Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Bezeichnung jugendlicher Diener von Priestern
Band III,1 (1897) S. 14311432
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Camillus. 1) Camillus, camilla ist ursprünglich eine Bezeichnung für alle freigeborenen Kinder. Fest. epit. p. 93, 3 alii dicunt omnes pueros ab antiquis camillos appellatos, sicut habetur in antiquo carmine, cum pater filio de agricultura praeciperet: ,Hiberno pulvere verno luto grandia farra, camille, metes‘ (derselbe Vers bei Macrob. V 20, 18 und Interp. Serv. Georg. I 101). Fest. epit. p. 43, 13. Interp. Serv. a. a. O. Corp. gloss. lat. V 618, 4. Später erhielt sich der Name nur im sacralen Gebrauche und bezeichnete die jugendlichen Diener gewisser Priester, die diesen – falls sie nicht eigene Kinder haben, die diesen Dienst versehen (Dion. II 22) – beim Opfer assistieren. Sie müssen freigeboren (Fest. epit. p. 93, 2), impuberes (Serv. Aen. XI 558. Dion. II 22; investes = impuberes Macr. III 8, 7 = Interp. Serv. Aen. XI 543) sowie patrimi et matrimi sein, d. h. beide Eltern am Leben haben (Fest. epit. a. a. O.; vgl. Patrimi et matrimi und Ἀμφιθαλεῖς). Als nobiles bezeichnet die camilli Macrobius a. a. O., patricische Abkunft kann indes für dieselben nur so lange Erfordernis gewesen sein, als sie für die Priester selbst nötig war, d. h. bis zur lex Ogulnia des J. 300. Ausdrücklich erwähnt werden camilli und camillae nur vom Flamen Dialis und der Flaminica (Fest. epit. p. 93. Macrob. III 8, 7 = Interpol. Serv. Aen. II 543. Plut. Num. 7) sowie von den Curionen (Dionys. II 22), doch darf man wohl annehmen, dass auch andern Priestern derartige jugendliche Opfergehülfen beigegeben waren. Die in den Arvalacten vorkommenden pueri ingenui patrimi et matrimi sind jedoch keine camilli (s. Bd. II S. 1471). Ausser als Diener der Priester beim Opfer fungiert ein C. noch bei der Hochzeitsceremonie, bei welcher er das cumerum (s. d.) trägt (Varro de l. l. VII 34). Vgl. Rossbach Röm. Ehe 317–323.

In erweiterter Bedeutung gleich Dienerin überhaupt braucht das Wort camilla Pacuvius im Medus frg. XIII Ribbeck (Varro de l. l. VII 34. Macrob. III 8, 7. Interpol. Serv. Aen. XI 543; vgl. Ribbeck Röm. Tragödie 322).

Die Tracht der camilli ist aus zahlreichen Darstellungen auf römischen Reliefs bekannt; sie erscheinen in der Regel in kurzer, gegürteter Ärmeltunica, welche die Beine freilässt; auf einer oder beiden Schultern tragen sie bisweilen ein [1432] mit Fransen besetztes Tuch, das ricinium (s. d.), in der Hand die acerra (vgl. Sueton. Tib. 44) und das praefericulum (s. diese Worte). C. in Opferscenen z. B. Mon. d. Inst. VI 13. XI 36, 3. Clarac 218, 724; in einer Procession: Mon. d. Inst. XI 34–35, 3 und 4; in Hochzeitsdarstellungen: Mon. IV 9 u. ö. S. Rossbach Röm. Hochzeits- und Ehedenkmäler. Statuarische Darstellung: Bronze im capitolinischen Museum, Helbig nr. 601. Friederichs-Wolters nr. 1561, abgebildet u. a. in Baumeisters Denkmälern II 1108 (die Deutung ist durch die Übereinstimmung mit den camilli in den Opferscenen der Reliefs gesichert).

Unsicher ist der Ursprung des Wortes camillus. Varro und die aus ihm schöpfenden Schriftsteller bringen dasselbe mit dem Namen des Hermes, Casmilus (Varro de l. l. VII 34) oder Καδμῖλος (Plut. Numa 7) in Verbindung, unter dem dieser als Götterdiener in Samothrake verehrt wurde (s. Casmilus und Kadmilos), oder, da man die tyrrhenischen Pelasger in Samothrake mit den italischen Etruskern identificierte, mit dem angeblich etruskischen Namen des Götterdieners Mercur, C. (Serv. Aen. XI 558. Statius Tullianus bei Macrob. III 8, 6 und Interpol. Serv. Aen. XI 543). Dionys. II 22 (ebenfalls nach Varro) setzt camilli = κάδμιλοι, den dienenden Priestern bei den Etruskern und Pelasgern. Vgl. O. Müller-Deecke Etrusker II 70ff. Neuerdings ist der Zusammenhang von Καδμῖλος und C. verteidigt worden von Berger Mémoires de la société de Linguistique de Paris 1886, 140ff.) und von Keller (Lat. Volksetymologie 241), die annehmen, nach dem Namen des dienenden Kabiren Καδμῖλος seien die ministrierenden Knaben in den samothrakischen Mysterien καδμῖλοι oder κασμῖλοι genannt worden. Das Institut dieser καδμῖλοι sei nach Etrurien und von da nach Rom gekommen. Hier soll dann aus cadmilus, casmilus, camilus die Diminutivform camillus entstanden sein, oder, wie Berger im Anschluss an Havet vorschlägt, aus cadmilus wurde casmilus, daraus casmillus und camillus. Widerlegt wird diese Ansicht dadurch, dass camillus, wie oben dargelegt, ursprünglich jeden freigeborenen Knaben bezeichnet. Derselbe Grund spricht auch gegen die von Schweizer-Sidler (Zeitschrift f. vgl. Sprachforschung I 512) vorgeschlagene Ableitung von dem in carmen vorliegenden Stamme, die übrigens, wie Mercklin Zeitschrift für Altertumswissenschaft 1854, 117 richtig bemerkt, nicht einmal für die priesterlichen camilli passt, da diese nirgends als singend oder sprechend erscheinen. Von der Wurzel cas, erzeugen (s. Legerlotz Zeitschrift f. vgl. Sprachforschung 237) leitet Zeyss (ebd. XIX 186) das Wort ab, was zu der Grundbedeutung von camillus passen würde. Bezeugt ist die vorausgesetzte Form casmilus übrigens nicht, denn bei Fest. epit. p. 63, 12 (sacrorum ministrum κάσμιλον appellant) gründet sich dieselbe, wie aus der Schreibung mit griechischen Buchstaben hervorgeht, offenbar nur auf die Identificierung des Wortes C. mit dem Namen des Gottes Casmilus (s. d.). Vgl. noch Daremberg-Saglio I 858. Marquardt Röm. Staatsverwaltung III 227ff. Mercklin a. a. O. 99ff.

[Samter. ]