Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Gerichtsstand, welches Gericht den Streit zu entscheiden hat, zuständig ist
Band VII,1 (1910) S. 5662
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2) Gerichtsstand. Von F. im Sinne der Gerichtsstätte ist leicht erklärlicher Weise abgeleitet F. im Sinne des Gerichts, insbesondere des Gerichts jemandes, d. h. des Gerichts, dem er untersteht, Cic. Verr. III 38 ne quis extra suum forum vadimonium promittere cogatur. Ulp. Dig. V 1, 7 esse alicuius fori. Diocl. Cod. Iust. III 13, 2 actor rei forum ... sequatur. Hon. Cod. Iust. III 13, 5 pr. rei forum accusator sequatur. Bei diesem Sprachgebrauch ist davon ausgegangen, daß es Merkmale der Person sind, nach denen sich bestimmt, welches Gericht den Streit zu entscheiden hat. Es kann aber auch dieses Recht des Gerichts durch objektive Umstände des streitigen Rechtsverhältnisses begründet werden; z. B. bei Verträgen kann das Gericht des Erfüllungsortes zur Entscheidung befugt sein. Die gemeinrechtliche Prozeßwissenschaft sprach in solchen Fällen vom forum contractus, forum rei sitae usw. Sie hatte hierbei freilich keinen Anhalt in den Quellen des römischen Rechts, handelte aber sachlich richtig, wenn sie in Zusammenfassung der persönlichen und der sachlichen Zuständigkeitsgründe eine allgemeine Lehre von den Fora oder den Gerichtsständen entwickelte. Diese ganze Lehre beruht wesentlich auf der Grundlage, daß das Staatsgebiet in Gerichtssprengel eingeteilt ist und in jedem dieser Sprengel Gerichte vorhanden sind, welche an und für sich befugt sind, einen Streit der fraglichen Art zu entscheiden, welche Gerichtsbarkeit, objektive Kompetenz in Sachen der fraglichen Art besitzen; die Lehre von den Gerichtsständen gibt an, an welches unter diesen mehreren Gerichten kraft Beziehungen der Parteien oder des streitigen Verhältnisses zu seinem Sprengel die Sache gebracht werden kann, welches unter ihnen für den Streit zuständig ist, subjektive Kompetenz für ihn hat. In diesem [57] Sinne ist auch hier von dem Gerichtsstande zu handeln. Die Lehre von der Gerichtsbarkeit ist unter Iuris dictio, Imperium, Magistratus und bei den einzelnen Magistraten, auch Kaiser und Senat zu suchen. Insofern der Prozeß in zwei Abschnitte zerfällt (ius und iudicium), gehört nicht die Lehre von den Geschworenenzuständigkeiten hierher, sondern nur die Lehre von der Zuständigkeit der Magistrate. Insofern es mehrere Instanzen gibt, behandelt die Lehre vom Gerichtsstande nur die Frage, wo die Sache in erster Instanz anhängig zu machen ist. Die Frage, an wen von dem Richter erster Instanz die Berufung oder ein sonstiges Rechtsmittel geht, ist in der Lehre von den Rechtsmitteln zu beantworten (s. bes. Appellatio). In Betreff des Sprachgebrauchs ist noch zu bemerken: Rubr. Cod. Iust. III 13 enthält den Ausdruck forum competens. In den Digesten ist iudex competens (Scaev. Dig. XLVI 7, 20. Ulp. Dig. II 1, 19 pr. XLIX 5, 5 pr.) der Interpolation verdächtig. Competentia kommt in dem hier fraglichen Sinne bei den Römern überhaupt nicht vor.

I. Zivilprozeß.

1. Allgemeiner Grundsatz ist: Actor rei forum sequitur (Stellen oben und Diocl. Cod. Iust. III 22, 3. Frg. Vat. 325. 326. Nov. Marcian. 1 § 6. Gratian. Cod. Iust. III 19, 3). Der Satz bedeutet, daß, insoweit die Zuständigkeit sich nach Beziehungen der Person richtet, die Beziehungen des Beklagten maßgebend sind. Hierauf beruht schon der oben angeführte Satz bei Cicero, daß der Beklagte nicht außerhalb seines F. sich zu stellen versprechen muß.

2. Grundsätzlich hat jede Person ihren Gerichtsstand in Ansehung aller gegen sie zu erhebenden Klagen vor den Gerichten der Stadt (und der Provinz, zu der sie gehört), in welcher die Person den Wohnsitz (domicilium, s. d.) oder das Ortsbürgerrecht (origo, s. d.) hat, Gai. Dig. L 1, 19. Hat also jemand seinen Wohnsitz in der einen, Ortsbürgerrecht dagegen in einer anderen Stadt, so hat er zwei allgemeine Gerichtsstände, und da jemand mehrfachen Wohnsitz und mehrfaches Ortsbürgerrecht haben kann, so kann er eine Mehrzahl allgemeiner Gerichtsstände haben. Öfter erwähnt als das forum originis wird das forum domicilii (Ulp. Dig. V 1, 19 § 4. V 2, 29 § 4. Paul. Dig. XLII 5, 2. Valerien. Cod. Iust. III 20. 1. Diocl. Frg. Vat. 326. Diocl. Cod. Iust. III 13, 2. 22, 4. Constantin. Cod. Theod. VIII 12, 3). Einen sicheren Beweis für das forum originis gewährt Gajus a. a. O. überhaupt nur in Ansehung der Munizipalgerichte, und so wird von Bethmann-Hollweg Versuche 6f.; Zivilpr. II 124f. ein solcher Gerichtsstand vor dem Provinzialstatthalter geleugnet. Daß er in Vormundschaftssachen bestand (Ulp. Dig. XXVI 5, 1 § 2; vgl. Paul. Dig. XXIII 2, 38), beweist allerdings nicht sicher für die streitige Gerichtsbarkeit. Wenn andererseits Ulp. Dig. L 16, 190 sagt, provinciales seien nur die in der Provinz Domizilierten, nicht auch die qui ex provincia oriundi sunt, so hat das keine notwendige Beziehung auf den Gerichtsstand (vgl. Savigny 52. Wetzell § 40, 5. Lenel Paling. Ulp. 973). Da das forum originis vor dem Provinzialstatthalter in Strafsachen bezeugt ist (u. II 3), so wird es auch in Zivilsachen nicht gefehlt haben. [58]

3. Jeder römische Bürger hat einen Gerichtsstand vor den stadtrömischen Magistraten, auch wenn er seinen Wohnsitz nicht in Rom hat. Dies liegt in dem Satze Roma communis nostra patria est (Cic. de leg. II 5f. Mod. Dig. L 1, 33. XXVII 1, 6 § 11. Callistr. Dig. XLVIII 22, 19 pr.) und ist nichts als eine oberste Anwendung des forum originis. Verbreitet ist die Ansicht, daß dieser Gerichtsstand rechtlich von der Anwesenheit des Beklagten in Rom abhängig war (Savigny 56. Wetzell § 405), wenigstens wenn der zu Beklagende zugleich ein Munizipalbürger war, oder wenn er seinen Wohnsitz in einer Stadt außer Rom hatte. Die Sache ist aber keineswegs vollkommen klar. Natürlich konnte die in ius vocatio den Bürger in Rom nur treffen, wenn er dort anwesend war (dies genügt zur Erklärung von Ulp. Dig. IV 6, 28 § 4). Auch konnte von dem vor einem Munizipalgericbt Belangten ein vadimonium nach Rom nur verlangt werden, wenn die Sache die objektive Kompetenz des Munizipalmagistrats überschritt (vadimonium Romam faciendum, Lenel Edict § 6). Aber daß die Prozeßeinleitung durch evocatio gegen den nicht in Rom anwesenden Bürger nur möglich gewesen wäre, wenn er in Rom Wohnsitz hatte oder nicht neben dem römischen ein Ortsbürgerrecht besaß, ist nicht nachweisbar und prinzipiell schwerlich anzunehmen. Ebenso fehlt der Beweis, daß die missio in bona, wenn Vermögen in Rom vorhanden war, die Anwesenheit der Person in Rom vorausgesetzt hätte. Man kann also nicht mehr behaupten, als daß der ordentliche Geschworenenprozeß zufolge der Art seiner Einleitung von der Anwesenheit des Beklagten in Rom abhängig war.

4. In vielen Fällen hat der römische Bürger, welcher nicht in Rom seinen Wohnsitz hat, wenn er in Rom belangt wird, das ius domum revocandi (Ulp. Dig. IV 6, 28 § 4: V 1, 2 § 3f. 5), d. h. das Recht, die Sache an sein Wohnsitzgericht zu rufen: legati, testimonii causa, tutelae reddendae causa evocati, iudicandi causa arcessiti (Ulp. Dig. V 1, 2 § 3), ad cognitionem imperatoris a praeside provinciae remissus (Pap. Dig. XLII 5, 13). Dieses Privilegium greift nicht durch, wenn aus einem in Rom geschlossenen Vertrage geklagt wird. Bei dem Gesandten aber gilt diese Ausnahme nur, wenn er den Vertrag während der Gesandtschaft geschlossen hat; wegen Ansprüchen aus einem vor der Gesandtschaft geschlossenen Vertrage steht ihm das ius domum revocandi zu (Ulp. Dig. V 1, 2 § 4; s. auch Ulp. Dig. V 1, 24 § 2–28 § 4. XIII 5. 5 § 1. Pap. Dig. V 1, 39 § 1. Paul. Dig. IV 8, 32 § 9). Nach Paul. Dig. V 1. 24 pr. ist es ebenso bei allen vom princeps nach Rom Geforderten. Bestritten war, ob das ius domum revocandi bei Vertragsklagen nicht überhaupt auf Fälle zu beschränken sei, in denen der Vertrag innerhalb der Provinz des Domizils geschlossen sei. Marcellus und Ulpian bejahen das (Dig. V 1, 2 § 5). Nicht besteht das ius domum revocandi bei Klagen aus Delikten, die der Privilegierte oder seine Sklaven in Rom begangen haben (Ulp. Dig. V 1, 24 § 1). Wenn der Privilegierte in Rom eine Klage anstellt, es wäre denn aus einem Delikt, welches während der Zeit seiner privilegierten [59] Anwesenheit begangen ist, so verwirkt er das Privilegium gegenüber Klagen eines jeden beliebigen, nicht bloß des von ihm Beklagten (Ulp. Dig. V 1, 2 § 5); über das Vorliegen der Voraussetzungen des Privilegiums entscheidet der Magistrat. Erkennt er es für begründet, so veranlaßt er den Beklagten durch vadimonium (ohne Bürgen), sein Erscheinen vor dem Heimatsgerichte zu versprechen (das Gegenstück des vadimonium Romam faciendum). Ulp. Dig. V 1, 2 § 3 vel in provinciam destinati zeigt, daß ein ähnliches ius domum revocandi auch den Provinzialgerichten gegenüber bestanden hat

5. Besondere Gerichtsstände für Rechtsstreitigkeiten bestimmter Art sind namentlich folgende:

a) das von den Neueren so genannte forum contractus, d. h. der Gerichtsstand des Erfüllungsortes bei Verträgen. Diesen Gerichtsstand ergibt sicher Gai. Dig. XLII 5, 1. 3. Ulp. Dig. V 1, 19 § 4. In den vorhergehenden §§ beschäftigt sich Ulpian damit, wann der Ort des Vertragsschlusses als der Erfüllungsort anzusehen sei.

b) Das von den Neueren so genannte f. delicti commissi, d. h. der Gerichtsstand des Tatortes bei Klagen aus Delikten. Daß der Strafprozeß wegen eines Verbrechens vor dem Gericht des Tatortes geführt werden kann, steht fest (u. II 1). Im Zusammenhange mit dem Strafprozeß kann der Zivilanspruch geltend gemacht werden (Paul. Dig. X 1, 4 § 4. Valer. Cod. Iust. III 3, 8). Dafür aber, daß der Zivilprozeß aus dem Delikt für sich allein am Gerichtsstande des Tatortes anhängig gemacht werden kann, ist aus klassischer Zeit kein unmittelbarer Quellenbeweis zu erbringen. Da das ius domum revocandi bei Delikten, die in Rom begangen wurden, wegfällt (o. 4) und für die Noxalklagen aus Delikten das Gericht des Tatortes jedenfalls zuständig ist (Pomp. Dig. IX 4, 43), so sollte man für die Deliktsklage allgemein dasselbe annehmen. Dagegen spricht aber, daß erst Valentin. Cod. Iust. III 16, 1 den Gerichtsstand des Tatorts für das interdictum de vi bestimmte und Iustinian in Nov. 69 das allgemeine forum delicti commissi als eine erhebliche Neuerung angesehen wissen will.

c) Das sog. forum rei sitae, d. h. der Gerichtsstand des Orts, wo die Sache liegt, bei Klagen auf deren Herausgabe hat noch unter Diocletian nicht bestanden (Frg. Vat. 326), sondern ist erst von Gratian im J. 385 Cod. Iust. III 19, 3 eingeführt worden und zwar für die Eigentumsklage. Nach Nov. 69 c. 1 besteht es auch für Besitz, actio hypothecaria, actio finium regundorum und ähnliche Klagen.

d) Der Gerichtsstand der Widerklage. Der Beklagte kann den Kläger während des Rechtsstreites vor demselben Gericht mit einer Klage belangen, auch wenn der Richter an und für sich für diese nicht zuständig wäre (Iust. Cod. Iust. VII 45, 14; Nov. 69 c. 2).

6. In der nachklassischen Zeit haben manche Personen privilegierte Gerichtsstände: Soldaten vor ihrem Militäroberen (Hon. Cod. Iust. III 13, 6; anders noch Constantin Cod. Theod. II 1, 2; vgl. Nov. Theod. II 4, 1. Nov. Marc. 1 § 7. Anast. Cod. Iust. XII 35 [36], 18 pr.), die Subalternbeamten vor dem vorgesetzten höheren Beamten (Hon. Cod. Theod. I 7, 4 = Cod. Iust. I 29, 2. [60] Theod. II. Cod. Iust. XII 23 [24], 12. XII 52 [53], 3. Nov. Val. 7, 2 § 2. 3. Leo Cod. Iust. XII 59 [60], 8. Anast. Cod. Iust. XII 52 [53], 3); das Hofpersonal vor dem magister officiorum (Symmach. rel. 38. Theod. II. Cod. Iust. XII 26 [27], 2. Leo Cod. Iust. XI 10 [9], 6. XII 19, 12. XII 20, 4. XII 25 [26], 3. 4. Leo und Zeno Cod. Iust. XII 29 [30], 2. Zeno Cod. Iust. XII 16, 4). Der Provinzialstatthalter hat seinen Gerichtsstand vor dem praefectus praetorio (Theod. I. Cod. Theod. I 5, 10), Senatoren, welche in Rom leben, haben ihn vor dem praefectus praetorio und dem praefectus urbi, auf Befehl des Kaisers auch vor dem magister officiorum; wenn der Senator in der Provinz wohnt, so hat er den Gerichtsstand vor dem Statthalter (Valens Cod. Iust. III 24, 2), die Angehörigen der hauptstädtischen Korporationen haben Gerichtsstand vor dem praefectus urbi oder dem praefectus annonae (Const. Cod. Theod. II 17, 1 § 2. Arcad. Cod. Iust. XI 17 [16], 2. Hon. Cod. Theod. I 6, 11), zum Teil sogar, wenn sie Kläger sind (Cod. Iust. XI 17 [16], 2), nach Iustinianischem Recht Geistliche vor ihren geistlichen Oberen (Nov. 79. 83. 123 c. 8. 21–23). Die Privilegien der Beamten sind ausgedehnt nicht nur auf ihre Frauen, sondern zum Teil auch auf ihre Kinder und Eltern (Leo Cod. Iust. XI 10 [9], 6. XII 19, 12. XII 25 [26], 3. Zeno Cod. Iust. XII 16, 4). Andererseits unterlagen die Privilegien manchen Beschränkungen. S. z. B. Constant. Cod. Theod. IX 1, 1 = Cod. Iust. III 24, 1. Nov. Theod. 7, 1 = Cod. Iust. III 25, 1. Theod. II. Cod. Iust. XII 23 [24], 12. Nov. 69 c. 1.

7. Wenn der Zuständigkeitsgrund nach der Litiskontestation (Iavol. Dig. V 1, 34. Marcell. Dig. V 1, 30) oder nach Eröffnung der Verhandlungen im Kognitionenverfahren (Ulp. Dig. II 1, 19 pr.), ja sogar wenn er nach der in ius vocatio (Ulp. Dig. V 1, 7), im späten Kaiserreich nach Zustellung der Klageschrift (Cod. Iust. II 2, 4 § 1) wegfällt, so bleibt die Zuständigkeit des Gerichts bestehen.

8. Der Magistrat prüft seine Zuständigkeit selbst (Ulp. Dig. V 1, 5), auch im Gebiete der Formularprozesse. Die Entscheidung über die Zuständigkeit des Magistrats durch exceptio dem iudex zu überweisen, wäre nicht am Platze gewesen.

9. Ein Urteil, welches vom unzuständigen Richter gefällt wird, ist nichtig (Ulp. Dig. II 2, 1 § 2. XXXVIII 17, 1 § 12. Gratian. Cod. Theod. IV 16, 2 = Cod. Iust. VII 48, 4).

10. Der unzuständige Magistrat wird nach der lex Iulia iudiciorum privatorum zuständig durch Vereinbarung der Parteien (der Ausdruck prorogatio fori hierfür ist nachrömisch, Ulp. Dig. V 1, 2 § 2 pr. braucht ihn von einer Erstreckung der den Geschworenen gesetzten Frist für die Beendigung des Prozesses). Der Beamte kann aber die Übernahme der Sache ablehnen. Ulp. Dig. V 1, 1. 2 pr. § 1. Sev. und Carac. Cod. Iust. III 13, 1. Wlassak Prozeßges. I 124ff.

II. Strafprozeß.

Über die Gerichtsstände des Strafprozesses sind wir nur sehr lückenhaft unterrichtet. Die Comitialgerichte urteilen römische Bürger oder solche Personen ab, denen ausnahmsweise das Provokationsrecht ohne das Bürgerrecht zusteht. Der Tatort ist gleichgültig. [61]

1. Bei den quaestiones perpetuae taucht die Bemessung der Zuständigkeit nach dem Tatorte auf (Coll. I 3, 1 lex Cornelia de sicariis). In der Kaiserzeit bildet dieser Gerichtsstand die Regel (Anton. Pius Dig. XLVIII 2, 7 § 4. Papin. Dig. XLVIII 2, 22. Paul. Dig. I 18, 3. Sever. und Carac. Dig. XLIX 16, 3 pr.; Cod. Iust. III 15, 1. Gordian. Cod. Iust. IX 9, 14 [13]. Constantin Cod. Theod. IX 1, 1 [= Cod. Iust. III 24, 1]. Valentin. I. Cod. Theod. IX 1, 10. Gratian Cod. Theod. IX 1, 16).

2. Aber es bestand auch der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Angeklagten (Diocl. Cod. Iust. III 15, 1). Hätte es nicht ein nach persönlichen Beziehungen bestimmtes F. im Strafprozesse gegeben, so könnte Honorius (Cod. Iust. III 13, 5) nicht sagen: in criminali negotio rei forum accusator sequatur.

3. Daß aber nicht nur das f. domicilii, sondern auch das f. originis dem Strafprozesse bekannt ist, beweist die von Mommsen 357, 1 beigebrachte Stelle des Philostrat. vit. soph. II 19, 3, der zufolge unter Marcus Aurelius der Statthalter von Achaia eine Anklage wegen Mordes deshalb annahm, weil der Angeklagte das athenische Bürgerrecht hatte.

4. Auch am Orte der Ergreifung des Täters scheint ein Gerichtsstand begründet gewesen zu sein (Sev. und Carac. Cod. Iust. III 15, 1: vel ubi reperiuntur qui rei esse perhibentur criminis). Wenigstens ist es künstlich, wenn Geib 492ff. die Quaestiones dieser Stelle als bloße Voruntersuchungen ansehen will. Auch legt schon Celsus Dig. XLVIII 3, 11 pr. dem Statthalter das Recht bei, jeden aus der Haft Vorgeführten abzuurteilen, wobei nicht notwendig daran zu denken ist, daß der Angeklagte wegen eines in derselben Provinz begangenen Verbrechens verhaftet ist, vgl. ähnlich Ulp. Dig. I 18, 13 pr. Allerdings bemerkt Celsus, daß jeder Statthalter den Ergriffenen nach Umständen mit Bericht an den Statthalter seiner Heimatsprovinz abgeben kann, aber keineswegs, daß er dies tun muß. Versuche der Angeklagten, die Sache vom Gericht der Tat oder der Ergreifung an ihr Heimatgericht zu ziehen, sind oft gemacht worden. Daß ein Recht hierzu bestand, ist von vornherein unwahrscheinlich, wenn man bedenkt, daß auch im Zivilprozeß das ius domum revocandi im analogen Falle aussetzt.

5. Privilegierte Gerichtsstände kennt auch der Strafprozeß. Den Senatoren ist seit Nerva von den Kaisern oft Befreiung von dem Strafgericht des Kaisers in Kapitalsachen derart bewilligt worden, daß nur der Senat in schweren Strafsachen gegen Senatoren kompetent sein sollte, Cass. Dio LXVIII 2. LXIX 2. LXXIV 2. Hist. aug. Hadr. 7; Sev. 7. Streng festgehalten ist das aber nicht; vgl. Mommsen St.-R. II 960ff. Constantin Cod. Theod. IX 1, 1 schnitt den Senatoren die fori praescriptio gegenüber dem ordentlichen Gericht des Tatortes ab. Später erhielten die Senatoren wieder einen besonderen Strafgerichtsstand vor dem praefectus urbi, in den Provinzen vor dem praefectus praetorio, in schwersten Sachen vor dem Kaiser (Valentin. I. Cod. Theod. IX 40, 10. 16, 10. Valens Cod. Theod. IX 1, 13; vgl. Hon. Cod. Theod. II 1, 12). Iustinian hat aber nur das Gesetz Constantins aufgenommen (Cod. Iust. III 24, 1). Personae illustres haben [62] zum Strafrichter den Kaiser (Cod. Iust. III 24, 1: non illustris, von Iustinian eingeschoben. Theodosius II. Cod. Iust. XII 1, 16. Zeno Cod. Iust. III 24, 3). Die Gerichtsstände der Beamten, Soldaten und corporati, welche beim Zivilprozeß genannt sind (I 6), sind durchweg zugleich Strafgerichtsstände (s. die angeführten Stellen und in Betreff von Soldaten noch Constantin Cod. Theod. II 1, 2. Valentinian I. Cod. Theod. IX 2, 2 = Cod. Iust. IX 3, 1). Was die Geistlichen angeht, so hat Constantin bestimmt, daß Bischöfe nur vor anderen Bischöfen angeklagt werden konnten (Cod. Theod. XIII 2, 12). Gratian beschränkte die geistliche Gerichtsbarkeit über Geistliche auf Sachen, welche die Religion angehen (Cod. Theod. XVI 2, 23). Honorius sprach wieder aus, daß Geistliche nur bei dem Bischof angeklagt werden könnten (Cod. Theod. XVI 2, 41). Ebenso Theodosius II. (Cod. Theod. XVI 2, 47). Aber nach Iustinianischem Recht steht die Kriminalgerichtsbarkeit über Geistliche dem weltlichen Gericht zu (Nov. 83 pr. § 2).

Literatur: Bethmann-Hollweg Über den Gerichtsstand des Kontrakts und der belegenen Sache, Versuche 1827, 1ff. Zimmern Röm. Zivilpr. 68ff. Savigny System des heut. röm. R. VIII 39ff. Bethmann-Hollweg Röm. Zivilproz. II § 73. III § 146. Wetzell Zivilproz. 39ff. Geib Röm. Criminalproz. 486ff. Mommsen Röm. Strafr. 354ff.

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