3) Procopius Anthemius (Eckhel VIII 197), weströmischer Kaiser 467–472. Er war der Sohn des Magister militum Procopius, eines Galaters (Ennod. vit. S. Epiph. 53), der sich kaiserlicher Abstammung, wohl vom Usurpator Procopius (365–366), rühmte, und der Tochter des Praefecten A. (Apoll. Sid. c. II 68–95. Mommsen Chron. [2366] min. II 34, wo filius statt frater Procopii zu lesen ist). Als geborener Senator von Constantinopel (Apoll. Sid. c. II 67), wo er später die Thomaskirche erbauen liess (Chron. Pasch. 468), genoss er eine reiche Bildung und beschäftigte sich namentlich viel mit Philosophie (Apoll. Sid. c. II 156ff.). Noch als Kaiser machte er sich dadurch der Hinneigung zum Götzendienst verdächtig, dass er den heidnischen Philosophen Severus an seinen Hof zog und 470 gar zum Consul machte (Phot. c. 242 p. 340 a 4. 343 b 4. De Rossi Inscr. christ. urb. Rom. I 826). Er war fast noch ein Knabe (Apoll. Sid. c. II 208), als ihn der Kaiser Marcian (450–457) mit seiner einzigen Tochter Aelia Marcia Euphemia verheiratete (Apoll. Sid. c. II 195. 216. 482. Eckhel VIII 197. Cohen VIII² 234. Theoph. 5957. Jord. Rom. 336. Euagr. h. e. II 16 = Migne Gr. 86, 2544). Ihre Kinder waren Flavius Marcianus, den sein Vater für 469 zum Consul ernannte (Theoph. 5971. Candid. frg. 1, FHG IV 137. De Rossi 825), Anthemiolus (s. d.), Romulus, Procopius (Theoph. 5971. Candid. a. O.) und Alypia (Joh. Ant. frg. 209). Gleich nach seiner Vermählung übertrug ihm sein Schwiegervater das Commando an der Donau mit dem Comestitel, wenig später die Würden eines Magister utriusque militiae und eines Patricius und das Consulat für 455 (Apoll. Sid. c. II 199–209. Jord. Rom. 336; Get. 236). Auch nach dem Tode Marcians behauptete er bei Leo seine Stellung, kämpfte erst mit Glück gegen Gothen und Hunnen (Apoll. Sid. c. II 223–306) und befehligte dann die Flotte im Hellespont (a. O. 505). Als Ricimer das Westreich an den Rand des Abgrundes gebracht hatte und gegen die Plünderungen Geiserichs keine andere Hülfe mehr fand, als ein Waffenbündnis mit dem Orient, entschloss er sich nach langem Zaudern, für diesen Preis (a. O. 315. 348ff. 483) sich einen von Leo ernannten Kaiser (a. O. 20. 27. 223. Jord. Rom. 336; Get. 236. Mommsen Chron. min. II 34. 89. 158) gefallen zu lassen, der ihm mit selbständiger Macht gegenüberstand (Apoll. Sid. c. II 382). Durch Senat und Heer liess er den A. erwählen und eine Gesandtschaft nach Constantinopel entsenden, welche ihn von der Gnade Leos zum Herrscher erbitten sollte (a. O. 13ff. 221. 479. Theoph. 5957. Euagr. h. e. II 16 = Migue Gr. 86, 2544). Doch erhielt Ricimer als Garantie seiner Gewalt die Hand der Alypia (Apoll. Sid. c. II 483ff. 543; ep. I 5, 10. 9, 1. Joh. Ant. frg. 209. Theoph. 5964. Jord. Get. 239. Mommsen II 35. 90. Proc. b. V. I 7. Ennod. vit. S. Epiph. 67). Gleichwohl schuf Leo ihm ein Gegengewicht, indem er seinen Feind Marcellinus, der in Dalmatien eine selbständige Herrschaft gegründet hatte, bewog, den A. nach Rom zu begleiten (Mommsen II 34) und in dem bevorstehenden Kriege gegen Geiserich den Oberbefehl über die occidentalische Flotte (Mommsen I 247. II 35. Proc. b. V. I 6) mit der Würde eines Patricius (Mommsen II 90. 91) zu übernehmen. Mit einem grossen Heere (Mommsen II 34) landete A. in Italien und liess sich in Brontotae bei Rom (Mommsen II 34. 158) am 12. April 467 (Mommsen I 305. Joh. Ant. frg. 209; im August gelangte die Nachricht nach Spanien, Mommsen II 34) nach 20monatlichem Interregnum [2367] zum Augustus ausrufen. Als er ankam, wütete eben eine Pestilenz in Italien (Gelas. tract. VI 5 = Thiel Epist. Rom. pont. I 601 = Migne L. 59, 113). Bei der Geistlichkeit erregte es Misstrauen, dass sich in seiner Umgebung der Makedonianer Philotheus befand und in der Stadt Conventikel seiner Sekte abzuhalten versuchte. Papst Hilarus interpellierte deshalb den Kaiser öffentlich in der Peterskirche und erhielt dessen eidliches Gelöbnis, es nicht zu dulden (Gelas. pap. ep. 26, 11 = Thiel I 408 = Migne L. 59, 73). Während eine Flotte gegen die Vandalen recognoscierte und durch ihr Erscheinen die Gesandten, welche der Westgothenkönig Eurich an Geiserich geschickt hatte, dazu bewog, unverrichteter Sache heimzukehren Mommsen II 34), suchte A. auch im Westen festen Fuss zu fassen. Er zog die Häupter des gallischen Adels, Ecdicius (Apoll. Sid. ep. V 16, 2) und Apollinaris Sidonius (Apoll. Sid. ep. I 9, 6. IX 16, 3 v. 30), den Sohn und den Schwiegersohn des durch Ricimer entsetzten Kaisers Avitus, in seine Dienste und empfing eine Gesandtschaft der Sueben aus Spanien (Mommsen II 34. 35). Dass hier seine Herrschaft wenigstens in den östlichen Provinzen Anerkennung fand, zeigt CIL II 4109[WS 1]. Beim Antritt seines zweiten Consulats am 1. Januar 468 hielt ihm Sidonius den Panegyricus (carm. I. II; vgl. ep. I 9, 6). Im Sommer nahm Marcellinus den Vandalen Sardinien; doch erlitt gleichzeitig die orientalische Flotte, zu deren Ausrüstung A. eine grosse Summe beigetragen hatte (Candid. frg. 2), in Africa eine Niederlage, und als Marcellinus ihr zu Hülfe kommen wollte, wurde er im August 468 wahrscheinlich auf Anstiften Ricimers in Sicilien ermordet (s. Marcellinus). Seitdem begannen die Misshelligkeiten zwischen dem Kaiser und seinem Schwiegersohn. Zwar wurde diesem der Krieg gegen Geiserich übertragen (Joh. Ant. frg. 207), doch ging A. immer kühner gegen Ricimers übermutige Werkzeuge vor. 469 wurde der Praefectus praetorio Galliarum Arvandus ins Exil geschickt (Apoll. Sid. ep. I 7. Paul. Diac. h. R. XV 2. Mommsen II 158). Darauf befiel den Kaiser eine Krankheit, die er auf Zauberei zurückführte. Unter dieser Anklage liess er 470 viele hinrichten, namentlich den Magister officiorum und Patricius Romanus, welcher zu Ricimer in den engsten Beziehungen stand. Da verliess dieser Rom, zog 6000 Mann, welche ihm zum Kriege gegen die Vandalen anvertraut waren, an sich (Joh. Ant. frg. 207. Paul. Diac. a. O. Mommsen a. O.) und bedrohte von Mailand aus den Kaiser mit Krieg. Doch wurde diesmal noch durch Epiphanius, Bischof von Ticinum, der Friede hergestellt (Ennod. vit. S. Epiph. 51ff.). Vielleicht schon vorher hatte der Krieg gegen die Westgothen begonnen, in welchem der Kaisersohn Anthemiolus 471 fiel (s. Euricus). Während die Streitmacht des A. in Gallien beschäftigt war, trat Ricimer mit Leo und wahrscheinlich auch mit den Vandalen in Unterhandlung und liess sich Anicius Olybrius, der schon lange der Candidat des Geiserich für den weströmischen Thron war, aus Constantinopel zusenden. Dann zog er vor Rom und schlug an der Aniobrücke sein Lager. Hier kam Olybrius zu ihm und wurde zum Augustus ausgerufen. Nach langen Kämpfen um und in Rom kam Bilimer [2368] mit dem gallischen Heere dem Kaiser zu Hülfe, wurde aber vor der Brücke des Hadrian von Ricimer geschlagen. Damit war das Schicksal des A. nach fünfmonatlichem Bürgerkriege entschieden. Seine Anhänger verliessen ihn; er selbst flüchtete in eine Kirche, wurde aber durch Gundobad, den Bruder des Ricimer, am 30. Juni 472 erschlagen (Paul. Diac. h. R. XV 3. 4. Joh. Ant. frg. 209. Mommsen I 306, wo nach der Tagzahl des Joh. Ant. prid. k. Iulias für V id. Iulias zu schreiben ist. 664. II 90. 158. 188. Theoph. 5964. Proc. b. V. I 7. Chron. Pasch. 464. Jord. Get. 45, 239. Euagr. II 16 = Migne Gr. 86, 2545. Gelas. tract. VI 6 = Thiel I 603 = Migne L. 59, 115).