit alles eigenen Willens und Urteils, dieser Verzicht auf alle Herrschaft über die Seelen, um nur nach Gottes Licht und Recht einem Jeden nach seinem Bedürfnis den Trost der Gnade zu spenden und zu seiner Selbstbesserung zu raten: so kennen wir ihn, und Niemand hat ihn ganz gekannt, der ihn nicht so kennen lernte.“
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|  Unter Löhe’s beichtväterlichen Tugenden nicht die geringste war, wie v. Zezschwitz mit Recht hervorhebt, seine Bescheidenheit und Zurückhaltung. Er wußte es aus tausendfältiger Erfahrung, daß es auf Erden keine Macht gibt, welche der eines Beichtvaters über willige Seelen gleichkommt, und daß vom Beichtstuhl aus bei den Protestanten so gut wie bei den Römischen alle natürlichen Verhältnisse gesegnet, aber auch unterminiert und gesprengt werden können. Um so mehr hielt er zarteste Discretion, Enthaltung von jeder ungehörigen Einmischung in private oder häusliche Verhältnisse, Respektierung der gottgesetzten Autoritäten des natürlichen Lebens für heilige Pflicht des Beichtvaters. In dem im Jahre 1866 in neuer Auflage erschienenen zweiten Bändchen seines „Evangelischen Geistlichen“ warnt er Seite 291 f. mit großem Ernst angehende Beichtväter vor der Gefahr und Sünde solcher Unbescheidenheit. „Ein rechter Beichtvater“ – sagt er dort – „will nicht Alles wissen, Alles bereden, ringt darnach, sein beichtväterliches Amt so zu führen, daß er Niemand beschwert, daß er jedem Lebensverhältnis ferne bleibt, unwissend, und gerade dadurch voll unschuldigen Einflusses auf alle seine Beichtkinder und deren Verhältnisse wird.“
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 Wie sehr ist es zu bedauern, daß es Löhe nicht vergönnt war, nach Art des alten Borromaeus, eine regula aurea für protestantische Beichtväter zu schreiben und so den Gewinn seiner reichen seelsorgerlichen Erfahrung dem nachfolgenden Geschlecht von Geistlichen nutzbar zu machen. Aber außer den wenigen hieher gehörigen Paragraphen seines „Evangelischen Geistlichen“ existiert nichts von ihm, was zur Einführung angehender Seelsorger ins beichtväterliche Amt dienen könnte. Was er sonst noch in das Kapitel von der Beichte Gehöriges geschrieben hat, ist Anweisung für Beichtkinder, doch freilich um mancher eingestreuten| Bemerkungen willen auch für den Seelsorger von Wichtigkeit. Wir möchten außer den schon genannten Neuendettelsauer Briefen im Jahrgang 1858 des Correspondenzblattes der Gesellschaft f. i. M. noch auf die lehrreiche Unterweisung über Privatbeichte und deren verschiedene Arten aufmerksam machen, die sich im Hausbuch[1], II. Theil, S. 264–269 findet, und auch in die „Prüfungstafel“ übergegangen ist.

 So sehr indessen Löhe die Privatbeichte schätzte und empfahl, so war er doch – wie schon das oben mitgetheilte Bruchstück aus den „Neuendettelsauer Briefen“ zeigt – nicht gemeint, der sogenannten allgemeinen Beichte ihr Recht abzusprechen. Er erkannte im Gegentheil den Segen der der allgemeinen Beichte vorangehenden Beichtansprachen an, durch welche oft der bei unsern Landleuten so häufige Mangel eigner Bereitung einigermaßen erstattet, die Herzen zur Buße erweckt und für den Trost der Absolution empfänglich gemacht werden könnten. Darum hielt er an den Sonnabenden vor Abendmahlssonntagen die übliche Beichtvesper mit freier Ansprache, und wie oft wurde ihm da verliehen, die Herzen gewaltig zu rühren, sie mit dem Hammer der Bußpredigt zu zerschmeißen und Sehnsucht nach Gnade und Vergebung in ihnen zu erwecken. Welcher Schatz tieferbaulicher Schriftanwendung und seelsorgerlicher Weisheit würde dem christlichen Volke geboten werden können, wenn Jemand diese Beichtansprachen mit der Feder hätte festhalten können und wollen!

|  Hier würde auch der Ort sein, ein Wort von der Art und Weise zu sagen, wie Löhe Zucht übte. Da wir aber im nächsten Band auf denselben Gegenstand zurückkommen müssen, so versparen wir eine eingehendere Darstellung bis dahin und begnügen uns hier damit, die leitenden Grundsätze Löhe’s betreffs der Kirchenzucht und seine Zuchtpraxis selbst kurz zu skizzieren. Löhe’s Grundsätze waren folgende: „Die Zucht ist eine Aeußerung der persönlichen und gemeindlichen Bruderliebe. Sie ist jedes Christen Recht und Pflicht.

 „Die Befolgung der Zuchtordnung des HErrn Matth. 18 ist wesentlich von der sittlichen Beschaffenheit der Gemeinde, von dem in ihr herrschenden Gemeingeist, von dem Gefühl der Zusammengehörigkeit, kurz von dem Maß der in ihr waltenden Bruderliebe abhängig.

 „Wo die Gemeinden, wie in den Massenkirchen, diesen Anforderungen nicht entsprechen, fehlt die Voraussetzung des Matth. 18 gegebenen Zuchtbefehls, d. h. es kann wol der erste und zweite, aber nicht der dritte Grad der Vermahnung vollzogen werden.

 „Unerläßlich aber auch in diesem Fall, weil unabhängig von der sittlichen Beschaffenheit der Gemeinde, ist dasjenige Maß von Zuchtübung, welches in den Amtsbefugnissen eines Haushalters über Gottes Geheimnisse gegründet und daher auch ohne Mitwirkung der Gemeinde auszuüben ist.

 „Das unerläßliche Minimum, weil das Wesentliche der Zuchtübung, ist die Abendmahlszucht, die darüber wacht, daß öffentliche unbußfertige Sünder nicht zum Tische des HErrn zugelassen werden.

 „Die Kirchenvorsteher als Vertreter nicht des schlechteren, sondern des besseren Theils der Gemeinde sollen dem Pfarrer helfen, Abendmahlszucht zu üben.“

|  Nach diesen Grundsätzen handelte Löhe und zwar in folgender Weise.
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 Am Freitag vor dem Communiontag der Gemeinde fand nach dem Wochengottesdienst öffentliche Anmeldung statt. Dabei stand Löhe in der Mitte des Chors an einem Pulte und schrieb die Beichtenden nach Ortschaften und Hausnummern auf. Die Beichtkinder traten eins um das andere vor ihn hin. Mit einem flüchtigen, aber durchdringenden Blick des gewaltigen Auges musterte er die Herantretenden. Wer ohne Wink und Bemerkung passierte, gieng durch die Sakristei und legte, wenn er wollte, dort seinen Beichtgroschen nieder. Die, bei welchen sich irgend ein Hindernis fand, wurden bedeutet, bis zum Schluß der Anmeldung zu bleiben, um nachher dem Seelsorger in Gegenwart einiger Kirchenvorsteher Rede zu stehen. Gefallene Dirnen und ihre Verführer, Gemeindeglieder, die mit einander in Streit und Feindschaft lebten, kurz alle, die irgend welches öffentliche Aergernis gegeben hatten, wurden auf diese Weise angehalten. Nahmen sie Löhe’s Strafe und Vermahnung zur Buße an und gelobten sie Besserung, so wurden sie zur Absolution und zum Sacrament zugelassen. Zuweilen aber kam es auch vor, daß die Sünder hartnäckig blieben und des Seelsorgers Vermahnung mit frechen und trotzigen Reden vergalten oder auch dieselbe gar nicht annahmen, sondern zornentbrannt aus der Kirche liefen. In solchem Fall blieben sie bis zu eingetretener Buße vom Sacrament zurückgestellt. Da das Kirchenregiment in solchen Fällen Anzeige verlangt, so pflegte Löhe diejenigen, welche er von der Theilnahme am Sacrament zurückwies, zu fragen, ob sie Berichterstattung an das Consistorium verlangten. Die häufigste Antwort war: „’s ist mir Ein Handel (d. h. einerlei)“. „Dann ist’s mir auch Ein Handel“ – war Löhe’s gewöhnliche Erwiderung auf diese Rede – „und ich kann mir| die Mühe sparen.“ Andere verbaten sich geradezu eine solche Anzeige, wol aus dem Grund, weil sie, innerlich von ihrem Unrecht selbst überzeugt, durch eine Appellation an die Kirchenbehörde nichts zu erreichen fürchteten oder doch von der leider nicht immer zutreffenden Voraussetzung ausgiengen, daß die Kirchenbehörde selbstverständlich nicht zu dem klagenden Pfarrkind, sondern zu dem angeklagten Pfarrer stehen werde. Wenigstens äußerte sich einmal ein Landmann, der sich bei einer Kirchenstuhlverleihung beeinträchtigt glaubte und von Löhe auf den ihm offen stehenden Weg der Klage bei dem zuständigen Decanat hingewiesen wurde, mit elastischer Grobheit folgendermaßen: „Da müßt’ ich doch ein Narr sein, wenn ich das thäte. Das weiß ich doch, daß keine Krähe der andern ein Auge aushackt.“

 Es herrschte ein großer Ernst in diesen Beichtanmeldungen, der Ernst thatkräftigen kirchlichen Handelns. Sie gestalteten sich zu einer Art öffentlichen Sittengerichts. Löhe selbst stand wie mit dem Flammenschwert des Cherub vor den Pforten des Heiligtums, wachend, daß kein Unwürdiger sich nahe. Man kann sagen: dasjenige Maß von Zuchtübung, welches bei dem gegenwärtigen Zustand der Gemeinden überhaupt erreichbar ist, war in der Gemeinde Neuendettelsau erreicht. Ja eine Reihe von Jahren hindurch, bis ein Inhibitionsbefehl des Kirchenregiments eintraf, war in Neuendettelsau eine Zuchtordnung in Uebung, die dem Vorbild apostolischer Gemeindezucht sich noch mehr näherte, als die oben geschilderte Einrichtung. Die Feststellung jener Zuchtordnung gehört indessen dem Zeitraum an, dessen Darstellung der Inhalt des nächsten Bandes dieser Biographie bringen wird, daher wir hier abbrechen.



  1. Der zweite Theil des Hausbuches, 1859 erschienen, gehört zu dem Herrlichsten, was Löhe geschrieben hat. Wer wissen will, was Löhe für ein Ideal des christlichen Gemeindelebens in der Seele trug, muß von diesem Buch, namentlich der herrlichen Einleitung S. 1–108, Kenntnis nehmen. Leider scheint dieses Buch in weiteren Kreisen kaum bekannt geworden zu sein.


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