Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
fertig  
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Angehörige eines Hofamtes
Band IV,1 (1900) S. 220222
A cognitionibus in Wikidata
Bildergalerie im Original
Register IV,1 Alle Register
Linkvorlage für WP   
* {{RE|IV,1|220|222|a cognitionibus|[[REAutor]]|RE:a cognitionibus}}        

a cognitionibus. Mit diesem Beisatze wurden in den ersten drei Jahrhunderten der Kaiserzeit die Angehörigen jenes Hofamtes bezeichnet, welches den Kaiser in der Ausübung seiner ausserordentlichen Gerichtsbarkeit (cognitio) zu unterstützen hatte. Bis etwa zur Zeit des Septimius Severus waren die einfach a cognitionibus benannten Amtsleiter kaiserliche Freigelassene; vgl. CIL VI 8628 (= Dessau 1679). 8629. 8630 (sämtlich Libertini des flavischen Hauses). 8632 (nicht vor 161). 8633; Suppl. Ital. I 179; desgleichen die Hülfsbeamten, welche CIL VI 8634 (Ti. Claudi Aug. lib. Aviti imbitatoris et T. Aeli Aug. lib. Thedoti adiutoris a cognit(ionibus)) erwähnt werden und, wie Cuq 89ff. gegen Hirschfeld 275f., 10 nachweist, Freigelassene des claudischen Hauses sind, sowie der adiut(or) a cognitionibus in CIL VIII Suppl. 12613 (= Dessau 1680). Ein Sclave begegnet in letzterer Stellung CIL VI 8635 (= Dessau 1681): Delicatus Aug(ustorum duorum) adiut(or) a cognitionib(us) domnicis, obiit in expeditione Germanica (im 19. Lebensjahre), wohl aus der Zeit des M. Aurel und Verus. Untergeordnete Dienste versah jedenfalls auch der CIL VI 8631 (nicht vor Hadrian) genannte Ca[esaris] vern(a) a cogni[tionibus], verstorben im Alter von 18 Jahren. Als solcher Hülfssclave wird auch bei Senec. apocol. 15 Claudius, dessen Lieblingsbeschäftigung im Leben das Rechtsprechen gewesen war, dem Freigelassenen des Aeacus Menander zugeteilt, ut a cognitionibus esset, wobei Aeacus als die cognitio in der Unterwelt ausübend, Menander als sein Bureauvorstand a cognitionibus gedacht ist (vgl. Mommsen 965, 2. Karlowa 545, 6; anders Hirschfeld 208, 4).

Seit Septimius Severus, also spät im Vergleich zu den ungleich angeseheneren und einflussreicheren Chefs a libellis und ab epistulis, waren die Amtsvorsteher a cognitionibus römische Ritter (vgl. auch Dio LII 33, 5 ἐκ τῶν ἱππέων) mit dem Titel eines vir perfectissimus, im Range vor den kaiserlichen Procuratoren: vgl. CIL II 1085 aus severischer Zeit. VIII 9360 (nach 209/211). VIII 9002 T. Fl(avio) Sereno [a co]gnitionib[us Aug(usti)] utrubique p[raesi]di optimo pa[trono], wo Cuq 133 utrubique auf die Dienstleistung bei zwei mit einander regierenden Augusti deutet, während Mommsen a. a. O. dasselbe wohl richtig zu p[raesi]di optimo zieht. Ein ehemaliger Sclave, aber sicher mit dem Ritterringe begabt, ist der später inter praetorios adlegierte Marcius Agrippa (Prosopogr. II 335f. nr. 158) unter Caracalla, nach Dio LXXVIII 13, 4 τάς τε διαγνώσεις αὐτοῦ καὶ τὰς ἐπιστολὰς διοικήσας.

Das kaiserliche Bureau a cognitionibus wurde wohl kaum, wie Hirschfeld 208 und nach ihm andere (Cuq 127. Thédenat 1285) annehmen, erst von Claudius, in dessen Zeit es zuerst bei Seneca und in CIL VI 8634 (s. o.) erwähnt wird, eingerichtet; nach Mommsen a. a. O. ist es wohl so alt wie das Kaisergericht selbst. Dio LII 33, 5 lässt den Maecenas im Anschluss an die Fälle, die vor den Staatsrat gebracht werden [221] sollten, dem Augustus den Rat erteilen, für die cognitiones (πρὸς τὰς δίκας) wie für die epistulae, libelli und die memoria eigene Beamte, allerdings ritterlichen Standes (συνεργούς τέ τινας καὶ ὑπηρέτας) sich beizugeben (vgl. Hirschfeld 210, 1). Da das Kaisergericht nicht an Rom gebunden war (Mommsen St.-R. II³ 966), folgte zwar nicht das Consilium, wohl aber das Bureau a cognitionibus dem Kaiser in der Regel auf länger dauernden Reisen; dies zeigt CIL VI 8635 (s. o.) und die Episode des Heliodoros bei Philostrat. vit. soph. II 32, die sich in Gallien im Lager ereignet (Hirschfeld 210, 1. Cuq 115). Die von Friedländer Sittengesch. I⁶ 189f. angenommene zeitweilige Vereinigung mit der Function ab epistulis bei dem Rhetor Cornelianus und Marcius Agrippa (s. o.) ist keineswegs sicher. Über ersteren vgl. das unten Gesagte; bei letzterem denken Mommsen und Hirschfeld 209, 1 mit ebensoviel Recht an eine successive Bekleidung der Ämter.

Sehr strittig ist die Competenz dieses Hofamtes. Nach Hirschfeld 209f. hatte der Beamte a c. wahrscheinlich ,das Referat aus den Acten dem Kaiser vorzutragen, um demselben alle nötigen Informationen zu verschaffen; seit Einsetzung des Staatsrates mag sich jedoch seine Thätigkeit auf diejenigen Fälle beschränkt haben, die ohne Zuziehung des Consiliums vom Kaiser entschieden wurden‘. Ähnlich Karlowa 545, der jedoch den Beirat des a c. auf Civilprocesssachen eingeschränkt wissen will; vgl. auch Mispoulet 281. Nach Cuq 124. 126f. hat dagegen der Beamte a c. als Leiter der Vorerhebungen (commissaire enquêteur) bei der cognitio fungiert. Die letztere Auffassung scheint mir schon aus dem Grunde zurückzuweisen, weil seine Function durchaus an das Hoflager gebunden erscheint, während die kaiserliche cognitio eine örtlich unbeschränkte Competenz hatte. Die Instruction des Processes erfolgte vielmehr auch hier durch den Richter, d. i. den Kaiser selbst, und zwar entweder auf Grund mündlicher Vernehmung oder erforderlichenfalls protokollierter Zeugenaussagen, welche die Magistrate in den Provinzen aufzunehmen berufen waren. Überhaupt war das anfänglich mit Freigelassenen besetzte Amt a c., so bedeutend sein factischer Einfluss sein mochte, kaum berechtigt, irgendwie meritorisch in die kaiserliche Rechtspflege einzugreifen. Seine Thätigkeit wird lediglich die eines gerichtlichen Hülfsamtes gewesen sein, welches, ähnlich der bei Lukian apolog. 12 geschilderten Function beim praefectus Aegypti (Hirschfeld 209, 3; anders Cuq 95f.), nur die äusseren Veranstaltungen für die Ausübung der Rechtspflege zu treffen hatte. Der Functionär a c. nimmt die eingereichten Klagen entgegen und stellt (wahrscheinlich auf Grund der Priorität) die Reihenfolge derselben für die Verhandlungen fest (vgl. Lukian a. a. O.); er teilt den Parteien die processleitenden Verfügungen des Kaisers mit, (Philostr. vit. soph. II 30 von Caracalla: κελεύει τὸν ἐπιτεταγμένον ταῖς δίκαις προειπεῖν οἱ τὸ μὴ δι’ ἑτέρου, δι’ ἑαυτοῦ δὲ ἀγωνίσασθαι). Eines seiner Organe (vielleicht der CIL VI 8634 genannte invitator) hat die Streitteile vorzuladen und erforderlichenfalls mit Gewaltanwendung vor Gericht zu bringen; eben [222] derselbe besorgt bei der Verhandlung den Aufruf der Sache (Philostrat. a. a. O. II 32: ὁ τὰς δίκας ἐσκαλῶν ... παρήγαγεν αὐτὸν εἰς τὰ δικαστήρια ἄκοντα; vgl. vita Apoll. VII 29. 31 und Hirschfeld 209f., 3). Der Beamte a c. leitet ferner die Protokollführung (Lukian a. a. O.); zum Zwecke derselben und sonstiger schriftlicher Ausfertigungen sind ihm Schreiber (γραμματεὺς vita Apoll. a. a. O.) beigegeben. Er fertigt ferner das Urteil aus und übergiebt dasselbe samt den Acten der Registratur (commentarii; vgl. Lukian). Dagegen hat die schriftliche Hinausgabe der kaiserlichen Urteile an Ortsabwesende vielleicht durch das Bureau ab epistulis stattgefunden; vgl. Phryn. epit. p. 379 ed. Lobeck, von dem das Amt ab epistulis graecis versehenden Rhetor Cornelianus: ἐξελληνίζων καὶ ἀττικίζων τὸ βασιλικὸν δικαστήγριον (a. M. Friedländer a. a. O. I6 188f. Cuq 114). Ob sich diese Thätigkeit nur auf die Civilprocesse, oder, was im vorhinein wahrscheinlicher ist, auch auf Criminalsachen erstreckte, lässt sich aus der unzulänglichen Überlieferung kaum entscheiden; jedenfalls war es dabei ganz irrelevant, ob das Consilium zugezogen wurde oder nicht.

In der diocletianischen Ordnung wurde aus dem ritterlichen a c. ein magister sacrarum cognitionum (CIL V 8972; vgl. Cuq 77f.) mit dem Titel eines vir perfectissimus. Späterhin wurde, vermutlich weil die Zahl der in erster Instanz vor dem Kaiser verhandelten Processe abnahm (Cuq 138), das Ressort a cognitionibus mit dem vielfach juristisch thätigen Bittschriftenamte vereinigt; vgl. CIL VI 510 vom J. 376: magister libellor(um) et cognition(um) sacrarum. Not. dign. or. 19, 10ff. (occ. 17, 13): magister libellorum cognitiones et preces tractat. Dig. proem. § 9 (vgl. Hirschfeld 208, 3. Cuq 78). Seitdem hatte der magister libellorum mit seinem Amtspersonal die kaiserlichen Entscheidungen vorzubereiten, sowie bei den Processen vor dem Kaiser, bezw. dem von ihm ernannten Delegierten (cognoscens vice sacra) eine Hülfsthätigkeit zu entfalten (Cod. Iust. III 24, 3 pr. VII 62, 32 § 4. Nov. 20, 9. Karlowa 835).

Litteratur: Hirschfeld Verw.-Gesch. I 208ff. Mispoulet Les institutions politiques des Romains I 279ff. Madvig Verf. u. Verw. I 559f. Ed. Cuq De quelques inscriptions relatives à l’administration de Dioclétien (Bibliothèque des écoles franç. d’Athènes et de Rome XXI), Paris 1881. 75ff. Karlowa Röm. Rechtsgesch. I 545. 835. Mommsen St.-R. II³ 965, 2. H. Thédenat in Daremberg-Saglio Dict. I 1285ff. Ruggiero Diz. epigr. II 320f.