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Reichs zur Ansiedelung nach Petersburg. Dem Luxus persönlich Feind, begünstigte er ihn doch bei seinem Adel geflissentlich, wohl berechnend, daß die dadurch geschaffenen Bedürfnisse den Handel beleben und Wohlstand unter den ärmern Klassen der Bevölkerung verbreiten würden. Durch alle diese Mittel nahm Petersburg, das wie durch Zauberkraft entstandene, schnell zu, und 22 Jahre nach seiner Gründung, als Peter starb, zählte es schon 4000 Häuser und nahe an 70,000 Bewohner. Freilich waren zwei Drittheile derselben Gesindel von Haus aus und die meisten behalfen sich mit kleinen, schlechten, hölzernen Häusern, zwischen denen die im italienischen und römischen Styl aufgeführten Paläste der Großen wie Riesen unter Zwergen sich ausnahmen. Die Straßen waren mit Holz gepflastert, die Kayen, nicht wie jetzt aus kolossalen Quadern, sondern aus Baumstämmen gebaut, und bis an die Ausgänge der Stadt reichte noch der Urwald, in welchem neugebaute Dörfer und Flecken, meistens Arbeiter-Kolonieen, wie Oasen in der Wüste, zerstreut lagen. So war Petersburg beschaffen bei dem Tode seines Gründers, welcher 1725 erfolgte. – Was hier, was durch das ganze Reich durch Peter den Großen geschehen, ist Alles, was die rastloseste Anstrengung eines thatkräftigen, genialen Menschen, der im Besitz unumschränkter Macht ist, vermochte. Seinen Nachfolgern hat er den leichtern Beruf hinterlassen, fortzusetzen, was er begonnen, und im Laufe der Zeiten allmählich zu vollenden.


Das heutige Petersburg ist fünfmal so groß als vor 110 Jahren es war, und die Zahl seiner Bevölkerung, welche in 11,000 Häusern wohnt, erreicht gegenwärtig eine halbe Million. Gemeinlich nennt man diese Hauptstadt die prächtigste des Welttheils. Der Ausdruck bezeichnet wenig. Prachtvoll ist Venedig, prachtvoll Paris, prachtvoll die Neustadt London’s: aber doch hat keine dieser Städte mit Petersburg irgend einen Vergleichungspunkt gemein. Man denke sich so Etwas, wie es der allmächtige Wille eines Alexander, oder eines Imperators aus den ersten zwei Jahrhunderten von Rom’s Kaiserepoche wohl hervorzaubern konnte: ein Alexandria der Vorzeit etwa, aber dieses in steifer, geistloser, eiskalter Kopie, unter des Nordens erstarrendem Himmelsstrich, und man hat von der Riesenstadt an der Newa ein nicht unähnlich Bild.

Aus jedem Gesichtszuge dieser Metropole spricht der despotische Wille eines Einzigen, auf dessen „Werde“ sie aus Morast und Sumpf sich so glanzvoll erhob. Nirgends eine Unregelmäßigkeit, eine Verletzung der harmonischen Einheit im Plane durch die Willkühr, oder den Eigensinn der Bauenden. Alle Straßen sind schnurgerade und mit fast thörigter Raumverschwendung angelegt, darum ungewöhnlich breit, und sie kreuzen sich in rechten Winkeln. Alle Gebäude haben einen lichten Anstrich, entweder weiß oder gelb, und kostbare Säulenfaçaden