Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Drusus, M. cos. 112 v. Chr.
Band XIII,1 (1926) S. 856859
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17) M. Livius Drusus war Sohn des Gaius Nr. 14 (Cic. Brut. 109. Elogium seines Sohnes Nr. 18: M. f. C. n.) und gehörte durch seine Herkunft zu der Partei, die unter Führung der Scipionen den Ti. Gracchus bekämpft hatte; daraus erklärt sich seine eigene Stellung gegen C. Gracchus. Cicero fin. IV 66 bezeichnet ihn als fere aequalis mit diesem, dessen Geburtsjahr 600 = 154 ist; wahrscheinlich war Drusus ein paar Jahre älter. Seine Wahl zum Volkstribunen erfolgte für 632 = 122 gleichzeitig mit der des C. Gracchus zum zweiten Tribunat und war von vornherein gegen diesen gerichtet. Denn er war, wie Plut. C. Gracch. 8, 5 (s. u.) bei dieser seiner ersten Einführung mit Recht sagt, nach Abkunft und Bildung einem jeden ebenbürtig, durch Charakter, Beredsamkeit und Reichtum einer der angesehensten und einflußreichsten Männer seiner Zeit. Daß sein Gegensatz zu Gracchus nicht nur ein politischer, sondern auch ein persönlicher war, beweist sein Vorwurf gegen dessen Prunkliebe (Plut. Ti. Gr. 2, 4 vgl. Bd. II A S. 1390), der später wohl seinem eigenen Sohne von politischen Gegnern zurückgegeben wurde (Plin. n. h. XXXIII 141). Es ist in diesem Zusammenhange beachtenswert, daß die Frau des Drusus eine Cornelia war (Sen. ad Marc. 16, 4; o. Bd. IV S. 1595 Nr. 409 mit Unrecht angezweifelt; vgl. vielmehr Röm. Adelsparteien 399. 403f.); wenngleich es bei der weiten Verzweigung des Cornelischen Geschlechts aussichtslos ist, eine Vermutung über Cornelias Zugehörigkeit zu einem bestimmten Zweige aufzustellen, so ist es immerhin möglich, daß Drusus durch Verschwägerung ganz in die Interessen der Scipionen hineingezogen war. Er brauchte also nicht erst, wie es Plut. C. Gracch. 8, 6 ausschmückend darstellt, nach der Wahl zum Tribunen für die Sache der Nobilität gewonnen zu [857] werden. Zur Bekämpfung des auf der Höhe seiner Macht stehenden Gracchus bediente er sich weder der Intercession, noch des gewaltsamen Widerstandes, sondern unternahm es, ihn durch volksfreundliche Anträge zu überbieten und so aus der Gunst der Massen zu verdrängen (Plut. a. O. Appian. bell. civ. I 101). Seine wichtigsten Gesetzvorschläge waren folgende: Anlage von nicht weniger als zwölf römischen Bürgerkolonien zu je 3000 Kolonisten (Plut. a. O. 9, 3. Appian.), und zwar offenbar in Italien und Sizilien, worauf später sein Sohn zurückgriff (Appian. a. O. 156; doch vgl. die in der Lex agraria von 643 = 111 angeführte Lex Livia o. Nr. 2); Abschaffung der von den Gracchen den neubeliehenen Grundbesitzern auferlegten Abgabe (Plut. 9, 4); Aufhebung der Prügelstrafe für die Latiner im Heere (Plut. 9, 5; vgl. dazu Hirschfeld Kl. Schr. 300, 5). Bei dem ersten und wichtigsten dieser Anträge (vgl. auch Nr. 18) war die praktische Durchführbarkeit höchst fragwürdig, da schon die lange nicht so weitgehende Gracchische Agrarreform allenthalben auf Schwierigkeiten stieß. Aber Drusus berief sich darauf, daß er seine Vorschläge mit vollster Genehmigung des Senats und der Nobilität einbrachte, und wußte dadurch das Volk mit diesen auszusöhnen (Plut. 9, 1f. 6f.). Besonders angenehm berührte es in weiten Kreisen, daß er im Unterschied von dem vielgeschäftigen Gracchus, der die gesamte Ausführung seiner Neuerungen selbst in die Hand nahm, mit seiner eigenen Person ganz hinter der Sache zurücktrat und an keiner der für seine Neuerungen bestellten Kommissionen teilnahm (Plut. 10, 1), Die längere Zeit dauernde Abwesenheit des Gracchus von Rom und die Ungeschicklichkeit des ihn vertretenden Tribunen, des Consulars M. Fulvius Flaccus, verschafften dem Drusus immer größere Erfolge (Plut. 11, 4). Vom Standpunkt seiner Partei durfte man urteilen, daß er das meiste dazu beigetragen habe, die dem Staate durch C. Gracchus geschlagenen Wunden zu heilen (Cic. Brut. 109; fin. IV 66), und daß er sich den Ehrentitel eines Patronus senatus verdiente (Suet. Tib. 3, 2, der ungenau als seine Gegner Gracchi in der Mehrzahl nennt. Vgl. dieselbe Bezeichnung bei seinem Sohne Nr. 18 und in der Zwischenzeit bei Q. Servilius Caepio Consul 648 = 106 Bd. II A S. 1784, 10). Gegen (339 = 115 bekleidete Drusus das Amt des Stadtpraetors. Darauf bezieht sich jedenfalls Auct. ad Herenn. II 19: M. Drusus praetor urbanus, quod cum herede mandati ageretur, iudicium reddidit, Sex. Iulius (Praetor 631 = 123 Cic. de domo 136f. o. Bd. X S. 476 Nr. 150) non reddidit, und die Berufung Ciceros ad Att. VII 2, 8 auf vetus illud Drusi ut ferunt praetoris über die Zurücknahme von Sklavenfreilassungen. Die hier bezeugte Rechtskunde war dem Drusus mit seinem Bruder Gaius Nr. 15 gemeinsam, ebenso wie die makellose Rechtschaffenheit, die sich aus der über beide gemachten scherzhaften Bemerkung bei Diod. XXXVII 10, 2 ergibt. Die Beziehung von Auct. de vir. ill. 66, 6f. auf diesen M. Drusus und der bisweilen daraus gezogene Schluß, daß er nach der Praetur Statthalter von Africa gewesen sei (vgl. Pallu de Lessert Fastes des provinces africaines I 5f.), ist unrichtig. Zum Consulat gelangte Drusus mit [858] L. Calpumius Piso Caesoninus (o. Bd. III S. 1387 Nr. 88) im J. 642 = 112 (M. Livius Lex agr. CIL I² 585 = Mommsen Jur. Schr. I 81 Z. 29. Μάαρκος Λείβιος SC. de Delph. Dittenberger Syll.³ 705 Z. 62. Livius Drusus Liv. ep. LXIII. M. Livius Drusus Cassiod. Druso Chronogr. Versehentlich Bruto Hydat. Chron. Pasch.). Die Annahme, daß in seinem Consulat und unter seiner persönlichen Einwirkung die von den Gracchen eingeleitete Agrarreform zum vorläufigen Abschluß gebracht worden sei (Caspari Klio XIII 191), ist nicht genügend erwiesen. Er empfing Makedonien zur Provinz; deswegen wurde die Entscheidung der Streitigkeiten unter den Vereinen der Dionysischen Künstler in Griechenland zum Teil ihm übertragen (SC. de Delph. a. O.). Als Hauptaufgabe fand er die Fortsetzung des Krieges gegen die barbarischen Nachbarn der Provinz vor, gegen die Thraker und besonders gegen die keltischen Skordisker; sie beschäftigte ihn auch im folgenden Jahre 643 = 111 als Proconsul und wurde von ihm erst im Jahre 644 = 110 dem damaligen Consul M. Minucius Rufus (s. d.) als Nachfolger im Oberbefehl übergeben. Der Verlauf seiner Feldzüge ist aus den wenigen Andeutungen bei Liv. ep. LXIII. Flor. I 39, 5. Ammian. XXVII 4. 10. Ruf. Fest. brev. 9, 2 (vgl. auch Dio frg. 88) nicht zu entnehmen; aber jedenfalls verschafften sie ihm bei der Heimkehr einen Triumph (Acta triumph. [... D]rusus a. DCXLIII | [pro cos. de Scordisc]eis Macedonibusq. k. Mai) und die Wahl zur Censur. Der Triumph ist der, den Suet. Tib. 3, 1 nach den beiden des Salinator Nr. 33 als den dritten der Gens Livia zählte, und den man früher nicht kannte (CIL I² p. 53 gegen Mommsen Röm. Forsch. I 74 Anm.). Die Censur übernahm Drusus mit M. Aemilius Scaurus im J. 645 = 109, starb aber während der Amtszeit, worauf Scaurus trotz seines Sträubens zur Abdankung gezwungen wurde (Plut. quaest. Rom. 50). Fasti Cap. bieten nur den Schluß der Notiz über die Censur: [Drusus] in mag(istratu) m(ortuus) e(st); aber die neugefundenen Fasti Antiates (Not. d. scavi 1921, 129 vgl. 133) bestätigen das bisher Bekannte: M. Aemili(us) Scau[rus] M. L[ivi(us) Drusus cens(ores)] abdicave[r(unt)]. Diod. XXXVII 10, 1 charakterisiert L. als ἐπιφανέστατος καὶ παρὰ τοῖς πολῖταις δι’ εὐγένειαν καὶ ἀρετὴν (vgl. dieselbe Zusammenstellung XXXIV 33, 1. Plut. Marcell. 1, 3) θαυμαστῶς ἀγαπώμενος. Das ist das Urteil des Poseidonios; es stimmt genau mit dem Plutarchs (C. Gr. 8, 5 s. o.) überein, kehrt aber ähnlich auch bei Cic. Brut. 106 wieder: Vir et oratione gravis et auctoritate, und läßt sich als die allgemeine Anschauung der Nobilität bis in die Zeit des Gegensatzes zwischen dieser und dem Sohne des Drusus Nr. 18 zurückverfolgen, wo C. Carbo ausrief: O Marce Druse – patrem appello – tu dicere solebas sacram esse rem publicam; quicunque eam violassent, ab omnibus esse ei poenas persolutas! Patris dictum sapiens temeritas filii comprobavit (Cic. or. 213f). In derselben Weise hatten auch die Gegner der Gracchen deren Vater gegen die Söhne ausgespielt (vgl. Bd. II A S. 1409, 25ff.), und so mag auch die Äußerung des Drusus über das Silbergeschirr des C. Gracchus dem Sohne, der diesen und seine vornehmsten Zeitgenossen an solch kostbarem [859] Besitz weit übertraf, vorgehalten worden sein (Plut. Ti. Gr. 2, 4 verglichen mit Plin. n. h. XXXIII 141 s. o.). Sehr günstig lautet ferner das Urteil über Drusus in der Anekdote bei Diod. XXXVII 10, 2 (s. o. und Nr. 15) und in den Worten des Dio frg. 88. Als popularia nomina, Drusos faßt Lucan. VI 795 Drusus und seinen berühmten Sohn Nr. 18 zusammen. Außer diesem hatte er von seiner Gattin Cornelia (s. o.) noch eine Tochter Nr. 35 und wahrscheinlich einen zweiten Sohn, den er zur Adoption in das seinem Hause nahestehende Aemilische Geschlecht gab, den späteren Consul von 677 = 77 Mam. Aemilius Lepidus Livianus (vgl. Röm. Adelsparteien 311ff.).