Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Göttin, auch Atargatis und Derketo genannt
Band IV,2 (1901) S. 22362243
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Dea Syria (so CIL VI 116. VII 272. 759; Dea Suria VI 399. VII 758; Suria dea IX 6099; Diasuria [Gen. Diasuriaes] Ephem. epigr. IV 873. [dat. Diasuriae] CIL III 10393; Diasura VI 115; Dasyr(a) X 1554; Iasura Mommsen Chron. min. I 147, vgl. Jordan Herm. VI 315; griechisch Συρία θεός oder θεά. ἡ θεὸς ἡ Συρία, CIG 7041; Δειασυρία [nach Mordtmann ZDMG 1885, 43]) ist im Abendlande die gewöhnliche Bezeichnung der Göttin, welche auch genauer Atargatis oder Derketo genannt wird. Obwohl der erste Teil dieses Namens ursprünglich von dem der Astarte nur dialektisch verschieden ist (s. o. Atargatis), und eine Verschmelzung der beiden Gottheiten in gewissen Tempeln stattgefunden haben mag, so muss man doch die syrische עתרעחה‎ (Atargatin Syrorum, Tertull. ad nat. II 8) von der phoinikischen עשת‎ sorgfältig unterscheiden (vgl. Baethgen 74) und daran festhalten, dass die [2237] D. S. die erstere repräsentiert. In Askalon im Philisterland scheint jede von beiden ihr besonderes Heiligtum gehabt zu haben. In der Nähe der Stadt bei einem grossen Teich befand sich nach Diodor (II 4, 2) das τέμενος der Derketo (vgl. Luc. d. d. S. 14. Philo de provid. II 646 M.). Dieser Tempel ist kaum mit dem ἱρὸν Οὐρανίας Ἀφροδίτης, welches als die älteste Cultstätte der Astarte galt (Herod. I 105. Paus. I 14, 6), identisch (vgl. Stark Gaza 250ff. 258f.), ,wenn der Cultus der Derketo nicht später als ein verwandter zu dem der anderen hinzukam‘ (Baudissin). Dies ist wohl in Karnion (Aštaroth-Karnaïm) der Fall gewesen, wo nach II Makkab. 12, 26 ein Ἀταργατεῖον stand. In derselben Gegend scheint die Göttin auch in Namara verehrt worden zu sein (Le Bas 2172). Dagegen dass Derketo, wie zu Askalon, auch in Ioppe (Plin. n. h. V 69 colitur illic fabulosa Ceto, vgl. Stark a. a. O.) und in Azotos-Ašdod (Hoffmann Ztschr. f. Numism. 1882, 97) zu finden wäre, ist mindestens sehr zweifelhaft (Ceto ist eine blosse Latinisierung von κῆτος, vgl. Plin. n. h. IX 11. Hygin. astron. II 31; über die Münzen von Azotos vgl. Head HN 680).

Nicht in Palaestina war die Atargatis zu Hause, sondern im eigentlichen Syrien, wo ihr gewöhnlich der Hadad (s. d.) als Paredros beigegeben und beide zusammen als das höchste Götterpaar angesehen wurden. Dieser doppelte Dienst ist nicht nur für Bambyke (s. u.), sondern auch für Heliopolis-Baʿalbek bezeugt (Macrob. I 23, 18) und ist ebenfalls für das benachbarte Damaskos unzweifelhaft (s. Damascenus). Spuren des Atargatiscultus sind auch sonst in Coelesyrien nachweisbar (Tempel der κυρία Ἀταργάτις in Kefr. Aour, Le Bas 1890), und selbst in Palmyra wird sie neben Malachbel und der Tyche-Taimi als Landesgottheit auf gleicher Stufe hingestellt (Le Bas 2588. De Vogüé Inscript. Sémitiques 3). Aber das bekannteste Heiligtum der D. S. besass Bambyke, das deswegen auch Hierapolis hiess. Schon Ktesias wusste von der Göttin von Bambyke manches zu erzählen (s. u.), und zur Zeit Alexanders erscheint das Bildnis der ʿatarʿatha, mit dem Namen des hohen Priesters ʿabd hadad auf den Münzen der Stadt (Waddington Revue numism. 1861, 9. Six Numism. Chronicle XVIII 1878, 103ff., vgl. Head HN 654). Kurz nach 300 v. Chr. wurde der uralte Tempel, dessen Gründung verschiedenen Göttern und Heroen zugeschrieben (Luc. d. D. S. 12ff.), in griechischem Stil (c. 30) von Stratonike, der Frau des Seleukos, neu gebaut (Luc. 16. 19ff., vgl. Ael. h. a. XII 2) und galt seitdem als der grösste und reichste Syriens (Luc. 10ff.). Seine Schätze, welche von Antiochos IV. begehrt worden waren (Granius Licin. p. 9 Bonn., vgl. jedoch Preller Röm. Myth. II³ 397, 1), wurden von Crassus geplündert (Plut. Crass. 17), aber erhob sich bald wieder. Er wird von Strab. XVI 748 und Plin. V 87 erwähnt und die Schrift de Dea Syra, welche kaum mit Recht dem Lukian abgesprochen worden ist, giebt (28. 30ff.) eine ausführliche Schilderung des prunkvollen Gebäudes. Bei späteren Schriftstellern ist fast nicht mehr davon die Rede. Doch ist die ἀρχαία Νῖνος, von der Philostratos (vit. Apoll. I 19) spricht, vielleicht keine andere als Hierapolis (Nöldeke Herm. V [2238] 463), und das Bruchstück von Eunapios (frg. 94, FHG IV 54) über eine Priesterin Συρίας θεοῦ ist wohl auf den Durchmarsch des Kaisers Iulian durch dieselbe Stadt (363 n. Chr., Iul. ep. 27. Zosim. III 12 u. a.) zu beziehen. Endlich beschreibt Macrobius (I 17, 66) die Apollonstatue des Tempels (vgl. Luc. 35), als ob derselbe am Ende des 4. Jhdts. noch existiert habe. Wann er zerstört wurde, ist unsicher; heute sind nur unbedeutende Reste davon übrig geblieben (Sachau Reise in Syrien 1883, 147).

Die Berühmtheit dieses Heiligtums war ausserordentlich. Nicht nur aus Syrien, sondern aus Kappadokien, Arabien und Babylonien wallfahrte man nach Hierapolis (Luc. 10, 13). Die syrischen Schriftsteller (The doctrine of Addai ed. Philipps 24. Jacob. Sarug. ZDMG XXIX 132), der babylonische Talmud (Aboda Zara 11 b) sprechen von Tarʿatha als der Göttin von Mabog (Bambyke). Wohl von dieser Stadt aus wurde ihr Cultus nach Edessa und dessen Gebiet, wo der König Abgar ihn aufgehoben haben soll (Bardesanes bei Cureton Spicil. Syriac. 20, übers. 31; vgl. Duval Histoire d’Edesse 1892, 65. 78f.), nach Carrhae-Harrān (Jacob. Sarug. a. a. O.) und nach Nisibis-Medzpin (Moses Choren, bei Langlois Hist. arm. II 94, vgl. Lerubna ebd. I 326) übertragen. Bei Charax (Geogr. gr. min. I 249) finden wir sogar ein ἱερὸν Ἀταργάτι in Besechana (Begez in Mesopotamien) verzeichnet.

Desgleichen im Abendlande dehnte sich der Dienst der D. S. bis in die entferntesten Gegenden aus. Die bekannten auf einen verlorenen Roman des Lucius von Patrae zurückgehenden Schilderungen des Lukian (Lucius 35ff.) und des wohl nicht von ihm, sondern von seiner Quelle abhängigen Apuleius (metam. VIII 24ff.) führen uns die orientalischen Bettelpriester vor, welche mit dem auf einem Esel getragenen Bild der Göttin auf dem Lande herumstreiften und als Belohnung für ihre blutigen Wirbeltänze von den Zuschauern Geld und Gaben einsammelten. Indessen hat diese Art von Propaganda wenig zur wirklichen Verbreitung dieses Cultus beigetragen. Die syrischen Kaufleute sind es, die zuerst die Atargatis in der griechischen Welt eingebürgert haben. In zahlreichen Häfen hat sie Spuren ihrer Anwesenheit hinterlassen. So in Mylasa (ἱερεὺς Ἀφροδίτης Συ[ρί]ας Athen. Mitt. XV 259), in Smyrna (Dittenberger Syll.² 584; über die Aphrodite Στρατονικίς daselbst vgl. Preller-Robert I 380, 1), in Nisyros (Thiasos Ἀφροδισιαστᾶν Σύρων καὶ Διοςμειλιχιαστᾶν Athen. Mitt. XV 131) in Astypalaia (Widmung Ἀταργατεῖτι Bull. hell. III 407). Im Peiraieus wurde seit dem 3. Jhdt. v. Chr. von den Orgeonen der Grossen Mutter die Mitbenützung ihres Tempelbezirkes den Anbetern der Ἀφροδίτη Συρία oder Οὐρανία gestattet (CIA II 168, vgl. 136. 611 b. 615 c. Foucart Associations religieuses 98ff. 196ff. und dazu Maass Orpheus 1895, 72ff.), und in der Kaiserzeit wird daselbst eine ἱέρεια Συρίας θεοῦ genannt (CIA III 1280 a). Tempel derselben Göttin in Messenien auf der Akropolis von Thuria und an der Küste von Achaia in Aigion erwähnt Pausanias (IV 31, 2. VII 26, 7). Indessen in manchem dieser Orte handelt es sich viel mehr um die phoinikisch-kyprische Astarte (z. B. CIA II 168. 615 c), als um die syrische [2239] Atargatis, wenn nicht um eine Verschmelzung von beiden. Besonders zahl- und lehrreich sind die Inschriften von Delos, wo seit dem Ende des 2. Jhdts. v. Chr. nicht nur Leute, welche sich als Ἱεροπολεῖται bezeichnen, Widmungen Ἁδάτῳ καὶ Ἀταργάτει θεοῖς πατρίοις machen, sondern auch athenische Bürger letztere[WS 1] als ἁγνὴ θεὰ Ἀφροδίτη verehren, ihren Tempel schmücken und die Priesterwürde bekleiden (Bull. hell. VI 490ff. VII 477. VIII 131, 2; vgl. v. Schoeffer De Deli insulae rebus 191ff. 237).

Gleichzeitig wurde der Cultus der D. S. in Sicilien durch die syrischen Sclaven verbreitet. Der Sclave aus Apamea, der in Henna die grosse Empörung vom J. 134 v. Chr. anstiftete, gehörte zu den Dienern der Göttin (Diod. frg. XXXIV 2, 5; Flor. II 7 [III 19] fanatico furore simulato dum Syriae deae comas iactat [vgl. Luc. d. S. 60]), und in späterer Zeit hatte sie ein sodalicium in Syrakus (IGI 9). Desgleichen haben syrische Sclaven oder Kaufleute ihren Cultus nach Italien mitgebracht, wo er in Brundisium (CIL IX 6099), Puteoli (X 1554, vgl. 1596, wo die Venus caelesta wohl die D. S. ist), Amiternum (IX 4187 Deana syria) nachweisbar ist. In Rom, wo Nero vorübergehend zu seinen Anhängern gezählt wurde (Suet. Nero 56), wurde er in einem eigenen Tempel, der wohl trans Tiberim stand, ausgeübt (templum Iasurae Chron. ann. 354 bei Mommsen Chron. min. I 147, 23; vgl. Jordan Herm. VI 314ff.). Die daraus stammenden Denksteine gehören wahrscheinlich noch Neros Regierung an (CIL VI 716, vgl. Jordan a. a. O. 321; ausserdem VI 115. 399. 30970). Ferner wurde durch die orientalischen Truppen die D. S. bis an die nördlichste Grenze des Reiches getragen, wo ihr gewidmete Inschriften in Dakien (Ampelum CIL III 7864, vgl. 956), Pannonien (Aquincum III 10393 templum Baltis et Diasuriae [s. Baltis]) und Britannien (Cataractorium VII 272, Magna VII 758f. [von Officieren coh. I Hamiorum, s. v. Domaszewski Die Religion des röm. Heeres 52], vgl. IGI 2553) zu Tage gekommen sind.

Dem allgemeinen Charakter der semitischen Baʿalat entsprechend (s. Baltis) wurde die Atargatis als die Frau eines Baʿals, gewöhnlich Hadad genannt (s. o.), der neben ihr verehrt wurde, betrachtet. Deshalb wird die D. S. im Abendland dem Iuppitcr zur Seite gestellt (CIL VI 116f. 399 Iovi o. m. et deae Suriae, vgl. Luc. 31) und oft von den Griechen mit der Hera identificiert (Luc. 1ff. Plut. Crass. 17). Ursprünglich bildete dieses höchste Herrscherpaar die besonderen Schirmgottheiten des Stammes bezw. der Gemeinde, die es anbetete. Die Atargatis ist immer im Orient als eine θεὰ πολιοῦχος angesehen worden und trägt als solche die Mauerkrone (Luc. 32, vgl. die oben angeführten Münzen von Hierapolis). Sie wurde für die Gründerin der Stadt gehalten (vgl. Damascenus), und die localen Könige führten wohl auf sie ihre Abstammung zurück (Derketo, Mutter der Semiramis, Diod. II 4, 3ff. Luc. 14. Hyg. fab. 223, s. Derketades. Mnaseas FHG III 155 frg. 32 βασίλισσα). Sie hat das bürgerliche und religiöse Leben eingerichtet, indem sie den Menschen das Recht und die Gottesverehrung gelehrt hat (CIL VII 759 = Bücheler Carmin. epigr. 24 iusti inventrix, urbium conditrix, ex quis muneribus [2240] nosse contigit deos), und sie wird überhaupt als die wohlthätige Beschützerin gepriesen, welcher man alle nützlichen Erfindungen verdankt (Nigidius Figul. p. 126 Swoboda. Plut. Crass. 17 τὴν πάντων εἰς ἀνθρώπους ἀρχὴν ἀγαθῶν καταδείξασαν). Besonders ist sie, als Gattin des Hadad, eine Gottheit der Erzeugung und Fruchtbarkeit (Plut. a. a. O. τὴν ἀρχὰς καὶ σπέρματα πᾶσιν ἐξ ὑγρῶν παρασχοῦσαν αἰτίαν καὶ φύσιν. Apul. met. VIII 25 omniparens. CIL VII 759 spicifera). Im Vorhof des Tempels zu Hierapolis wandelten in Freiheit allerlei Tiere, die der Göttin der Fortpflanzung heilig waren, und nach Lukian, der sich mit Vorliebe darüber ausdehnt, spielte der Phallus in ihrem Cult eine grosse Rolle (16. 28ff.). Es ist also leicht verständlich, dass die Griechen zuweilen die syrische Göttin ihrer Aphrodite gleichstellen (Plut. a. a. O. Plin. XXXII 17. Luc. 32; in Delos ἁγνὴ Ἀφροδίτη und sonst, vgl. oben).

Diese Eigenschaft der Atargatis erklärt die Umwandlung der alten Stammgöttin in eine allgemeine Naturgöttin, welche sich frühzeitig vollzogen hat. Ihrem Namen nach ist vielleicht die ʿAtarʿata ,diejenige ʿAtar, welche den Ate (s. Ἐθάος) in sich aufgenommen, und insofern sie den ursprünglich neben ihr stehenden Gott absorbiert, eine universale Göttin ist‘ (Bäthgen 73). Wegen ihrer Beziehungen zum Wasser und zu den Fischen (s. u.) wollten einige das feuchte Princip in ihr erkennen, welches in der ganzen Welt das Leben hervorruft (Plut. a. a. O.; vgl. Symp. probl. VIII 8, 730 E. Cornut. nat. deor. 6). Andere hielten sie für die allgebärende Mutter Erde (Macrob. I 23, 18ff.), und sie wurde daher der Rea (Luc. 32. Cornut. nat. deor. 6. Euseb. praep. ev. VI 10, 42 [wo Tarʿatha durch Ῥέα übersetzt]; vgl. CISem. I 177, mit Etym. M. s. Ἀμμά), oder der Göttermutter Kybele assimiliert (in Delos Bull. hell. VI 502 Μητρὶ μεγάλῃ; ebd. 500 μητρὶ θεῶν. Apul. met. IX 10 deum Mater soror deae Syriae. CIL VI 30970 Mater deorum et mater Syriae. VII 759 mater divum). Für die Verschmelzung der beiden Culte im Peiraieus s. o. S. 2238; in Brundisium CIL IX 6099 sacerdos Matris magnae et Suriae deae et sacrorum Isidis (vgl. Bull. hell. VI 502 κατὰ πρόσταγμα Ὀσείριδος). Man erdichtete sogar vorgeschichtliche Beziehungen zwischen Hierapolis und Phrygien (Luc. 15). Aber diese und andere Gleichsetzungen (Diana: Luc. 32. CIL IX 4137 Diana syra. Granius Licin. p. 9; CIL VII 759 Pax, Virtus, Ceres) sind sämtlich nur teilweise zutreffend, und die griechischen Schriftsteller sind sich wohl bewusst, dass im Olymp kein so mannigfaltiges Wesen, wie die Atargatis es war, existierte (Plut. Crass. 17. Lukian. 32). Die Häufung der Attribute auf dem Bilde der Göttin drückte ihre pantheistische Natur aus (Macrob. 123, 18). Dementsprechend hielt man sie auch für allmächtig (s. d. und Apul. VIII 25 omnipotens et omniparens. Bull. hell. VI 502 τῇ πάντων κρατούσῃ). Ja sie wurde als eine Schicksalsgöttin angesehen, die das Leben der Menschen und den Lauf der Dinge unwiderstehlich leitet (Luc. 32 ἔχει δέ τι... Νεμέσιος καὶ Μοιρέων ... χειρὶ .. ἔχει ἄτρακτον. Schol. Germanic. 65 Breysig Virginem dicunt alii Atargatin alii Fortunam; vgl. 125; neben Tyche angerufen, Vogüé Inscr. Sém. 3 [s. o.]; s. auch die Darstellung auf den Münzen von [2241] Askalon Head HN 680). Die von Simplicius (in Aristot. physic. IV 641, 39 Diels) mitgeteilte Etymologie τὴν Συρίαν Ἀταργάτην τόπον θεῶν καλοῦσι findet so ihre Erklärung: nämlich athargadê (= locus Fortunarum, über den Gebrauch des Plurals vgl. Payne Smith Thes. syr. I 649). Diese letzte Umgestaltung ist wohl unter dem Einfluss der chaldaeischen Astrologie geschehen, welcher auch anderswo erkennbar ist. In dem merkwürdigen Gedicht, das ein syrischer Officier in Britannien zu Ehren seiner Landesgöttin verfasste (CIL VII 759), ist sie nicht nur als mit der punischen Caelestis sondern auch mit dem Zodiacalzeichen der Jungfrau (vgl. Schol. Germ. 65. 125 Breysig) identisch betrachtet.

Der Einfluss der Sterndeuterei ist auch in den Legenden, welche uns von der D. S. erzählt werden, bemerkbar. Eine Sage, die sich aus unbekannter Quelle bei Nigidius Figulus befand (Schol. Germ. 81. 145 Breysig. Ampel. II 12. Hyg. fab. 197. Arnob. I 36 ovorum progenies dii Syri vgl. Nigidii rel. ed. Swoboda 126) berichtet, dass Fische im Euphrat ein Ei von wunderbarer Grösse gefunden und auf das Land geschoben hätten. Dort sei es von einer Taube ausgebrütet worden und nach einigen Tagen sei die D. S. daraus geboren. Später habe die dankbare Göttin von Iuppiter als Belohnung für die Fische erlangt, dass sie in den Zodiacalkreis versetzt wurden. Nach einer anderen Überlieferung, welche auf Ktesias zurückgeht, wäre die D. S. in den Teich von Bambyke gefallen und durch die später in den Himmel getragenen Fische gerettet worden (Eratosth. Catast. 38. 128ff. Robert. Schol. German. 176 Breysig [wo für boecmice vielmehr Bambyce zu lesen ist]. Theon Schol. in Arat. 239 p. 282 Buhle. Hyg. astron. II 41. Athenag. leg. ad Chr. 156. Anonym, bei Westermann Paradoxogr. 213). Nach einer anderen überarbeiteten Fassung des Diognetus Erythraeus (vgl. Müller Script. rer. Alex. p. 134) hätte sich die Göttin mit ihrem Sohn Cupido in den Euphrat gestürzt, um Typhons Wut zu entgehen (Hyg. astron. II 30. Ovid. Fast. II 460. Manilius II 597ff.), eine sonderbare Mischung von griechischer, syrischer und ägyptischer Mythologie. Die stark abweichende Sage von Askalon, die dem Xanthos schon bekannt war (frg. 11. FHG I 38), ist am besten bei Diodor zu lesen (II 4, 3ff. vgl. Ovid. met. IV 46. V 331. Tzetz. Chil. IX 502 [der vom Moerissee spricht]). Aus Scham über einen mit einem schönen syrischen Jüngling begangenen Fehltritt hätte sich die D. S. in den heiligen Teich geworfen und sei in einen Fisch verwandelt worden. Die aus dieser Liebe geborene Tochter, Semiramis, sei von Tauben genährt worden. Von den Gestirnen ist hier nicht mehr die Rede. Diese Mythen (behandelt von Robertson Smith English histor. Review II 1887, 303ff.) haben wohl hauptsächlich einen aetiologischen Charakter und wollen die oft besprochene Thatsache erklären, dass die Syrer keine Fische assen und die Tauben für göttlich hielten. Diese Bemerkungen sind der gewöhnliche Schluss der Erzählung (vgl. ausserdem für die Fische Xenoph. anab. I 4, 9. Cic. nat. d. III 39. Plut. symp. probl. VIII 8, 730 Df. Clemens. Al. coh. 25 p. 35 Potter, vgl. Porph. de abstin. IV 7. Dieterich Die Grabschrift des Aberkios 40, 1 — für die Tauben Xenoph. [2242] a. a. O. Sextus Emp. hyp. III 223. Tibull. I 7, 18. Clemens a. a. O.; vgl. Thompson Glossary of Greek birds 1885, 144. Hehn Culturpflanzen⁶ 336). In der That, bei jedem Tempel der D. S., in Askalon (Diod. II 4, 2. Luc. d. S. 14) wie in Hierapolis (Luc. 45. Ael. h. a. XII 2. Plin. n. h. III 17), in Edessa (Duval a. a. O.) und anderswo (Charax a. a. O. mit Müllers Anm. Smyrna Dittenberger Syll.² 584. Baudissin Studien z. sem. Religionsgesch. II 165ff.) befand sich ein heiliger Teich, dessen Fische von keinem Menschen gefangen oder verletzt werden durften (Dittenberger a. a. O. ἰχθῦς ἱεροὺς μὴ ἀδικεῖν, vgl. Athen. VIII 346 c. Anthol. Pal. VI 24. Artemid. oneir. I 18 [der Ἀστάρτην für Ἀταργάτην schreibt]; s. Nöldeke ZDMG XXXV 220). Nur die Priester sollen das Recht gehabt haben, dieselben beim Opfermahl zu verzehren (Mnaseas frg. 32, FHG III 155; vgl. Dittenberger a. a. O. ἐὰν δέ τις τῶν ἰχθύων ἀποθάνῃ, καρπούσθω αὐθημερὸν ἐπὶ τοῦ βωμοῦ und Diog. Laert. VIII 34). Es wurden ebenfalls in den Heiligtümern der D. S. eine grosse Anzahl von weissen Tauben genährt, welche man nicht ohne Sünde berühren durfte (Luc. d. S. 14. 54; Iup. trag. 42. Diod. II 4, 6. Philo de provid. II 646 M. Cornutus n. d. 6; vgl. Scholz 319ff. Baudissin 176).

Auf die anderen Gebräuche und Feste, welche Lukian (42ff.) ziemlich ausführlich bespricht, können wir hier nicht näher eingehen. Es ist heute noch unmöglich festzustellen, welche dem Ritus von Hierapolis eigentümlich und welche allgemein üblich waren. Wir begnügen uns, zu bemerken, dass heilige Prostitutionen, wie sie in den phoinikisch-punischen Culten (s. Astarte und Caelestis) herkömmlich waren, in den Tempeln der D. S. überhaupt nicht vorzukommen scheinen (Euseb. praep. evang. IV 16, 22 verwechselt wohl Heliopolis mit Aphaka; vgl. Müller Geogr. gr. min. II 518, 30), und dass selbst die vielbesprochene Sitte, sich zu Ehren der Göttin zu entmannen (Luc. d. S. 50, Verschnittene im Abendland, Luc. Lucius 35. Apul. met. VIII 26f.) nach Lukian (d. S. 27) in Hierapolis ziemlich spät eingeführt worden ist, wohl unter dem Einfluss der kleinasiatischen Culte (Luc. d. S. 15, vgl. Lafaye bei Daremberg et Saglio II 1458) und kaum überall geherrscht haben wird. Überhaupt scheint der Dienst der D. S. in den griechischen Thiasoi und den römischen sodalicia einen wesentlich anderen Charakter gehabt zu haben als im Orient. Nur folgende Priester werden auf den Inschriften genannt: In Delos jährlich ernannter (χειροτονηθεὶς) ἱερεύς, Bull. hell. VI 489ff. 495. vgl. Athen. Mitt. XV 259; jährlicher ζακόρος (ζακορεύοντος) Bull. ebd. 497ff.; sacerdos CIL IX 6099, vgl. IGI 9; ausserdem praesidentes (προστάται ?) des Vereins IGI 9.

Von den bildlichen Darstellungen der Atargatis in den syrischen Tempeln finden wir genaue Beschreibungen bei den Schriftstellern. In Askalon wurde sie ähnlich wie Dagon (s. d.), dem sie wohl als Gattin zur Seite stand, als Fischweib gebildet (Luc. d. S. 14 ἡμισέη μὲν γυνή· τὸ δὲ ὁκόσον ἐκ μηρῶν ἐς ἀκροὺς πόδας ἰχθύος οὐρὴ ἀποτείνεται, vgl. Diod. II 4, 2. Ovid. met. IV 46. V 331; doch, bieten die Münzen diesen Typus nicht, s. de Saulcy Numism. Terre Sainte 1874, 178ff. Head HN 680). Von den Tempelbildern [2243] in Heliopolis sagt Macrobius (I 23, 18) Simulacrum Adad insigne cernitur radiis inclinatis ... Adargatidis simudacrum sursum versum reclinatis radiis insigne est ... Sub eodem simulacro species leonum sunt. Auch in Hierapolis thronte nach Lukian (31f.) die ,Hera‘ neben dem ,Zeus‘, beide vergoldet, letzterer auf Stieren, die erstere auf Löwen sitzend. Die Göttin hielt in der einen Hand ein Scepter, in der anderen eine Spindel, ihr Haupt war von Strahlen umgeben und trug einen Turm (Mauerkrone) und um den Leib hatte sie Aphrodites Gürtel (κεστός). Ihr Kleid war mit Gold und Steinen geschmückt. Ausserdem hatte sie auf dem Kopf einen Stein, der in der Nacht den Tempel erleuchtete (vgl. die Münzen von Hierapolis Lajard Recherches sur le c. de Vénus 1837 pl. III B, 1. V 11. Head HN 654). Diese Darstellung, wo morgen- und abendländische Elemente verbunden waren (über die Löwen und Stiere vgl. Diod. IX 5. Baudissin 177 und Dolichenus), diente den Künstlern im Occident als Vorbild. In dem Tempel zu Rom befand sich auf einer Seite Iuppiter sedens inter duos tauros, auf der anderen Dea sedens inter duos leones (CIL VI 116. 117, vgl. 115. 30970). Sie sass, ähnlich wie die Magna Mater, auf einem vergoldeten Thron (Bull. hell. VI 494 ἐχρύσωσεν τὸν θρόνον τῆς θεᾶς), der zur Seite zwei Löwen hatte (vgl. CIL X 1554 Leontoscasma) und trug in der rechten Hand eine Spindel, in der linken einen Spiegel [oder Tympanon? vgl. Luc. d. S. 15] (Zeichnung des Fulvius Ursinus Cod. Vatic. 3439 f. 120). Movers Phönizier I 584ff. Scholz Götzendienst und Zauberwesen bei den Hebräern 1877, 301ff. Bäthgen Beiträge zur semitischen Religionsgeschichte 1888, 68ff. Baudissin in Herzogs Realencyclopädie II³ 171ff., wo man die ältere Litteratur finden wird.

[Cumont. ]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: letzere