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CXXXIV. St. Petersburg, die Alexandersäule.




In dem Plane Peters des Großen, ein unermeßliches, asiatisch-rohes Reich umzuschaffen zu einem europäischen Staate, hat die neuere Weltgeschichte ihren Hauptmoment gefunden. Von ihm gingen viele der seitherigen wichtigsten Weltbegebenheiten aus; er ist eine Hauptursache in den Erscheinungen am politischen Himmel der Gegenwart, er steht da, wie eine furchtbarer Zauberer, dem Welttheile seine Zukunft weissagend. „Ihr offenes Buch ist Polens Schicksal“ meinen Viele. Wir hoffen doch, sie irren. –

In jenem Werke eines der größten Menschen der neueren Zeit bildet Petersburg den Grundstein. In dem Mittelpunkte des altrussischen Volkslebens, da, wo Alles das am tiefsten wurzelte und am üppigsten blühte, was auszurotten und zu entfernen er sich zur Aufgabe seines Daseyns gestellt hatte, konnte Peter nie einen Anhaltspunkt für seine Pläne finden, konnte die auszustreuende Reformsaat nie gedeihen. Moskau’s Wichtigkeit und Präponderanz, als Sitz und Mittelpunkt der Reichsmacht, mußte vor allen Dingen gebrochen werden. Für das Feuer der Kultur, das er, ein neuer Proteus, auf eigenen Händen aus der Ferne holte, bedurfte er einen neuen Herd, fern von den Altären, auf welchen das rohe Volk und seine egoistischen Lenker den Götzen der Barbarei opferten. In dieser Erkenntniß richtete er seinen Thron in Petersburg auf, an der äußersten Gränze des Reichs, und indem er die neue Hauptstadt am nämlichen Wasserbecken gründete, um welches mehrere der kulturreichsten Länder des Erdtheils liegen, versetzte er Rußland so zu sagen in den Kreis der civilisirten Staaten, noch ehe es selbst civilisirt war. Die Erbauung der Hauptstadt am baltischen Meere ist der eigentliche Schlüssel zu Peter’s ungeheuern Plänen und zur russischen Politik, die von den Mandatarien des großen Mannes, von seinen Nachfolgern, mit einer Konsequenz verfolgt wird, welche Bewunderung und Furcht zugleich einflößt.

Schon in sehr früher Zeit hatte Rußland Gebiet an der Ostsee besessen. Als Nowogorod groß und blühend war und die Vermittlerin für den ganzen Handel zwischen Rußland, Nordasien und der übrigen Welt, bildeten der finnische Meerbusen und die Newa den Kanal, auf welchem die Bedürfnisse an fremden Produkten in’s Land gelangten und durch den der Ueberfluß des Reichs an Naturerzeugnissen abströmte. In der Hansa-Zeit kamen und versegelten manchmal in einem Jahre über 6000 beladene Schiffe, und alle seefahrenden Nationen nahmen an diesem Verkehr Theil. Als aber, nach der Entdeckung Amerika’s und der ostindischen Fahrt um das Vorgebirge der