Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Astrologie zu medizinischen Zwecken
Band IX,1 (1914) S. 802804
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Iatromathematike ist die Astrologie, soweit sie medizinischen Zwecken dient, und Iatromathematika sind Schriften aus diesem Gebiete; z. B. benennt sich so eine angebliche Schrift des Hermes Trismegistos (o. Bd. VIII S. 798). Beide Hauptteile der Astrologie, sowohl die Genethlialogie wie die Lehre von den Katarchai, lassen sich für die I. verwenden: einerseits läßt sich aus der Nativität eines Menschen ersehen, zu welchen Krankheiten er neigt und wann sie ihn wahrscheinlich befallen werden, anderseits kann im gegebenen Augenblick, also meist beim Ausbruche einer Krankheit, festgestellt werden, welchen Verlauf sie nehmen wird und welche Heilmittel anzuwenden geraten ist.

Der Ausgangspunkt für die I. liegt hauptsächlich in folgendem. Nach einer alten, z. B. bei Sext. adv. math. V 21. Manil. II 453. Firmic. II 24 vertretenen Lehre, über die Bouché-Leclercq L’astrologie grecque 319 Genaueres bietet, stehen die einzelnen Tierkreiszeichen in Beziehung zu den Gliedern des menschlichen Körpers: dem Widder ist der Kopf, dem Stier der Hals, den Zwillingen die Schultern zugeteilt usw. Dazu tritt die im Grunde uralte Vorstellung vom Einflusse des Mondes auf die Organismen (o. Bd. I S. 39, vgl. besonders die Vorstellung von σεληνιακοί, lunatici, und Wendland Philos Schrift über die Vorsehung 70): es ist also möglich, aus dem Stande des Mondes in den zwölf Zeichen [803] Voraussagungen zu gewinnen, wie das im Gedicht des Maximos (s. d.) geschieht. Hier heißt es z. B. v. 141ff., daß die Stellung des Mondes im Widder beim Ausbruche einer Krankheit für alle Leiden außer für die des Kopfes günstig sei; eine Wöchnerin wird am ersten Tage dieser Konstellation in Lebensgefahr geraten, am zweiten leicht entbunden werden usw. Daneben gibt es eine Lehre von der Herrschaft der Planeten über die Körperteile, die z. B. Ptolem. Tetrab. III 16 mitteilt: Saturn herrscht über das rechte Ohr, Unterleib, Milz, Schleim und Knochen, Mars über das linke Ohr, Nieren, Adern und Geschlechtsteile usw. Je nach der Stellung zum Monde und in bestimmten Zeichen bewirken sie nun Krankheiten; wenn z. B. Sonne und Mond den in einem Kardinalpunkte stehenden schlimmen Planeten folgen oder ihnen diametral gegenüberstehen, so entstellen sie den Körper durch Verkrümmung, Verstümmelung oder Lähmung. Überhaupt hat Saturn die Neigung, Unterleibsleiden, Rheumatismus, Husten, Elephantiasis und Hysterie zu bewirken, Mars Blutspucken, Melancholie, Lungenentzündung, Krätze, Schnitt- und Brandwunden. Weiter kompliziert sich die Lehre dadurch, daß von den zwölf Orten des Horoskops der sechste über Krankheiten entscheidet, von den mit dem κλῆρος τῆς τύχης beginnenden (Bouché-Leclercq 297) der elfte; ja bei Val. II 36 wird eine ältere Lehre mitgeteilt, wonach sowohl die zwölf beim κλῆρος τῆς τύχης als die beim κλῆρος τοῦ δαίμονος beginnenden Orte über die einzelnen Körperteile herrschen. Valens selbst aber entwickelt eine Lehre, nach der es darauf ankommt, in welches Tierkreiszeichen der κλῆρος τῆς τύχης fällt, und nach der diese Zeichen nicht bloß gewisse Körperteile bedeuten, sondern auch bestimmte Krankheiten senden; z. B. sind den Zwillingen Schultern, Arme, Beine, Finger usw. untergeordnet, außerdem aber bewirken sie Wunden, Verlust von Gliedern, Fall aus der Höhe und Gelbsucht. Wie man sieht, ließ sich mit irgend einer dieser Methoden jede in jedem Augenblick eintretende Krankheit auf den Einfluß der Gestirne zurückführen. Dazu kam noch die Lehre von den Klimakteres (s. d.), nach der bestimmte Lebensjahre dem Menschen Gefahren bringen sollten. In das Kapitel von den Katarchai gehören die Lehren des Maximos a. O. und in dem Abschnitt περὶ τομῆς καὶ χειρουργίας v. 276ff. Auch hier wird nach dem Stande des Mondes in den Tierkreiszeichen bestimmt, ob ein chirurgischer Eingriff im Augenblick rätlich ist oder nicht. Eine andere merkwürdige Methode wird in einem Traktat des Syntagma Laurentianum (Catal. cod. astrol. I 124) beschrieben. Das Horoskop ist der Arzt, der zehnte Ort der Kranke, der siebente die Krankheit, der vierte die Heilung. Steht ein bösartiger Planet im Horoskop, so schadet der Arzt dem Kranken usw. Diese Voraussagung ist aber noch überaus einfach gegen die Methoden, die ebd. aus Dorotheos (vgl. Catal. cod. astrol. II 157), Iulianos, Petosiris und Protagoras (s. d. einzelnen Art.) mitgeteilt werden.

In der Literatur haben offenbar die Iatromathematika des Nechepso-Petosiris eine hervorragende Rolle gespielt. Nach den frg. 27-32 Riess hat hier Nechepso das Wort geführt, und zum Teil deshalb hat Riess angenommen, daß es in einem [804] von dem astrologischen Hauptwerke verschiedenen Buche geschehen sei. Aber im Catal. cod. astrol. I 126, 6 wird zitiert ἐκ τῶν ἰατρομαθηματικῶν Ἑρμοῦ καὶ Πετοσίρεως, und frg. 29 nennt Galen das XIV. Buch des Nechepso als das, in dem die als Amulette zu brauchenden Bilder der Dekane standen. Nach der richtigen Lesung sagt aber auch Harpokration (frg. 85 Riess; über die Zeit des vielleicht dem 2. Jhdt. n. Chr. zuzu-10weisenden Harpokration s. Boudreaux Catal cod. astrol. VIII 3, 133): εὑρὼν βίβλον τινὰ Νεκεψὼ τεσσαρεσκαιδέδκατον θεραπείας ὅλου τοῦ σώματος καὶ παντὸς πάθους κατὰ ζῴδιον περιέχουσαν διὰ λίθων τε καὶ βοτανῶν. Danach hat also Buch XIV des großen Werkes die I. enthalten und sie bereits stark mit anderweitigem Aberglauben vermischt. Welcher Zeit die hierher gehörigen Schriften des Hermes (s. o. Bd. VIII S. 797 nr. 9. 10; vgl. auch das Zitat bei Ps.-Demokrit 24 iaspidem lapidem Hermes Trismegistus dixit stomachi magnum esse adiutorium ligatum ad collum. Heeg Abh. Akad. Berl. 1913, 37) angehörten, läßt sich nicht mehr entscheiden: klar ist aber, daß sie mit Nechepso sehr übereinstimmten. Wieweit wir bei beiden Autoren eine Anknüpfung an ältere ägyptische Aufzeichnungen anzunehmen haben, bedarf noch der Untersuchung; doch werden auch hier die medizinischen Überlieferungen der Ägypter, von denen z. B. Ptolem. Tetrab. f. 4 v. ed. 1535 spricht, nur äußerlich mit der späteren Lehre zusammenhängen. Die ägyptischen Dekane spielen auch nicht in der eigentlich astrologischen I. eine Rolle, sondern erscheinen in der von Ruelle Rev. Phil. XXXII 247 edierten hermetischen Schrift als Amulette. Die erhaltenen hermetischen Schriften (Ideler Phys. et med. gr. I 387. 430) enthalten sonst nichts spezifisch Ägyptisches; wenn der Verfasser sich rühmt (1, 10) ἐγὼ πρῶτος ἀνεῦρον ταύτην τὴν ἐπιστήμην καὶ προσέταξα αὐτὴν καλεῖσθαι ὑπηρέτιν τῆς φύσεως· ἀνάγκη γὰρ ταύτην συγκροτεῖν τῇ φύσει, ὅθεν καὶ τὰ βοηθήματα ταύτῃ προσγίνεται, so tut er es nur, um die Maske des Hermes vorzunehmen: neu sind seine Lehren keineswegs. Bei den Späteren wird die Lehre Nechepsos meist die Grundlage bilden; ich nenne außer den bereits zitierten Autoren die Zusammenstellung iatromathematischer Traktate, die sich in dem von Boll S.-Ber. Akad. Münch. 1899, 88 )so genannten Syntagma Laurentianum finden. Hier erscheinen von Autoren außer Hermes und Hephaistion Galen mit der unechten Schrift περὶ κατακλίσεως νοσούντων (XIX 529 K.) und Pancharios, der in die Zeit nach Ptolemaios gehört, mehrere Stücke sind im Catal. cod. astrol. I 118–128 gedruckt. Andere hierhergehörige Texte ebd. III 39. V 1, 186. Für die praktische Bedeutung dieser Lehren spricht namentlich Plin. n. h. XXIX 9, der von dem Arzte Krinas aus Massilia (s. d.) in neronischer Zeit erzählt, er habe ad siderum motus ex ephemeride mathematica cibos dando horasque observando großes Ansehen erworben. Vgl. im allgemeinen Bouché-Leclercq a. a. O. 517.

[Kroll. ]