42) Aus Apollonia, Sohn des Apollothemis (Diog. Laert. IX 57), einer der jüngsten Vertreter der ionischen Naturphilosophie (Simplic. phys. 25, 1). Unter dem Apollonia versteht Stephanos Byzantios (p. 106 Mein.) das kretische; mit welchem Rechte, bleibt fraglich. Ohne Frage blosse Vermutung ist es dagegen, wenn der Peripatetiker Antisthenes (bei Diog. Laert. a. a. O.) ihn für einen Zuhörer des (um 524 v. Chr. verstorbenen) Anaximenes erklärte. Denn ein Schriftsteller, der den um 467 v. Chr. bei Aigospotamos gefallenen Meteorstein erwähnte (Stob. ecl. I 24, 9. Doxogr. 342), auf dessen Ansichten Aristophanes in den Wolken (423) als auf die eines in Athen bekannten Mannes anspielt wie Euripides in seinen Troerinnen 884ff., der in seiner Weltanschauung augenscheinlich durch Anaxagoras bedingt ist, kann nicht so früh gelebt haben. Was bei Diog. Laert. a. O. über seinen Tod berichtet wird, betrifft in Wahrheit den Protagoras (vgl. W. Volkmann Pr. d. Magdal. Gymn., Breslau 1890). Im übrigen wissen wir über die Lebensverhältnisse unseres Philosophen nichts Genaueres.
Seine im ionischen Dialekte geschriebene Schrift Περὶ φύσεως, von der einige Bruchstücke erhalten sind (gesammelt von Schorn mit denen des Anaxagoras zus., Bonn. 1829, von Panzerbieter Leipz. 1830, von Mullach Fr. phil. Gr. I 252) lag noch dem Simplicius vor, während dieser zwei andere mit den Titeln Μετεωρολογικά und Περὶ ἀνθρώπου φύσεως als nicht mehr vorhanden erwähnt (phys. 151, 25). Vielleicht waren dies jedoch nicht besondere selbständige Werke, sondern spätere Abschnitte aus demselben Werke, wie denn Galen (in Hippocr. epid. VI, Bd. XVII a 1006 Kühn.) noch ein zweites, offenbar dem Simplicius unbekanntes Buch von Περὶ φύσεως kannte (anders Geil Philos. Monatsh. XXVI 257). In seiner Darstellung erstrebte D. Einfachheit und Würde, für sein System suchte er nach einer unerschütterlich festen Grundlage (frg. 1 bei Diog. VI 81. IΧ 57). Letztere glaubte er in dem Hylozoismus des Anaximenes gefunden zu haben, indem er für das Grundwesen alles Bestehende die Luft erklärte. Um auf einander wirken zu können, so urteilte er, müssen die Dinge bei alle Verschiedenheit im einzelnen ihrem Wesen nach [765] gleich sein. Deshalb darf man nicht vier Elemente annehmen wie Empedokles (frg. 2; Simplic. phys. 151, 31 D.) oder wie Anaxagoras einen vom Stofflichen principiell verschiedenen Geist, vielmehr kommen die Eigenschaften des νοῦς alle der Luft zu. Diese nennt D. gross, mächtig, ewig, unsterblich und reich an Wissen (frg. 3; Simpl. 153, 20). Sie ist die Quelle aller Bewegung und alles Lebens in Menschen und Tieren (denn die Pflanzen haben nach D. kein Leben). Aus ihr bilden sich durch Verdichtung, die zugleich Erkältung, und Verdünnung, die zugleich Erwärmung ist, unendlich viele Welten. So erzeugte die emporsteigende leichte Luft Sonne, Mond und Sterne, wogegen aus der herabsinkenden schweren das Meer und die anfangs feuchte, erst allmählich ausgetrocknete Erde entstanden. Eingehend beschäftigte sich D. mit dem menschlichen Körper, besonders mit der Theorie der Sinnesthätigkeiten (Theophr. de sens. 39–48. Dox. 510) und dem System der Adern (Arist. hist. an. III 2, 511 b 30). Eindringende Forschung hat erwiesen, dass D. ein Eklektiker war, der den Standpunkt des Anaximenes gegen Anaxagoras und Empedokles, ihnen teils beistimmend teils widersprechend, zu behaupten versuchte und dabei sich auch noch von Leukipp in Einzelheiten abhängig zeigt (Diels Rh. Mus. XLII 1 gegen Natorp Rh. Mus. XLI 349), keineswegs ein selbständiger, von diesen neueren Philosophen unabhängiger später Ausläufer der ionischen Naturphilosophie (Natorp 362). Vgl. Schleiermacher Werke Abt. III 2, 149. Krische Forschungen 163. Steinhart bei Ersch u. Gruber unter Diogenes v. Α. Weygold Archiv f. Gesch. d. Phil. I 161. Zeller Ia⁵ 259. Gomperz Griech. Denker I 299. 459.