Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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das Papier
Band III,2 (1899) S. 21852192
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Charta, ὁ χάρτης (ἡ χάρτη), bezeichnet das aus der Papyrusstaude (Cyperus Papyrus L.) gewonnene und verarbeitete, aber noch nicht beschriebene Buchmaterial (s. unter Buch oben S. 943). Das Wort ist wohl, wie die sinnverwandten πάπυρος (Schaft der Papyruspflanze) und βύβλος (deren Mark) ägyptischen Ursprungs (s. unter Byblos Nr. 4 oben S. 1102); und wie das Wort selbst, ist auch die Sache, die es bezeichnet, im Nillande zu Hause, und von dort aus zu den Griechen und Römern gekommen. Unsere Kenntnis von der Herstellung und Verwendung der Ch. beruht hauptsächlich auf der ausführlichen Schilderung des älteren Plinius, n. h. XIII 68–89, einer Stelle, die häufig interpretiert worden ist und eine umfangreiche Litteratur hervorgerufen hat; an sie schloss sich bereits Melchior Guilandinus an in seinem zuerst Venedig 1572 erschienenen Buche Papyrus, hoc est commentarius in tria C. Plinii maioris de papyro capita, und sie ist der Angelpunkt auch für die neueren Abhandlungen über die Ch. geblieben. Von diesen sind besonders zu nennen H. Blümner Technologie und Terminologie Bd. I Abschn. 7 (die Fabrication des Papiers und Schreibmaterials) S. 308–327, und Th. Birt Das antike Buchwesen, 5. Cap. S. 223–255. Bei Blümner findet sich auch ein Verweis auf die ziemlich umfangreiche Litteratur, die neueste ist nachgetragen von F. Blass Palaeographie, Buchwesen und Handschriftenkunde, Iw. Müllers Hdb. I² 333–336.

Die Beschreibung des Plinius weist im einzelnen mancherlei Schwierigkeiten und Unklarheiten auf, die, wie ich glaube, weniger durch Textverderbnis entstanden sind, als dadurch, dass der Autor im Eifer des Excerpierens sich einer zu gedrängten Kürze befleissigte und manchen verbindenden Gedanken ausliess, den wir heutzutage zum völligen Verständnis notwendigerweise haben müssten. Das Wesentliche aber, was wir trotzdem aus ihm lernen können, sei im folgenden dargelegt.

Plinius beginnt § 69 mit einem kurzen Überblick über die Geschichte des Schreibmaterials, den er vollständig aus Varro geschöpft hat, wie die zweimalige Nennung dieses Autors am Anfange und am Schlusse des Abschnittes beweist. Demnach hat Varro die Ansicht ausgesprochen, die [2186] Ch. sei erst nach der Gründung des ägyptischen Alexandreia durch Alexander den Grossen bekannt geworden und in Gebrauch gekommen; eine Behauptung, die den Thatsachen nicht entspricht, sondern vielmehr eine Gelehrtenconstruction ist. Das beweist allein die Inschrift CIA I 324 aus dem J. 407 v. Chr.: χάρται ἒωνήθησαν δύο, σανίδες τέτταρες, und dass für den griechischen Culturkreis, im besonderen Ionien, schon Herodot stillschweigend den allgemeinen Gebrauch der Ch. für litterarische Zwecke voraussetzt, erhellt aus seinen Worten V 58: καὶ τὰς βίβλους διφθέρας καλέουσι ἀπὸ τοῦ παλαιοῦ οἱ Ἴωνες, ὅτι κοτὲ ἐν σπάνι βίβλων ἐχρέοντο διφθέρῃσι αἰγένῃσι καὶ οἰέῃσι · ἔτι δὲ κατ’ ἐμὲ πολλοὶ τῶν βαρβάρων εἰς τοιαύτας διφθέρας γράφουσι. Die Erfindung der διφθέρα (membrana) aber (s. unter Διφθέρα und Membrana) schreibt Varro an unserer Stelle dem Eumenes von Pergamon zu, § 70: mox aemulatione circa bibliothecas regum Ptolemaei et Eumenis, supprimente chartas Ptolemaeo idem Varro membranas Pergami tradit repertas. Diese Geschichte kehrt in späterer Zeit häufiger wieder (so bei Hieron. ep. ad Chrom. VII und Joannes Lydus de mens. p. 14, 11 ed. Wuensch, beiden durch Sueton vermittelt), und zeigt deutlich, dass es die Rivalität von Alexandreia und Pergamon und die Verschiedenheit des von beiden Culturcentren benutzten Schreibmaterials war, die Varro zu seiner Construction reizte.

Auf diese historische Einleitung folgt § 71–73 eine naturgeschichtliche Beschreibung des Papyrus und eine Aufzählung der verschiedenen Arten seiner Verwendung, die Plinius aus Theophrasts Pflanzengeschichte (IV 8, 3ff.) entnommen hat. Es ist eine Staude, die hauptsächlich im Nildelta gedeiht; sie sendet aus einer armdicken Wurzel dreikantige Stengel aus, die eigentlichen Papyri, die eine büschelartige Blume tragen. Die Stengel werden, wie Plinius ausdrücklich sagt, bis zu 10 cubita (4,44 m.) hoch, eine Angabe, die Blümner (a. O. 309) mit 14 Fuss übersetzt. Birt a. O. 225 bestreitet die Möglichkeit einer solchen Höhe und will an dem theophrastischen Mass von 4 Ellen (1,85 m.) festhalten; wie ich glaube, mit Unrecht: die Papyrusstauden am Anapo bei Syracus erreichen heute durchschnittlich mehr als doppelte Mannshöhe.

Sodann wendet sich Plinius mit § 74 zur Fabrication der Ch. aus dem Papyrus. Das Mark der Pflanzenstengel – nicht, wie man früher annahm, der Bast – wird mit einem scharfen Instrument in sehr dünne, aber möglichst breite Lagen zerlegt. Da der Stengel der Papyrusstaude dreikantig ist, so hat das Mark im Querschnitt die Gestalt eines gleichseitigen Dreiecks, und die breiteste Lage ist diejenige, die der Höhe dieses Dreiecks entspricht; von da ab nehmen die Lagen nach beiden Seiten hin an Breite ab. Da nun offenbar diejenige Ch. die beste ist, die aus der geringsten Anzahl Querstreifen besteht – sie bietet die grössten einheitlichen Flächen, und die Feder ist am wenigsten in Gefahr, durch Steckenbleiben in den Fugen die Gleichmässigkeit der Schrift zu schädigen – so ist leicht verständlich, warum Plinius an dieser Stelle von den Markstreifen sagt: principatus medio atque inde scissurae ordine, und dann sofort zur Aufzählung der [2187] einzelnen Sorten der Ch. übergeht, deren Güte ja mit von der Breite der scissurae abhängig war.

Nach Nennung der Papyrusarten, wie der Handel sie unterschied, fährt Plinius in der Schilderung der Fabrication fort. Sie geschieht auf Platten, die mit Nilwasser feucht gehalten werden, da, nach Ansicht des Plinius, die trübe Flüssigkeit dem Leim erst die rechte Kraft giebt. Zuerst wird eine Reihe Streifen von möglichster Länge, nur oben und unten gerade geschnitten (so verstehe ich die Worte resegminibus utrimque amputatis), dicht nebeneinander auf der Tafel vertical in der Richtung auf den Arbeiter zu festgeleimt, dann wird darüber eine andere Schicht ebenso quergelegt: die erste ist die Unterlage, oder, wie Plinius mit einem von der Webekunst entnommenen Gleichnis sagt, die horizontalen statumina; die zweite die subtemina, bilden die eigentliche Schreibfläche (Wilcken Hermes XXII 488). Das so fertig geklebte Blatt wird gepresst und an der Sonne getrocknet; sodann werden die einzelnen Blätter mit einander verbunden, und zwar so, dass die besseren von weniger guten abgelöst werden, und die schlechtesten zuletzt kommen. Dies geschah wohl, weil in der gerollten Hs. (s. unter Papyrus) die ersten Blätter an der Aussenseite lagen und so am meisten jedem Unfall ausgesetzt waren, den bessere Blätter eher aushielten, wie schlechte; dann aber blieben auch, wenn die Ch. nicht ganz beschrieben wurde, gerade die schlechten Seiten unbenutzt (Birt a. O. 238).

Hieran schliesst Plinius noch die Notiz: numquam plures scapo quam vicenae (plagulae), Worte, die man sehr verschieden gedeutet hat. Aus der Schreibweise des Autors heraus kann ich sie nicht anders verstehen, als: ,Ein Schaft hat nie mehr als 20 Blätter', d. h. ,aus einem Pflanzenschaft kann man bis zu 20 Blättern Ch. fabricieren‘. Dass ein Schaft, der bis zu 4,44 m. hoch wird, genug Mark enthält, um bis zu 20 Blätter Ch. zu bilden – Plinius giebt beide male Maximalzahlen –, stellt sich bei einer Berechnung mit annähernden Werten als durchaus richtig heraus: 20 Blatt des weiter oben von diesem Autor genannten grössten Formates fordern etwa 2,30 qm. Mark, und genau ebensoviel an wirklich verwendbaren Streifen liefert eine Staude von der bezeichneten Höhe.

Nun giebt es aber eine Anzahl Glossen für scapus, die Birt 239f. anführt, und die ihn entweder als certus numerus tomorum chartae scriptae oder als tumulus (lies tomulus) chartarum erklären. Um diese Glossen zur Deckung zu bringen, kann man entweder annehmen, dass scapus eine doppelte Bedeutung gehabt habe – und das ist ja gewiss das Näherliegende –, oder man geht davon aus, dass das zu glossierende Wort eindeutig gewesen ist und nur verschieden erklärt wurde; alsdann wären tomus und tomulus dem Sinne nach nicht congruent gewesen. Da wir nun wissen, dass tomus in der That zweierlei bezeichnen konnte, so scheint mir der letzte Weg der methodisch richtige; alsdann hätten wir tomus in der ersten Glosse in seiner ursprünglichen Bedeutung als geschnittenes Stück Papier (τόμος ὁ τεμνόμενος χάρτης Birt a. O. 25) aufzufassen, während die zweite Glosse scapus als ein Bändchen aus Papierstücken (man beachte den Plural) [2188] erklärt. Wollen wir nun beide Definitionen combinieren, so erhalten wir für scapus die Bedeutung eines Bändchens Schreibpapier (ich glaube nicht, dass man chartae scriptae pressen darf), das aus einer bestimmten Anzahl von Blättern besteht; diese Anzahl giebt nun gerade Plinius an unserer Stelle auf 20 an. Soll diese Erklärung einen Sinn haben, so kann der scapus natürlich nur eine kaufmännische Einheit gewesen sein, nach der die Ch. im Handel ging; aus mehreren scapi setzte man dann nach Bedürfnis die grösseren Rollen zusammen. Den Namen aber hatte diese Einheit wohl gerade daher, dass sie ungefähr der Masse Ch. entsprach, die ein einzelner Schaft liefern konnte.

Der nächste Paragraph, der noch mit der Fabrication zu thun hat, ist 81; hier bekommen wir eine Schilderung der Fehler, die dem einzelnen Blatte anhaften können. Rauhe Stellen werden durch Elfenbein oder Muscheln geglättet, dann wird aber die Schrift leicht undeutlich. Eine ganz geglättete Ch. nimmt weniger Tinte an, wenn sie auch einen grösseren Glanz hat. Ist man bei der Herstellung mit dem Verteilen der Flüssigkeit unvorsichtig gewesen, so merkt man dies beim Glatthämmern, oder schon durch den Geruch. Linsenförmige Flecken kann man mit dem Auge wahrnehmen; schwieriger ist die Entdeckung eines anderen Fehlers, der darin besteht, dass in die Mitte zwischen beiden Lagen ein Streifen geraten ist, der durch seine schwammige Natur dazu neigt, das Papyrusmark auszusaugen (so verstehe ich taenea fungo papyri bibula); diesen merkt man erst, wenn beim Schreiben die Buchstaben auslaufen, das betreffende Blatt muss alsdann umgearbeitet werden.

§ 82 giebt die Recepte des besten Leims und einige Nachträge zur Herstellung der Ch.: das fertige Blatt wird mit dem Hammer dünn geschlagen und mit Leim übergangen; zuletzt werden die Falten, die es durch das Leimen gezogen hat, durch nochmaliges Hämmern beseitigt; dann ist die Ch. fertig und im stande, einen langen Zeitraum zu überdauern. Plinius fügt hinzu, dass er selbst noch die Handschrift der beiden Gracchen gesehen habe; die Autogramme des Cicero, Augustus und Vergil seien durchaus nichts Ungewöhnliches.

Der plinianische Tractat über die Ch. schliesst sodann mit einer längeren Polemik gegen Varros Behauptung, der Papyrus sei erst unter Alexander dem Grossen bekannt geworden (F. Münzer Quellenkritik des Plinius 152). Zuletzt giebt er noch die Nachricht, dass sich bereits gelegentlich ein Mangel an Ch. fühlbar mache; unter Tiberius habe der Senat, um Unordnungen vorzubeugen, Vertrauensmänner eingesetzt, die die Verteilung der Ch. überwachten.

Die Angaben, die Plinius zwischendurch über die zu seiner Zeit gebräuchlichen Sorten Ch. macht, lassen sich am besten nunmehr im Zusammenhange betrachten. Ihnen stellt sich ein Bericht des Isidor zur Seite (orig. VI 10), der sein Wissen aus Sueton schöpft, wie Reifferscheid nachgewiesen hat (Suet. rell. frg. 103 und p. 420).

An eine gute Ch. stellten die Alten die Anforderung, dass sie dünn und dabei doch dicht (d. h. nicht durchlässig), glatt und weiss sei, und [2189] nach der Verschiedenheit dieser Qualitäten schieden sich die einzelnen Sorten; dazu kam aber noch ein rein äusserliches Unterscheidungszeichen, die Grösse, die man nach der Breite des einzelnen Blattes bestimmte; je breiter dieses war, für um so besser galt die Sorte.

Bei den einzelnen Arten nun, die uns die römischen Schriftsteller nennen, lässt sich noch unterscheiden, welche ursprünglich in Ägypten fabriciert wurden, und welche hinzukamen, als diese Industrie nach Rom verpflanzt wurde und dort eine weitere Ausbildung erfuhr. Die beste ägyptische Sorte war ursprünglich die hieratica, deren Blattbreite 11 digiti (0,2035 m.) betrug, religiosis tantum voluminibus dicata sagt Plinius, zu dessen Worten es stimmt, wenn in dem einen Londoner Zauberpapyrus (Kenyon Greek Papyri in the Brit. Mus., London 1893, p. 74) v. 304 zu einer schriftlichen Beschwörung ausdrücklich die Benutzung des χάρτης ἱερατικός verlangt wird.

Nach der hieratica war die beste die amphitheatrica, so genannt nach dem Fabricationsorte in der Nähe des Amphitheaters von Alexandreia, 9 digiti breit (0,1665 m.); dann kam die Saitica, zu der man schon schlechteres Material nahm, und die man 7–8 digiti (0,148 bezw. 0,1295 m.) breit machte. Noch schlechter und fast baumrindenartig war die Taeneotica, ebenfalls nach einer alexandrinischen Örtlichkeit benannt, sie wurde nicht nach der Güte, sondern nach dem Gewicht verkauft. Ihre Breite giebt Plinius daher auch gar nicht an, für ihn berührt sie sich eng mit der letzten Sorte, der emporetica, die nur für Handelszwecke zu Emballagen u. a. gebraucht wird, und deren Breite bis zu 6 digiti (0,111 m.) beträgt. Und da naturgemäss die breiteren Sorten aus dem unteren Ende der Papyrusschäfte hergestellt werden, die längere Streifen liefern, so bleibt, nachdem die oberen Teile sich zu der schmalen emporetica haben verarbeiten lassen, noch ein Rest, die oberste Spitze; diese liefert keine Ch. mehr, sondern ist der Papyrus schlechthin, der binsenartiger Natur und nur zu Stricken tauglich ist, und auch das nur da, wo er feucht gehalten werden kann.

Die römische Industrie knüpfte nun an die beiden besten ägyptischen Sorten an, indem sie ihre Breite und damit auch ihre Güte verbesserte. So entstanden aus der hieratica zwei neue Sorten von je 13 digiti Breite (0,2405 m.); die erste davon kennt Plinius unter dem Namen der augusteischen Ch., während sie Sueton Augustea regia nennt, und sie in der älteren Litteratur zweimal nur als regia (βασιλικὸς χάρτης) erscheint (Catull. 19, 6. Hero περὶ αὐτοματ. p. 269); dieser Name scheint zu beweisen, dass man bereits in Ägypten Verbesserungen an der hieratica vorgenommen und der dort entstandenen neuen Sorte eine Bezeichnung gegeben hatte, die eine Ehrung für die Ptolemaeer sein sollte. In Rom machte man daraus, wie bemerkt, zwei Sorten: die eigentliche Augustea regia und die Liviana, so genannt nach der Gattin des Augustus; sie unterschied sich von der Augustea nicht durch die Breite, sondern durch geringere Feinheit.

Aus der amphitheatrica stellte der römische Fabricant Fannius eine neue Ch. her, die Fanniana, [2190] die 10 digiti (0,185 m.) breit wurde. Hier giebt Plinius auch das Verfahren an: sie entstand durch weiteres Auseinanderarbeiten und sorgfältiges Zwischenlegen passender Streifen; so sind jedenfalls die Worte tenuatamque curiosa interpolatione zu verstehen. Dies Verfahren wird wohl auch bei der Herstellung der Augustea und Liviana aus der hieratica beobachtet worden sein.

Die Reihenfolge der ägyptischen und römischen Sorten, wie sie Plinius angiebt, entspricht nun nicht ganz dem Verzeichnisse Suetons, wie es Isidor erhalten hat. Es zeigen sich folgende Abweichungen :

Plinius       Sueton
Augustea Augustea
Liviana Liviana
hieratica hieratica
Fanniana      –
amphitheatrica           –
Saitica Taeneotica
Taeneotica Saitica
     – Corneliana
emporetica emporetica

Dabei ist jedoch wenig von Belang, dass Sueton die beiden schlechten Sorten, die aus Sais und von der Taenia herkommen, in anderer Reihenfolge schätzt, als Plinius; wichtiger ist, dass er nach der Saitica noch eine Sorte anführt, die Corneliana a Cornelio Gallo praefecto Aegypti primum confecta. Da Cornelius Gallus sicher sich nicht um die Fabrication einer Ch. gekümmert hat, die an Güte zwischen der saitischen und dem Packpapier stand, so müssen wir annehmen, dass diese Sorte nur am Ende der Schreibpapiere steht, weil sie zuletzt erfunden ist. Sie wird jedenfalls sich an eine bereits vorhandene bessere Art ägyptischer Ch. angeschlossen haben, und das ist sicher die amphitheatrica gewesen, die sonst im Cataloge des Sueton vollständig fehlen würde. Und da wir wissen, wie Augustus bestrebt war, jede Erinnerung an seinen einstigen Liebling zu unterdrücken, so werden wir uns nicht wundern, dass bei Plinius die aus der Amphitheatrica abgeleitete römische Marke nicht als Corneliana mit dem Namen des Erfinders erscheint, sondern als Fanniana mit dem Namen des Fabricanten.

Nachdem Plinius so den Stand der Papyrusfabrication unter Augustus besprochen hat, giebt er noch einen Nachtrag über die spätere Zeit. Kaiser Claudius dehnte sein Interesse für litterarische Dinge auch auf das Schreibmaterial aus und erfand eine neue, nach ihm genannte Ch.; die Augustea wurde nämlich so dünn hergestellt, dass die Tinte auf die andere Seite durchschlug; diesem Übel half Claudius dadurch ab, dass er die untere Lage aus Papyrus zweiter Güte herstellte, der dichter war als der ganz feine Papyrus, der die obere Lage bildete. Ausserdem brachte er die Breite des Blattes auf einen Fuss (0,296 m.), und dadurch wurde seine Ch. die beste; die Augustea verwendete man von da ab meist zu Briefen. Ein Versuch, die Breite des Blattes auf eine Elle (0,444 m.) zu bringen, scheiterte; diese sog. macrocolla (oder macrocola) hatten den Nachteil, dass, wenn sich ein Querstreifen losriss, gleich mehrere Columnen Schrift bedroht waren. Die Quellen, auf die Plinius und Sueton im letzten Grunde zurückgehen, sind sicher Berichte nach Notizen, die in den Fabriken zu Alexandreia oder Rom gemacht worden sind. Doch hat beiden [2191] schon eine schriftstellerisch redigierte Übersicht vorgelegen, und zwar aus augusteischer Zeit; für Sueton beweist dies die Wendung, die beste Ch. sei in honorem Octaviani Augusti appellata (nicht divi Augusti), und die Erwähnung des Cornelius Gallus; für Plinius geht es daraus hervor, dass er die claudianische Reform als Nachtrag zum Stande der Sorten unter Augustus bringt. Diese Quelle unter den Werken des Varro oder des Verrius Flaccus zu suchen, verbietet für Sueton eben jene Erwähnung des Gallus; es wäre ein sehr merkwürdiger Zufall, wenn Varro in seinen letzten Lebensjahren, während deren Ägypten unter der Verwaltung des Cornelius stand, über die Ch. geschrieben hätte, und Verrius Flaccus würde ihn bei seiner Stellung zum Hause des Herrschers sicher nicht erwähnt haben. Er könnte höchstens für Plinius in Betracht kommen, aber auch das ist mehr wie unsicher.

Der Preis, den die Ch. im Handel erzielte, war natürlich in älterer Zeit, als der Marktverkehr noch weniger lebhaft war, ein ziemlich hoher; die oben erwähnten χάρται δύο kosteten im J. 407 v. Chr. 2 Drachmen 4 Obolen (s. oben S. 975). Von einem ganz geringen Stücke Ch. spricht Demosthenes LVI 1 als von einem γραμματείδιον δυοῖν χαλκοῖν ἐωνημένον καὶ βιβλίδιον μικρὸν πάνυ. In der Kaiserzeit werden uns gelegentlich Preise von Büchern genannt, die ergeben, dass eine fertige Rolle von geringem Umfange und einfacher Ausstattung den Verleger auf einen Selbstkostenpreis von etwa einem Sesterz zu stehen kam (s. oben S. 984): da hierin noch der Schreiberlohn inbegriffen ist, so kann damals die Rolle Ch. nicht gerade sehr teuer gewesen sein.

Interessant ist hierbei auch die Frage, in welchem Verhältnis der Preis der Ch. zu dem des anderen Schreibmaterials, des Pergaments, gestanden hat. Einen Fingerzeig giebt uns Martial in seinen Apophoreta (B. XIV), die, wie Birt bewiesen hat (Buchwesen 73ff.), so geordnet sind, dass immer ein wertvolles Geschenk mit einem minderwertigen abwechselt. Hier sind nun in den Epigrammen 183–196 Bücher als Geschenke gewählt, und zwar, wie die Titel beweisen, abwechselnd ein auf Ch. und ein auf Pergament geschriebenes. Da nun das zuerst genannte Buch, die Batrachomachia auf Papier, auf ein zweifellos minderwertiges Geschenk folgt, so schliesst Birt aus dem Gesetze der Disposition, dass dieses Buch wieder ein wertvolles Geschenk gewesen sein müsse, und mithin höher im Preise gestanden habe, als der darauffolgende ganze Homer (Ilias und Odyssee) in membranis. Ich halte diesen Schluss für unmöglich und glaube, dass hier eine der zahlreichen Durchbrechungen des Dispositionsgesetzes vorliegt, die auch Birt anerkennen muss, und die er auf den Ausfall einzelner Epigramme zurückführt; an unserer Stelle ist wohl eine Laune des Dichters massgebend gewesen, die bei den Büchern, entgegen dem sonstigen Brauche, das wertlose Geschenk den wertvollen voranstellte. Denn dass ein ganzer Vergil in membranis, mit dem Bilde des Dichters verziert, mehr wert war als der Culix auf Ch., und dass die Monobiblos Properti an Wert einen vollständigen Livius nicht übertreffen konnte, auch wenn jene auf einem zehnmal kostbareren Stoff geschrieben war als dieser, ist klar. [2192] Mithin sind durchgängig die von Martial angeführten Pergamentbücher wertvoller als die Papyrusrollen; doch folgt aus dieser Erkenntnis nicht viel für das Preisverhältnis der beiden Schreibmaterialien, da die Wertschätzung hier überall mit durch den Umfang der betreffenden Werke bedingt ist.

So gut wir über die Fabrication der Ch. im 1. Jhdt. n. Chr. unterrichtet sind, so wenig wissen wir aus der Folgezeit. Gelegentlich werden in Rom horrea chartaria erwähnt (Notit. reg. IV), die zeigen, dass das verkäufliche Schreibmaterial in grossen Speichern aufbewahrt wurde; doch musste mit der allmählichen Verödung Roms auch ein Verfall dieser Industrie kommen; und dies Zurückgehen wird klar an den Massen der erhaltenen Papyri, von denen lange nicht alle die Breite erreichen, die Plinius von einer guten Ch. fordert. Die Messungen Birts (a. O. 275f.) ergeben für sehr viele Papyri ein Zurückbleiben selbst hinter der Breite der emporetica.

Die Schicksale der aus Papyrusmark hergestellten Ch. im Mittelalter sind zuletzt besprochen von P. Blass (a. O. 344). In Ägypten ist sie noch sehr lange fabriciert worden, wie die Funde aus dem Faiyûm beweisen (Wilcken Hermes XXIII 629). Doch allmählich erlag dieses Material einer mächtigen Concurrenz; nicht nur beginnt seit dem 3. und 4. Jhdt. im Occident das Pergament (s. u. Pergament) die Ch. abzulösen, sondern auch im Orient muss sie allmählich weichen, und zwar hier dem Baumwollen- und Linnenpapier. Ersteres, die charta bombycina (ξυλοχαρτίον), wird seit dem 8. Jhdt. von den Arabern importiert, aber im Abendlande bis zum 14. Jhdt. neben dem Pergament nur spärlich verwendet; mit dem 15. Jhdt. beginnt dann die Überhandnahme des Linnenpapieres, das schliesslich sich als alleiniges Buchmaterial behauptet hat; auch auf dieses geht der Name charta über, und die auf Linnenpapier geschriebenen Manuscripte werden κατ’ ἐξοχὴν als codices chartacei bezeichnet.

Nachträge und Berichtigungen

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Band S I (1903) S. 285 (EL)–286 (EL)
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S. 2192, 32 zum Art. Charta:

Die Annahme eines besonderen Baumwollenpapiers ist nach den ausgezeichneten Untersuchungen von J. Karabacek und J. Wiesner (Mith. aus der Samml. d. Papyr. Erzherz. Rainer II/III 87ff. 179ff.) nicht mehr zu halten; wo die ch. bombycina erwähnt wird, ist darunter ein baumwollenartiges Hadernpapier zu verstehen. S. hierzu den ,Bericht über die auf Paläographie und Handschriftenkunde bezügliche Litteratur der J. 1874–1896‘ von R. Beer und W. Weinberger [286] Jahresber. XCVIII 195f. – Zu der Litteratur über Ch. ist jetzt hinzuzufügen Karl Dziatzko Untersuchungen über ausgewählte Kapitel des antiken Buchwesens, mit Text, Übersetzung und Erklärung von Plinius n. h. XIII 68–89, Lpz. 1900.

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Band R (1980) S. 81
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Charta

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