Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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athenische Sage von der Opferung der Töchter Leos fürs Vaterland
Band VI,1 (1907) S. 860861
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Eubule (Εὐβούλη). 1) Tochter des Leos in Athen. Das seit Thukyd. I 20. VI 57. Demosth. LIV 7. 8. Aristot. resp. Athen. 18. 3. Hegesias bei Strab. IX 306 u. a. oft erwähnte Leokorion, über dessen Bedeutung und Lage Wachsmuth Stadt Athen II 413ff. und Judeich Topogr. Athens 301f. eingehend handeln, war vermutlich das Heiligtum einer Leokoros oder einer Gruppe von drei Leokoroi, mag man diesen Namen für eine euphemistische Bezeichnung chthonischer Gottheiten halten oder ihn als Sühnegöttin (E. Curtius Stadtgeschichte Athens 64) oder Volkspflegerin (Wachsmuth a. a. O.) erklären. Unsere Quellen aber stammen alle erst aus einer Zeit, da die attische Lokalsage dieses Leokorion mit dem Phylenheros Leos (Toepffer Attische Geneal. 40) in Verbindung gebracht und für ein Heiligtum seiner Töchter erklärt hatte. Man erzählte anfänglich, diese Töchter des Leos hätten sich freiwillig für ihre Vaterstadt geopfert, um sie vor einer drohenden Gefahr zu retten, Demosth. LX [861] 29. Diod. XVII 15. Dann kam die Version auf, Leos selbst habe bei einer Hungersnot (statt λιμός ist gelegentlich auch λοιμός geschrieben) auf Grund einer delphischen Weisung seine Töchter geopfert, und als er durch die Befolgung dieser Weisung seine Vaterstadt aus der Not befreit hatte, sei zum Dank für die Λεὼ κόραι das Leokorion gestiftet worden. In dem Zusammenhang dieser Version werden als Namen der drei Töchter genannt E., Praxithea (die Formen Phrasithea und Phasithea beruhen nur auf Schreibfehlern, vgl. Roscher Myth. Lexik, s. Praxithea) und Theope (var. Theopompe bei Schol. Aristid. — Schol. Liban.). So berichten unter Nennung der Namen ziemlich übereinstimmend Aelian. var. hist. XII 28. Schol. Demosth. LIV 7. Suid. s. Λεωκόριον Phot. s. Λεωκόριον. Apostol. X 53 (über die Wertlosigkeit der Stichmarke Λεωκόριον οἰκεῖς vgl Crusius Philol. L 30 und o. Bd. II S. 182). Schol. Aristid. Panath. I p. 119 (Dindorf III 112f.) = Schol. Liban. Declam. XXVII bei Morelli I 605. Aeneas Gaz. Theophr. am Schluß, nur in einigen Hss. (vgl. Theophylactus ed. Boissonade p. 239 und Migne Gr. 85. 1004 Anm. 63), wo jedoch nur Praxithea genannt wird; — ganz abweichend ist Hieronym. adv. Iovinian. I 41, Migne Lat. 23, 270: Chalcioecus quoque illa filia Leo virgo perpetua pestilen tiam patriae scribitur spontanea morte solvisse. Daß Leos seine Töchter geopfert habe, wird auch ohne die Namen der Töchter beizufügen, oft erwähnt, z. B. Paus. I 5, 2. Cic. nat. deor. III 50. Aristid. or. XIII p. 191 D. Liban. Decl. XIII p. 40 Morelli. Schol. Thukyd. I 20. Bekker Anecd. Gr. I 277 — Etym. M. 560, 34. Hesych. s. Λεωκόριον. Schol. Demosth. III 12 p. 31, 23. Theodoret. Graec. affection. curat. VIII 26. Daß die Sage auch von der Tragödie behandelt war, sagt Theodoret. a. a. O. VII 43. Ebenso handelten die Atthidographen von ihr, z. B. Phanodemos (Harpokrat. s. Λεωκόρειον), auf den vermutlich unsere übereinstimmende Überlieferung zurückgeht, vgl. Schwabe Leipziger Studien IV 136. Weshalb der Name E. für diese Tochter des Leos gewählt worden ist, läßt sich mit Sicherheit selbstverständlich nicht entscheiden. Passend war er für jede chthonische Gottheit ebenso wie der Name Eubuleus, auf den Gruppe Griech. Myth. 1 36, 3 in diesem Zusammenhang hinweist.

[Jessen. ]