St. Petersburg, die Alexandersäule

CXXXIII. Moskau, der Kreml Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band (1836) von Joseph Meyer
CXXXIV. St. Petersburg, die Alexandersäule
CXXXV. Nazareth
  Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
[Ξ]

DIE ALEXANDERSÄULE
in St Petersburg

[123]
CXXXIV. St. Petersburg, die Alexandersäule.




In dem Plane Peters des Großen, ein unermeßliches, asiatisch-rohes Reich umzuschaffen zu einem europäischen Staate, hat die neuere Weltgeschichte ihren Hauptmoment gefunden. Von ihm gingen viele der seitherigen wichtigsten Weltbegebenheiten aus; er ist eine Hauptursache in den Erscheinungen am politischen Himmel der Gegenwart, er steht da, wie eine furchtbarer Zauberer, dem Welttheile seine Zukunft weissagend. „Ihr offenes Buch ist Polens Schicksal“ meinen Viele. Wir hoffen doch, sie irren. –

In jenem Werke eines der größten Menschen der neueren Zeit bildet Petersburg den Grundstein. In dem Mittelpunkte des altrussischen Volkslebens, da, wo Alles das am tiefsten wurzelte und am üppigsten blühte, was auszurotten und zu entfernen er sich zur Aufgabe seines Daseyns gestellt hatte, konnte Peter nie einen Anhaltspunkt für seine Pläne finden, konnte die auszustreuende Reformsaat nie gedeihen. Moskau’s Wichtigkeit und Präponderanz, als Sitz und Mittelpunkt der Reichsmacht, mußte vor allen Dingen gebrochen werden. Für das Feuer der Kultur, das er, ein neuer Proteus, auf eigenen Händen aus der Ferne holte, bedurfte er einen neuen Herd, fern von den Altären, auf welchen das rohe Volk und seine egoistischen Lenker den Götzen der Barbarei opferten. In dieser Erkenntniß richtete er seinen Thron in Petersburg auf, an der äußersten Gränze des Reichs, und indem er die neue Hauptstadt am nämlichen Wasserbecken gründete, um welches mehrere der kulturreichsten Länder des Erdtheils liegen, versetzte er Rußland so zu sagen in den Kreis der civilisirten Staaten, noch ehe es selbst civilisirt war. Die Erbauung der Hauptstadt am baltischen Meere ist der eigentliche Schlüssel zu Peter’s ungeheuern Plänen und zur russischen Politik, die von den Mandatarien des großen Mannes, von seinen Nachfolgern, mit einer Konsequenz verfolgt wird, welche Bewunderung und Furcht zugleich einflößt.

Schon in sehr früher Zeit hatte Rußland Gebiet an der Ostsee besessen. Als Nowogorod groß und blühend war und die Vermittlerin für den ganzen Handel zwischen Rußland, Nordasien und der übrigen Welt, bildeten der finnische Meerbusen und die Newa den Kanal, auf welchem die Bedürfnisse an fremden Produkten in’s Land gelangten und durch den der Ueberfluß des Reichs an Naturerzeugnissen abströmte. In der Hansa-Zeit kamen und versegelten manchmal in einem Jahre über 6000 beladene Schiffe, und alle seefahrenden Nationen nahmen an diesem Verkehr Theil. Als aber, nach der Entdeckung Amerika’s und der ostindischen Fahrt um das Vorgebirge der [124] guten Hoffnung, der Welthandel überhaupt eine Umwälzung erlitt, gleichzeitig die gesellschaftlichen Zustände sich änderten, die Hansa verfiel, die Städte der preußischen und kurländischen Küste sich zu selbstständigen Märkten erhoben und Verkehrwege in’s Innere der slavischen Länder sich bahnten; als durch Krieg und Seuchen Reichthum und Bevölkerung aus Nowogorod flohen und der Handel mit ihnen; als endlich ganz Rußland dem Joche der Tartaren anheim fiel; so vertrocknete dieser einst so wichtige Handelskanal allmählich, und nachdem sich Schweden zum Herrn aller Ostseeküsten gemacht hatte, (im 17. Jahrhundert), hörte die Frequenz der Newamündung gänzlich auf. Die neuen Beherrscher errichteten an derselben eine Citadelle; nicht zur Beschützung des Handels, sondern zur Stütze ihrer Herrschaft.

Die Wiedergewinnung jenes Küstengebiets, welche ihm zur Ausführung seiner Civilisationsprojekte unentbehrlich erschien, war eine der ersten Anliegen Peter’s nach seiner Gelangung zur höchsten Macht. Der Preis schien ihm des Wagnisses wohl werth, dem damaligen mächtigsten Reiche des Nordens (Schweden) entgegen zu treten. Nach furchtbaren Kriegswechseln errang Peter’s Beharrlichkeit und Beständigkeit den Sieg und eine seiner frühesten Früchte war die Wiedereroberung Ingermannlands und desjenigen Theils von Finnland, welcher den Golf umgibt, der des Landes Namen trägt.

Peter hatte diesen Feldzug persönlich geleitet. Von der See aus untersuchte er die Mündung der Newa. Er fand sie umgeben von einem mit Gestrüpp und Wald bedeckten Morast, in dem Wölfe, Bären und Auerochsen hausten. Die rauhe Hand des Kriegs hatte alle frühere Spuren von Kultur und Bevölkerung gänzlich verwischt. Auf solcher Stelle, unter’m 60. Breitengrade, und während des Kriegs, sich eine Kaiserresidenz zu bauen, seinem unermeßlichen Reiche eine neue Hauptstadt, war wahrlich! ein kühner Gedanke, und es bedurfte eines Geistes, wie Peter’s, um vor der Schwierigkeit seiner Ausführung nicht zurückzubeben.

Zuerst galt es, im neueroberten Lande fest zu fußen; der Bau einer Festung war folglich sein erstes Beginnen.

Die Newa schickt, kurz vor ihrer Mündung, einen Theil ihrer Gewässer durch zwei Seitenarme in’s Meer und bildet dadurch ein Delta, etwa 2 Quadratmeilen groß. Jene Nebenarme umschließen ein schmales waldbewachsenes Eiland und dieß wurde von Peter zum Platz für die Citadelle gewählt. 1703 begann er das Werk und setzte es fort mit einem Feuereifer und einer Beharrlichkeit, welche der Welt Erstaunen abnöthigten.

Die Gegend war unbevölkert; einige verfallene Fischerhütten waren die einzigen Spuren menschlicher Wohnungen weit und breit. Die ersten Arbeiten leitete Peter persönlich, und seine Garden nebst einigen tausend kriegsgefangenen Schweden waren seine Gehülfen. Aber bald forderte der Zweck viel bedeutendere Mittel. Peter, ein unumschränkter Herr über Leben und Tod im Reiche, rief seine Unterthanen herbei aus den äußersten Fernen, und wie bei einer neuen Völkerwanderung so zogen die Arbeitsleute in zahlreichen Schaaren der Einöde zu, wo die künftige Kaiserstadt erstehen [125] sollte. Oft waren 120,000 Menschen zu gleicher Seit am Bau, die in zwanzig Zungen redeten. Man nannte das Unternehmen den neuen Thurmbau von Babel und prophezeihete ihm das Ende des alten. Aber Peter’s verständiger und energischer Wille führte das Chaos der Kräfte zu harmonischer Wirksamkeit. Im Herbste des ersten Baujahrs war schon die Citadelle (die nämliche, welche jetzt den Mittelpunkt der Hauptstadt einnimmt) fertig, und es erhoben sich nun die Gebäude der künftigen Stadt nach dem großartigsten Plane, der je ausgedacht worden, wie Werke des Zaubers mitten aus den finstern Morästen. Um die dabei thätige Armee von Handlangern und Arbeitern zu ernähren, bedurfte es großer Anstalten, und da ein Beischaffen der Lebensmittel nur zur See möglich war, so entstand, bei der Unsicherheit dieser Transportweise, mehrmals die schrecklichste Noth. Einmal raffte der Hungertod 12,000 Arbeiter in 8 Tagen hinweg. Seuchen, Rauheit des Klima’s und Entbehrungen aller Art forderten unaufhörlich Opfer und man schaudert, wenn man hört, daß der Verlust an Menschenleben beim Bau der Hauptstadt, während der Regierungsperiode Peter’s allein, die Zahl von 300,000 übersteigt. „Du pflanzest den Baum der Gesittung auf einem Kirchhofe“ bemerkte ihm einst seine Gemahlin. – „Um so schneller und größer wird er wachsen“ versetzte der Czaar.

Im Jahre 1707 zählte man bereits, außer den Regierungsgebäuden, 1500 Privatwohnungen in regelmäßigen Straßen, mehre tausend Blockhäuser ungerechnet, welche außerhalb der Stadtgemarkung standen. Diese letztern gehörten Ansiedlern aus den von allen Theilen des Reichs herbeigerufenen Arbeiterschwärmen, deren bleibende Niederlassung Peter durch Schenkungen von Baumaterial und Land freigebig begünstigte. Auch fremde Auswanderer nahm er mit offenen Armen auf, und durch Verleihung von Grundeigenthum, Befreiung von Steuern und Zugeständnissen von allerlei Vorrechten, ermunterte er Viele zur Hersiedelung in die neue Kaiserstadt. Besonders häufig kamen die Deutschen; auch Franzosen, Holländer und Schweden. So setzte sich die Bevölkerung Petersburgs und der Gegend aus allerlei Nationen zusammen; sie trug kein eigenthümliches, nationales Gepräge; aber die Elemente der Civilisation waren in reichlichem Maaße unter sie vertheilt und sie folglich ganz geeigenschaftet, zu werden, was sie, nach Peter’s Plan, werden sollte: eine Pflanzschule nämlich für die allmähliche Ausbreitung der Kultur und Gesittung durch das ganze Reich.

Um deren Wirksamkeit zu erhöhen, erließ Peter an dreihundert der vornehmsten Adelsfamilien, die in Moskau wohnten, den Befehl, sich in seiner jungen Hauptstadt anzusiedeln. Jede war genöthigt sich ein neues Haus zu bauen, und damit dieß nicht in altrussischem Geschmack geschähe, mußte man sich den Anordnungen der kaiserlichen Architekten unterwerfen. Anfangs war großer Mißmuth unter den Adeligen über diese despotische Maßregel; bald aber trat der Wetteifer an seine Stelle, sich einander in der Aufführung prächtiger Wohnungen zu übertreffen und Palläste erhoben sich schon damals, welche mit den kaiserlichen rivalisirten. Auch der Stand der Kaufleute und Fabrikanten stellte sein Kontingent zur Bevölkerung. Peter der Große rief 800 der angesehensten und begütertsten des [126] Reichs zur Ansiedelung nach Petersburg. Dem Luxus persönlich Feind, begünstigte er ihn doch bei seinem Adel geflissentlich, wohl berechnend, daß die dadurch geschaffenen Bedürfnisse den Handel beleben und Wohlstand unter den ärmern Klassen der Bevölkerung verbreiten würden. Durch alle diese Mittel nahm Petersburg, das wie durch Zauberkraft entstandene, schnell zu, und 22 Jahre nach seiner Gründung, als Peter starb, zählte es schon 4000 Häuser und nahe an 70,000 Bewohner. Freilich waren zwei Drittheile derselben Gesindel von Haus aus und die meisten behalfen sich mit kleinen, schlechten, hölzernen Häusern, zwischen denen die im italienischen und römischen Styl aufgeführten Paläste der Großen wie Riesen unter Zwergen sich ausnahmen. Die Straßen waren mit Holz gepflastert, die Kayen, nicht wie jetzt aus kolossalen Quadern, sondern aus Baumstämmen gebaut, und bis an die Ausgänge der Stadt reichte noch der Urwald, in welchem neugebaute Dörfer und Flecken, meistens Arbeiter-Kolonieen, wie Oasen in der Wüste, zerstreut lagen. So war Petersburg beschaffen bei dem Tode seines Gründers, welcher 1725 erfolgte. – Was hier, was durch das ganze Reich durch Peter den Großen geschehen, ist Alles, was die rastloseste Anstrengung eines thatkräftigen, genialen Menschen, der im Besitz unumschränkter Macht ist, vermochte. Seinen Nachfolgern hat er den leichtern Beruf hinterlassen, fortzusetzen, was er begonnen, und im Laufe der Zeiten allmählich zu vollenden.


Das heutige Petersburg ist fünfmal so groß als vor 110 Jahren es war, und die Zahl seiner Bevölkerung, welche in 11,000 Häusern wohnt, erreicht gegenwärtig eine halbe Million. Gemeinlich nennt man diese Hauptstadt die prächtigste des Welttheils. Der Ausdruck bezeichnet wenig. Prachtvoll ist Venedig, prachtvoll Paris, prachtvoll die Neustadt London’s: aber doch hat keine dieser Städte mit Petersburg irgend einen Vergleichungspunkt gemein. Man denke sich so Etwas, wie es der allmächtige Wille eines Alexander, oder eines Imperators aus den ersten zwei Jahrhunderten von Rom’s Kaiserepoche wohl hervorzaubern konnte: ein Alexandria der Vorzeit etwa, aber dieses in steifer, geistloser, eiskalter Kopie, unter des Nordens erstarrendem Himmelsstrich, und man hat von der Riesenstadt an der Newa ein nicht unähnlich Bild.

Aus jedem Gesichtszuge dieser Metropole spricht der despotische Wille eines Einzigen, auf dessen „Werde“ sie aus Morast und Sumpf sich so glanzvoll erhob. Nirgends eine Unregelmäßigkeit, eine Verlegung der harmonischen Einheit im Plane durch die Willkühr, oder den Eigensinn der Bauenden. Alle Straßen sind schnurgerade und mit fast thörigter Raumverschwendung angelegt, darum ungewöhnlich breit, und sie kreuzen sich in rechten Winkeln. Alle Gebäude haben einen lichten Anstrich, entweder weiß oder gelb, und kostbare Säulenfaçaden [127] zieren die meisten in den Hauptstraßen und geben Wohnungen, die ihrer innern Einrichtung nach nichts weniger als Palläste sind, den Schein von Pallästen. Sie sind aufgeführt nach griechischen und römischen Mustern; aber die tausend und aber tausend Verstöße gegen die Anmuth der Verhältnisse beweisen, daß die Architekten nicht verstanden, was sie gewollt. – Trotz dem sichtbaren Streben nach Mannichfaltigkeit tragen doch alle diese prächtig aussehenden Häuser etwas Barbarisch-Eintöniges an sich, welches gar bald ermüdet. Da die Stadt in einer vollkommenen Ebene liegt, folglich auch deren Terrain für das Malerische das allerungünstigste ist, so hat man gesucht, die Straßendurchsichten dadurch interessant zu machen, daß man den Blick auf irgend ein Bauwerk von reizender Form, auf die Säulenfaçade eines Palastes, oder einer Kirche, auf einen nobeln Portikus, oder einen schlanken Thurm, oder auf ein imposantes Denkmal hinleitete; aber das immer Wiederkehrende dieses Kunststücks verräth die Absicht, und das Absichtliche zerstört die ästhetische Wirkung. – Eine der schönsten Zierden der Hauptstadt sind die Kanäle, deren krystall-helle, grünlichen Gewässer nicht schnurgerade, wie in Holland, sondern in Schlangenwindungen mehre der Hauptstraßen durchziehen; aber der größte Schmuck ist die Newa selbst, ihr Hauptstrom, der in der majestätischen Breite von 1000 bis 1400 Fuß und so tief, daß mit der Fluth große Seeschiffe bis zu den Kayen in der Mitte der Stadt gelangen können, Petersburg in zwei fast gleiche Hälften theilt. Seine Ufer sind eingefaßt mit den herrlichsten Kayen der Welt, an denen Trottoirs hinlaufen von so gewaltiger Bauart, daß sie mehr für ein Gigantengeschlecht, als für die leichten kleinen Wesen gelegt zu seyn scheinen, welche auf ihnen wandeln. – Eine der längsten und prachtvollsten Straßen, die Newsky-Perspektive, hat eine eigenthümliche Zierde in zwei Reihen Bäumen, welche auf beiden Seiten längs den Häusern gepflanzt sind, die sie zur Hälfte verdecken.

Mancher wird denken, daß diese allgemeine Beschreibung doch nur von jenen Stadttheilen gelten könne, welche vorzugsweise Rang und Reichthum bewohnen. Mit nichten. Vergeblich sucht man in Petersburg jene Stadtviertel voll enger Gäßchen, Winkel und Höfe, wie sie andere Hauptstädte haben, in welche man nur einen Blick zu werfen braucht, um Elend, Armuth und Verworfenheit in allen Abstufungen vor’s Auge zu führen. Auch die geringsten Straßen sind dort breit und ohne Schmutz, die Häuser freundlich und stattlich mit allen äußern Zeichen des innern Wohlstandes. Kurz, die Illusion kann nicht vollkommener seyn. Nur hüte man sich, daraus auf die Wirklichkeit zu schließen. Dekorationen gewinnen nie beim Beschauen ihrer Rückseite.

Man könnte einwerfen, in dieser Beziehung theile Petersburg mit andern glänzenden Hauptstädten das nämliche Schicksal. Auch dort sey die Wirkung auf die Ferne berechnet, und bei einer schärfern Untersuchung verschwinde das Trugbild. Diese Bemerkung hält jedoch nicht immer Stich. London z. B. verliert nicht bei näherer Betrachtung. Es verbirgt sein Elend nicht; jeder, der es sehen mag, kann’s erschauen in seiner ganzen Tiefe. Aber wo [128] äußere Zeichen des Wohlstandes du dort gewahrst: tritt nahe und zehnmal mehr wirst du sehen, als jene verheißen. So groß die Masse des Elends dort auch sey, die des Glücks ist doch unendlich größer und hinter den beräucherten unansehnlichen Hausmauern der City thronen Comfort und Lebensgenuß bei unermeßlichem Reichthum viel häufiger als hinter den glänzenden Wänden der stolzen Palläste Berlins oder Petersburgs.

Auch Venedig verliert nicht bei näherer Betrachtung. Wir treten beklommen und mit pochendem Herzen in der alten Meerkönigin verfallene Palläste, und wenn wir die Bewohner hungerig und in Lumpen in den Ecken ihrer Marmorsäle kauern sehen, dann wird uns um so beklommener. Der Kontrast vergrößert nur die Wirkung. Wir betrachten Venedig als eine Sage der Vergangenheit, eine Stadt der Todten. Geschichte und Mythe hüllen dort alles in ihren grauen gespenstigen Schleier und entzünden Theilnahme, Ehrfurcht und Grausen zugleich in der Schauenden Seele.

Petersburg hingegen, die Stadt von heute und gestern, hat nichts, was die Theilnahme des gemüthlichen Menschen anregen könnte. – Sein Glanz blendet nur für den Augenblick, er ist ohne Würde; denn der Sklave hat keine und das Grandiose weckt dort Staunen, aber keine Ehrfurcht. – Auch zerstört die ungeheure Verschwendung des Raumes in der Größe der Plätze und der übermäßigen Breite der Straßen, gewissermaßen auf der einen Seite gerade das wieder, was sie bezwecken soll; denn die herrlichsten Palläste erscheinen klein und niedrig, die Menschenmenge verliert sich in diesen weiten Räumen, sie erscheinen immer volksarm, oft öde.

Betrachtet man aber Petersburg mit dem Auge des Denkers, so kömmt es einem vor wie die Hieroglyphe der weitaussehenden Pläne seines Gründers. Eroberung war die herrschende Leidenschaft der russischen Selbstherrscher von jeher, und beim Bau der neuen Kapitale dachten sie vielleicht eben so sehr an die Weltherrschaft, als an die über Rußland.


Wir brechen hier ab. Die allgemeine Beschreibung Petersburgs weiter auszuführen, dazu werden wir in einem spätern Artikel Veranlassung haben.

Der eigentliche Gegenstand unseres Bildes, die Alexandersäule, steht auf dem Admiralitätsplatz, dem Winterpalais des Kaisers gegenüber. Es ist ein großartiges Werk und das nobelste, was die neuere Zeit in seiner Art hervorbrachte. Es besteht aus einer Granit-Säule dorischer Ordnung, die auf einem Sockel desselben Gesteins ruht, der wiederum auf einer über den Boden hervorstehenden Grundmauer, welche breite Stufen verdecken, fußt. Die Säule schließt mit einem kuppelförmigen Kopfstück von vergoldeter Bronze, auf dessen Spitze eine kolossale Engelstatue desselben Metalls steht. Sie weist mit der Rechten gegen den Himmel und mit einem Kreuze in der Linken zerdrückt sie eine Schlange. An den Seiten des Piedestals befinden sich von Trophäen umgebene Basrelief-Darstellungen [129] des Ruhmes und des Friedens, der Gerechtigkeit und Milde, der Weisheit und des Ueberflusses mit den Jahrzahlen 1812, 1813, 1814. Das vierte Feld nach dem Winterpalais zu aber hat die Inschrift: „Alexander dem I. das dankbare Rußland.“ Die Höhe des ganzen Monuments bis zur Spitze des Kreuzes ist 154 Fuß: es ist also die höchste Säule der Welt. Ihr Schaft besteht aus einem einzigen Stück, mißt 36 Fuß im Umfang und 84 in der Höhe und wiegt über 12,000 Zentner. Der Bau des Denkmals kostet über 1 Million Thaler und 2 Jahre (1832-1834) waren nöthig zu seiner Vollendung.

Kaiser Nikolaus gedachte damit das Andenken seines Bruders, Alexanders, zu ehren. Hätte er mit dem Throne desselben auch sein Herz geerbt, er hätte den Steinblock ruhen lassen; aber jenes Monarchen schönstes Denkmal, an das ein verunglücktes Volk hoffend hinansah, das hätte er gepflegt und erhalten. Wir wollen nicht untersuchen, war es verschuldet, daß Polen jetzt die Gebeine seiner Söhne in allen Zonen bleichen sehen muß; daß der Abgrund so tief ist, in dem das Volk, zerschmettert, sich windet, daß alle Rettungsleitern zu kurz erscheinen und menschlicher Verstand an aller Hülfsmöglichkeit verzweifelt: aber so weit wäre es nie gekommen unter dem Fürsten, den diese Denksäule feiert!