<<< Siebentes Kapitel >>>
{{{UNTERTITEL}}}
aus: Vollmondzauber
Seite: Band 2, S. 26–26
von: [[{{{AUTOR}}}]]
Zusammenfassung: {{{ZUSAMMENFASSUNG}}}
Anmerkung: {{{ANMERKUNG}}}
Bild
[[Bild:{{{BILD}}}|250px]]
[[w:{{{WIKIPEDIA}}}|Artikel in der Wikipedia]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[[Index:{{{INDEX}}}|Wikisource-Indexseite]]
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[16]
Siebentes Kapitel.

Der nächste Tag war kalt wie ein Wintertag. Die Frühlingsbäume hatten ihren Schmuck verloren, zerrissen und beschmutzt schwammen die Blüten auf den großen braunen Pfützen.

Swoyschin war gelb, hielt sich gebückt und schien ungern allein zu bleiben, er ging dem Obersten nicht von der Seite, sprach aber nichts, wenn er mit ihm beisammen war.

Der Oberst trachtete, seine strenge Haltung gegen ihn beizubehalten, aber das Mitleid warf alle seine Vorsätze nach dieser Richtung um. Er hatte erwartet, daß Swoyschin ihm endlich, die häßliche Scene betreffend, ausführliche Auseinandersetzungen machen würde. Aber Swoyschin blieb stumm. Im Kasino saß er wortkarg vor seinem leeren Teller. Nur einmal im Laufe der Mahlzeit bemerkte er: „Das war doch eine gräßliche Konfusion gestern. Ich kann meinen neuen Sommerpaletot nicht finden, er ist mir bei dem Fest in Verlust geraten,“ worauf ihm Bärenburg erwiderte: „Ich bitte dich um Verzeihung, Zdenko, [17] aber ich hab’ ihn gestern mit dem meinen verwechselt und der Emma Ginori gegeben, als sie aus dem Park zurückkam, um etwas Warmes für ihre Schwester zu suchen. Ich will sehen, daß du ihn richtig zurückbekommst.“ –

Gegen Abend saß Zdenko wieder schweigend bei seinem Obersten. Dieser ging, seinen Tschibuk rauchend, bekümmert auf und ab. „Jetzt wird er endlich doch etwas sagen,“ dachte er bei sich, aber Swoyschin sagte nichts.

Endlich ging der Freiherr auf ihn zu. „Swoyschin, schütten Sie mir Ihr Herz aus,“ rief er aufmunternd, „so kann’s nicht weitergehen. Wenn’s kein verspäteter Anfall von Pflichtgefühl war, was war’s, das Sie veranlaßt hat, gestern im letzten Augenblick …“ Er stockte, Swoyschin sah ihn starr an, dann den Obersten am Handgelenk festhaltend, murmelte er kaum hörbar: „Ich weiß es nicht, ich kann mir keine Rechenschaft geben über mein Gefühl – ein Entsetzen, ein Ekel, ein Wahnsinn! Wie ich sie küssen wollte, wurde mir plötzlich zu Mute, als … hielte ich eine Leiche im Arm …“

In dem Augenblick klopfte es an die Thür, es war der Diener Bärenburgs, der den von Swoyschin vermißten Mantel zurückbrachte. Swoyschin verabschiedete ihn mit einem Trinkgeld. Der Mantel blieb über einer Sessellehne neben ihm hängen.

[18] Plötzlich merkte der Oberst, daß der junge Mensch heftig zu zittern begann. Er griff nach dem Mantel und hielt sich ihn vors Gesicht, worauf er ihn mit einer Gebärde, die aus Ekel und Entsetzen gemischt war, von sich schleuderte.

„Na, was gibt’s denn schon wieder?“ rief etwas ärgerlich sein Vorgesetzter aus.

„Verzeihen Sie, Herr Oberst,“ murmelte er, „aber ich bitte Sie, selbst zu entscheiden: ist’s nur meine Einbildungskraft oder spüren Sie den Geruch?“

Der Oberst hielt nun seinerseits den Mantel vor sein Gesicht und schob ihn hierauf ebenso energisch von sich weg, als es Swoyschin gethan hatte. Etwas entsetzlich Unheimliches, ein mit dem Duft welkender Tuberosen vermischter Leichengeruch entströmte dem braunen Tuch.

„Schenken Sie den Mantel weg,“ sagte der Oberst kurz. Swoyschin schenkte ihn seiner Ordonnanz. Seltsamerweise konnte sich der gemeine Dragoner nicht damit abfinden und brachte ihn nach zwei Tagen an Zdenko zurück. Der Mantel sei verhext, behauptete er. Es gingen Gespenster bei ihm um, seitdem er bei ihm in der Stube hänge.

Swoyschin blieb nichts andres übrig, als den Mantel zu verbrennen.

*      *      *

[19] Im Regiment hatte es einen unangenehmen Eindruck gemacht, daß Zdenko schon wieder einen überstürzten Rückzug hatte antreten müssen. Die Sache war um so unangenehmer, als die Zells es dem ganzen Offiziercorps übelzunehmen schienen, was nur ein einziger verbrochen hatte. Es kamen keine Einladungen mehr aus Zdibitz, und die Offiziere, die nach dem Tennisfest einen Besuch bei den Zells abstatteten, wurden entweder gar nicht oder mit auffälliger Kälte empfangen. Die Ginoris kamen nicht zum Vorschein. Gina hatte überhaupt kein Mensch mehr gesehen seit jener Vollmondnacht im Mai.

Es lag wie ein Druck über dem ganzen Offiziercorps. Im Kasino ging es schweigsam zu, und auf dem Exerzierplatz that jeder seine Pflicht, ohne sich um den andern zu kümmern.

Jede Woche versammelten sich noch ein paar Offiziere in Monbijou, um Lawn Tennis zu spielen und nachträglich einen kleinen Imbiß einzunehmen bei dem dicken Swoboda, dem unternehmenden Gastwirt, der, ehemals Soldat, in seiner Jugend die Schlacht von Custozza mitgemacht hatte und noch heute die feste Überzeugung hegte, daß die Österreicher gewiß auch bei Königgrätz gesiegt hätten, wenn sich der Anton Swoboda – bei dieser Behauptung schlug er sich jedesmal auf die Brust – zufälligerweise in Böhmen anstatt in Italien befunden hätte.

[20] Aber das alte Animo fehlte bei diesen Zusammenkünften. Die Offiziere lachten nicht wie sonst über die Witze des dicken Wirts. Auch forderten sie ihn nicht ein einziges Mal auf, Guitarre zu spielen. Das war ein sehr schlechtes Zeichen.

Endlich aber dämmerte wieder eine festliche Veranstaltung am getrübten Horizont, und zwar in Zdibitz, wo ein zum Rittmeister beförderter Oberlieutenant, Baron Möller, die Herren zu einem Galasouper einlud. Der Oberst, der seine Anwesenheit zugesagt hatte, hoffte, daß der Abend erheiternd auf das Offiziercorps wirken würde.

Das Fest wurde in dem Zdibitzer Offizierskasino gegeben, und zwar befand sich dieses im ersten Stock des Gasthauses zum Lamm, das von einem ehrsamen Fleischhacker, dessen Frau eine vortreffliche Köchin war, gehalten wurde. Das Lokal ließ zu wünschen übrig. An der Schwemme, wo die Dragoner speisten, vorbei gelangte man über eine steile Treppe zu dem Zimmer, in welchem die Offiziere zu tafeln pflegten.

An den mit einer sehr häßlichen Malerei verunstalteten Wänden hingen die Bilder der beiden Majestäten aus der Krönungszeit; der Kaiser mit einem roten Ordensband über der weißen Uniform, die Kaiserin mit unter dem Diadem hervorquellendem Haarreichtum. Dann hing noch ein Thermometer neben dem Ofen und unter dem Kaiserporträt in einem aus [21] braunem Holz geschnitzten Rahmen hinter Glas eine Handarbeit der Wirtstochter, ein Kranz von Vergißmeinnicht auf Kartonpappendeckel und in der Mitte, in Goldperlen ausgeführt, das Wort „Souvenir“. Schön war es nicht, aber sehr gemütlich, und die Kost der Frau Jelinek – so hieß die Wirtin – war ausgezeichnet.

Die Offiziere verbrachten viele lustige Stunden im Gasthaus zum Lamm. Eigentlich sind sie anspruchslos, die österreichischen Kavallerieoffiziere; so lange alles vergnügt zugeht und keiner unter den Kameraden ein Rüpel ist, sind sie zufrieden.

An jenem Abend kam aber die Stimmung nicht in Flor, obwohl Möller seine Gäste großartig bewirtete. Die Wirtin hatte alle ihre Geschicklichkeit aufs äußerste angestrengt, alle Leibspeisen der Herren berücksichtigt. Und Möller hatte anstatt des im Kasino üblichen „Montebello“ wundervollen „Mumm extra dry“ aufmarschieren lassen. Aber dass alles vermochte nicht recht, die Gesellschaft zu beleben. Schließlich fragte einer der in Breznitz garnisonierenden Herren danach, ob in der letzten Zeit viel los gewesen sei im Schloß. Es sei jetzt wohl ein Monat verflossen seit dem Tennisturnier, und die Zells hätten noch keine Erwiderung für das Fest geboten. Hierauf antwortete Möller, die Zells hätten in den letzten Wochen überhaupt niemand empfangen. Man sehe sie kaum mehr – [22] die Gräfin und Emma höchstens bei der Frühmesse in der Kirche – Gina überhaupt nicht. Es heiße allgemein, sie habe ihre Zustände. Aber welcher Art diese Zustände seien, darüber schwebe ein Geheimnis.

„Was ist dir, Zdenko?“ fragte an diesem Punkt der Auseinandersetzungen Bärenburg den Vetter, dessen Wangen kreidebleich geworden waren, während seine Lippen sich violett färbten.

„Ich habe eine starke Migräne; es ist so schwül in dem engen Raum.“

„Dem Zdenko ist’s nicht nobel genug,“ neckte ihn Bärenburg, „wir werden ihm ein Extrakasino bauen lassen, nach dem Muster des Kursaals in Marienbad.“

„Sei nicht geschmacklos, Tapsch!“ ärgerte sich Swoyschin und sah so wild aus, daß Bärenburg sich veranlaßt fühlte, einzulenken.

„Es war nicht bös gemeint, Zdenko!“ sagte er. Dann, sich den Kameraden zuwendend: „Na, meine Tapferkeitsproben hab’ ich hoffentlich zur Genüge abgelegt. Es hat doch niemand was dagegen, daß ich mich so konziliant zeige?“

„Tschapel!“[WS 1] brummte Swoyschin und trat an das offene Fenster, um die frische Luft zu atmen. Das Fenster blickte auf die von Gartenanlagen umgebene Kirche hinaus.

Es war sehr kalt; seit jener lustig durchschwärmten, schwülen Zaubernacht regnete es mit kurzen Unterbrechungen [23] stetig. Die Luft war feucht. Aus dem breiten Rasenplatz vor der Kirche stieg der stechende Duft von frischerblühten, nassen Centifolien, ernst und schwarz zeichnete sich das gotische Portal aus der von Mondschein übergossenen, mit schmalen Spitzbogenfenstern versehenen, kahlen, weißen Kirchenwand.

Der Tisch war indessen abgeräumt worden. Gläser und Weinflaschen wurden auf einen zu dem Zweck hereingeschobenen Nebentisch gestellt. Die Offiziere setzten sich zu einer lustigen Färbelpartie zusammen.

Der Oberst trat an Swoyschin heran. „Möchten Sie nicht lieber nach Hause reiten?“ fragte er ihn. „Ihnen ist schlecht!“

„Ich glaube, ich bin auf dem besten Wege verrückt zu werden! Ich möchte wirklich gern fort,“ murmelte er, „und,“ setzte er hinzu, „ich wäre Ihnen wirklich dankbar dafür, wenn Sie mich begleiten wollten.“

Fast unbemerkt, nur von einem heimlichen Zwinkern freundschaftlichen Einverständnisses von seiten Bärenburgs gefolgt, machten sich die beiden Herren aus dem Staube. Bald sprengten sie nebeneinander durch die totenstille Stadt an dem kalten, nassen Erdgeruch und stechenden Centifolienduft der die Kirche umgebenden Gartenanlagen vorbei.

Als sie die Häuser hinter sich hatten, verlangsamten sie das Tempo. Von der Straße abbiegend, [24] trabten sie querfeldein über eine Wiese, in welche die Hufe der Pferde lautlos versanken. In seine Gedanken vertieft, blickte der Oberst weder nach rechts noch links, als sein Pferd plötzlich einen so heftigen Satz machte, daß es ihn fast aus dem Sattel hob.

Aufblickend merkte er, daß er sich mit Swoyschin neben dem Kirchhofe befand, auf dem sie Gina Ginori zum erstenmal gesehen hatten.

Swoyschin hatte sein Pferd angehalten. „Was haben Sie denn?“ fragte, seinem Beispiel folgend, der Oberst.

„Sehen Sie dort!“ Und Swoyschin streckte die Hand nach dem Kirchhof aus.

Es war gerade vier Wochen nach dem Tennisturnier. Der Mond stand hoch am Himmel, von leichtschillernden Wolken umzogen. Silberne Nebeldünste hingen in der feuchten Luft, zogen sich den Boden entlang, schlangen sich in phantastischen Windungen um die weißen Grabsteine und schwarzen Kreuze, um die Lebensbäume und Trauerweiden des Friedhofs.

Gespannt blinzelte der Oberst durch die feuchten, schillernden Schleier. Erst sah er nur etwas Weißes zwischen den lang herabhängenden Ästen der Trauerweiden schimmern, dann trat’s aus dem verhüllenden, fahlen Grün hervor. Das Blut erstarrte ihm in den Adern.

[25] Schmal und weiß, in einem langen Nachtkleid, schlich Gina Ginori mit geschlossenen Augen zwischen den Gräbern hin. Deutlich und dunkel traten ihre vollen Lippen aus ihrem bleichen, von schwerem schwarzen Haar umrahmten Gesicht.

Sie näherte sich dem Grab, auf dem sie damals gesessen, als Oberst und Adjutant sie zum erstenmal gesehen hatten. Sie kniete davor nieder und begann die Rasenfläche des Grabes zu streicheln. Dabei sang sie leise, halb wimmernd, die Melodie, die Swoyschin zum erstenmal im Traum von ihr gehört. Dann richtete sie sich auf, blieb einen Moment mit vorgeschobenem Kopf, wie von einer plötzlichen Gier gepackt, stehen, machte noch ein paar Schritte, worauf es schien, als ob die Erde unter ihr eingesunken sei; man sah nur noch ihren Oberkörper, dann auch den nicht mehr.

„Herr Gott,“ murmelte der Oberst, „sie ist in ein offenes Grab gekrochen.“

„Wir werden sie holen müssen, werden sie zurückführen müssen ins Schloß,“ ächzte Swoyschin, seine Zähne schlugen aneinander.

„Ist nicht mehr nötig, kommen Sie,“ rief der Oberst, und mit einem Satz brachte er sein Pferd hinter ein paar hohe, wilde Rosenbüsche, zwischen deren Geäst er beobachten konnte, was vorging, ohne vom Kirchhof aus gesehen zu werden.

[26] Eine zweite Gestalt war in den Kirchhof getreten, – Emma! Sie ging gerade auf das Grab zu. Ein kurzer, heftiger Widerstand, ein Kampf zwischen den beiden Schwestern, dann trug Emma die Jüngere wie ein Kind auf den Armen hinweg. Der Kirchhof war leer.

Die beiden Männer sahen einander an, als ob sie nachträglich an ihren Sinnen hätten zweifeln wollen. Aber die Pferde zitterten und bäumten sich unter ihnen, gebärdeten sich wie in Todesangst. Offenbar hatte sich der unheimliche Eindruck ihnen mitgeteilt. Schweigsam ritten sie nach Hause.

Zweimal unterwegs sprach der Oberst Swoyschin an, dieser hörte nicht, er machte den Eindruck, vollkommen betäubt zu sein. Es muß etwas geschehen, um ihn auf andre Gedanken zu bringen, sagte sich der Oberst, sonst geht der arme Teufel zu Grunde. Er hat ja unrecht gehabt, aber er ist fürchterlich gestraft.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Tschoperl; österr. für Dummerchen