Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Verfügungen eines römischen Kaisers
Band I,1 (1893) S. 295 (IA)–298 (IA)
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6) Acta principis. Es scheint 709 = 45 an den Eid in leges, den die Reichsbeamten beim Antritte ihres Amtes zu leisten pflegten (für uns seit dem J. 554 = 200 nachweisbar, Liv. XXXI 50, 7) und mitunter im Verlaufe des Amtsjahres durch den Schwur auf gewisse neue Gesetze zu ergänzen verpflichtet wurden, angeknüpft worden zu sein, als verfügt wurde τὰς ἀρχὰς εὐθὺς καθισταμένας ὀμνύναι μηδενὶ τῶν ὑπὸ Καίσαρος ὁριζομένων ἀντιπράξειν. (App. b. c. II 107). Nach der Ermordung des Dictators Caesar wurde die Gültigkeit seiner Verfügungen von den Republicanern in Frage gestellt, aber dank dem klugen Eingreifen des M. Antonius durch ein SC vom 17. März 44, das der politischen Lage Rechnung trug, decretiert; ja, es wurden über Einschreiten des Antonius politische Massregeln, die noch nicht publiciert, aber, wie Antonius vorgab, von Caesar ins Auge gefasst und in seinen Papieren skizziert worden waren, auf diese Erklärung hin einzeln vom Senate [296] gut geheissen; endlich liess sich Antonius durch eine lex Antonia de actis Caesaris confirmandis (Cic. Phil. V 10; ad Att. XVI 16 C 11; vgl. App. b. c. III 5. 22. Dio Cass. XLIV 53, 2 u. s.) die Befugnis erteilen, alle in Caesars Papieren aufgezeichneten Massregeln in gültiger Weise und bindend zu publicieren. Auch als im Februar 43 die acta des Antonius (Cic. Phil. XII 12. Appian b. c. III 82) und mit diesen die vorgeblich aus Caesars Papieren genommenen Entscheidungen cassiert wurden, hielt man principiell an der Gültigkeit der a. Caesaris fest. Der Form wegen wurde von dem einen Consul, Vibius Pansa, ein Centuriatgesetz in Aussicht gestellt, das neuerdings die Gültigkeit dieser acta decretieren sollte: scilicet hoc Pansa aut non videt (hebeti enim ingenio est) aut neglegit: quae enim Caesar egit, ea rata esse non curat: de quibus confirmandis et sanciendis legem comitiis centuriatis ex auctoritate nostra laturus est (Cic. Phil. X 17). Vgl. über das Detail O. E. Schmidt Fleckeis. Jahrb. Suppl. XIII 665ff., wo auch die ältere Litteratur verzeichnet ist.

Als bald darauf Antonius, Octavianus und Lepidus den Dreibund zur Ordnung und Sicherung des Staates schlossen, einigten sie sich auf Grund des caesarischen Programms und gaben dieser politischen Anschauung dadurch deutlichen Ausdruck, dass sie ἔν τε τῇ πρώτῃ τοῦ ἔτους ἡμέρᾳ αὐτοί τε ὤμοσαν καὶ τοὺς ἄλλους ὥρκωσαν βέβαια νομιεῖν πάντα τὰ ὑπ’ ἐκείνου γενόμενα Dio Cass. XLVII 18, 2; Dio Cassius fügt hinzu: καὶ τοῦτο καὶ νῦν ἐπὶ πᾶσι τοῖς τὸ κράτος ἀεὶ ἴσχουσιν ἢ καὶ ἐπ’ αὐτοῦ ποτε γενομένοις καὶ μὴ ἀτιμωθεῖσι γίγνεται; vgl. LVII 8, 4 ὅπερ ἐπί τε τῷ Αὐγούστῳ δεῦρο ἀεὶ ἐν τῇ πρώτῃ τοῦ ἔτους ἡμέρᾳ καὶ ἐπὶ τοῖς ἄλλοις τοῖς μετ’ ἐκεῖνον ἄρξασιν, ὧν γε καὶ λόγον τινὰ ποιούμεθα, ἐπί τε τοῖς τὸ κράτος ἀεὶ ἔχουσιν ἐξ ἀνάγκης γίγνεται, τὸ τά τε πραχθέντα ὑπ’ αὐτῶν καὶ τὰ πραχθησόμενα ὑπὸ τῶν ἀεὶ ζώντων ὅρκοις τισὶ βεβαιοῦσθαι; vgl. LI 20, 1. LIII 28, 1. LVIII 17, 1. LIX 13, 1. LX 10, 1. 25, 1. Tac. ann. I 72. IV 42 (Apidiumque Merulam, quod in acta divi Augusti non iuraverat, albo senatorio erasit n. Kaiser Tiberius) u. s. Es ist bei der langen Regierung des Augustus und der grundlegenden Bedeutung seiner Gesetzgebung begreiflich, dass jene Eidschwüre sich hauptsächlich auf die augusteische Gesetzgebung, gewissermassen als Grundgesetz der römischen Monarchie, bezogen. Und auf dieses Grundgesetz und seine Ergänzungen hin werden nicht blos Senat und Magistrate in Eid genommen, sondern es haben selbst Kaiser gelegentlich (Tiberius, s. Dio LVII 8, 5; Claudius LX 10, 1. 25, 1 Κλαύδιος δὲ αὐτὸς μὲν πάντα τὰ εἰθισμένα διώμοσε) ganz spontan diesen Eid abgelegt: wie denn Claudius sogar LX 10, 1f. καὶ ἐξιὼν ἐκ τῆς ἀρχῆς αὖθις ὤμοσεν ὥσπερ οἱ ἄλλοι καὶ ταῦτα μὲν ἀεὶ ὁσάκις ὑπάτευσεν ἐγένετο; indes nicht zu Anfang ihres Principats und ohne etwa ihn als eine Bedingung desselben aufzufassen. Der Unterthaneneid (vgl. Texte bei Mommsen Eph. ep. V p. 154ff.) und die votorum nuncupatio vom 3. Januar und der nach dem ersten Huldigungseide stets am 1. Januar zu erneuernde Fahneneid der Soldaten sind zwar dem Zwecke nach verwandt, aber auf anderen Grundlagen entwickelt und daher nicht mit dem oben besprochenen [297] Eide in acta principis zusammenzuwerfen. In der die Competenz des neuen Kaisers Vespasian formulierenden Urkunde CIL VI 930 besitzen wir ein authentisches Beispiel für den Wortlaut der Anerkennung, durch welche die volle Verbindlichkeit der a. p. ausgesprochen wurde: vgl. Z. 19 utique quaecumque ex usu rei publicae maiestateque divinarum humanarum publicarum privatarumque rerum esse censebit (n. Vespasian), ei agere facere ius potestasque sit, ita ut divo Aug., Tiberioque Iulio Caesari Aug., Tiberioque Claudio Caesari Aug. Germanico fuit, und Z. 29ff. utique quae ante hanc legem rogatam acta gesta decreta imperata (im gewöhnlichen Sprachgebrauch als acta zusammengefasst) ab imperatore Caesare Vespasiano Aug. iussu mandatuve eius a quoque sunt, ea perinde iusta rataq(ue) sint, ac si populi plebisve iussu acta essent.

Die Nichtigkeitserklärung der acta eines Kaisers (acta rescindere Suet. Caes. 82; Claud. 11 u. s., a. subvertere Tac. ann. XIII 5; mit Einschluss der vom Kaiser vollzogenen Privatgeschäfte Dio LXX 1, 2f. LXXVIII 18, 5) war nach Beendigung seiner Herrschaft, also nach seiner Absetzung oder nach seinem Tode, wie ehedem den republicanischen Beamten und Feldherrn gegenüber zulässig und wurde wiederholt vom Senat, natürlich im Einverständnisse mit dem neuen Regenten, formell unbedingt ausgesprochen; ohne dieses nicht durchführbar, vgl. Hist. aug. Hadr. 27 acta (des Hadrian) inrita fieri senatus volebat, nec appellatus est divus, nisi Antonius rogasset (unklarer bei Dio LXX 1); über die Wirkung einer actorum rescissio s. Plin. ep. X 56, 4 acta Bassi (Statthalter von Bithynien bis 101 n. Chr.) rescissa datumque a senatu ius omnibus de quibus ille aliquid constituisset ex integro agendi, dumtaxat per biennium. So geschah es mit Caligula, Gai acta omnia rescidit (n. Claudius) Suet. Claud. 11. Aber es wäre Wahnsinn gewesen, einen solchen Beschluss vollinhaltlich auszuführen, während es sehr wohl möglich gewesen war, die acta eines einzelnen Beamten oder Feldherrn zu cassieren. Die Competenz eines Kaisers war zu gross und zu vielseitig, seine Thätigkeit war, unterstützt durch eine grosse Zahl von Beamten, weit intensiver und dauerte oft eine ungleich längere Zeit, und so waren bei ihrer Beendigung durch sie so viele neue Verhältnisse geschaffen worden, die sich grossenteils schon fest gestaltet und fortentwickelt hatten, dass eine völlige rescissio actorum entweder überhaupt unmöglich war oder nur mit argen Verletzungen bestehender Einrichtungen durchgeführt werden konnte; vgl. z. B., was Tac. hist. I 20 über das Einziehen der Schenkungen Neros sagt. Auch Caligulas acta sind, wie wir sehen, trotz der Behauptung Suetons (Claud. 11) nur teilweise widerrufen worden, und ebenso sehen wir aus der Behandlung einzelner Verfügungen Domitians, dessen acta gleichfalls cassiert worden waren, dass Utilitätsrücksichten und das Belieben der Nachfolger jene Widerrufungen in ihrer Wirkung wesentlich einschränkten; vgl. die Correspondenz des jüngeren Plinius mit Traian n. 58. 60. 65. 72, besonders in n. 58 die Erklärung im edictum divi Nervae: nolo existimet quisquam, quod alio principe [298] (in erster Linie ist Domitian gemeint) vel publice vel private consecutus sit, ideo saltem a me rescindi ut potius mihi debeat. sint rata et certa u. s. w. Die Ungültigkeitserklärung der a. p. konnte zugleich mit der damnatio memoriae (s. d.) erfolgen, zuerst geschah dies bei Nero (Tac. hist. I 17). Jedenfalls wurden solche a. p. in der Reihe der zu beschwörenden a. p. nicht angeführt, vgl. Dio XLVII 18, 2. LVII 8, 4. Daher fehlen CIL VI 930 in dem SC über die kaiserlichen Befugnisse Vespasians die Namen Caligulas, Neros und seiner drei ephemeren Nachfolger; hingegen befinden sich unter ihnen die acta Tibers, obwohl unter Caligula οἱ ὅρκοι περὶ μὲν τῶν ὑπὸ τοῦ Τιβερίου πραχθέντων οὐκ ἐπήχθησαν. Es irrt also augenscheinlich Dio LIX 9, 1, der dies meldet, wenn er hinzufügt: καὶ διὰ τοῦτο οὐδὲ νῦν γίγνονται, indem er den Eid auf die a. p. und den Eid bei den Kaisern (im Statut von Salpensa CIL II 1963 c. 26 iuranto pro contione per Iovem et divom Aug. et divom Claudium et divom Vespasianum Aug. et divom Titum Aug. et genium Domitiani Aug. deosque Penates, also fehlt auch Tibers Namen) confundiert. Am genauesten handelt über die Widerruflichkeit der kaiserlichen Amtshandlungen Mommsen St.-R. II³ 1122ff. Über die Registrierung der a. p. in commentarii (ὑπομνήματα) und im liber libellorum rescriptorum a (beispielsweise) domino nostro Gordiano Augusto, s. commentarii principis, über das Hofjournal s. ephemeris.

Litteratur: Mommsen St.-R. I³ 621. II³ 906f. 1122ff. Herzog St.-V. II 698f. 717f. Humbert bei Daremberg und Saglio I 50f. Ruggiero Diz. epigr. I 58ff. Vgl. auch edictum, epistula, mandatum, privilegium, subscriptio u. s.