Von der Wiege des preußischen Liberalismus

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Autor: Rudolf Gottschall
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Titel: Von der Wiege des preußischen Liberalismus
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, 13, 19, S. 31–34, 216–218, 314–316
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Von der Wiege des preußischen Liberalismus.

Erinnerungen von Rudolf Gottschall.
I.

Von den sonnigen Rheinlanden hatte mich das Schicksal nach Ostpreußen verschlagen, wo mein Vater in der Nähe von Rastenburg sich ein Gütchen gekauft hatte.

Welch ein Gegensatz gegen das glänzende Panorama von Mainz, mit dem breiten, prächtigen Rheinstrome, über den die Dampfer zogen, an der langen Reihe der Schiffsmühlen vorbeilavirend, mit den duftigen Bergen des Taunus und der lockenden Perspective des Rheingaus – dies bescheidene stille Landstädtchen, zwischen seinen einfachen Getreidehügeln, ohne den krystallenen Reiz von Strom oder Fluß, mit keiner andern Perspective, als derjenigen, welche die schläfrige Pappelchaussee nach Bartenstein gewährt!

Bekanntlich sind es die besten Frauen, von denen man am wenigsten spricht – und so sind wohl auch die Städte am glücklichsten, die auf keinen Weltruhm Anspruch machen. Unberühmter als Rastenburg kann beim besten Willen kein Städtchen sein. Nicht einmal eine heilige Linde und einen großen Jahrmarkt hat es aufzuweisen, wie das benachbarte kleinere Rössel, das im südlichen katholischen Ermeland gelegen ist; keine weltgeschichtliche Schlacht ist hier geschlagen worden, wie bei den kleinen ostpreußischen Städten Preußisch-Eylau und Friedland, auf deren Feldern der Geist des Schlachtenkaisers seine nächtige Heerschau hält und wo man im Schneesturm noch die Gespenster der Russen und Franzosen in den flockigen Wirbeln kreisen sieht; nicht einmal ein ganz kleines Vorposten- oder Arrièregardengefecht knüpft sich an den Namen Rastenburg! Eine Stadt, die keine Bluttaufe erhalten hat, ist für die Unsterblichkeit verloren. Vielleicht würden die alten Ordensritter, die hier eine Burg zur Unterwerfung der Preußen und zum Schutz gegen die feindlichen Polen begründet hatten, bessere Auskunft geben und von diesem Fleckchen Erde die Schmach abwenden können, daß hier gar kein rühmliches Blut in der männermordenden Feldschlacht vergossen worden ist. Doch die alten Ordensritter schlafen mit ihren Chroniken – und wer blättert nach Scharmützeln und Gefechten in einer Zeit, in welcher man über Schlachten mit einigen Tausend Todten gleichgültig hinweggeht?!

Auch keine Fabrikschornsteine ragen über das hügelansteigende Städtchen hervor; Ostpreußen ist keine industrielle Provinz; es hat keine Fabrikbevölkerung und wird niemals einen Bebel oder Mende in den Reichstag wählen. Nichts als Felder um Rastenburg – man baut Weizen, wo es geht, Roggen, Gerste, Hafer, Kartoffeln, durchaus aber keine merkwürdigen Futterkräuter oder sonstige Producte landwirthschaftlicher Versuchsstationen; alles Ueberraschende wird grundsätzlich vermieden. Wohl aber sieht es auf den Wochenmärkten schon ganz „masurisch“ aus. „Masuren“ ist für Ostpreußen, was die sogenannte „Wasserpolakei“ für Schlesien ist – ein Land mit etwas verdünntem Polenthum, dessen Eigenschaften aber gerade, wie bei den homöopathischen Arzneien, durch die Verdünnung um so wirksamer hervortreten. Man braucht von Rastenburg nicht weit südwärts zu pilgern, um in dies steinige Arabien zu gelangen, wo es nichts giebt als Wasser, Steine und Wälder – alles so unmalerisch wie möglich gruppirt. Der polnische Faust Twardowski, der bekanntlich zwischen Himmel und Erde in der Luft schwebt, weil er gerade auf dem Wege in die Hölle durch ein geistliches Lied die Macht des Teufels brach, würde aus Langerweile und Verzweiflung das Gleichgewicht verlieren und in einen der riesigen Wassertümpel Masurens herabfallen, wenn er verurtheilt wäre, fortwährend auf diese reizlose Naturwildniß herabzublicken.

Rastenburg hat übrigens ein Landrathsamt und ein Gymnasium, und gerade dies letztere versammelt die hoffnungsvolle Jugend der benachbarten masurischen Kreise und macht die Stadt zu einem Mittelpunkte der Intelligenz, dessen Licht ausstrahlt bis an die waldigen Ufer des Spirdingsees und bis zur jungen Festung Lötzen, die neuerdings als Strafstation für die „Vaterlandslosen“ sich einen Namen gemacht hat. Und auch für mich verknüpft sich die Erinnerung an Rastenburg mit derjenigen an Horaz, Cicero und Sophokles und an alle Studien der Prima, an Differenzial- und Integralrechnung, und an die Kant’schen Kategorieen, in deren Geheimnisse uns der brave Director Heinicke einweihte. Doch auch über die Gymnasialbildung hinaus erstreckte sich die „Cultur, die alle Welt beleckt“! Mit Eifer lasen wir die neuesten Gedichte von Karl Beck, der gerade damals sporenklirrend in die Arena unserer Lyrik getreten war, und sprachen mit den jungen Damen über Nicolaus Lenau, an träumerischen Abenden, wenn der Mond über dem einzigen Kirchthurme des Städtchens, um mit Alfred de Musset zu sprechen, wie ein Tüppelchen über dem i stand.

In Rastenburg fand ich auch meinen ersten Brockhaus und Cotta. Schon auf dem Mainzer Gymnasium hatte ich mich dem Cultus der Musen ergeben und den „Kainstempel der Dichtung“ auf meine sehr jugendliche Stirn gedrückt. In jeder Classe hatte ich meine fünfactigen Römer, einen Gajus Gracchus und Catilina vom Stapel laufen lassen, zwei große Phantasietrauerspiele: „Cerigo“ und „Die Doppelgänger“ im Grabbe’schen Styl gedichtet, ungeheuerliche Ausgeburten der Phantasie mit wilder Nordlandsscenerie und blasphemistischen Helden, Vater- und Brudermörder wider Willen, Stücke, in denen die guten Freunde ein kolossales Genie, die besseren aber die Unreife und Ueberreife einer durch unbegrenzte Lectüre erhitzten, überschwenglichen Knabenphantasie erkannten. Auch ein endloses Epos, Ferdinand Cortez, in vierundzwanzig Gesängen hatte ich gedichtet, gegen welche Wieland’s „Oberon“ ein wahres Kinderspiel war und in welchem ich nicht nur die mexicanischen Götter, wie Vitzliputzli, sondern auch die unscandirbarsten Berge, wie den Popocatepetl und Itzichatuotl in den Oberonstanzen glücklich unterbrachte.

Doch abgesehen von einigen Scenen aus „Cerigo“ und kleineren Aufsätzen, die in den Mainzer Unterhaltungsblättern zum Abdruck gekommen waren, hatte ich bisher jede Berührung mit der Druckerschwärze glücklich vermieden. Als indeß in der Einsamkeit der Kreisstadt Rastenburg die Schatten der alten Preußenhelden in meiner Phantasie lebendig wurden, als ich den frommen Dienst [32] des Perkunos in den heiligen Eichen Romove’s belauschte, als sie vor meiner Seele aufstiegen, die Ordensritter mit dem schwarzen Kreuz auf weißem Mantel, die Hochmeister und Gebieter der Marienburg – da konnte ich nicht anders, ich mußte diese Schatten das Blut der Dichtung trinken lassen, daß sie lebendig wurden, wie die Schatten des Homerischen Orkus; ich mußte ein Trauerspiel dichten: „Herkus Monte, der Preußen Heerfürst“, und was schlimmer ist, ich mußte es drucken lassen; denn ich hatte eine unbezwingliche Sehnsucht darnacht, berühmt zu werden. Ah! erst viel später sollte ich einsehen, daß sich der Ruhm nicht im Flug


Ersatzmannschaften auf dem Wege nach Frankreich in der Weihnachtsnacht den Bahnhof von Saarbrücken passirend.
Nach der Natur gezeichnet von Chr. Sell.


erreichen läßt, daß er oft der Arbeit eines ganzes Lebens spottet, daß es wohl Glückskinder giebt, deren Ruhm über Nacht aufschießt, wie ein Pilz nach dem Regen, daß aber solcher Ruhm auch plötzlich wie ein Bovist wieder zerplatzt und zerstiebt. Noch weniger aber wußte ich damals in meiner Unschuld, daß der Ruhm sich künstlich erzeugen läßt und daß viele seiner Kränze, wie Schiller singt, auf der gemeinen Stirn entweiht werden.

Der Director des Gymnasiums begnügte sich, mir die Schattenseiten einer so frühen Autorschaft wahrheitsgemäß auseinanderzusetzen; er suchte mir Furcht einzujagen vor der „zerfleischenden“ Kritik. Doch vergebens! Es wurden Subscribenten gesammelt in der Nähe und Ferne, das preußische Officiercorps in Mainz stellte ein bedeutendes Contingent. Herr Haberland, Inhaber einer Druckerei und Leihbibliothek und Verleger des Rastenburger Kreisblattes, half mich von meinem ersten literarischen Kindlein entbinden. Da lag es denn vor mir, auf echtem Kreisblattpapier, in einem unsäglichen Format, das jeder buchhändlerischen Bezeichnung spottete! Welchen classischen Eindruck machte doch das gedruckte Wort! Immer wieder las ich die Reden des Preußenfürsten durch, in denen das bernsteinreiche Meer, die Küsten Samlands und die Haine Romove’s eine große Rolle spielten, oder die Liebesanträge des deutschen Ritters, die er an Monte’s Schwester auf der Braunsberger Thurmzinne richtet und die nur den Fehler hatten, an „Ivanhoe“ und den „Templer und die Jüdin“ allzunachweisbar zu erinnern.

Wenn ich in dem kleinen Zimmer des Buchhändlers saß, neben den aufgehäuften Exemplaren, die eine in’s Gewicht fallende Masse bildeten, kam ich mir wie ein Gnom vor, welcher seine Schätze zu hüten hatte, und wenn die frische, freundliche Gattin des würdigen Kreisblattverlegers sich durch diese Barricaden von Trauerspielen siegreich hindurchschlug, mochten auch immer einige „Herkus Monte“ bei der Berührung mit ihrer Kleiderschleppe das Gleichgewicht verlieren, [34] wenn sie mich mit ihrer gewohnten Liebenswürdigkeit anlächelte – so glaubte ich, mich grüße irgend eine Muse des heitern Hellas mit vielverheißendem sonnigem Lächeln, und der Strickstrumpf in ihrer Hand verwandelte sich plötzlich in einen Lorbeerkranz!

Bald kam aber nach dem ersten Naschen von den Süßigkeiten des Ruhmes der bittere Nachgeschmack, als der Königsberger „Freimüthige“, ein Blatt, das ein ehemaliger Danziger Oberlehrer, Namens Pflug, redigirte, und welches alle liberalen Bestrebungen mit souverainem Hohne verfolgte, eine Kritik des „Herkus Monte“ brachte, deren bescheidenes Lob in der Wendung gipfelte, daß der Verfasser nicht ganz ohne Talent sei. Sonst wurde Einzelnes im Stücke mit überlegener Satire verspottet.

„Der Freimüthige“ brachte in unsere idyllische Einsamkeit dann auch die ersten Nachrichten von dem Umschwung der Dinge, der sich draußen in der Welt vollzogen hatte. Es war im Jahre 1840; die Thronbesteigung des Königs Friedrich Wilhelm des Vierten hatte eine neue Aera der preußischen Politik eingeleitet. In Ostpreußen, wo Herr von Schoen, die rechte Hand Stein’s und ein Vorkämpfer der längst verheißenen preußischen Verfassung, Oberpräsident war, hatten bei der Huldigung die Stände die Gewährung einer reichsständischen Verfassung verlangt. Es gährte in Folge dessen gerade in Ostpreußen lebhaft in den Gemüthern, und die preußische Zukunftspartei hatte hier ihr Hauptlager. Die geistreiche Persönlichkeit des jungen Monarchen machte außerdem viel von sich reden; seit Friedrich dem Großen hatte Preußen keinen witzigen König besessen; jetzt prasselten Witzraketen um den Thron, und ein Füllhorn von Anekdoten schüttete die Fama aus. Ein solcher Monarch mußte rasch begeisterte Anhänger finden.

Einen derselben lernten wir im Jahre 1841 kennen; es war der Schulrath Lucas, der bei unserem Abiturientenexamen den Vorsitz führte. Er hatte kurz vorher in Marienburg, in dem romantischen Ordensritterschloß an den Ufern der Nogat, dessen Restitution der kunstsinnige König mit Eifer betrieb, ein begeistertes Hoch auf den Monarchen ausgebracht. Wir sahen jetzt diesen Neuromantiker vor uns, ein Bändchen aus den Befreiungskriegen im Knopfloch, frisch und fromm zugleich, beweglich, vielseitig, aller Pedanterie fremd. Mit großer Liebenswürdigkeit half er uns über die Klippen des Examens hinweg und lud Diejenigen, die am besten bestanden hatten, darunter auch mich, nach Königsberg in sein Haus ein.

Wie glänzend lag die Welt jetzt vor uns! Die Fesseln der Schule waren abgestreift; das freie Studentenleben winkte uns! Mit welchem Neid hatten wir auf einen oder den andern der tapfern „Masuren“ gesehen, welche, mit dem breiten Bande und dem stattlichen Vollbarte geschmückt, von den Ufern des Pregels zum Ferienbesuche an ihre heimathlichen Seen zurückkehrten; wie hatten wir ihre Heldenthaten bewundert, von denen sie beim schäumenden Biere erzählten! Jetzt standen wir ihnen in Allem gleich, und wem bei der frohen Aussicht, in die Hauptstadt der Provinz zu gelangen, an den Heerd des politischen und geistigen Lebens, der Himmel nicht voll Geigen hing, der hatte kein Talent für die Musik der höheren Sphären.

Bald war ich denn in Königsberg, der Stadt am Pregelstrande, diesem etwas unordentlich durcheinandergeworfen Häuserhaufen, der seine Eigenthümlichkeit bis heute trotz aller Fortschritte der Jahrzehnte bewahrt hat. Ich konnte mit Muße die neuen Eindrücke in mich aufnehmen. Königsberg gehört nicht zu den blendenden Schönheiten; aber es ist eine interessante Häßlichkeit mit einzelnen Zügen von Bedeutung. Die Börsenbrücke mit dem Blick auf die zahlreichen Schiffsmasten und die hohläugigen Speicherviertel der Lastadie hat bei abendlicher Beleuchtung malerischen Reiz und zugleich großstädtisches Leben. Hanseatisch respectvoll gemahnt auch die Kneiphöf’sche Langgasse mit den patriarchalischen Vorbauten vor den Häusern, wo man bisweilen ein Stück Familienleben auf der lärmenden Straße belauschen konnte. Der Dom und die alte Universität, etwas schlottrigen Angedenkens, wie der abgetragene Frack eines alten Magisters, hatten eine geistliche und gelehrte Würde. Wenn man aber über den zweiten brückenreichen Pregelarm sich in die engen Gassen der Altstadt begab, da geriet man in die eigentliche Hügelstadt, auf welche das Schloß des Böhmenkönigs Ottokar hochgethürmt herabsieht. Da geht es steil bergan, als befände man sich in Orvieto oder einer andern italienischen Burgstadt, obgleich die Appenninen des Pregels nur aus schüchternen Hügeln bestehen. Das Schloß selbst bildet ein stolzes Viereck und zeichnet sich durch die Vielseitigkeit seines einen Flügels aus, wo über einem bureaukratischen Weinkeller, dem „Blutgericht“, dessen Name an die Schrecknisse der Vorzeit mahnt, sich die Schloßkirche befindet, in der ein sehr frommer Generalsuperintendent, Sartorius mit Namen, damals zum Herzen der Gläubigen sprach, über dieser aber wiederum der Moskowitersaal, der große Tanzsaal der ostpreußischen Hauptstadt, wo am Abend ihre stattlichen und wenig nervösen Schönheiten Kraftstudien in Walzer und Masurka ausführten.

Der dritte alte Stadttheil aber, der Löbenicht, gemahnte mit seinen hochgiebeligen Häusern wie das Innere einer flandrischen Stadt – Bierbrauereien und Bierschenken dicht nebeneinander. Das war der Kern der Stadt! Von hier aus erstreckten sich nach allen Seiten strahlenförmige Straßen, die Vorstadt mit der jüdischen Geldaristokratie nach dem öden, dorfähnlichen Haberberg, dessen hoher Kirchthurm weit sichtbar in die Lande schaut, der Roßgarten, die Königsstraße, der Steindamm, der nach den „Hufen“, der Königsberger Villenstadt, hinausführt, die drei Tragheime – Alles sehr naturwüchsige Straßen, wo die Häuser klein und groß durcheinanderstehen, wie es dem Zufall gefällt, ohne jede militärische Uniformirung, ohne das Lineal, wie es der Seinepräfect an die neuen Boulevards der französischen Hauptstadt anlegte. Das landschaftliche Juwel von Königsberg aber ist der Schloßteich, eine reizende Gartenidylle, ein krystallener Wasserspiegel, schattige Baumgruppen, artige Häuserfronten mit der Magie abendlicher Beleuchtung, wenn die Lampen des Börsen- und Logengartens mit dem Mondschein wetteifern, die grünen Laubengänge in ein feenhaftes Licht zu tauchen.

Das war der erste Eindruck von Königsberg! Damals war die Stadt noch keine Festung mit mächtigen Wällen und gothischen Thoren, welche jetzt dies Conglomerat von Häusern, Feldern, Flußarmen und Teichen umschließen; es war eine harmlose Stadt, in welche der Moskowiter gelegentlich mit klingendem Spiel ungestört einziehen konnte. Erst viele Jahre später wurde gebaut und geschanzt, und oft begleitete ich den Ingenieurofficier Rüstow zu den Festungsarbeiten. Es ist derselbe, der später aus der Festung Posen entfloh, mit Garibaldi vor Capua focht, als Schweizer Obrist und als scharfkritischer Militärschriftsteller sich einen Namen machte. Die Bastionen von Königsberg gehören mit zu seinen Verdiensten. Jetzt ist die Stadt ein strategisch wichtiger Punkt und hat Aussicht, so berühmt zu werden wie Straßburg, Metz und Paris und die gleichen Annehmlichkeiten eines opferlustigen Heroismus zu genießen.

Kaum war ich immatriculirt, als bereits der Strudel der oppositionellen Bewegung mich in seine Kreise zog; ich muß bekennen, daß ich aus dem ersten Collegium, das ich besuchte, gleich wieder hinausgelaufen bin; doch dient zu meiner Rechtfertigung, daß ich es mit hundert Anderen in Gemeinschaft that. Das Cultusministerium Eichhorn, welches die orthodoxe Richtung begünstigte, hatte einen Theologen Hävernick an die Königsberger Universität berufen, der als extremer Parteimann den Studenten mißliebig war. Die ganze Studentenschaft strömte in sein Antrittscollegium; wie ein Triumphator stand der Professor auf dem Katheder, sich seiner glänzenden Popularität erfreuend. Doch kaum hatte er von seinem theologischen Werg die ersten Sätze gesponnen – da entleerte sich der Saal mit lawinenartiger Geschwindigkeit; die Studirenden aller Facultäten polterten die Treppe hinunter, und nicht zwei mildherzige Seelen blieben zurück, um ein Collegium bilden zu helfen; nur die leeren Bänke starrten gespenstisch auf den verdutzten Professor, der eben erst sein blühend Glück überschaut hatte. Doch das Unglück schreitet schnell! Es war dies eine „Demonstration“. Man lebte damals in der Zeit der „Demonstrationen“; sie hatten den großen Vorzug, daß sie nicht blos Heldenthaten der guten Gesinnung, sondern auch amüsant waren!


[216]
II.

Wer an unseren politischen Fortschritten zweifelt, der blicke dreißig Jahre zurück auf die Zeit nach der Thronbesteigung des Königs Friedrich Wilhelm des Vierten; er versetze sich in die damaligen Stimmungen und Bestrebungen und er wird finden, daß es kaum möglich ist, die rührende Unschuld des politischen Bewußtseins in jener Zeit sich mit voller Klarheit vor die Seele zu führen.

Was damals die liberale Bewegungspartei anstrebte, das ist jetzt längst in Fleisch und Blut unserer Staatsverfassung übergegangen, und selbst der extremste Anhänger des Bestehenden nimmt als selbstverständlich an, was damals ein Zankapfel der erregten politischen Parteien war. Wo ist jetzt ein Conservativer, welcher noch die Berechtigung einer reichsständischen Verfassung bestreiten wollte? Bis zur Behauptung der Möglichkeit directer Urwahlen verstiegen sich in jener Zeit nur die extremen Politiker, deren seiltänzerische Kühnheit angestaunt wurde, und ich selbst besinne mich, wie noch im Jahre 1848 ein Königsberger Professor des Staatsrechts mir bei einer öffentlichen Debatte über dieses Thema in einer politischen Versammlung entgegnete, direkte Urwahlen seien höchstens in kleinen Republiken möglich, in größeren Staaten aber unausführbar.

Ein anderes kühnes Begehren der Liberalen von 1840 war die Preßfreiheit – wer hält es heutigen Tags noch für möglich, daß ein großer Theil der Beamten und die ganze conservative Partei sich auf das Aeußerste gegen dieses Verlangen sträubte? Wie groß waren die Erfolge von Hoffmann von Fallersleben, wenn er in seinen „Unpolitischen Liedern“ seine epigrammatischen Pointen wie Kletten auf die Censoren warf; wie imponirte Freiligrath, wenn er mit tragischem Schwung einen Censor als Gedankenmörder darstellte!

Doch diese „Gedankenmörder“, welche die Phantasie des Dichters wie im Wahnsinn umherirren sah, mit dem Kainszeichen auf der Stirn, verfolgt von den Schatten der Erschlagenen, waren in Wirklichkeit gar nicht so schreckenerregend, wie ich selbst mich überzeugte, wenn ich bei einer gemüthlichen Tasse Kaffee mit einem solchen Inhaber des officiellen Rothstiftes über die Druckfähigkeit meiner politischen Gedichte verhandelte. Statt eines haarsträubenden Flüchtlings vor den Erinnyen hatte ich einen wohlwollenden Sterblichen mir gegenüber, und zwar zunächst Niemand anders, als denselben Schulrath Lucas, der meinem Abiturientenexamen präsidirt hatte. Wir erwogen in freundlicher Gemeinsamkeit, welche Gedichte als Opfer auf dem Altar der unentrinnbaren Nothwendigkeit, der Censur, bluten mußten. Als feiner Aesthetiker enthielt sich dieser Censor der nutzlosen Grausamkeit, Poesien zu verstümmeln, ihnen gleichsam die Hände und Füße abzuhacken und sie so als lebendige Anklagen gegen das ununterbrochene Opferfest eines vom Staat geheiligten Gedankenmordes in die Welt zu schicken. War es doch oft noch Brauch, durch Gedankenstriche die Lücken anzudeuten, welche die Censur in den Ideenverbindungen der Prosaiker oder gar in den Versen der Dichter gerissen hatte. Schulrath Lucas verurtheilte ein subordinationswidriges Gedicht augenblicklich zum Tode, wenn auch nur eine einzige Strophe rebellisch war – und ich fand dies vom ästhetischen Standpunkt aus vollkommen gerechtfertigt. Ja, ich hatte den liebenswürdigen Censor oft in Verdacht, daß er seine Censur von einer feinsinnigen Kritik nicht freihielt und manches Gedicht wegen leichten Vergehens doch zu Pulver und Blei verdammte, blos weil es ihm nicht werth erschien, im Lichte der Oeffentlichkeit zu wandeln. Am Abend nach einem solchen Autodafé war ich oft bei meinem Gedankenmörder zu einem Thé dansant eingeladen und über die Cotillonorden, die ich von seinen anmuthigen Töchtern erhielt, vergaß ich meine grausam hingeopferten Geisteskinder. War das nicht gemüthlicher und patriarchalischer als die „Preßfreiheit mit dem Galgen daneben“, welche dem Herrn von Thadden lange Jahre auf dem vereinigten Landtag als Ideal vorschwebte?

Auch andere Censoren waren indeß keineswegs unnahbar. Einige Jahre später hatte ich mit dem damaligen Königsberger Polizeipräsidenten über ein Festspiel zu verhandeln, dessen Censur ihm oblag. Im Gegensatz zu Schulrath Lucas war der Präsident wieder besonders auf die Beseitigung einzelner Stellen und Ausdrücke bedacht, welche ich mit dem Aufwand meiner ganzen Beredsamkeit zu retten suchte. Es würde heute sehr seltsam klingen, wenn ich erwähnen wollte, was Alles damals „beanstandet“ wurde. Doch ließ sich der Polizeichef durch Gründe überzeugen und mancher bereits verurtheilte Gedanke wurde für die Prosceniumslampen gerettet. In Erinnerung ist mir aber noch geblieben, daß der Präsident, als ich mich, um eine Stelle zu vertheidigen, auf eine ähnliche Wendung in Goethe’s „Faust“ berief, sich im Eifer der Debatte zu der Behauptung hinreißen ließ, es wäre überhaupt besser, wenn Goethe seinen „Faust“ gar nicht geschrieben hätte!

Welche Bedeutung eine Zeitschrift, ein Blatt, ein Werk damals behauptete – das hing wesentlich von dem geistigen Standpunkt seines Censors ab. Ein engherziger Censor lastete wie ein Alp auf der ganzen Literatur seines Sprengels; ein liberaler, welcher möglichste Gedankenfreiheit gab, förderte den Aufschwung der Geister. Nur eine im Ganzen milde Censur machte es möglich, daß Königsberg als Vorort der politischen Freiheit die Augen von ganz Deutschland auf sich zog. Die Königsberger Hartung’sche Zeitung, die sich in Format und Papier damals wenig von dem Rastenburger Kreisblatt unterschied, erregte durch ihre Leitartikel das allgemeinste Aufsehen. Von den Gestaden des Frischen Haffs schien ein frischer Hauch herüberzuwehen in das damals noch regungslose Deutschland – und nur von der Oder antwortete dem Pregel das lebhafteste Echo. Der Leitartikel, heutzutage oft der vertraute Freund unseres Halbschlafs, stand damals noch in voller Jugendblüthe; ein geharnischter Leitartikel war ein Ereigniß; diese politische Weisheit war noch so neu, so jungfräulich, daß sie alle Welt wie mit einem geheimen Zauber anzog. Die Leitartikel der Königsberger Zeitung hatten etwas von der schneidenden Klarheit eines ostpreußischen Wintertages; was sie verlangten, Reichsstände, Preßfreiheit – das gehört jetzt zu den Thatsachen unseres Staatslebens, mit denen ganze Geschlechter aufgewachsen sind. Damals aber gehörte Muth zu solchem ungestümen Anklopfen an die Pforten der Zukunft – und diejenigen, welche sich behaglich angesiedelt haben auf dem mühsam errungenen Boden unseres Verfassungslebens, sollten der ersten „Pfadfinder“ nicht vergessen, welche sich mit der Axt den Weg durch das Dickicht gehauen haben.

Bald sollte ich in Königsberg auch die Männer des Tages, die „öffentlichen Charaktere“ kennen lernen, von denen die Bewegung ausging. In nächste Berührung kam ich mit einem Manne, der in jener Zeit zwar seitab stand von der gewaltigen Zeitströmung, der sich aber nachher unter den politische Charakteren Deutschlands eine hervorragende Stellung erobert hat.

In einem der Hörsäle der baufälligen Albertina versammelten sich die juristischen Novizen, um sich in die „Institutionen“ einweihen zu lassen und die ersten Blumen auf jenem Anger des römischen Rechts zu pflücken, der so reich ist an Disteln und Dornen, und auf welchem mancherlei Nüsse wachsen, die der menschliche Scharfsinn nur mit großer Anstrengung zu knacken vermag. Auf den Katheder stieg ein junger Professor, ungefähr dreißig Jahre alt, von ausdrucksvollen Zügen und stattlicher Repräsentation. Es lag in seinem Auftreten und Erscheinen etwas Würdevolles, was über die Lebensjahre des jungen Gelehrten hinausging; doch streifte diese Gemessenheit durchaus nicht an Pedanterie. Im Gegentheil, es war eine gewisse Eleganz in seiner Toilette unverkennbar, etwas Behagliches und Vermögliches, was wir bei wenigen anderen Docenten der Universität zu entdecken vermochten. Es hatte Alles seine Art, wenn er den Hut ablegte, den Rock aufknöpfte – man glaubte immer, es müsse ein Ordensstern dabei zum Vorschein kommen. Sein Kopf gehörte in jene Classe der Jupitersköpfe, wie sie Goethe, Varnhagen und andere berühmte deutsche Männer besaßen, nur daß dieser Zeus noch sehr jugendlich war und dabei eine leise, aber interessante alttestamentliche Schattirung nicht verleugnete.

Kräftig und voll war das Organ des Vortragenden, der [217] Vortrag selbst von außerordentlicher Sicherheit in der Sprachbeherrschung, niemals verlegen um den bezeichnenden Ausdruck, niemals überstürzt und überhastet. Weit entfernt von todtem Dictat war er vielmehr eine lebendige Unterhaltung; er verlangte von den Hörern Antwort und Gegenrede; er wandte sich an ihren Scharfsinn; er wußte ihnen den Stoff interessant zu machen und ihn dem Gedächtniß einzuprägen, weil sie ihn selbstschöpferisch sich angeeignet hatten. Einige Nüancen des Vortrags erinnerten an große Meister des Fachs; namentlich wollte man in der Handhabung des Schnupftuchs das Muster Savigny’s und seiner Vortragsweise wiedererkennen.

Ueberhaupt wußte man viel von dem noch jungen Professor zu erzählen. Er gehörte zu den frühreifen Talenten; schon mit sechszehn Jahren hatte er sein Abiturientenexamen gemacht, mit neunzehn die juristische Doctorwürde errungen. Er war während der Julirevolution in Paris gewesen; er hatte Goethe besucht, und der Altmeister deutscher Dichtung hatte seiner in einem Briefe an Zelter anerkennend gedacht. Mit sechsundzwanzig Jahren war er ordentlicher Professor der Rechte an der Königsberger Universität geworden und zugleich Beisitzer des ostpreußischen Tribunals. So rasche Laufbahn konnte nur ein glänzender und bedeutender Kopf zurücklegen. Die Gelehrsamkeit freilich, welche den Werth des Mannes mißt nach der wissenschaftlichen Leistung, nach der Bedeutung der veröffentlichten Schriften, oft auch nach der Masse der Maculatur, welche ein fleißiger Arbeiter im Weinberge des Herrn zu Tage fördert, schien wenig geneigt, den jungen Professor als „voll“ gelten zu lassen, denn es war leider eine unbestreitbare Thatsache, daß er außer einigen akademischen Gelegenheitsschriften, bei denen sich die ersten Hälften oft jahrelang vergebens nach der zweiten sehnten, kein wissenschaftliches Werk veröffentlicht hatte, welches ihm auf eine Stelle neben Savigny, Vangerow und Dirksen Anspruch zu schaffen vermochte. Und so ist es auch Zeitlebens geblieben – nulla dies sine linea, stand nicht in dem Wappen des geborenen Präsidenten, welcher zwei Mal mit der deutschen Kaiserkrone sich auf den Weg machen sollte, einmal nach Berlin, einmal nach Versailles, und das zweite Mal mit besserem Erfolg.

Denn jener junge Gelehrte war Niemand anders als Martin Eduard Simson, später der Präsident des Frankfurter Parlaments und der Norddeutschen Reichstage, einer der größten politischen Würdenträger deutscher Nation. Ich nannte ihn eben den „geborenen Präsidenten“ und er war es in der That; er besaß alle Eigenschaften, welche erforderlich sind, eine große Versammlung von Volksvertretern und Notabilitäten jeder Art zu leiten: eine Repräsentation, die nicht glatt und elegant, sondern würdevoll war, eine seltene Klarheit der Auffassung, welche rasch den Kern der Dinge erfaßte, eine Bestimmtheit und Schärfe des Geistes, welche für die zusammenfassenden Abschlüsse und Fragestellungen unerläßlich ist, vor Allem aber eine Toleranz und Unparteilichkeit, welche die verschiedensten Anschauungen gewähren ließ, fern von jeder Erbitterung, von jedem fanatischen Parteihaß, wie Zeus herabsieht auf das Kampfgetümmel der Troer und Hellenen und mit gleicher Ruhe auch den rabenschwarzen Aethiopen sein olympisches Antlitz zuwendet.

Simson war nicht blos ein anregender Docent, er war auch außerhalb der Collegien ein liebenswürdiger Schutzpatron und Freund seiner Jünger. Wie kein Anderer verstand er den Faltenwurf der Toga auf dem Katheder und dem Forum um sich zu breiten; aber in seiner Häuslichkeit und auf Spaziergängen war er ein aufgeknöpfter geistreicher Gesellschafter. Seine Wohnung auf der Kneiphöfischen Langgasse hatte patricischen Comfort; er bewohnte eines jener schmalen, aber tiefen hanseatischen Häuser, welche dieser Straße mit ihren Vortreppen ein patriarchalisches Ansehen gaben. Durch lange Vorsäle und über mehrere mit Teppichen belegte Treppen hinauf gelangte man in das Allerheiligste des Studirzimmers. Für einen jungen Musensohn hatten diese stattlichen Vorhallen, die zum Tempel führten, etwas sehr Feierliches, und er trat in denselben ein in der gleichen Stimmung, in welcher der Schüler in des Professors Faust magischem Studirgemach erscheint.

Oft ging ich mit meinem Lehrer, der mich in die Geheimnisse der Pandecten einweihte, in diese den Schachvarianten und Schachräthseln so verwandten Aufgaben des juristischen Scharfsinns, auf dem „Bohlensteg“ der „Hufen“ spazieren, welcher jetzt auch den Festungswerken von Königsberg zum Opfer gefallen ist. Es war dies ein idyllischer Spaziergang zwischen Gärten und an den Landhäusern vorbei, auch nicht ohne literargeschichtliche Erinnerungen; denn gleich der erste Garten zur Rechten mahnte an den Königsberger Humoristen Hippel und seinen Lebenslauf in absteigender Linie. Das hölzerne Trottoir der zwei nebeneinander liegenden Bohlen machte auf Eleganz nicht den geringsten Anspruch, wie denn zu jener Zeit Königsberg in vieler Hinsicht noch als ein großes polnisches Dorf betrachtet werden konnte. Unsere Unterhaltungen und Debatten drehten sich oft um die Philosophie, welche damals noch mehr an der Tagesordnung war, als in unserer gegenwärtigen Zeit. Simson war ein Schüler von Herbart, der als eleganter Docent mit Sporenstiefeln und Reitpeitsche, Freund und Kenner der Musik und Mathematik, noch im Gedächtniß seiner Hörer fortlebte; wir Jüngeren aber besuchten die geistreichen Vorlesungen von Karl Rosenkranz und schwuren auf Hegel und seine Weisheit. Simson begnügte sich indeß nicht mit jener vornehmen Verachtung derselben, welche viele der damals in Ostpreußen weitverbreiteten Herbartianer zur Schau trugen; er hörte als Professor noch die Vorlesungen seines Collegen mit an, um an der Quelle die Kenntniß des ihm fremdartigen und widerstrebenden Systems zu schöpfen, welches Samland, Ratangen und Masuren auf einmal mit Anhängern des „Absoluten“ bevölkerte.

Zwei Mal trat ich in den folgenden Jahren noch in nähere Beziehung zu Simson. Einmal bei meinem juristischen Doctorexamen. Simson war Decan der Facultät – und in seinem Hause machte ich die mündliche Prüfung in lateinischer Sprache, und genoß in Gemeinschaft mit der Facultät, nach überstandenen Schrecknissen, ein erheiterndes Abendmahl. In Erinnerung ist mir, außer einigen Lücken im canonischen Recht, namentlich ein in seinem Fache sehr tüchtiger Professor geblieben, dessen Kinn in einer gewaltigen weißen Halsbinde ertrank und der außerdem in der lateinischen Rede eine vornehme Abneigung gegen den Conjunctiv an den Tag legte, dessen er sich nie bediente.

Das andere Mal, im Jahre 1848, handelte es sich um die Wahlen zum Frankfurter Parlament. Ich gehörte zu den Wahlmännern, unsere Hauptcandidaten waren Simson und Jacoby. Ueber diese Wahl, welcher die deutschen Parlamente ihren Präsidenten verdankten, ist bisher wenig bekannt geworden. Und doch hatte sie einen eigenthümlichen Verlauf genommen. In der Vorwahl, welcher fast alle Wahlmänner beiwohnten, erhielt Jacoby eine so überwiegende Mehrzahl von Stimmen, daß von der Candidatur Simson’s gar nicht mehr die Rede zu sein schien, das Verhältniß war etwa vierzig Stimmen gegen zehn. Doch nun begab sich das Wunderbare, daß bei der wirklichen Wahl, den Tag darauf, dies Verhältniß sich fast umkehrte und Simson mit einer bedeutenden Stimmenmehrheit in das Parlament gewählt wurde. Wie das Wunder bewirkt worden war, bleibt unerklärlich; man sprach von Freunden des Professors, welche Alles aufgeboten, um ihre Ueberzeugung von der außerordentlichen Begabung Simson’s noch in der letzten Stunde bei den Wahlmännern zu verbreiten; man erzählte, daß von diesem eine große Abendgesellschaft geladen worden war, um die politischen Dissenters zu bekehren. Simson selbst nahm die Wahl dankend an und schloß seine Anrede an das Wahlmännercollegium mit dem Programm aus Schiller’s „Tell“, das er als das seinige hinstellte:

Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern,
In keiner Noth uns trennen noch Gefahr.
Wir wollen frei sein, wie die Väter waren,
Eher den Tod, als in der Knechtschaft leben.
Wir wollen trauen auf den höchsten Gott,
Und uns nicht fürchten vor der Macht der Menschen.

Was den Gegencandidaten Simson’s, Johann Jacoby, betraf, so erfreute er sich in der Pregelstadt einer großen Popularität. Seine „vier Fragen“ hatten größeres Aufsehen gemacht, als je vorher oder nachher eine Schrift von gleichem Umfang. Sie waren eben der Ausdruck der öffentlichen Meinung, welcher sie die präciseste Fassung gaben, und sie kamen zur rechten Zeit. Das richtige Tempo entscheidet über die geschichtliche Unsterblichkeit. Ueber Jacoby schwebte, als ich ihn zuerst sah, einer jener zahlreichen Hochverrathsprocesse, welche für diesen Politiker charakteristisch blieben; doch war dieser erste ebenso resultatlos wie der spätere, der wegen seiner Theilnahme am Stuttgarter Rumpfparlament gegen ihn angestrengt worden war. Einem jungen Studenten, der [218] in der Geschichte viel von den politischen Märtyrern aller Zeiten gelesen hatte, mußte diese Märtyrerglorie imponiren und er bereitete sich durch den schweigenden Hinblick auf Sokrates und Cato vor, ehe er dem antiken Charakter in der Kneiphöf’schen Langgasse seinen Besuch abstattete.

Wohl gab es gute Staatsbürger, die einen Demagogen sich schon damals nur als eine Bassermann’sche Gestalt denken konnten, ähnlich jenen Reclamekindern, die mit der bekannten Haarwuchspomade gespielt hatten, das bärtige Antlitz von dem wallenden, ungekämmten Haupthaar überschattet, in der Hand den Ziegenhainer, mit nägelbeschlagenen Stiefeln, welche selbst das Straßenpflaster in Aufruhr versetzten, daß es Funken stob, wenn sie über dasselbe hinschritten. Wer mit einem solchen Bild eines urwüchsigen Demagogen aus den Turnhallen vor Jacoby hintrat, der mußte sich in merkwürdiger Weise enttäuscht fühlen.

Der Mann der „vier Fragen“ hatte durchaus nicht die trotzige Miene des Rebellen oder irgend etwas Staatsgefährliches und Bedrohliches in seinem Wesen; er sah aus wie ein menschenfreundlicher Schüler Aeskulap’s und hatte sich auch als solcher bei der letzten Choleraepidemie bewährt. Sein Gesicht verleugnete nicht die jüdische Herkunft; es gehörte zu jenen milden klaren Gesichtern, welche gleichsam die beschauliche Weisheit des Orients wiederzuspiegeln scheinen. Ausgiebiger Redefluß war nicht seine Sache, ebensowenig funkelnder Esprit; er sprach wenig, aber treffend und bezeichnend. Man hatte stets den Eindruck, daß es ihm Ernst war mit seinen Ueberzeugungen und daß sie bei ihm aus seinem innersten Wesen hervorgingen. Seine im Ganzen unscheinbare Persönlichkeit machte ihn weder zum Volksredner noch zum Parlamentsredner geeignet; ihm fehlten die imponirenden Gesten; es bedurfte bei seinem öffentlichen Auftreten der Folie seines Namens, um ihm die Aufmerksamkeit zu sichern, die er durch klare und bündige Rede zu verdienen suchte. Im Ganzen mochte er immerhin als geeigneter Vertreter der Stadt der „reinen Vernunft“ erscheinen; denn etwas von dem Hauch dieser reinen Vernunft beseelte sein öffentliches Auftreten; es war dieselbe durchsichtige, oft frostige Klarheit, wie wir sie in manchen Schriften des großen Königsberger Denkers finden. Mit dem einsamen Wanderer des Philosophendammes hatte er das Apostelthum des ewigen Friedens gemein; doch wie der schattige Philosophendamm den Schienen der Eisenbahn und dem lärmenden Treiben des täglichen Verkehrs weichen mußte, so hat auch dieses Apostelthum in den letzten Jahren vor dem Lärm der blutigsten Kriege verhallen müssen und seine Vorkämpfer sind in eine einsame, sehr schiefe Stellung gedrängt worden.

Doch nicht Kant, sondern Spinoza und Lessing sind die Geistesheroen, denen der Mann der „vier Fragen“ huldigte; sie herrschten in seiner Bibliothek, auf seinem Arbeitstisch, in seiner Gedankenwelt. Stillwaltende Nothwendigkeit des Weltgeistes, Humanität, Toleranz – das waren die Losungsworte, welche Jacoby zu den seinigen gemacht hatte.

Niemand schien weniger zu einem extremen Politiker geschaffen als er, und in der That athmeten die „vier Fragen“ auch einen sehr gemäßigten Geist. Gegenwärtig giebt es in Preußen keine Partei mehr, die sich nicht mit ihrem Inhalt einverstanden erklären würde. Gleichwohl wurde Jacoby in den folgenden Jahren immer mehr auf die äußerste Linke gedrängt. Der freundliche Arzt, der in seinem einspännigen Doctorwagen durch die Königsberger Straßen fährt, gewöhnt an ein stilles Wirken, hatte kaum angefangen, dem preußischen Staate seine Mixturen, Latwerge und Pillen einzugeben, als er auch immer mehr zu einer hippokratischen Radicalcur schritt. Ein Nathan mit der Jakobinermütze scheint freilich ein undenkbares Bild.

Und doch ist die Lösung des Räthsels nicht schwer. Jacoby ist mehr Philosoph als Politiker. Das Wesen der Philosophie ist die Consequenz, das Wesen der Politik die Inconsequenz. Große Politiker sind diejenigen, welche die augenblickliche Lage benutzen, um ihr Ziel zu erreichen; auf eine Handvoll Widersprüche kommt es dabei nicht an. Das „heute“ hat immer Recht in der Politik, wenn es auch das „gestern“ Lügen straft und von dem „morgen“ verleugnet wird. Staatsmänner, die ihre Zeit beherrschen, muß man abbilden mit dem Kaleidoskop in der Hand als dem Attribut ihrer Göttlichkeit; heute schütteln sie die Figuren so, morgen anders, wie ihre Grün- und Blaubücher beweisen, die in allen Farben schimmern. Auch das parlamentarische Leben ist unmöglich ohne den Compromiß. Die starren Principienmänner, die Philosophen in der Politik, welche dieselbe für eine exacte Wissenschaft halten und ihre Lehrsätze wie Euklid oder mindestens wie Spinoza beweisen wollen, werden rasch von der Bewegung bei Seite geschoben.

Jacoby ist ein Kosmopolit, unsere Zeit macht in großen geschichtlichen Ereignissen nationale Politik mit Blut und Eisen. So ist der Mann der „vier Fragen“, die längst beantwortet sind, in seinem Junggesellenlogis in der Kneiphöf’schen Langgasse ebenso isolirt, wie er es in der Lötzener Festungshaft war, und hofft auf die ungedruckte „Zukunft“, welche die Leitartikel der gedruckten verwirklichen soll![1]

[314]
III.


Die „Albertina“, der Stammsitz der Königsberger Gelehrsamkeit, machte damals in ihren Hörsälen einen hülfeflehenden Eindruck; ihre gebrechlichen Fronten spiegelten sich in den Pregelarmen, welche hier den Kneiphof umströmten. Der an merkwürdigen Alterthümern reiche Dom überragte die alma mater, und eine Stoa Kantiana, in welcher Lehrende und Lernende lustwandelten, die aber trotz ihres stolzen Namens nichts war als ein offener Gang mit einem Regendach ohne jede bauliche und bildliche Zierde, schloß sich an die Außenmauer der Kirche mit dem hochragenden Thurm, der prächtigen Orgel und den Gräbern der Hochmeister des deutschen Ordens an.

Das ganze Gebäude hatte etwas Düsteres; die Wissenschaft mußte hier einen Faustischen Zug haben; man wurde an Staub und Moder, an Thiergeripp und Todtenbein erinnert. Doch schon damals winkte den vier Facultäten eine schönere Zukunft. Der Grundstein des neuen Universitätsgebäudes wurde im Jahre 1844 von dem König Friedrich Wilhelm dem Vierten gelegt, mit einer schwunghaften, lichtfreundlichen Rede, wie es sonst nicht in der Art des geistreichen Fürsten lag, der aber hier ausdrücklich dem „Nachtgevögel“ den Krieg erklärte. Leider! wollte das der Erde anvertraute Saatkorn lange Jahre nicht keimen und in die Höhe wachsen; ein kleines Gitter bezeichnete, ähnlich wie das Gitter des Berliner Schillerdenkmals, die der Zukunft der Musen geweihte Stätte auf dem Königsplatz, und erst 1862 erstand das neue, lichte Universitätsgebäude mit seinen Büsten und Inschriften und einer Aula, welche jetzt erst durch den geistreichen Künstler Rosenfelder und andere Mitglieder der Königsberger Kunstakademie mit allegorischen und historischen Gemälden ausgeschmückt wird, in schwungvoller und bedeutsamer Weise. Der liebenswürdige Director der Academie ist übrigens ebensogroß als Künstler, wie klein als Mensch in seiner äußeren Erscheinung, und zeigt dabei eine große Vorliebe für Bilder von gewaltigen Dimensionen. Schon damals, bald nach Gründung der Akademie, welche an den baltischen Gestaden und in der Stadt der reinen Vernunft den Sinn für Formen und Farben wecken sollte, malte Rosenfelder an einem riesigen Bilde „die Gefangennahme des Landgrafen Philipp auf der Moritzburg“, und wir sahen oft mit Andacht den genialen kleinen Künstler in seinem Atelier an seinen großen Figuren in die Höhe klettern. Auch war es damals gefährlich, ihm auf der Straße zu begegnen, wenn man im Gesicht irgend einen herausfordernden Zug, eine kühngeschwungene Nase, ein Paar feurige Augen oder sonstige Naturspiele aufzuweisen hatte; denn der Maler befand sich gerade auf der Studienjagd und wußte sich bald, durch List, Gewalt oder bittweise, jener bevorzugten Menschenexemplare zu bemächtigen, sie in sein Atelier zu locken und schonungslos als Studienköpfe an die Wand zu heften. Und in der Regel hatte man dabei nicht einmal den Genuß, sein eigenes Selbst im Bilde zu bewundern. Der dunkellockige Studentenkopf hatte sich in einen kahlköpfigen Spanier verwandelt; nur Nase und Augen erinnerten an das Original, man war geplündert, aber nicht abconterfeit worden.

Während unsere alte Albertina gleichsam unter den Fittichen der Kirche ruhte, steht die neue Universität in der Nähe des Theaters, dessen Seitenfront mit derjenigen einer großen Wirthschaftsscheune eine unleugbare Aehnlichkeit hat. Doch wird sich auch der Tempel der heitern Musen nächstens verschönern, um gegen die benachbarte lichte Halle der Wissenschaften nicht allzu traurig abzustechen.

Wir hatten uns indeß damals an die altersgrauen Räume und die oft kleinen und winkligen Auditorien der Königsberg’schen Musenherberge gewöhnt; ja die Studentenschaft hielt oft ihre Versammlungen in den größeren Hörsälen. Meinen Rastenburger Landsleuten, den Masuren, war ich früh untreu geworden; der Kneipcomment der Landsmannschaften mit den Päpsten, Cardinälen und sonstigen Trinkkunststücken ging über meine Leistungsfähigkeit hinaus. Ich hatte mich der allgemeinen Studentenverbindung angeschlossen, welche in allerlei Kränzchen, Gothen, Teutonen, Hochheimer, Borussen zerfiel, aber doch als ein Ganzes mit burschenschaftlicher Richtung den Lithauern und Masuren gegenüberstand. Der politische Geist jener Epoche erregte natürlich auch die Studentenschaft und führte zu Debatten und Demonstrationen der verschiedensten Art.

Als ich immatriculirt wurde, hatten zwei Hauptredner der Studentenschaft gerade die Universität verlassen, man sprach noch viel von ihnen; ihr Angedenken war noch frisch bei der Menge. Es waren entschiedene Gegner, der eine der Vertreter des nüchternen Verstandes, der andere derjenige eines oft exaltirten Enthusiasmus; jener ein kleines, altkluges, rechthaberisches Männchen, dessen unfehlbare Logik mit ihrer schneidenden Messerschärfe indeß nie Eindruck zu machen verfehlte; dieser eine athletische Natur, leiblich und geistig muskelstark, voll genialer Lebensäußerungen; jener ein Gegner jeder Romantik, dieser ganz Sturm und Drang. Der erste ging später unter die Literarhistoriker, mit einer kleinen kritischen Guillotine, mit welcher er besonders die Poeten heimsuchte, und machte eine Zeitlang seinen Namen zum Schrecken für alle bilderreichen Lyriker. Man schwor auf seine Autorität, und keine mildthätige Seele hob den Dichter auf, den er fallen ließ; wer kennt nicht Julian Schmidt, „den Auszug aller tödtlich feinen Kräfte“ in der Kritik, das Orakel der ewig Nüchternen, den Geist, der stets negirt oder vielmehr jetzt stets „compilirt“?

Sein Gegenpol aber war Albert Dulk, der Dichter des von feurigem Emancipationsdrang beseelten Schauspiels „Orla“, welchem er neuerdings ein interessantes Drama: „Jesus der Christ“ folgen ließ, eine jener Originalnaturen, welche sich mit dem Herkommen überwerfen und phantasievoll und willensstark nur dem eigenen Gesetze folgen. Diesen Kraftmenschen konnte man sich denken mit der Keule des Hercules gewaffnet, während sein Gegner ihm mit dem Lineal des Magisters gegenüberstand. Dulk war ein gewaltiger Turner und Schwimmer – in dem ostpreußischen Modebad Crantz sah man, wenn der Sturm die Wogen hoch aufthürmte, um dieser nüchternen und schläfrigen Sommerstation der Königsberger Beaumonde einen poetischen Reiz zu verleihen, wenn alle Badeplätze abgesperrt waren, einen einzigen kühnen Schwimmer in freier See mit den schaumspritzenden Wellen ringen; es war Albert Dulk, der später der Schwimmkunst des britischen Lords ein Paroli bog, indem er über die ganze Breite des Bodensees in dreistündiger Tour schwamm.

Doch auch andere tüchtige Kräfte, die sich später auszeichnen sollten, belebten damals die Studentenversammlungen der „Albertina“. Der berühmte Chemiker Kirchhoff, welcher die Sterne zwang, ihm die Geheimnisse ihrer Stoffe zu offenbaren, und dessen Name mit der neuen Wissenschaft der „Spectralanalyse“ unlösbar verknüpft ist; der treffliche Pädagog, Shakespeare-Erläuterer und Literarhistoriker Kreyssig, der in seinen neuern Schriften fast zu sehr dem Realismus huldigt, schon damals von lehrhaften Neigungen und bei allen Debatten lebhaft betheiligt; der Geheime Legationsrath v. Keudell, die rechte Hand Bismarck’s, ein stilgewandter Diplomat und dabei eine feine, künstlerisch gebildete Natur, ein musikalisches Talent; der Breslauer Oberbürgermeister Hobrecht, der tüchtige Wiener Publicist Walter Rogge – sie alle, wenn sie auf ihre Jugend zurückblicken, müssen der altersgrauen „Albertina“ gedenken und der Zeit, in welcher der silberne Albertus ihre Studentenmütze schmückte, in welcher die Versammlungen mit ihren Debatten und Parteiungen ein Vorbild des späteren politischen Lebens boten.

Bald traten auch Ereignisse ein, welche die Studentenschaft mit den damaligen Vorkämpfern der Opposition in nähere Berührung brachten. Georg Herwegh, der Dichter der „Lieder eines Lebendigen“, kam auf seinem Triumphzuge auch nach Königsberg; vorausgegangen war seine Audienz bei dem König von Preußen.

Selten hat ein Dichter bei der studirenden Jugend so große Sympathien gewonnen, wie damals Herwegh. Es schien überhaupt für die Poesie eine schönere Zeit anzubrechen, wo sie nicht blos in den Damenalbums der Toilettentische eine Stätte fand, sondern auch die Männer begeisterte.

Ein großer Theil der Studentenschaft betheiligte sich bei den Huldigungen, welche man für den fahrenden Sänger vorbereite. Georg Herwegh kam und wurde festlich begrüßt. Seine Persönlichkeit [315] sagte uns zu – jung, von dunkler Gesichtsfarbe, mit der Denkerstirn und dem Dichterauge machte er den Einbruch eines Poeten. Bei dem großen Festmahl im Kneiphöf’schen Junkerhof hielt ihm Justizrath Crelinger, ein fein- und scharfsinniger Jurist, die Weiherede und es machte einen besonders feierlichen Eindruck, als der lange hagere Mann seine Rechte auf des Dichters Schultern legte und ihn gleichsam festhielt für die Unsterblichkeit.

Soviel ich mich erinnere, war es auch in Königsberg, wo Herwegh jenen überflüssigen und renommistischen Brief an den König von Preußen schrieb, in Folge dessen der Dichter nachher im Geleite von Gensd’armen über die Grenze gebracht wurde. Dies tragikomische Ende des Triumphzuges begeisterte bekanntlich Heinrich Heine zu einem der witzigsten Spottgedichte.

Einige Zeit darauf versetzte ein anderer Zwischenfall die Studentenschaft in Gährung und das Universitätsgericht in Thätigkeit. Unter den Männern des Tages und den gefeierten Größen der Oppositionspartei befand sich auch ein Humorist, der neben dem ernsten Jacoby das lachende Gesicht des Liberalismus vertrat. Ludwig Walesrode, seines Zeichens englischer Sprachlehrer, nicht in Ostpreußen geboren, sondern an den Ufern der Elbe, in der bescheidenen Schwesterstadt Hamburgs, in Altona, machte damals durch humoristische Vorlesungen in Königsberg großes Aufsehen. Schon seine Erscheinung auf der Straße hatte etwas Pomphaftes – ich weiß nicht mehr zu sagen, durch welche Kunst des Faltenwurfes, durch welche Pelz- oder Mantelform dies imponirende Air erzeugt wurde. Eine selbstgewisse Haltung, welche mit Jacoby’s bescheidenem Verschwinden auffallend contrastirte, erhöhte den Eindruck der malerischen Grandezza. Dieser Oppositionsmann schien mit Fiesco zu sagen: „Die Blinden in Genua kennen meinen Tritt.“ In dieser Blüthenepoche seines Lebens und Wirkens hatte Walesrode auch eine blühende Gesichtsfarbe, volle helle Züge, unter der Brille sahen ein paar blaue Augen schalkhaft freundlich hervor; in feinen Geberden, seiner Sprechweise lag etwas Bestimmtes und Ausdrucksvolles; sein Humor hatte nichts frivol Scherzendes, nichts leichtsinnig Moussirendes; er drapirte sich bunt, farbenprächtig, bilderreich und ruhte auf der breiten Grundlage der „Gesinnungstüchtigkeit“.

Zeugniß für die damalige Unschuld des politischen Lebens legte die Thatsache ab, daß die ganze gebildete Gesellschaft Königsbergs, ohne Unterschied der Parteien, die Vorlesungen Walesrode’s im Kneiphöf’schen Junkerchof besuchte. Man erfreute sich an den schillernden Seifenblasen des Witzes und Humors; der oppositionelle Kitzel hatte sich aller Kreise bemächtigt – stand doch an der Spitze des Staates ein Monarch, welcher erklärte, daß er eine gesinnungsvolle Opposition liebe, und der überdies die guten Einfälle zu schätzen wußte und gelegentlich selbst eine Witzrakete in die Lüfte steigen ließ. So fanden denn auch die Vorlesungen Walesrode’s großen Beifall. Nur darüber war man nicht einig, ob der Autor mehr Aehnlichkeit mit Jean Paul oder mit Börne habe. Jedenfalls erinnerte sein schwerbeweglicher, aber glänzend ausgestatteter, bilderreicher Styl an den Ersteren, während sein Eifer, die Pointen des Tages auch zu Pointen seines Witzes zu machen, und sein feuriger Oppositionsgeist ihm eine geistige Verwandtschaft mit dem Verfasser der Pariser Briefe gaben. Walesrode ließ diese Vorlesungen später unter dem Titel „Glossen und Randzeichnungen zu Texten aus unserer Zeit“ und „Unterthänige Reden“ im Druck erscheinen, und sie machten auch in Deutschland Aufsehen, wie am Anfang der vierziger Jahre Alles, was von den baltischen Gestaden herübertönte.

Ludwig Walesrode hat später nur vereinzelte literarische Lebensäußerungen gegeben, darunter befindet sich ein reizendes Idyll „Der Storch von Nordenthal“. Doch gewöhnt an glänzenden Erfolg, getragen von dem hochgehenden Wellenschlag einer bewegten Epoche, mußte seine nicht schnell fertige Muse um so eher verstummen, je weniger die neueste, von großen Ereignissen in Anspruch genommene Zeit der Literatur und namentlich dem humoristischen Tirailleurkampf gleiche Theilnahme zu schenken geneigt war, wie jene vorbereitende Zeit, wo poetische und literarische Ereignisse zugleich für politische Thaten galten.

Walesrode wollte indeß nicht blos dem fashionabeln Publicum die Feuerwerke seines Humors vorführen, sondern auch der Jugend, welcher die Zukunft gehört. Die erste Vorlesung vor der Studentenschaft fand ohne Anstoß statt und errang sich den lebhaftesten Beifall. Doch gerade dies erregte die Bedenken der Universitätsbehörden, welche für das oppositionelle Gift eine Quarantaine nöthig fanden. Als daher am schwarzen Brett die Einladung zur zweiten Vorlesung angeheftet war, wurde den Studirenden verboten, diese Vorlesung zu besuchen.

Eine allgemeine Gährung in den Gemüthern trat nach diesem Verbote ein; man sah darin eine überflüssige Bevormundung und Beschränkung der persönlichen Freiheit. Bedenkliche vulcanische Symptome deuteten auf einen bevorstehenden Ausbruch. Von den „Stammkneipen“ der Landsmannschafter zu denen der Burschenschafter gingen Sendlinge hinüber; ein reger Verkehr zwischen den feindlichen Parteien bewies, daß eine gemeinsame That beabsichtigt wurde. Selbst bei der „Mutter Hechtschen“, wo in dämmernder Frühstunde die Nachwehen der nächtlichen Commerse durch den Genuß kräftig zubereiteter „Geschlinge“ und „Gekröse“ beseitigt und wo sonst am häufigsten die dummen Jungen aufgebrannt wurden, herrschte die Rütlistimmung allgemeiner Verbrüderung. Die verschiedenartigsten Mützen und Bänder beflissen sich der größtmöglichen Farbenharmonie; es herrschte jene Eintracht, durch welche die kleinen Dinge wachsen.

Und so begab es sich in abendlicher Stunde, da die Dämmerung ihre Fittiche breitete über Ottokar’s Schloßhügel und die Gräber der Hochmeister im Dome, über die Börsenbrücke und die Masten der Handelsschiffe und die Speicherluken der Lastadie, daß dunkle Gruppen von Studenten sich an verschiedenen Plätzen sammelten und in unheimlichen Zügen durch die Straßen bewegten, sang- und klanglos, als gälte es einem Leichenzuge. Die Königsstraße, welche wie die meisten Straße Königsbergs glänzend beginnt und kläglich endet mit Häuserchen, die kaum aus dem Boden herauswachsen, sah diese verschiedenen Trupps sich zu einer großen dunklen Masse verschmelzen, welche an der Akademie und der Bibliothek vorüberzog und endlich vor einem vom Verhängniß gezeichneten Hause Halt machte. Es war das Haus des Universitätscurators und Professors Schubert, eines bekannten Statistikers, welcher durch die studentische Vehme schuldig befunden worden war, jenes unselige Verbot erlassen zu haben. Eine durch keine Harmonielehre, durch keinen Contrapunkt und selbst durch keine Zukunftsmusik geheiligte Tonverwirrung, deren Dissonanzen vergeblich auf irgend welche Auflösung harrten, schwirrte nun durch die hundertköpfige Menge, eine Instrumentation machte sich geltend, deren Tonwerkzeuge sowie ihre Behandlung für den kundigsten Musiker ein Räthsel und Geheimniß waren. Zwar „Trommel und Pfeifen, krieg’rischer Klang“ ließen sich deutlich unterscheiden, auch invalide Leiern und defecte Blasinstrumente; dazwischen aber klirrte und krachte es, als wenn sich einige Katzen in einem Töpferladen jagten, und ein Scherbenberg, wenn auch ein bescheidenes Kind des Augenblicks, nicht ein Kind der Jahrhunderte, wie der Monte Testaccio in Rom, häufte sich vor den Pforten des Universitätscuators auf. Dafür aber, daß diese Katzenmusik auf die Höhe der modernen Programmmusik erhoben wurde, sorgte das donnernde Pereat, mit welchem die künstlerische Leistung abschloß. Der sich zurückbewegende Zug brachte noch dem beliebten Professor Lobeck, dem ehrwürdigen Nestor der Philologie, ein Lebehoch – und somit war das Tagewerk zu allseitiger Befriedigung vollbracht.

Freilich, die akademische Hermandad war in keiner Weise mit dieser Lebensäußerung der Studentenschaft zufrieden, noch weniger mit ihrer eigenen Aufgabe, unter diesen Hunderten den Schuldigen zu ermitteln. Instrumente hatten sie ja fast alle gespielt, und wie sollte man den größten Virtuosen unter ihnen entdecken? Der juristische Scharfsinn war auf einen Indicienbeweis hingewiesen, was die Anstifter des Scandals betrifft, und ich selbst fiel als Opfer einer unerbittlichen Logik. Ich war mit Walesrode bekannt; ich hatte seine Einladung an das schwarze Brett geheftet; was war natürlicher, als daß ich auch bei dem Tumult mit die Hand im Spiele haben mußte?

Hierzu kam, daß ich inzwischen meine „ Lieder der Gegenwart“ hatte erscheinen lassen; zwar halte die wohlwollende Censurscheere des Schulraths Lucas alle überwuchernden Ranken politischer Exaltation abgeschnitten, aber es war doch, neben unklarer Verherrlichung der verschiedenartigsten Persönlichkeiten, die im Kopfe des neunzehnjährigen Jünglings friedlich beieinander wohnten, ein politischer Oppositionsgeist, welcher die Grundaccorde der Sammlung bildete, und es war in diesen Gedichten weniger von Liebe und Frühling die Rede, als von „Reichsständen“, ein in Jamben [316] und Trochäen fast unscandirbares Thema, dem sogar aller poetische Duft fehlte.

Auch war ich noch in anderer Weise in Walesrode’s unliebsame Nähe gerückt worden. Unser an den „Kladderadatsch“ gewöhntes Zeitalter wird es kaum fassen können, welches Aufsehen damals eine politische Carricatur machte, wie sie jetzt das Berliner Blatt allwöchentlich liefert. Das war ein unerhörtes Ereigniß, daß selbst der Griffel des Zeichners rebellisch zu werden drohte, und kündigte mehr als alles Andere eine neue Aera an, in welcher die politische Erbweisheit Altenglands das bisherige Bevormundungssystem in Preußen zu verdrängen schien.

Das Blatt, das an einem Tage in den Händen aller Königsberger war, stellte allem Anscheine nach eine harmlose Scene aus dem Leben eines Faßbinders dar, dem es nicht gelingen wollte, ein Faß, dessen Reifen aneinander sprangen und das aus Rand und Band ging, wieder festzuhämmern. Doch der nähere Anblick zeigte alsbald die schalkhafte Bedeutung des Bildes. Der Oberpräsident der Provinz führte den Namen Böttiger und ließ sich unschwer in dem Manne erkennen, der sich vergeblich damit abmühte, das Faß wieder zusammenzuschlagen. In dem Fasse selbst aber befand sich der neueste Königsberger Ausbruch, der bereits den Deckel gesprengt hatte; da guckten Jacoby, der Privatdocent Jachmann, der in Verdacht stand, die meisten liberalen Leitartikel der Hartung’schen Zeitung verfaßt zu haben, und neben dem bärtigen Glossenschreiber zu den Texten des Jahrhunderts auch mein jugendlicher, langhaariger Kopf hervor; in der Hand hielt ich eine Champagnerflasche, aus welcher der schäumende Wein hervorsprudelte. Um das Hauptbild aber schlangen sich sinnreiche Arabesken, unter denen auch die Apostel mit ihren sinnbildlichen Thieren nicht fehlten und namentlich mein Beschützer Lucas mit seinem Apostelthier in vorderster Linie stand.

Konnte man es dem Universitätsgericht verargen, wenn es von meiner Schuld als Miturheber der Katzenmusik und des Pereats überzeugt war? Die Nachbarschaft in der Tonne war doch ein zu belastender Umstand. Selbst der damalige Prorector Burdach, der berühmte Physiologe, der die Untersuchung mit heiterem Lächeln über manche kecke Aussage der jugendlichen Verbrecher leitete, schien von meiner Mitschuld überzeugt.

Gleichwohl kann ich Mit- und Nachwelt zu Zeugen aufrufen, daß ich nicht zu den Urhebern des Skandals gehörte, daß ich mich nicht mehr als hundert Andere an demselben betheiligt hatte und daß das consilium abeundi einem Unschuldigen zuerkannt wurde. Ein neuer Beleg dafür, daß alle Wahrscheinlichkeitsbeweise trüglich sind und daß der größte juristische Scharfsinn nicht vor Justizmorden schützt!

Noch zwei Abenteuer erlebte ich vor meiner Abreise nach meiner heimathlichen Provinz Schlesien. Ich wohnte damals mit dem späteren Reichsmarinerath und Nibelungenpoeten Wilhelm Jordan zusammen, welcher ebenfalls Königsberg verlassen wollte; wir beschlossen, zum Abschied gemeinsam eine poetische Vorlesung zu geben, und trugen vor einem gewählten Publicum sehr ideenreiche und emancipationslustige Gedichte vor. Der damalige Polizeipräsident Abegg, ein liberaler und feingebildeter Mann, hielt es doch für seine Pflicht, das Manuscript unserer Vorlesung zu studiren, schon um unserem begeisterten Dichterfluge etwas mehr in der Nähe folgen zu können. Dasselbe hatte sich inzwischen glücklicherweise in die Tasche eines sehr bereitwilligen unbekannten Hörers geflüchtet – und der Präsident mußte sich mit dem allgemeinen Eindruck begnügen, den unsere genialen Dichtungen in seinem Gemüth hervorgerufen hatten.

Kurz vor der Abreise machte ich einen Besuch in der Provinz und übergab meine Sachen und den festverschlossenen Koffer mit dem Reisegelde einem befreundeten Studenten, der ein lyrischer Mediciner war, denn er besuchte die Klinik und spielte die Harfe. Noch sehe ich ihn vor mir stehen, als er mit seinem Rasirmesser den Urwald seines Bartes gelichtet hatte und mich in liebenswürdiger Naivetät frug, ob mir sein glattes Gesicht nicht besser gefalle? Als ich von meinem Ausflug zurückkam, war mein ganzes Reisegeld, meine Garberobe und der lyrische Mediciner verschwunden, der sich durch sein glattrasirtes Angesicht hatte unkenntlich machen wollen.

So verließ ich die Stadt der reinen Vernunft und die Wiege des preußischen Liberalismus mit einem doppelten Deficit, einem in meiner Casse, das freundliche Gönner rasch deckten, und einem andern in Bezug auf meinen Glauben an Treue und Zuverlässigkeit der Sterblichen, das sich weit schwerer decken ließ.

  1. Ein ausführlicheres Charakterbild des jedenfalls bedeutenden Mannes wird die Gartenlaube noch im Laufe der nächsten Wochen bringen.
    D. Red.