Nazareth (Meyer’s Universum)

CXXXIV. St. Petersburg, die Alexandersäule Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band (1836) von Joseph Meyer
CXXXV. Nazareth
CXXXVI. Arimathia
  Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
[Ξ]

NAZARETH

[129]
CXXXV. Nazareth.




     Hier ward zuerst das Zeichen aufgerichtet,
Das allem Volk zu Trost und Hoffnung steht;
     Zu dem viel Tausend Geister sich verpflichtet,
Zu dem viel Tausend Herzen warm gefleht;
     Das die Gewalt des bittern Tod’s vernichtet,
Das von so mancher Siegesfahne weht.
     Ein Schau'r durchdringt des wilden Kriegers Glieder,
     Er sieht das Kreuz, und legt die Waffen nieder.


Wenn der christliche Pilger, von Jerusalem herkommend, die Ebene von Jesreel durchwandert hat, bringt ihn ein beschwerlicher Pfad in das Gebirgsland Galiläa’s. Drei Stunden lang führt sein Weg bald steile Bergrücken hinan, [130] bald hinab in sonnige, lachende Thäler, oder in tiefe Schluchten, auf deren Boden klare Bergwasser rauschen, über welche schwankende Stege leiten. Die schöne und in den Gründen sehr fruchtbare Gegend ist doch wenig bevölkert. Selten begegnet der Wanderer einer einsamen Hütte, der ärmlichen Wohnung eines Hirten; oder einer Heerde weidender Ziegen, die ein Bewaffneter hütet; zuweilen aber erschreckt ihn ein Trupp Araber und Drusen, der, wilden Ansehens, auf flüchtigen Rossen an ihm vorüber eilt. – Also gelangt er zu einem Plateau, das ein dichter Wald majestätischer Platanen bedeckt. Durch seinen ernsten Schatten windet sich der Weg und nach einer halbstündigen Dauer führt ihn derselbe an den Rand einer schroffen Bergwand. Ein fast kesselförmiges Thal, von einem Bach durchschlängelt, breitet in der Tiefe sich aus und an der entgegengesetzten Seite desselben, von schroffen, hohen Steinwänden beschattet, bemerkt er ein kleines Dörfchen, mit Moschee und Minaret, daneben aber die hohen Mauern zweier Klöster, mehr verfallenen Kastellen, als Gotteshäusern ähnlich. Bei diesem Anblick sinkt, von Schauer der Rührung und Ehrfurcht ergriffen, der Pilger in den Staub und betet; denn vor sich sieht er eines der heiligsten Ziele seiner Wallfahrt. Nazareth ist’s, des Heilandes irdische Heimath.

Und welcher Christ könnte, kleines Nazareth! dein Bild ohne Rührung betrachten? Waren diese unansehnlichen, verachteten Mauern es nicht, aus denen die größte geistige Revolution hervorging, die je die Erde und mehr als einen Welttheil traf? Ward nicht in einer deiner niedrigsten Hütten der Messias des Menschengeschlechts erzogen? jener Mann aus dem untersten Volke, dessen göttlicher Geist über alle irdische Hoheit erhaben, alle Hoffnungen und Wünsche und Weissagungen der Propheten zur Aufrichtung eines idealischen Reichs verwirklichte? Er stiftete nicht ein jüdisches Herrscherreich; sondern ein Reich der Wahrheit, des Rechts und der Freiheit, das nicht einem Volke, sondern allen Völkern der Welt werden sollte. –

Nazareth hat gegenwärtig etwa 900 Einwohner, und Armuth scheint seit den Zeiten des Erlösers ihr väterliches Erbtheil. Christen und Mahomedaner wohnen hier verträglich bei einander; aber kein Jude darf den geweiheten Ort betreten. Die Häuser sind klein, der Ausdruck der Dürftigkeit; die Gassen eng und im höchsten Grade unreinlich; aber die Umgebungen des Orts sind äußerst anmuthig und fast jeder Einwohner hat ein kleines Gärtchen, in dem köstliches Gemüse gedeihet, vortreffliche Trauben und Feigen reifen und die persische Rose in den höchsten Farben glüht. Obstbäume schatten über die blühenden Hecken, und an den sonnigsten, geschütztesten Stellen kommt die Palme fort und breitet auf hohem schlanken Stamm ihre Fächerkrone aus. Fünfzehn verschiedene Berggipfel erheben sich über das fruchtbare Thal, und gern überläßt man sich dem Gedanken, daß in dieser heimlichen Landschaft, voll ernster Pfade und traulicher, stiller Gründe, der erste Ahnungsstrahl einer gebenedeiten Sendung in des Heilands junger Seele gezuckt, daß hier dem denkenden Knaben und Jünglinge die hohen Vorsätze zuerst keimten und reiften, welche er als Mann zum Heile der Menschheit und [131] der Welt so glorreich in Ausführung brachte. Hier erglühte des Jünglings Herz für Darbringung auch der größten Opfer, hier schwebte sein Geist zu den himmlischen Höhen auf, in welchen er sein Ideal fest baute, das unerschütterlich durch alle Zeiten steht. In diesem heimlichen Thale dachte er der Möglichkeit einer seligern Zukunft des Menschengeschlechts nach, und in dem Wonnebecher dieses Gedankens fand er den freudigen Muth der Liebe, welcher ihn nie verließ und den höchsten Triumph feierte unter den Martern am Kreuze. –

Schon in den ersten Jahrhunderten des Christenthums war Nazareth den Frommen ein geweiheter Aufenthalt, und schon zu Constantin’s Zeit war hier eine christliche Kirche und eine kleine Gemeinde von Gläubigen. Später, als Wallfahrten nach den heiligen Oertern aufkamen, sammelten sich aus den Opfern und Schenkungen herwandernder Pilger die Mittel zum Bau eines der größten Klöster des Orients; Franziskaner bezogen es und zur Zeit der Kreuzzüge hatte es über hundert bewohnte Zellen. Jetzt sind die Außengebäude großentheils verfallen; aber die erhaltenen, welche gegenwärtig 12 Väter bewohnen, meistens Spanier und Franzosen, sind bequem eingerichtet und noch immer geräumig genug, um einer großen Zahl von Pilgern ein anständiges Unterkommen zu geben. Die Kirche des Klosters, – die Kirche der Fleischwerdung Christi – ist in der Form des Kreuzes erbaut, schön verziert und mit kostbarer Mosaik getäfelt. Sie bedeckt das Gemäuer, welches man als Ueberbleibsel des Hauses angibt, das Maria und Joseph einst bewohnten. Diese merkwürdige Ruine ist ein Gewölbe von etwa 20 Fuß Länge und 8 Fuß Breite. Steinerne Pfeiler trennen es in 3 Abtheilungen, von denen die eine die Wohnstube, eine andere die Schlafkammer, die dritte, heiligste endlich, die Kammer der Verkündigung heißt. – Auch zeigt man im Kloster den Gläubigen die Küche der Maria, den Gemüsgarten Josephs, und dessen Werkstätte, jetzt eine Kapelle. Doch der Glaube an diese Angaben, deren Wahrheit wohl nicht mit Unrecht bestritten wird, ist tief gesunken, und die Wundergeschichten, welche die den Beschauer begleitenden Geistlichen vernehmen lassen, schmecken zu sehr nach Mönchs- und Pfaffentrug, um Andere, als die Dummgläubigen zu täuschen.

Dem Franziskanerkloster gegenüber steht ein zweites, von maronitischen Mönchen bewohnt. Auch sie zeigen unter ihrem Dache viele durch das Jugendleben des Heilandes geweihte, sogenannte heilige Orte, deren Aufzählung und Beschreibung ich unterlasse. –