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sollte. Oft waren 120,000 Menschen zu gleicher Seit am Bau, die in zwanzig Zungen redeten. Man nannte das Unternehmen den neuen Thurmbau von Babel und prophezeihete ihm das Ende des alten. Aber Peter’s verständiger und energischer Wille führte das Chaos der Kräfte zu harmonischer Wirksamkeit. Im Herbste des ersten Baujahrs war schon die Citadelle (die nämliche, welche jetzt den Mittelpunkt der Hauptstadt einnimmt) fertig, und es erhoben sich nun die Gebäude der künftigen Stadt nach dem großartigsten Plane, der je ausgedacht worden, wie Werke des Zaubers mitten aus den finstern Morästen. Um die dabei thätige Armee von Handlangern und Arbeitern zu ernähren, bedurfte es großer Anstalten, und da ein Beischaffen der Lebensmittel nur zur See möglich war, so entstand, bei der Unsicherheit dieser Transportweise, mehrmals die schrecklichste Noth. Einmal raffte der Hungertod 12,000 Arbeiter in 8 Tagen hinweg. Seuchen, Rauheit des Klima’s und Entbehrungen aller Art forderten unaufhörlich Opfer und man schaudert, wenn man hört, daß der Verlust an Menschenleben beim Bau der Hauptstadt, während der Regierungsperiode Peter’s allein, die Zahl von 300,000 übersteigt. „Du pflanzest den Baum der Gesittung auf einem Kirchhofe“ bemerkte ihm einst seine Gemahlin. – „Um so schneller und größer wird er wachsen“ versetzte der Czaar.

Im Jahre 1707 zählte man bereits, außer den Regierungsgebäuden, 1500 Privatwohnungen in regelmäßigen Straßen, mehre tausend Blockhäuser ungerechnet, welche außerhalb der Stadtgemarkung standen. Diese letztern gehörten Ansiedlern aus den von allen Theilen des Reichs herbeigerufenen Arbeiterschwärmen, deren bleibende Niederlassung Peter durch Schenkungen von Baumaterial und Land freigebig begünstigte. Auch fremde Auswanderer nahm er mit offenen Armen auf, und durch Verleihung von Grundeigenthum, Befreiung von Steuern und Zugeständnissen von allerlei Vorrechten, ermunterte er Viele zur Hersiedelung in die neue Kaiserstadt. Besonders häufig kamen die Deutschen; auch Franzosen, Holländer und Schweden. So setzte sich die Bevölkerung Petersburgs und der Gegend aus allerlei Nationen zusammen; sie trug kein eigenthümliches, nationales Gepräge; aber die Elemente der Civilisation waren in reichlichem Maaße unter sie vertheilt und sie folglich ganz geeigenschaftet, zu werden, was sie, nach Peter’s Plan, werden sollte: eine Pflanzschule nämlich für die allmähliche Ausbreitung der Kultur und Gesittung durch das ganze Reich.

Um deren Wirksamkeit zu erhöhen, erließ Peter an dreihundert der vornehmsten Adelsfamilien, die in Moskau wohnten, den Befehl, sich in seiner jungen Hauptstadt anzusiedeln. Jede war genöthigt sich ein neues Haus zu bauen, und damit dieß nicht in altrussischem Geschmack geschähe, mußte man sich den Anordnungen der kaiserlichen Architekten unterwerfen. Anfangs war großer Mißmuth unter den Adeligen über diese despotische Maßregel; bald aber trat der Wetteifer an seine Stelle, sich einander in der Aufführung prächtiger Wohnungen zu übertreffen und Palläste erhoben sich schon damals, welche mit den kaiserlichen rivalisirten. Auch der Stand der Kaufleute und Fabrikanten stellte sein Kontingent zur Bevölkerung. Peter der Große rief 800 der angesehensten und begütertsten des