Würzburg (Meyer’s Universum)

CXL. Corinth Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band (1836) von Joseph Meyer
CXLI. Würzburg
CXXXXII. Die Pyramiden von Gizeh
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WÜRZBURG

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CXLI. Würzburg.




Im Schooße des gesegneten Frankenlandes, eingeschlossen von nahen Hügelketten, die es erst in halb- oder viertelstündiger Entfernung dem überraschenden Blick des Reisenden enthüllen, liegt Würzburg, einst der ehrwürdige Hauptsitz eines der mächtigsten deutschen Völker. Von seiner stolzen Citadelle hoch überragt, breitet es sich mit seinen Prachtgebäuden in einer üppigen und malerischen Landschaft zu beiden Ufern des majestätischen Mainstroms aus. Wenige Städte Deutschlands haben eine herrlichere Lage, keine eine gesegnetere. In keiner ist auch allgemeine Wohlhabenheit so scharf und so untrüglich ausgeprägt.

Würzburg’s Gründung reicht hinauf in die graue, deutsche Heldenzeit. – Schon in den Römerkriegen war es ein Waffenplatz. Unter König Pipin, dem Vater Karl’s des Großen, wurde der Ort zum Bischofssitz erhoben, und der heilige Bonifacius weihete den ersten hiesigen Erzpriester, Burkhardt, (741) mit eigener Hand. Weite Länderstrecken schenkten die freigebigen fränkischen Fürsten, und zur Macht gesellte sich allmählich der Reichthum. Viele der deutschen Kaiser erweiterten des Bisthums Besitzungen, und im 16ten Jahrhundert nahmen [145] die Bischöfe hochmüthig den Titel „Herzöge von Franken“ an. Ihr bestrittenes Recht dazu behaupteten sie mittelst einer Schenkungsurkunde Pipin’s, welche wahrscheinlich untergeschoben war. Eine Bulle Pabst Benedikt’s des Vierzehnten fügte die erzbischöfliche Würde hinzu, und ein zahlreiches Domkapitel, in dem von jeher die reichsten und prachtliebendsten Adelsfamilien des Reichs die Stelle der Capitularen suchten, erhöheten den Glanz eines Hofs, der mit dem von Mainz und Cöln wetteiferte, um die weltliche Glorie der Großwürdenträger der deutschen Kirche im höchsten Strahlenglanze zu zeigen. Der Fürst-Erzbischof genoß eine halbe Million Gulden Einkünfte, und die des Domkapitels erreichten den doppelten Betrag. Mancher König hatte geringere! Im 18ten Jahrhundert besaß das Hochstift ein Gebiet von 87 Meilen, auf dem eine Viertel-Million Menschen in Wohlstand lebten. Armuth war kaum gekannt, und die großartigsten Wohlthätigkeitsanstalten sorgten dafür, ihre Spuren bei ihrem Entstehen zu verwischen. Das alte Sprüchwort: „unter’m Krummstab ist gut wohnen,“ war hier buchstäbliche Wahrheit und Würzburg unter allen Ländern Deutschlands gewiß eines der allerglücklichsten.

Die französische Revolution, ihre Kriegsstürme und Friedensfolgen endigten diesen beneidenswerthen Zustand. Würzburg wurde durch den Lüneviller Traktat (1803), nebst andern unmittelbaren geistlichen Besitzungen, der Krone Bayerns, unter dem Titel eines erblichen Fürstenthums, zugesprochen, als Entschädigung für an Frankreich abgetretene überrheinische Provinzen. Mit dem Verlust des fürstbischöflichen Hofes und der Säkularisation der reichen Stifter und Klöster gingen die großen Einkünfte derselben auch für das Land verloren; – sie wanderten größtentheils nach München. Würzburg wurde wie ein erobertes Gebiet behandelt. Dieser unglückliche Zustand dauerte jedoch nicht fort. Im Frieden von Preßburg (1805) machte man es zum neuen Tauschobjekt, und der ehemalige Großherzog von Toskana erhielt es, mit dem Titel eines Kurfürstenthums, als Aequivalent für Salzburg, dessen Besitz an Oesterreich überging. Bayern aber wurde anderweitig entschädigt. Würzburg sah, als Sitz des kurfürstlichen Hofes und als Residenz eines Fürsten, der durch die humansten Gesinnungen den neuen Thron schmückte, die alten glücklichen Tage wieder kehren. Nach der Auflösung des deutschen Reichs verwandelte der Fürst seinen Titel in den eines Großherzogs und trat als solcher dem Rheinbunde bei. Die Ereignisse 1813 und die Verhandlungen des Wiener Congresses verwandelten aber dieses Verhältniß von neuem. Der Großherzog erhielt seinen Erbstaat Toskana wieder, und das arme Würzburg fiel an Bayern zurück. Seitdem bildet es den größten Theil des Untermainkreises, und ist als dessen Hauptstadt der Sitz der obersten Verwaltungsbehörde (der Regierung) des Kreises.

Würzburg, das etwa 2000 Häuser mit 25,000 Einwohnern zählt und schön und stattlich gebaut ist, gewährt von jeder der nächstgelegenen Anhöhen eine sehr reizende Ansicht; die vollständigste und schönste aber hat man auf [146] dem nördlich liegenden, seines köstlichen Weines wegen berühmten Steinberge, und diese nämliche ist’s, welche unser Stahlbild veranschaulicht, dessen Beschreibung uns nun beschäftigen soll.

Den Vorgrund des Bildes machen Weinberge und mannichfache Gartenanlagen, aus denen größere und kleinere Sommerwohnungen der Städter, oder dem öffentlichen Vergnügen gewidmete Gebäude, als Restaurationen und Tanzsäle, freundlich herausgucken. Gemüse- und Getreidefelder schmiegen sich den Alleen an, welche die Stadt umgeben, und geschmackvolle Parkanlagen mit malerischen Baumgruppen breiten sich dicht unter den hohen, alten, stattlichen Wällen aus; denn Würzburg ist eine Festung, und in dem Wehrsysteme Bayerns das Nordthor des Reichs. Durch den herrlichen Main sehen wir die Stadt selbst in zwei ungleiche Hälften gespalten. Das Eigenthümliche, daß fast alle Hauptkirchen und die schönsten Gebäude auf erhabenem Grunde liegen, führt sie, trotz der hohen Wälle, schon in der Fernsicht kenntlich vor’s Auge und steigert das Imposante des Anblicks. – Zuerst fesselt die auf einem 400 Fuß hohen Berge am linken Mainufer prangende, mit siebenfachen Außenwerken umgürtete Festung Marienberg das Auge. Sie war die uralte Residenz der fränkischen Herzöge bis zu deren Aussterben im Anfang des 8ten Jahrhunderts. Damals wurde Hermina, die Erbtochter der erlöschenden Dynastie, von Bonifacius getauft, und der merkwürdigste Theil der alten Herzogsburg, – ein der Diana geweiheter Tempel, – in die erste christliche Kirche der hiesigen Gegend verwandelt. Die Gebäude des Castells verfielen nach und nach; im 13ten Jahrhundert wurden sie vollends niedergerissen, und an deren Stelle erstand ein befestigtes Schloß, das, mehrmals erweitert und erneuert, die Residenz der Fürstbischöfe bis in’s 18te Jahrhundert war. Gustav Adolph erstürmte die Veste 1631, plünderte sie aus und machte sie zur Stütze seiner Macht in diesen Gegenden. Erst 1635 kam sie wieder in den Besitz des Fürstbischofs. 1650 und später bekamen die Festungswerke, nach Vauban’s System, eine andere, ihre gegenwärtige Gestalt. Seitdem hat sie öftere Belagerungen ausgestanden, die letzte, kürzeste 1813, wo sie das österreich-bayerische Armeekorps unter Wrede, nach dreitägiger Berennung, den Franzosen abnahm. Die Räume für die Bewahrung von Mund- und Kriegsvorrath bestehen größtentheils aus in Felsen gehauenen Gewölben, und unerschöpflichen Wasservorrath giebt ein durch die Mitte des Bergs, 400 Fuß tief hinabgetriebener Brunnen. Außerdem sprudelt aus 2 Fontainen Mainwasser, welches ein Pumpwerk über 500 Fuß hoch emporhebt. Alle wirthbaren Fleckchen Erde außerhalb der eigentlichen Festungswerke sind mit Reben bepflanzt, und diese sind es, welche den kostbaren, weltberühmten Leistenwein liefern.

Der Stadttheil unter der Festung, auf der (stromabwärts gesehen) linken, im Bilde aber rechten Seite des Flusses ist der urälteste – und dort sehen wir auch die allerfrühesten Denkmäler der Baukunst. Zunächst am Main unterscheiden wir deutlich die Burkhardtskirche, nach der Marienkirche auf der Cidatelle die älteste und dem 8ten Jahrhundert angehörend. Obschon 1033, und in spätern Zeiten mehrmals, erneuert, ist doch der alt-fränkische Styl [147] noch in manchen ihrer Theile deutlich zu erkennen. Ihre beiden Thürme sind bis zur höchsten Spitze massiv. Die beiden Kirchen, die wir dicht unter dem Festungsberge erblicken, sind die ehemaligen des Deutschordens und des Schottenklosters, jetzt, mit den daran stoßenden weitläufigen und massiven Ordens- und Klostergebäuden der Festungsgarnison zu Spitälern, Magazinen und Kasernen überwiesen. Beide sind schöne Denkmäler des Baustyls im 11ten und 12ten Jahrhundert.

Wir wandern nun durch ein stetes Gedränge von Menschen und Wagen über die circa 1000 Fuß lange schöne und massive Mainbrücke jenseits in die neuere, bei weitem größere Stadthälfte, in der 17 Kirchen mit großentheils gefällig geformten Thürmen über die Häusermasse sich erheben. Die weniger merkwürdigen unerwähnt lassend, fällt uns zuerst der Thurm der Universitätskirche, der schönste und höchste der Stadt und eine ihrer Hauptzierden, auf dem Mittelpunkte des Bildes in die Augen. Die Universität ward 1403 nach dem Muster der von Bologna gegründet; sie ist folglich unter den deutschen Hochschulen eine der ältesten; doch ging die nicht fest gewurzelte Pflanze später wieder aus und erst 1582 wurde sie wieder erneuert und aus dem Eigenthum von im Bauernkriege verwüsteten und verlassenen Klöstern reichlich dotirt. Sie ist für die Pflege der medizinischen Wissenschaften mehr als irgend eine Hochschule in Deutschland, und hat auch in den Staatswissenschaften bis auf die neueste Zeit, wo die Tendenz des Rückwärts die Obergewalt bekam, durch berühmte Lehrer helles Licht verbreitet. Wir erinnern hier nur an zwei Sterne erster Größe: – Schönlein und Behr. – Der links zunächst und nicht viel weniger hoch hervorragende Thurm nach dem Vorgrunde zu ist der der Liebfrauenkirche, die unter die sehenswürdigsten Denkmäler des schönsten altdeutschen Baustyls gehört. Weiter links gewahren wir eine große Kuppel und dicht an derselben einen Thurm von jener Form, wie man ihrer am Rhein, bei den urältesten christlichen Kirchen, zuweilen noch begegnet. Beide gehören zum sogenannten Neumünster, höchst merkwürdig in der Verbreitungsgeschichte des Christenglaubens in Franken. Auf der nämlichen Stelle, welche die gewaltige Kuppel bedeckt, fielen die Häupter der ersten in diese Gegend gekommenen christlichen Heidenbekehrer, – des heiligen Kilian und seiner Begleiter, – von dem Mordbeil der Franken. Das hier gestandene alte Kloster erbaute Würzburgs erster Bischof, Burkhardt; an dessen Stelle (im Jahre 1000) die jetzigen Gebäude entstanden, welche im 17ten Jahrhundert durch Umbau große Verunstaltungen erlitten haben. – Hinter dem Neumünster sehen wir 4 Thürme, in der Form einander fast gleich. Es sind die der Domkirche, welche mit ihren Nebengebäuden als ein Spiegel und der Maßstab der Bau- und Verzierungskunst eines ganzen Jahrtausends gelten kann. Ihre ältesten Theile gehören in’s neunte Jahrhundert; ihre neuesten dem neunzehnten an. Die Malereien sind meistens aus der Periode des Kunstverfalls; doch sind sehenswerthe Bilder von Sandrart darunter, und die Figuren an ihrer Kanzel von Alabaster so wie das erzne Baptisterium mit Skulpturen aus dem 13ten Jahrhundert sind von kunstgeschichtlichem Interesse. –

[148] Wir wenden uns von da links, in die äußerste Stadtferne, wo ein grandioser Gebäude-Cyklus, mit vielen Pavillons und Kuppeln, stolz sich ausbreitet, schon von außen die Prachtwohnung eines Herrschers verkündigend. Es ist die ehemalige fürstbischöfliche Residenz, welche mit den prächtigsten Königspallästen Europa’s den Vergleich aushält, und der wir später eine eigene Abbildung und Beschreibung widmen werden.

In derselben Richtung, aber mehr im Vorgrunde, prangt über die Spitzen der Pappeln herüber die unermeßliche Façade eines Gebäudes, das, nach dem Schlosse, die Hauptzierde Würzburgs ausmacht. In dem weltberühmten Juliushospitale, „für Arme, Preßhafte und Kranke,“ wie die goldene Inschrift über dem Hauptthor dieses Pallastes ankündigt, scheint die Wohlthätigkeit selbst ihre Wohnung aufgeschlagen zu haben. – Es ward gegründet vom Bischof Julius Echter, einem jener wahrhaften Freunde der Menschheit, deren Wirken für ganze Staaten durch Jahrhunderte Segen schafft. Dem nämlichen Manne dankt Würzburg die Wiederbegründung der Universität und ihre königliche Dotirung, und eine Menge anderer Einrichtungen für die öffentliche Wohlfahrt. Das Juliushospital fundirte er mit einem Vermögen von 5 Millionen – der zehnjährigen Ersparniß seines persönlichen Einkommens. – Die ganze Einrichtung dieser Anstalt athmet den Geist der Liebe und Humanität, und ist höchst musterhaft. Bei der so reichen Ausstattung ist auch die Theilnahme an ihren Wohlthaten fast unbeschränkt. Nicht blos Kranke, sondern auch eine Menge gebrechlicher und alter Leute findet hier auf Lebenszeit Versorgung. Zu dem eigentlichen Hospitalpallaste gehören noch eine Menge anderer, zum Theil ansehnlicher und mit schönen Garten umgebener Anlagen für verwandte Zwecke, z. B. das eigentliche Krankenhaus, die Heilanstalt für Geisteskranke, die für Epileptiker, das Krankenhaus für arme Fremde, ein Entbindungshaus, das anatomische Theater. Auch ein berühmter botanischer Garten ist ein Zweig von jenem gemeinschaftlichen Stamm der öffentlichen Wohlthätigkeit. –

Zur Beendigung der übersichtlichen Beschreibung unseres Bildes haben wir nur noch die schöne Tempel- und Thurmgruppe an seinem linken Rande zu erwähnen: – es ist die Pfarrkirche zu Haug, (auf der Höhe), eine gewaltige Steinmasse von gefälliger, neurömischer Form und eine der schönsten der an schönen Kirchen so reichen Stadt.

Als Handelsplatz ist Würzburg wichtig durch seine Schifffahrt auf dem Main und eine besonders lebhafte Spedition. Der Verkehr mit dem Produkt seines Weinbaus ist, obschon der Geschmack in den Konsumtionsgegenden sich in neuerer Zeit sehr von den Maingewächsen ab und den eben so billigen des Oberrheins zugewendet hat, noch immer groß. Das Gesammt-Erzeugniß der Weinberge, welche die Stadt umgeben, ist in guten Jahren 75,000 Eimer; selten werden aber mehr als 10,000 Eimer auswärts verfahren. Die Fabrikindustrie ist im Ganzen nicht groß, und nur die in Tabak, Leder, Tuch und Wollenzeugen hat einige Bedeutung.