Ein noch ungedrucktes Schriftstück von Ludwig Börne

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Titel: Ein noch ungedrucktes Schriftstück von Ludwig Börne
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[607] Ein noch ungedrucktes Schriftstück von Ludwig Börne. Gewiß sind wenige schriftstellerische Erstlingsversuche mit so begeistertem Enthusiasmus, namentlich von der Jugend, aufgenommen worden, als die von Ludwig Börne. Die originell ansprechende Form, in welcher der für Wahrheit und Recht glühend begeisterte junge Mann seine sittlich ernsten Gedanken und Ideen darzustellen verstand, übte eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf alle Gemüther, während er sich später durch seine verbitterte Stimmung manche Herzen entfremdete. Sicher wird es den Lesern dieser Blätter von Interesse sein, ein Schriftstück des reich begabten Mannes aus seiner frischesten Blüthenzeit mitgetheilt zu erhalten, welches bis jetzt [608] noch nirgends in die Oeffentlichkeit gelangt ist. Er ist eine im Oct. 1808 verfaßte Zuschrift an eine höhere sittllche Zwecke verfolgende und die Veredlung der Menschheit anstrebende Gesellschaft in Frankfurt, in welche Börne durch dieses Schriftstück Aufnahme suchte und fand. Sie lautet also:

„Ich habe betrachtet die Geschichte unserer Tage und folgendes gesehen. Alte Formen, ob zwar festgegründet und gehärtet durch die Dauer vieler Jahrhunderte, wurden zersplittert von einem allmächtigen Geiste der Zerstörung. Das gegenwärtige Geschlecht verspottet Regeln und Weisen, die heilig und unverbrüchlich waren den Voreltern. Die Stürme der Zeit haben Grenzsteine weggeschleudert, die seit lange das Eigenthum der Menschheit geschieden; die herrenlosen Glücksgüter wurden von neuem vertheilt und wurden den Stärksten zu Theil, hülflos aber blieb Jeder, der Hülfe von Anderen erwartete. Unsere Hoffnungen und Aengste, vorher wohlthätig eingeengt durch Gewohnheit und Gesetz, schweiften nun in’s Unendliche, nachdem jene Schranken nicht mehr waren, denn man sah, daß Bettler, wie sonst nach Almosen, jetzt nach Kronen die knöcherne Hand ausstreckten und sie nicht leer zurückzogen. Man sah, daß stolze Scepter sich zur Erde senkten, um als Wanderstäbe entthronte Könige durch das Land zu führen. Man sah die Thränen derer, denen der Krieg den Gatten, den Vater und jede Lebensfreude raubte, und die im Schooße des Glücks erzogen nach Brod schmachten.

Zu solcher Zeit nun, wo die Selbstsucht fesselfrei umhergeht, und kein Besitz so gerecht ist, daß er uns sichere vor dem Verluste des Guts, wem drängt sich da nicht der Gedanke schmerzlich auf, daß der Glaube an Tugend und Edelmuth durch jene egoistischen Kämpfe selbst bei den Bessern geschwächt werden müsse? Ja, wer ist stark genug sagen zu können, er werde zu jeder Zeit das eigene Herz vor dem Untergange bewahren?

Aus diesen Gründen habe ich längst gewünscht mich mit denen zu verbinden, die, gleiche Gesinnungen mit mir hegend, sich angelegen sein ließen das Wohl der Menschheit zu befördern und sich und Andere vor dem feindlichen Einfluß zu bewahren, den eine stürmische Zeit auf jene Wohlfahrt haben kann.

Ich kenne zwar factisch die Zwecke der Gesellschaft nicht näher; allein in der Voraussetzung, daß sie nur edle Zwecke habe, bin ich überzeugt, daß von dem Umfange ihrer Thätigkeit kein Gegenstand ausgeschlossen ist, der als ein guter und edler möglicher Weise nur erstrebt werden könnte. Ich habe daher einem Freunde meinen Wunsch eröffnet, Mitglied zu werden, und nach dessen Anweisung wage ich es, verehrungswürdige Gesellschaft, schriftlich um meine Aufnahme zu bitten.

Wenn Sie mich würdigen sollten, mir meine Bitte zu gewähren, so verspreche ich getreu und mit Ernst alle die Pflichten zu erfüllen, die mir die Gesellschaft auflegen wird, in der Gewißheit, daß es nur solche sind, denen kein edler und verständiger Mann seinen Beifall versagen könnte.

Ich verbinde mich insbesondere zur unverbrüchlichen Freundschaft gegen alle Mitglieder der Gesellschaft; ich will zur Verbreitung solcher Grundsätze mitwirken, die, wenn sie angewendet werden, den Menschen zum wahren Glücke führen; ich will mich zur Beförderung solcher öffentlichen Anstalten, durch die das Elend der Mitmenschen vermindert wird, nach meinem Vermögen und nach der Anweisung der Gesellschaft gerne gebrauchen lassen. Ich will endlich die Wittwen und Waisen meiner Freunde in soweit für die meinigen ansehen, daß ich zur Unterstützung der Erstern und zur Erziehung der Letztern nach meinen Kräften gerne beitragen werde.

Ueber dies Alles gebe ich hiermit schriftlich mein Ehrenwort, und sollte ich einer der auf mich genommenen Verbindlichkeiten durch meine Schuld nicht entsprechen, so bin ich’s zufrieden, daß Sie von dieser meiner Handschrift zu meiner Beschämung Gebrauch machen.

Gezeichnet: Ludwig Baruch.“

Schließlich theilen wir noch als höchst charakteristisch die originellen Antworten Börne’s auf einige ihm von dem Vorstande jener Gesellschaft vorgelegte Fragen mit.

Was ist der Mensch sich selbst schuldig?

„Gerechtigkeit; denn Gerechtigkeit ist Gesundheit; Krankheit ist Zwietracht – ein jeder liebe sich selbst.“

Was ist der Mensch seinem Nebenmenschen schuldig?

„Was sich selbst.“

Was seinem Vaterlande?

„Treue und Dankbarkeit; denn ihm dankt er seine Unsterblichkeit.“