Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Aus Apameia/Syrien, berühmter Arzt z. Zt. Traians
Band II,1 (1895) S. 484486
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Archigenes (Ἀρχιγένης, aus Apameia in Syrien (Gal. XIV 684), Sohn eines Philippos (vielleicht eines der von Galen öfters erwähnten Ärzte dieses Namens, vgl. Gal. VII 530), Schüler des Agathinos, den er in einem Anfall von Fieberdelirium durch Waschen des Kopfes mit warmem Öl geheilt haben soll (Aet. III 172. 168), berühmter Arzt zu Rom unter Traian (Suid.), sprichwörtlich für einen Arzt gebraucht bei Iuv. VI 236. XIII 98. XIV 252. Er wurde nach Suidas 63 Jahre alt und schrieb πολλὰ ἰατρικά τε καὶ φυσικά. Er gehörte zu der Schule der Eklektiker (Gal. XIV 684) und stand als selbständiger Forscher auf dem Gebiet der Medicin bei den späteren Ärzten in sehr hohem Ansehen (Gal. XII 534f.), Alexander von Tralleis zeichnete ihn sogar durch das Beiwort ὁ θειότατος aus (II 265 Pusch.). Trotzdem seine Darstellung nicht selten unklar und dunkel war (Gal. VIII 934), ist er doch von folgenden Ärzten benützt: Antyll, Philumenos, Soran, Galen, Aretaeus, Oribasius, Alexander von Tralles, Aetius, Paulus Aegineta. Als Schüler des Agathinos stand er unter dem Einfluss der pneumatischen Schule und behielt die Lehre von dem Pneuma als dem die Materie durchdringenden Princip, von dessen Verhältnis Gesundheit und Krankheit abhängig sind, bei (Gal. XIV 699), ebenso die Lehre von den Elementarqualitäten [485] und von den Dyskrasien (Gal. VIII 149), deren er, wie Galen, acht kannte, vier einfache, bei denen je eine Qualität, also Wärme, Kälte, Trockenheit oder Feuchtigkeit vorherrscht, und vier zusammengesetzte, bei denen ein Übermass von Wärme und Kälte mit mehr Feuchtigkeit oder Trockenheit verbunden ist. Das leitende Princip seiner therapeutischen Methode war demnach Bekämpfung der Dyskrasien. Den Sitz des ἡγεμονικόν verlegte er ins Herz (Gal. VIII 19). Die Pulslehre bildete er in höchst spitzfindiger Weise aus; er unterschied 8 verschiedene Qualitäten des Pulses, διηχημέναι genannt (Gal. VIII 578), μέγεθος, σφοδρότης, τάχος, πυκνότης, πληρότης, τάξις ἢ ἀταξία, ὁμαλότης ἢ ἀνωμαλία, ῥυθμός (Gal. VIII 576), von denen wieder jede eine Reihe von Unterarten hatte, die er in subtiler Weise zu definieren unternahm und mit Namen belegte, die schon Galen nicht mehr verständlich waren (Gal. VIII 662 u. ö.). Galen hat seine Pulslehre auf den Lehren des A. aufgebaut. Ebenso spitzfindig ist seine Unterscheidung der verschiedenen Arten der Schmerzempfindungen (Gal. VIII 86. 90). Ferner behauptete er, dass man durch diese verschiedenen Arten der Schmerzempfindungen den Sitz der Krankheit bestimmen könne (Gal. VIII 70. 92), eine Behauptung, die wie viele andere Theorien dieses Mannes den Galen zum Widersprach gereizt haben. Er kannte die febris semitertiana, die nach seiner Meinung aus dem dreitägigen und eintägigen Wechselfieber zusammengesetzt war (Gal. VII 365), ferner änderte er die hippokratische Lehre von den kritischen Tagen in soweit, als er an die Stelle des zwanzigsten Tages den einundzwanzigsten setzte, dessen Bedeutung schon Diokles hervorgehoben hatte (Gal. IX 816) Seine Beobachtungen über Schlafsucht (Aet. VI 3), Schwindel (Aet. VI 7), Wahnsinn (Aet. VI 8) u. s. w. zeigen den sorgfältigen Pathologen. Er empfahl häufig Bäder und machte feine Unterschiede, je nachdem das Wasser nitrös, salzig, alaunhaltig, erdharzhaltig, schwefelhaltig, eisen- und erzhaltig war (Aet. III 167). Grosse Verdienste hat er sich um die Arzneimittellehre erworben; bei ihm spielen bereits wunderkräftige Amulette eine grosse Rolle (Alex. Trall. I 567f. Gal. XII 874. XIII 256). Sein Hauptwerk auf diesem Gebiet führte den Titel περὶ τῶν κατὰ γένος φαρμάκων (Gal. XII 468); es war eine nach einem bestimmten Princip geordnete sachliche Zusammenstellung der verschiedenen Heilmittel. Dies Werk ist von den späteren Ärzten vielfach benützt worden, so von Galen (XII 406. 431. 443. 468. 533. 565. 582. 620. 640 u. s. w. XIII 254. 262. 331. 353. 729), von Aetius, Alexander von Tralles and Paulus Aegineta. Ein zweites wichtiges von Galen, Posidonius (zu Valens Zeit) und Aetius öfter benütztes Werk ist seine örtliche Pathologie (περὶ τόπων πεπονθότων Gal. IX 670), die Galen als die beste bisher erschienene rühmt. Weitere Schriften von ihm sind: περὶ καστορίου χρήσεως (über die Anwendung des Bibergeils, Gal. XII 337), vielleicht nur ein Teil einer grösseren, περὶ βοηθημάτων betitelten Schrift, 11 Bücher Briefe, in denen er seinen Freunden ärztliche Ratschläge erteilt zu haben scheint nach dem Vorbilde des Antipater (Gal. VIII 150). Einen Brief an Marsus erwähnt Galen (a. a. O.), einen an Ariston Aetius (III 184), endlich einen an Atticus [486] Paulus Aegineta (III 45). Ferner περὶ τῆς δόσεως τοῦ ἐλλεβόρου ἢ τοῦ ἐλλεβορίζειν (Gal. XVI 124), vermutlich ein Teil seiner Therapie, περὶ πυρετῶν σημειώσεων (über die Merkmale der Fieber) in 10 Büchern, die er später selbst im Auszuge herausgab (Gal. IX 669), σύνοψις τῶν χειρουργουμένων (Orib. III 646 vgl. mit Schol. Orib. III 689, 9), περὶ τύπων, (Gal. IX 672), περὶ τῶν ἐν ταῖς νόσοις καιρῶν in 2 Büchern (Gal. VII 461), τῶν ὀξέων καὶ χρονίων παθογνωμονικά (Gal. VIII 203), θεραπευτικά τῶν ὀξέων καὶ χρονίων παθῶν (Orib. II 146), beide von Aretaios in ausgiebiger Weise benützt, endlich ein ausführliches Werk über den Puls (περὶ τῶν σφυγμῶν, Gal. VIII 576), zu dem Galen einen Commentar geschrieben hat (VII 365). Eine ganze Reihe von Schriften des Galen verdankt ihre Entstehung der Anregung dieses Mannes. Wahrscheinlich hat er noch eine Schrift περὶ ἰοβόλων θηρίων καὶ δηλητηρίων φαρμάκων verfasst, von der sich ein Auszug in einem Vaticanus 299 und einem Ambrosianus S. 3 erhalten hat. Vgl. E. Rohde Rh. Mus. XXVIII 264f. Diese Schrift, die wegen der genauen Schlangenbeschreibungen auch für die Geschichte der Zoologie von Bedeutung ist und in Abhängigkeit von Apollodor gearbeitet ist (Rh. Mus. a. a. O. 268), ist die Hauptquelle des Aetius für seinen Abschnitt περὶ ἰοβόλων (B. XIII 613 St.); ausserdem ist sie von ihm in der Lehre von den δηλητήρια (B. XIII 628f.) neben Pseudodioskurides und einem dritten unbekannten Schriftsteller benützt. Vgl. O. Schneider Nicandrea 176. Aus dieser Schrift lernen wir die grosse Belesenheit des Mannes kennen: Homer, Demokrit, Theopomp, Strato, Philinos, Euphorion, Africanus, Numenius, Krates, Epainetos, Kleon aus Kyzikos, Theodoros, Asklepiades, Apollonios, Andromachos u. a. werden von ihm citiert. Vgl. Rh. Mus. XXVIII 269. Schneider Nicandrea a. a. O. Möglich, aber noch unbewiesen, ist die Vermutung von V. Rose (Herm. IX 484), dass die Zusätze, die Aetius (B. II) zu den Auszügen aus Galen, der Hauptquelle dieses Buches, macht, aus A. stammen. Eine nicht genügende Fragmentsammlung dieses Arztes von Harles Analecta historico-critica de Archigene medico, Lipsiae 1816. Genaueres über ihn wird eine Schrift von M. Wellmann Archigenes und die pneumatische Schule bringen.