Wie und wo Körner’s „Leyer und Schwert“ von C. M. v. Weber componiert wurde

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Autor: Max Maria von Weber
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Titel: Wie und wo Körner’s „Leyer und Schwert“ von C. M. v. Weber componiert wurde
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Wie und wo Körner’s „Leyer und Schwert“ von C. M. v. Weber componirt wurde.[1]

Von M. M. v. Weber.

– – Hier (in Berlin im August 1814) trat Weber in eine gewaltig bewegte Sphäre von Anschauungen und Gefühle ein, die in dieser Form, Größe und Allgemeinheit durchaus neu für ihn waren. Die große Volkserhebung vom Jahre 1813 hatte ihre Früchte getragen, die Nation hatte durch eigenen Willen, eigene Opfer, eigene Kraft, den großen Unterdrücker besiegt und stand, wie ein Löwe, ihrer Stärke bewußt, auf dem Siegesfelde. In Prag hatte man den Sieg der Armeen Sr. Majestät des Kaisers Franz über die Sr. Majestät des Kaisers Napoleon gefeiert, in Berlin feierte man den Triumph des deutschen Volkes über seine Dränger, der Freiheit über das Joch, des Nationenrechts über die Eroberergewalt. Dort hatte man sich in Gala gratulirt und dann pflichtschuldigst illuminirt, hier loderte die Begeisterung über die große That in hellern Flammen als alle Illuminationen der Welt! Vom kleinen Straßenjungen an, der seit dem Mai 1814 in Berlin militärisch stramm ging, bis zu dem Generale des aus dem Volke hervorgegangenen Heeres füllte nur ein Gefühl Aller Herzen: Selbsterkämpfter Sieg, Kraft, Freiheit!

Alles was nicht dies zum Hintergrunde, zur Basis hatte, erschien von untergeordneter Bedeutung.

Leben, Kunst, Wissen, Alles mußte sich darauf beziehen, wenn es Gewicht in den Augen des Volkes erhalten, Aufmerksamkeit erwecken sollte.

Wer wollte noch Darstellungen der heiligen Geschichte, des Mittelalters, der süßen Perioden des Friedens sehen, wer noch Liebeslieder singen oder sanfte Weisen hören?

Wie hätten sich so zarte Töne in dem Getöse von Jubel und Kriegslärm lautbar machen sollen? Auf der Bühne wie im Leben hallte es von Waffenrasseln; Schlachtbilder wurden gemalt, und Kriegs-, Sieges- und Freiheitslieder componirt. An letzteren besonders konnte den ebenso musikalischen als patriotischen Berlinern kaum genug producirt werden.

Hoffmann’s „Lobgesang an den Retter Deutschlands“, Methfessel’s Kriegslieder mit Chören, B. A. Weber’s „Patriotischer Rundgesang“, Gottfried Weber’s „Morgenlied der Freien“, des am 8. Mai verstorbenen Himmel „Kriegslieder der Deutschen“ hatten unter der Masse der in dieser Richtung auftauchenden Werke ehrenvolle Aufmerksamkeit erregt, ja selbst des alten Opitz von Boberfeld „Vaterlandslied“ war hervorgesucht und von Max Eberwein componirt worden.

Vor Allem aber legte sich die musikalische Bearbeitung der patriotischen Lieder des jungen deutschen Sängers nahe, der durch seinen poetischen Tod bei Gadebusch auch auf diese an sich schon bedeutsamen Gesänge ein erklärendes Licht geworfen hatte.

Theodor Körner’s Gedichte wurden, von Krufft, Bezwarzowsky, Grund, Gottfried Weber und Anderen componirt, allenthalben gesungen, wo Männer, die Töne im Munde hatten, beisammen saßen.

Berlin hatte z. Z. als Weber daselbst (3. August 1814) ankam, den Charakter des Lagers eines siegreichen Heeres. Glänzende Truppenmassen kamen und gingen, von den Einwohnern begrüßt und entlassen, die Geselligkeit bewegte sich nur um die Kämpfer und feierte sie, und die Rückkunft des Königs wurde als der Glanzpunkt des Siegesfestes erwartet.

Es war ein wunderlicher, damals allenthalben in Deutschland [601] hervortretender Zug im Ideenkreise der siegreichen Völker, daß sich für sie die eigentliche Rückkehr der alten guten Zeit, ja selbst der Freiheit, mit der Rückkehr ihrer alten Fürsten identificirte, mochten dieselben vorher so unbeliebt gewesen sein, so wenig zur Wiedererlangung ihrer Throne geleistet haben, als sie wollten.

Wie viel mehr mußte dies in Preußen der Fall sein, wo man die guten Eigenschaften des gedemüthigten Königs wahrhaft schätzte, ihn liebte und, vor der Hand wenigstens, alle seine beim Durchfechten des großen Kampfes an den Tag gelegte Unschlüssigkeit und Schwäche ignorirte.

Auch hätte zu jener Zeit noch die alte Hyder Zwietracht kein Haar ihres Satansmutterkopfes zu zeigen wagen dürfen, die später so frech und niederträchtig das Haupt erhob, daß sie sogar die Helden in Feld und Cabinet, die Deutschlands Freiheit mit ihrem materiellen und moralischen Herzblute erkauft hatte, als mißliebige Personen von den Stufen des Thrones verdrängte, den sie gerettet hatten und der, von ihren Schultern getragen, einer der ersten Europa’s hätte werden können.

Gerade in den Tagen, wo Weber in Berlin ankam, waren russische Truppen daselbst einmarschirt, und in der Person der schönen, drall uniformirten glänzenden Garden des Kaiser Alexander, deren Officiere von den Berliner Damen fast alle für ebenso schön und liebenswürdig, wie ihr unwiderstehlicher Kaiser und Herr war, erklärt wurden, sollte die Anhänglichkeit an den mächtigen Bundesgenossen gefeiert werden, sobald der König zurückgekehrt sein würde, zu dessen hochfestlichem Empfange die ganze Bewohnerschaft der Residenz aus vollem Herzen bereits Vorbereitungen zu treffen und dieselbe zu schmücken begann.

Alle Berühmtheiten des Kriegs, der Diplomatie, der Kunst und Wissenschaft, die ganze Aristokratie der Geburt, des Geldes und der Stellung strömte zu den bevorstehenden Festen, um den König unter den Ersten begrüßen zu können, nach Berlin zurück. Die Stimmung war festlich, der Ton gehoben, eine heitere Menge wogte durch die Straßen und erfüllte Theater, Concertsäle und öffentliche Locale, die Herzen waren frohen und liebevollen Eindrücken geöffnet und zu enthusiastischen Kundgebungen geneigt.

Es konnte daher kaum einen Moment geben, wo Weber, um bedeutsame Anregungen zu erhalten und durch Liebe und Anerkennung gehoben zu werden, glücklicher nach Berlin hätte kommen können. Gleich den ersten Abend nach seiner Ankunft empfing er, den sein unbeachtetes Wandeln in Prag fast glauben gemacht hatte, er sei von der Welt vergessen, überraschende Beweise von dem guten Andenken, das man ihm in den geistig am höchsten stehenden Kreisen Berlins bewahrte. Er ging, um seine musikalischen Freunde versammelt zu finden, nach der Singakademie, wo eine glänzende Versammlung, 300 Mitglieder und eben so viel Zuhörer, unter denen Blücher, Prinz Georg und andere Sterne der Zeit, beisammen waren, und trat in einer Pause hinein. Da sah ihn Lichtenstein, eilte auf ihn zu, umarmte ihn, dann Wollank, dann Rungenhagen, dann die Seebolds – Einer rief es dem Andern zu, daß er da sei, alle Freunde verließen ihre Plätze, man umdrängte ihn händeschüttelnd, Fremde ließen sich ihm bekannt machen, und ehe er sich’s versah, mußte er bemerken, daß er der Mittelpunkt einer frohen Menge sei, die der, welche Blücher selbst umstand, an Zahl kaum etwas nachgab, und daß der alte Zelter grimmige Gesichter schnitt. – Am andern Morgen setzte sich der erhebende Eindruck fort, als er zum Bankier Beer (Meyerbeer’s Vater) eintrat, der eben die Waisenkinder speiste und mit einer Gesellschaft von 80 Notabilitäten der Kunst bei Tafel saß. Die Mama Beer flog auf ihn zu, umarmte ihn mit dem Ausrufe: „Unser Weber!“ vor allen Kindern und Gästen und rief, als Letztere in Beifall ausbrachen: „Nicht wahr, er darf nicht wieder fort?“ Die beiden Romberg’s und Rhode, die er hier traf, begrüßten ihn auf’s Herzlichste und boten ihm bereitwilligst ihre Dienste bei seinem Concerte. War hier überall sein Empfang auszeichnend, so war er rührend, liebevoll im Kreise seiner „Baschkiren“.[2] Gern, Jordans, Kielmann, Lichtenstein, Wollank, Gubitz fand er wieder und nur das Grab eines einzigen, seines theuren Flemming, hatte er zu besuchen.

Er schreibt über seinen Empfang in Berlin an seine Braut Caroline Brandt:

„Ich kann nicht leugnen, daß diese enthusiastische, beinahe übertriebene Verehrung meiner Arbeiten, und diese herzliche Aufnahme von allen Seiten mich recht aufgeregt und meinem Geiste einen neuen Anstoß und Schwung gegeben hat, und ich hoffe recht viel zu leisten und neue Lust und Kraft zur Arbeit mitzunehmen. Der Gedanke ist mir innig wohlthuend, wenn ich so manchmal hoffen kann, daß meine Lina recht stolz auf ihren Carl sein könnte.“

Dieser Schöpferdrang erhielt in Berlin selbst, trotz des Anliegens seiner Freunde, gleich am Platze eine größere, auf die Zeit Bezug habende Arbeit zu liefern und so mit einem Schlage das ganze Terrain zu erobern, noch keine bestimmte Form, wohl aber eine bestimmte Richtung durch die Kraft der neuen Ideen und Empfindungen, welche die sich vor Weber entrollende Welt in ihm erregte. Zum ersten Male fühlte der bis dahin nur im Königreich des Schönen heimische Künstler sich politisch als Deutscher, zum ersten Male erwärmten die Begriffe von Freiheit, Vaterland, Heldentod, Bürgertugend, Tyrannenhaß seine Seele, und gewanen bald eine so intensive Kraft in ihm, daß sie auf eine Zeit lang alle anderen künstlerischen Motive in den Hintergrund drängten und ihn mit allem Feuer den Stoff suchen ließen, in dessen künstlerischer Gestaltung er seine Wärme für diese Ideen, die sehr bald die Gestalt von glühendem Enthusiasmus annahm, austönen lassen könnte.

Diesem Enthusiasmus, der in seiner directen Beziehung zu den positiven Interessen der Außenwelt zu viel Heterogenes von Weber’s ganzem Kunstdenken hatte, um dauernd dasselbe zu beherrschen, verdanken die unsterblichen Freiheits-Sturm- und Dranglieder ihre Existenz, die einige Monate später entstanden, auf dem Boden des preußischen Enthusiasmus von 1814 gewachsen sind und bald, alle politischen Lieder seiner Vorgänger verdunkelnd, die Herzen der deutschen Jugend entflammten. Sie haben unzweifelhaft nicht wenig dazu beigetragen, die Liebe zur Freiheit und das Gefühl für Völker- und Manneswürde im deutschen Volke heimisch zu machen. Diese Lieder waren es auch, die Weber’s Ruf nicht allein in Ruhm umwandelten, sondern ihm auch eine ehrenvolle Stelle unter den Männern erworben haben, die in dichter, Schulter an Schulter geschlossener Phalanx, von Ulrich von Hutten bis Schlosser und Uhland, geistige und materielle Sclaverei bekämpften und das deutsche Volk sich seines Werthes bewußt machten.

Diese Lieder, die Producte einer fast momentanen Stimmung und Richtung, reihten ihn, den treuen Diener und guten ruhigen Bürger, dem sogar fast vielleicht zu viel Respect vor Fürstenrang und hoher Stellung beiwohnte, aber auch, wunderlicher Weise, für immer unter die den Fürsten nicht sympathischen Individualitäten und, in den Augen der Rückschrittspartei, in die Glieder der Volksführer und Stimmungslenker ein, mit denen er eigentlich niemals Beziehungen pflog, obgleich er aus Jugend und Volk jederzeit unwillkürlich eine fast magnetische Anziehungskraft geübt hat.

Der König von Preußen kehrte in seiner verdrießlichen Weise, alle liebevollen Absichten seiner Residenzbürger kreuzend, mehrere Tage vor der bestimmten Zeit, am 5. August, früh in aller Stille nach Berlin zurück, nachdem ihm schon York, Bülow, Tauenzien, Hardenberg und andere Herrliche vorangeeilt waren, und brachte dadurch alle Festordner in die empfindlichste Verlegenheit.

Trotz der Webern gewordenen trefflichen Aufnahme stellten sich doch der Aufführung der „Sylvana“, die er beabsichtigte, sehr wesentliche Hindernisse entgegen, zu deren Hinwegräumung sich Anselm Weber, dem, wie Carl Maria sich ausdrückt, „beim Gedanken an seine (Carl Maria’s) Anstellung in Berlin schon der Angstschweiß auf der Stirne stand,“ nicht gerade sehr beeifert zeigte. Iffland lag im Sterben, der neue Intendant war noch nicht ernannt, eine Commission verwaltete interimistisch die Bühne, es geschah daher in den königlichen Theatern gerade nur so viel, daß sie nicht geschlossen zu werden brauchten, und die Aufführungen gingen weniger exact und nachlässiger denn jemals. Weber schreibt darüber: „Die hiesigen Vorstellungen wollen mir gar nicht recht schmecken. Der dritte Act von „Fanchon“ ging sehr schlecht, und ich wollte nicht rathen, daß bei uns solche Lücken entständen.“ Dazu kamen Festspiele und Freitheater für die fremden Truppen, so daß an ein festes Arrangement für die fast ganz neu einzustudirende Oper nicht zu denken war.

Indeß ließ Weber den Jubelstrom beim wirklichen öffentlichen Einzuge des Königs am 7. August, die Festvorstellungen in den beiden Theatern, die im Opernhause in einem Prologe von Kotzebue und einem militärischen Ballete, „die glückliche Rückkehr“ betitelt, im Nationaltheater in Himmel’s „Fanchon“ bestanden (!), an sich [602] vorüberbrausen. Bei der Illumination im dicken Menschengedränge hingeschoben, das von einem daher kommenden Wagen eben peinlich vermehrt wurde, so daß sich hier und da Angstrufe hören ließen, sieht er Ludwig Tieck’s wundervollen Kopf sich besorgt umschauend aus dem Wagen neigen, ruft ihm zu, reicht ihm die Hand, wird jubelnd halb in den Wagen gehoben, halb springt er hinein und sieht sich dem freudig bewegten, berühmten Dichter gegenüber, der ausruft: „Jetzt hat die Illumination erst Bedeutung für mich, und ich weiß, warum ich in Berlin bin!“

Mehr als bei irgend einem anderen der hervorragenden Componisten unserer Zeit war Weber’s Schaffen ein Product der Wechselwirkung zwischen seinem Genius und dem Publicum, das ihm lauschte.

Die Beschäftigung mit „Sylvana“ leitete wieder intensiver auf dramatische Composition hin, der Verkehr mit Tieck und dem ebenfalls angekommenen Brentano legte die Gelegenheit zu Erlangung eines wahrhaft poetischen, künstlerisch gestalteten Operntextes nahe, und auch Gubitz las Weber eine Anzahl Entwürfe zu Opern vor. Clemens Brentano besonders zeigte sich geschäftig im Aufstöbern uralter, echt romantischer Sujets, und so kam man denn eines Abende, als Weber, ermüdet von den Vorbereitungen zu seinem Concerte bei Lichtenstein, auf dem Sopha saß, wo ihn Brentano aufsuchte, auf die Fabel vom „Tannhäuser“, die, wie die meisten mittelalterlichen Sagen erst durch spätere Bestrebungen in’s größere Publicum gebracht, damals den vollen Zauber der Neuheit hatte. Brentano erzählte Weber den Stoff, und dieser erkannte ihn sofort voll Feuer als den musikalischsten, den es überhaupt geben könne, da seine tiefsinnigen Motive sämmtlich solche seien, zu deren Verlebendigung die Musik nothwendig sich erfordere und befähigt sei. Der Kampf der Gottesliebe, des Glaubens, der Sinnen- und der reinen irdischen Liebe, fast die einzigen Empfindungen, welche die Musik ganz und voll darzulegen vermag, waren hier das innere Motiv des Ganzen, und welche Pracht und Fülle des Aeußeren entfaltete sich bei dem Gedanken an den Wartburgkrieg, die Sirenenverlockung der Venus und ihrer Welt, den pontificalen Pomp der Scenen in Rom – Musik! rief hier jede Stelle und jeder Vers, Musik!

Brentano sollte sofort, auf Weber’s Bitte, der von dem Stoffe ganz erfüllt war, an die Textbearbeitung gehen, und so war es nahe daran, daß die Fabel, die jetzt einem der größten Kunstwerke der Neuzeit zum Grunde liegt, schon 30 Jahre früher durch Weber ihre musikalische Behandlung gefunden hätte. Anders, melodiöser, reizender, schöner, als sein berühmter Nachfolger auf dem Dirigentenstuhle zu Dresden, würde er ihn aufgefaßt haben, tiefer, gewaltiger, größer – kaum. Obgleich daher die Behandlung eines Stoffs von der Tiefe und poetischen Bedeutung, wie der des „Tannhäuser“, unzweifelhaft die romantische Kraft von Weber’s Genius zu einer noch weit bedeutungsvolleren Entwickelung geleitet haben müßte, als die Trivialitäten des Textes der „Euryanthe“, so wäre doch dann wahrscheinlich der „Freischütz“ und vieles Andere ungeschrieben geblieben, und somit war es gut, wie es der Geist der Kunst fügte, daß die Zeitstimmung so Brentano wie Weber von der Beschäftigung mit der Sache ablenkte, obwohl, wie es scheint, Ersterer ein gut Theil des Textes fertig gemacht hatte.

Weber’s Concert, oftmals verschoben, kam endlich am 28. Aug. zu Stande. Weber hatte diesmal Nichts versäumt, was nach damaliger Sitte zum Erzielen eines guten Concertes erforderlich war, und unzählige Visiten vom Könige und sämmtlichen Prinzen an bis zu den Notabilitäten zweiten Ranges der musikalischen Gesellschaft Berlins herab gemacht, und Stöße von Briefen geschrieben. Der Erfolg des Concertes, der Weber’s Namen trotz der Abgelenktheit der Interessen wieder in Aller Mund brachte, legte den Wunsch nahe, ihn für Berlin zu gewinnen, wo mit dem unausbleiblich nahe bevorstehenden Tode Iffland’s die Oper gründlich reformirt werden sollte und durch Himmel’s Tod eine Vacanz am Dirigentenpult entstanden war. Hardenberg selbst sprach in einer Gesellschaft bei Staatsrath von Jordan mit ihm darüber, stellte aber natürlich Alles in’s Ungewisse, so lange die bevorstehende traurige Katastrophe nicht eingetreten sei.

Auch Bernhard Romberg näherte man sich in gleicher Weise. Das Gerücht hiervon verbreitete sich vielleicht von Weber’s Freunden, den Jordans in Pankow, Lichtenstein, Kielmann, Gern u. s. w. angefacht, sehr rasch und hatte wenigstens die gute Wirkung, daß man ihm von Seiten der unteren Theaterleitung in Betreff der „Sylvana“ geschmeidiger entgegen kam.

Die Proben zu dieser Oper begannen trotz alledem erst am 25. August und die Generalprobe war am 3. September, mitten schon unter den Geschäften, Besuchen und den Unruhen des Abschieds von Berlin (denn Weber beabsichtigte unmittelbar nach der Aufführung, die hier den 5. angesetzt war, die weitere Ausführung seines Reiseplanes fortzustellen, dessen nächster Zielpunkt durch die Einladung des Herzogs Emil Leopold August von Gotha fixirt war), die noch durch eine Einladung des Kronprinzen vermehrt wurden, der, bei einem heitern kleinen Diner, Webern sehr mit seiner Liebenswürdigkeit, Derbheit, seinem geistreichen Witze und seinen klaren Kunstansichten bezauberte, so daß er später öfter äußerte, welche hohe Befriedigung es gewähren müßte, unter den Auspicien eines solchen Fürsten eine Kunstanstalt zu leiten, während die Geschmacksrichtung des damals regierenden Königs ihm wahrhaften Grauen einflößte, welche Ballet und Pantomimen zu den gehätschelten Lieblingskindern der Berliner großen Kunstverbildungsanstalt machte, nachdem Iffland’s wachsames Auge und derb redender Mund sich für immer geschlossen und Graf Brühl’s guter Wille der Graf Redern’schen Unfähigkeit gewichen war.

Sylvana ging am 5. bei brechend vollem Hause in Scene. scheint aber das Publicum kühl gelassen zu haben, da weder die Journale, noch Weber selbst in den Briefen an seine Braut und an seine Freunde irgend erheblichen Beifalls Erwähnung thun. Diese Theilnahmlosigkeit des Publicums erklärt sich sehr natürlich aus der Zeitströmung der Geister, die mit ihrem großen, kräftigen, sonoren Wellenschlage weitab von der sentimentalen Hyperromantik des Süjets der „Sylvana“ lenkte, das mit allem seinem Apparat von pappenen Rüstungen, gemachten Empfindungen, unnatürlicher Situation in dem von Weltereignissen bewegten, kräftig fühlenden Volke nicht allein keine sympathischen Empfindungen wecken, sondern fad und matt erscheinen und mit seinen Ansprüchen auf Erweckung von Interesse in Gemüthern, welche das gewaltigste Drama eben an sich hatten vorüberziehen sehen, sogar vielleicht abweisende Tendenzen oder mitleidiges Lächeln hervorrufen mußte. Im schrecklichsten Regen stieg Weber nach der Vorstellung der Sylvana gleich Nachts noch in den Wagen, und reiste, nach kurzem geschäftlichen Aufenthalte in Leipzig, nach Weimar durch, wo er am 9. Nachmittags 4 Uhr eintraf.

Es ist unzweifelhaft, daß in der Einsamkeit des Wagens, auf den der Regen monoton und unablässig herabrieselte, auf dieser Reise die bedeutsamen und neuen Regungen, welche die Zeit in Berlin in Weber erweckt hatte, ihre künstlerische Form gesucht und gefunden haben. Es ist bedeutungsvoll in Weber’s Leben, daß auf einsamen Reisen, nach an- und aufregenden Zeiten, in fast allen Hauptmomenten seines Kunststrebens die Läuterung seiner Ideen, die Erkenntniß seiner weittragendsten Irrthümer, die Feststellung seiner allgemeinsten Richtungen erfolgte, die, einmal erkannt, er dann mit großer Festigkeit inne hielt.

In Weimar erfuhr er, daß die Großfürstin den 11. nach Wien abreise. Kaum erhielt diese aber Notiz, daß er in Weimar sei, als sie zu ihm schickte, ihn holen ließ und schon in Reisetoilette in der liebenswürdigsten Weise eine Stunde mit ihm verplauderte und ihn für nächstes Jahr einlud.

Der Drang nach einigen ruhigen Arbeitstagen, die er in Gotha zu finden hoffte, und in denen ein Theil des fertig aufgespeicherten Stoffs zu herrlichen Liedern, der ihm Kopf und Brust mit Geburtswehen bedrängte, zu Papier kommen sollte, ließ ihn ohne Aufenthalt am 11. Septbr. nach Gotha fahren. Hier traf er den Herzog nicht an, der eine Zeit lang auf seinem alten, kaum einigermaßen wohnlichen Schlosse Tonna (oder Gräfentonna) hauste, um kürzlich dort entdeckte Schwefelquellen durch eigenen Gebrauch des Bades in Credit zu bringen, und mußte ihn daher daselbst aufsuchen.

Den 12. Septbr. fuhr er nach dem alten Schlosse hinüber, das im Walde an der rauschenden Tonna gelegen, von einer stillen Fasanerie umgeben, mit seinen Giebeln und spitzen Dächern und verschiedenen Baustylen eine ereignisreiche Existenz von der stillen Einwohnerschaft der alten Grafen von Gleichen an, von Noth und Drangsal durch Tilly und Banner, bis zu den phantasiereichen Selbstgesprächen, Concerten und kleinen Gesellschaften, die Herzog Emil August hier hielt, erzählt.

Wir lassen Weber seinen Aufenthalt in Tonna selbst in einem vom 14. und 15. Septbr. datirten Briefe an Caroline erzählen.

[603] “Das uralte Schloß, in dem ich hause und in dessen schauerlichen Gemächern beim Klappern alter Fenster und Thüren ich diese Zeilen schreibe – umfaßt mich recht wohlthätig mit seiner Stille und giebt mir im geistvollen Umgange des Herzogs eine gewisse gemächliche Ruhe, in der ich recht viel zu arbeiten und zu leisten im Stande wäre, wenn ich lange genug da hausen könnte, und nicht gewisse anderweitige Gefühle mich hinweg landeinwärts zögen und sich gar lieblich zudringlich in alles Denken und Trachten einmischten. Doch ich schwatze da in’s Zeug hinein, und Du weißt noch nicht einmal, wo das alte, gute, ehrliche Tonna steckt – etc. Ich kutschirte heraus mit der gewissen ängstlichen Empfindung, die ich immer habe, wenn ich Jemand lange nicht gesehen habe und vielleicht kälter, als ich erwarten zu können berechtigt zu sein glaubte, empfangen würde. Dies war nun aber hier ungegründete Furcht, denn der Herzog[3] empfing mich so herzlich als man nur empfangen werden kann. Nach Tische fuhr ich gleich mit ihm nach Langensalza, wo ein Naturaliencabinet besehen und der Thee bei einem Herrn von Seebach eingenommen wurde.

Den 13. componirte ich zwei neue Lieder, ordnete meine Papiere und brachte von 11 Uhr Morgens den ganzen Tag bis 11 Uhr Nachts beim Herzoge zu, wo natürlich auch Gurgel und Finger herhalten mußten etc. – –“

Mit den beiden hier so einfach erwähnten Liedern war die Blüthe aufgegangen, die der Sonnenschein des großen National-Enthusiasmus in Berlin aus Weber’s Seele herangelockt hatte, die neue Bahn eingeschlagen, die ihn geraden Weges auf den Höhepunkt eines herrlichen Zweiges seines Talentes, an die Pforten des Ruhmes und der echtesten wohlbegründetsten Popularität führen sollte; es waren keine anderen, als „Lützow’s wilde Jagd“ und das „Schwertlied“, die, wie der tönende Athemzug der Begeisterung selbst, aus dem dunkeln, waldesgrünen Arbeitszimmerchen im alten Schlosse Tonna in die ideen- und thatenwogende Welt hinausbrausen sollten!

Er fährt in seinem Briefe an Caroline fort:

„Von meinem baldigen Wegreisen will der Herzog nichts wissen, und kann ich daher noch gar nichts Bestimmtes darüber sagen. Die Güte und Liebe des Herzogs ist wirklich außerordentlich, und so anziehend und brillant sein Witz ist, so oft habe ich auch Gelegenheit sein gutes Herz zu bewundern, das nur so oft verkannt wird, da er allerdings oft etwas scharf mit seinem Witze die Thorheiten der Andern geißelt etc. – Wenigen Menschen würde im Ganzen diese Einsamkeit behagen, in der sich der Herzog so wohl gefällt, wo er, vom lästigen Getümmel des Hofes entfernt, nur die Menschen, die er sehen will, um sich hat. Ueberhaupt ist er mit seiner unendlich regen Phantasie überall zufrieden und zu Hause. Am liebsten sitzt er so neben mir am Clavier und dictirt mir so gleichsam die Gefühle und Bilder, die ich in Tönen ausdrücken soll, so daß er ganze Geschichten erfindet und erzählt, während ich sie zugleich in Musik bringe und durch Töne weiter erzähle.

So vergeht Tag auf Tag, und ich kann darauf rechnen, jeden Abend durch eine neue Idee und Ansicht bereichert in meine Stube zu kommen.“

Dieser glücklichen Muße, diesem fruchtbaren Zusammenleben entriß Weber ein Sturmbrief seines Theaterdirectors Liebich, dem er nicht widerstehen konnte, so daß er sich sogar entschloß, einen Theil des ihm so nöthigen Urlaubes und das fast schon arrangirte Concert in Leipzig, von dem er sich durch Vorführung seiner neuen Lieder, deren zündende Kraft ihm nicht verborgen war, viel Ehre versprach, aufzugeben und sich mit einem kurzen Aufenthalte in Altenburg zu begnügen, wo er am 21. eintraf und am 23. Concert gab. Hier wurde das prachtvolle dritte Körner’sche Lied von „Leyer und Schwert“ „Männer und Buben“ niedergeschrieben. Nach Prag zurückgekehrt, wo er am 25. anlangte, ließ er diesem am 19. Oct. das „Trinklied vor der Schlacht“, am 20. Oct. das „Reiterlied“, am 21. Oct. das „Gebet vor der Schlacht“, am 19. Nov. das „Gebet während der Schlacht“, am 20. Nov. den „Abschied vom Leben“ und gleich darauf den „Trost“ und „Mein Vaterland“ folgen.

Er schreibt darüber an Friedrich Rochlitz am 14. März 1815: – – „Leyer und Schwert“ sind meine liebsten Kinder. Mögen sie Ihnen auch lieb werden! Die 4stimmigen habe ich hier (in Prag) mit 16 Stimmen gegeben, wo sie großen Enthusiasmus erweckten. Die vier mit Clavierbegleitung sprachen sich selbst aus, nur wünschte ich, daß Sie in dem „Gebet während der Schlacht“ nicht etwa ein Schlachtengemälde sehen sollten, nein, das Malen liebe ich nicht, aber die wogende Empfindung in der Seele des Betenden während der Schlacht, indem er in einzelnen betenden, andächtigen langen Accenten zu Gott mit gepreßter Seele ruft – die wollte ich schildern – –.“


  1. Ein für die „Gartenlaube“ etwas modificirter Abschnitt aus der demnächst bei Ernst Keil erscheinenden Biographie Carl Maria’s von Weber, von M. M. von Weber.
  2. Eine kleine musikalische Gesellschaft.
    D. Verf.
  3. Großvater von mütterlicher Seite des jetzt regierenden Herzogs Ernst.
    Der Verfasser.