RE:Edictum
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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t.t. des Rechtswesens, dem Volke den Willen des Magistrats kund tun | |||
Band V,2 (1905) S. 1940–1948 | |||
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Edictum.
I
1.
Das ius edicendi ist ein allgemeines Recht der römischen Magistratur. Es ist das Recht, öffentlich dem Volke Willen und Meinung des Magistrats kund zu tun. Mommsen St.-R. I 203 bemerkt, daß des ius edicendi sich vornehmlich die mit imperium ausgestatteten Oberbeamten bedienten, daß dazu gleichberechtigt die Volkstribunen traten, auch die Censoren edicierten, nirgends aber eine Erwähnung quaestorischer Ediktionen begegne, daß den plebeischen Aedilen, abgesehen von der unentbehrlichen Ausübung des ius edicendi (zu Ladungszwecken) im Multprozeß, das Ediktionsrecht mangelte, dagegen die curulischen Aedilen es besaßen. Allein dem Quaestor wohnte das ius edicendi bei, wie dadurch bewiesen wird, daß der Quaestor in der Provinz das aedilicische E. anschlug (Gai. I 6). Dies ist sicher nicht erst in der Kaiserzeit aufgekommen, und es besteht kein Grund, anzunehmen, daß das ius edicendi nur dem Provinzialquaestor im Zusammenhange mit seiner Iurisdiction zugestanden habe. Auch die plebeischen Aedilen haben das ius edicendi nicht nur im Strafprozeß ausgeübt. Wenn die Lex Iul. municipalis 34 dem zuständigen curulischen oder plebeischen (vgl. 24f.) Aedil auferlegt: diebus ne minus decem, antequam locet, aput forum ante tribunale suom propositum habeto, quam viam tuendam et quo die locaturus sit, so handelt es sich dabei um nichts anderes, als ein E. Im übrigen vgl. diktatorische E.: Liv. II 30. VIII 34; consularische: Liv. XXVIII 25; das SC. de Bacchanalibus gibt den Consuln eine Anweisung zu einem E. (ita exdeicendum censuere).
Ein censorisches E. von 92 v. Chr. verkündet das Mißfallen der Censoren denen, die (lateinische) Rhetorenschulen halten oder besuchen (Suet. de rhet. 1, vgl. Liv. XLIII 14, 5. Gell. XV 11, 2. Suet. Claud. 16. Tac. ann. XI 13). Tribunicische E. s. Cic. ad fam. XI 6, 2; de off. III 80 (hier in Gemeinschaft mit den Praetoren; über praetorische und aedilicische E. s. u. II). Das ius edicendi der Beamten kann nach der Designation schon vor dem Amtsantritt ausgeübt werden[WS 1], aber natürlich nur mit Bezug auf die Zeit nach ihm (Cass. Dio XL 66. LV 6. Liv. XXI 63, 1). Allerdings kann das E. auf den Tag des Amtsantritts etwas befehlen, was, um an diesem Tage geschehen zu können, schon früher vorbereitet werden muß (Liv. XXI 63, 1). Auch Priestern steht das ius edicendi im Zusammenhange mit ihrem Amtskreise zu. Dagegen freilich im ganzen Mommsen I 204, aber die Akten der Säcularfestlichkeiten von 17 v. Chr. (CIL VI 32323. [1941] Dessau 5050, 110f.) enthalten ein unbezweifelbares E. der Quindecimviri sacris faciundis: XV viri s. f. dicunt: … statuimus officii nostri esse per edictum denuntiare feminis uti luctum minuant.
2.
Der Akt des Edicierens ist ursprünglich die Verkündigung in contione durch den Magistrat selbst oder seinen Herold. Auch im letzteren Falle hat der Magistrat anwesend zu sein (Cic. de fin. II 74; de off. III 80. Liv. XXXIX 15. SC. de Bacchan. 22: in conventionid exdeicatis). Daneben kam die schriftliche Aufstellung der E. auf, die aber immer so gefaßt ist, als wenn der Magistrat gegenwärtig spräche: dicit (s. o. das E. der XV viri s. f., ferner edict. Claudii de civ. Anaunorum CIL V 5050, 6), λέγει (edict. praef. Aegypti CIG III 4957, 3). Das von Mommsen St.-R. I 205, 1 in diesem Zusammenhange in Bezug genommene ait praetor der Commentatoren des E. hat nichts damit zu tun; denn so kann jede Äußerung eines beliebigen Schriftwerks zitiert werden. Es ist unzweifelhaft und harmoniert mit der ganzen Entwicklung alles Formenwesens, daß die schriftliche Aufstellung mehr und mehr die mündliche Verkündung verdrängt hat (man vgl. die Entwicklung des Testaments und der Stipulation). Die Aufstellung geschieht auf weißen Holztafeln (in albo Lex Iul. munic. 17. Ulp. Dig. II 1, 3, 7), die Überschriften rot (rubricae, Ulp. Dig. XLIII 1, 2, 3. Quint. inst. XII 3, 11 [album ac rubricas]) an der ordentlichen Amtsstätte (Lex Iul. munic. 34 aput forum ante tribunale suum. Lex Acil. repet. 66: apud forum palam ubi de plano recte legi possitur) oder nach Umständen auch anderswo. Insbesondere kommt Publikation durch ganz Italien in den fora et conciliabula vor (Liv. XXV 22, 4. XLIII 14, 10). Die Zeit der Aufstellung ist je nach Umständen verschieden. Das E., welches Vorschriften für die ganze Amtsdauer des Magistrats aufstellt (u. II), bleibt auch während dieser ganzen Zeit hängen: edictum perpetuum in diesem Sinne (Ascon. in Cornelian. p. 58).
3.
Das E. kann ebensowohl befehlen, wie künftige Maßregeln des Magistrats ankündigen. In den Iurisdictionsedicten wiegt das letztere vor, ohne das erste ganz zu verdrängen (s. u. II). Im übrigen finden sich gebietende E. z. B. in dem SC. de Bacchanalibus. Deutlich ist jede Ladung gebietender Natur. Geladen aber wurden durch E. die Wehrpflichtigen zur Gestellung (Liv. XXI 63, 1), die Comitien (Liv. XXIV 7, 11), der Senat (Liv. XXXV 24, 2), unter Umständen auch der einzelne zum Erscheinen vor dem Magistrat: dies aber nur im Notfalle, wenn der zu Ladende persönlich nicht erreichbar ist (unbekannten Aufenthalts); denn im andern Falle ist öffentlicher Aushang der Ladung nicht am Platze (vgl. Contumacia, Evocatio). Das E. kann spezielle Angelegenheiten betreffen (so die Ladungen jeder Art, eine Festansage [Liv. XL 19, 5], eine Verdingungsanzeige [Lex Iul. munic. 34] usw.), aber auch allgemeine Vorschriften aufstellen, nur nicht über die Amtsdauer des Urhebers des E. hinaus (Cic. in Verr. I 109: höchstens lex annua); s. u. II 2. Mommsen R. St.-R. I³ 202f. Karlowa Röm. Rechtsgesch. I 460f. Herzog Röm. St.-Verfassung I 632f.
II
1.
[1942] Von dem ius edicendi haben seit der jüngeren Zeit der Republik die mit der Civiliurisdiction betrauten Magistrate (in Rom Praetoren und curulische Aedilen, in den Provinzen an Stelle der Praetoren die Statthalter und an Stelle der Aedilen die Quaestoren) in der Weise Gebrauch gemacht, daß sie bei ihrem Amtsantritt ein ausführliches E. erließen, enthaltend die Regeln, nach denen sie ihre Iurisdiction zu handhaben gedachten (Pomp. Dig. I 2, 2, 10. Cic. de fin. II 74). Das E. enthält weniger Befehle an die Gerichtsuntertanen (auch solche kommen vor, z. B. pronuntianto, dicunto im E. der Curulaedilen, ne quis … habeat im praetorischen E. (Dig. XXI 1, 1 pr. IX 3, 5, 6), als vielmehr Ankündigung von Maßregeln, welche der Magistrat in den und den Fällen zu treffen gedenkt, so besonders häufig Niedersetzung eines Schwurgerichtes (iudicium dabo), dann Besitzeinweisungen (in possessionem ire iubebo, possidere iubebo), Erteilung des erbrechtlichen Güterbesitzes (bonorum possessionem dabo), Anordnung des Abschlusses einer Stipulation mit oder ohne Bürgenstellung (promitti, satisdari iubebo), Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (in integrum restituam) und anderes mehr. Charakteristisch ist im Gegensatz zu dem Gesetz (welches das Ermessen der Beamten beschränken will) für das E., daß der Magistrat es vermeidet, sich die Hände zu eng zu binden, und daher verhältnismäßig oft sich die Sachprüfung im Einzelfalle ausdrücklich vorbehält (causa cognita, si mihi iusta causa esse videbitur) oder die zu treffenden Maßnahmen nur im allgemeinen andeutet (cogam, uti quaeque res erit animadvertam). Für alle diese Erscheinungen bietet das E. so zahlreiche Belege, daß es nicht nötig ist, einzelne anzuführen. Ein Hauptbestandteil des E. sind Formulare für die vorzunehmenden Amtshandlungen, namentlich auch für die formulae, mittelst deren im Civilprozeß der Praetor den Geschworenen zur Untersuchung und Entscheidung des Falles beauftragt und instruiert. Das Ganze ist ein Programm der Iurisdictionsführung des Magistrats, aus dem aber überall indirekt herauszulesen ist, welches Verhalten der Magistrat von den Rechtsuntertanen beobachtet wissen will. Dies tritt auch in (konjunktivisch) gebietenden und verbietenden Überschriften oft genug hervor, wo der Text selbst nicht gebietende Form hat. E. heißt übrigens nicht nur das Edict als Ganzes, sondern auch jede einzelne Bestimmung desselben (s. z. B. Ulp. Dig. IV 9, 1, 1).
2.
Es ist selbstverständlich, daß von dem Urheber des E. erwartet wurde, er werde sich nach seinen Ankündigungen auch richten. Gegen Ende der Republik riß aber der Mißbrauch ein, daß Magistrate nach Gunst und Gutdünken von ihrem E. abwichen. Dem wirkte man zunächst entgegen durch das Mittel der Intercession, welche auch im Civilprozeß verwendbar war (Cic. in Verr. I 119, vgl. Art. Appellatio); aber im J. 67 v. Chr. wurden – durch eine lex Cornelia – die Magistrate – zunächst die Praetoren – für die Dauer ihres Amts an ihr E. gesetzlich gebunden (Ascon. in Cornelian. 58: legem Cornelius … tulit: ut praetores ex edictis suis perpetuis ius dicerent, vgl. Dio XXXVI 40 [13]). Mit dem Aufhören des Amts seines Urhebers verlor das E., [1943] weil nur getragen von dem Imperium des Magistrats, der es erlassen hatte, von selbst seine Geltung (Cic. in Verr. I 109). Der Amtsnachfolger pflegte jedoch in sein E. die bewährten Bestimmungen der Vorgänger herüberzunehmen, und so bildete sich ein allmählich über das ganze Gebiet des Privatrechts und Civilprozesses sich verzweigender Stamm in den E. regelmäßig wiederkehrender, materiell dauernder Bestimmungen (edicta translaticia, Cic. in Verr. I 114, vgl. ad fam. III 8, 4). Die wichtigsten E. waren die der beiden städtischen Praetoren amplissimum ius est in edictis duorum praetorum urbani et peregrini (Gai. I 6); daneben stand das E. der curulischen Aedilen (Gai. a. a. O.). Die Provinzialstatthalter lehnten ihre E. an die der Praetoren und vielleicht vorzugsweise an das des praetor peregrinus an, da die Beteiligung der Peregrinen an den Rechtsfällen der Provinzialiurisdiction natürlich stark war (vgl. Gai. I 6. Cic. ad Att. VI 1, 15; ad fam. III 8, 4 über sein kilikisches E.). v. Velsen Ztschr. d. Savignystift. XXI 73ff. meint, daß ein Gesetz unter Augustus in der Absicht, das Sonderrecht der Provinzen abzuschaffen, bestimmt habe, die Provinzial-E. sollten identisch sein mit den Stadt-E., und daß seitdem ein eigentliches Provinzial-E. nicht bestanden, sondern das e. praetoris peregrini den Namen e. provinciale angenommen habe. Das ist namentlich deshalb nicht zu glauben, weil eine so absolute Gleichmacherei für jene Zeit höchst unwahrscheinlich ist. Auch müssen die Statthalter ihre E. nach wie vor an die beider städtischen Praetoren angelehnt haben, da in den Provinzen zahlreiche römische Bürger lebten, die auch unter sich in Konflikt kommen konnten. Gegen v. Velsen s. auch Lenel Holtzendorffs Encykl. 123f. Die Quaestoren folgten dem Muster der curulischen Aedilen (Gai. I 6). Viele E. und ediktmäßige Institute lebten bei den Späteren unter dem Namen der Praetoren, die sie zuerst aufgestellt hatten, z. B. formula Octaviana (actio quod metus causa), actio Publiciana, Pauliana, Serviana, interdictum Salvianum, edictum Carbonianum.
3.
Die ganze Sitte der Iurisdictions-E. ruht auf der Grundlage, daß der Magistrat zwar an das Volksgesetz und, was ihm gleich steht, dessen interpretatio durch die Juristen und das alte Gewohnheitsrecht (ius civile in diesem Sinne) gebunden ist, soweit aber diese Fesseln Freiheit lassen, sein Amt nach eigenem Ermessen ausübt und befugt ist, Regeln darüber festzusetzen, wie er es auszuüben gedenkt. Dies führt zunächst nur auf ediktale Bestimmungen, welche diejenigen des ius civile ergänzen und ihren Gedanken zu Hülfe kommen; es haben aber die Magistrate im umfassendsten Maße auch solche E.-Sätze aufgestellt, welche dem ius civile geradezu zuwiderliefen, es verbessern wollten (Pap. Dig. I 1, 7, 1: ius praetorium est quod praetores introduxerunt adiuvandi vel supplendi vel corrigendi iuris civilis gratia). Dies verstieß zwar gegen den Grundsatz von der Stellung des Magistrats unter dem Volksrecht; aber es fragte sich, welche Folgen praktisch ein solcher Verstoß hatte. Ein von dem Magistrate mittels einer dem ius civile zuwiderlaufenden formula instruierter Geschworener hatte [1944] nicht das Recht, sich mit der formula in seinem Urteil in Widerspruch zu setzen. Nur konnten Dekrete des Magistrats von einem gleich- oder übergeordneten Beamten im Wege der Intercession vernichtet und davon auch wegen Verstoßes gegen das Volksrecht Gebrauch gemacht werden. Auch konnte der Magistrat nach Rücktritt von seinem Amte wegen Bruches des Volksrechtes in Anklage versetzt werden. Allein Intercession wie Anklage stellten sich nicht ein, wenn der Magistrat über alte Satzungen des Volksrechtes hinwegging, welche von der Rechtsüberzeugung des Volkes nicht mehr getragen wurden, und an deren Stelle Neuerungen setzte, welche den Beifall der Zeitgenossen gemäß fortgeschrittener Rechtsüberzeugung zu erwarten hatten. In diesem Sinne aber haben die Magistrate (von Mißbräuchen abgesehen) ihre Aufgabe bei der Abfassung ihrer E. weise gelöst, und die E. sind als eine von Jahr zu Jahr revidierte und darum den neuen Bedürfnissen und neuen Anschauungen rasch und leicht folgende Quelle neuen Rechtes, als ‚lebendige Stimme‘ des Rechts allseitig anerkannt (Marcian. Dig. I 1, 8: nam et ipsum ius honorarium viva vox est iuris civilis). Der ständige Inhalt der E. heißt ius und zwar ius honorarium (von honor Ehrenamt) das Amtsrecht, insbesondere ius praetorium, ius aedilicium. Indem dabei aber stets festgehalten wurde, daß die Magistrate das Volksrecht nicht aufheben konnten, kam man zu der theoretischen Auffassung, daß das ius civile und das ius honorarium neben- und gegeneinander stehen; praktisch ging im Widerspruchsfalle das letztere vor.
Eine allseitig scharfe Scheidung zwischen ius civile und ius honorarium mußte sich aber als unmöglich herausstellen. Einerseits entnahmen die Praetoren, selbst größtenteils juristisch gebildet, den Inhalt ihrer E. doch Anregungen, welche ihnen der bestehende Rechtszustand und die Iurisprudenz und Praxis ihrer Zeit bot (vgl. Pernice Ztschr. d. Savigny-Stiftg. XX 128ff.). Iurisprudenz und Praxis aber legte man die Kraft bei, ius civile zu schaffen. Somit konnte bei der Neuaufstellung eines E.-Satzes oft zweifelhaft sein, ob und in wieweit eine wirkliche praetorische Neuschöpfung oder vielmehr nur die Aufnahme eines im ius civile bereits anerkannten Satzes vorläge. Anderseits begannen an dem E.-Recht Iurisprudenz und Praxis und später auch die kaiserlichen Reskripte (die ebenfalls ius civile schufen) fortzuarbeiten, und es mußten auf diese Weise Sätze des ius honorarium in das ius civile übergehen. Ehrlich Beiträge zur Theorie der Rechtsquellen (Berlin 1902) 125f. geht aber zu weit, wenn er glaubt, der Gegensatz von ius civile und ius honorarium habe nur auf den Gebieten des Eigentums (dominium ex iure Quiritium – in bonis esse) und des Erbrechts (hereditas – bonorum possessio) eine tiefer einschneidende Bedeutung. Das ist vielmehr auf dem Gebiete der iura in re aliena (vgl. die servitutes quae tuitione praetoris consistunt) und der Obligationen gerade so. Daß bei dem praetorischen Rechtsschutz der Sache nach wie dem Ausdruck nach der prozessuale Schutz im Vordergrunde steht, was Ehrlich betont, ist sehr begreiflich.
4.
In der Kaiserzeit ist die produktive Kraft [1945] der E. erlahmt. Noch immer haben die noch fungierenden, aus republikanischer Zeit herrührenden Iurisdictionsmagistrate ihre E. proponiert; nur ist das aedilicische E. in den kaiserlichen Provinzen nicht mehr angeschlagen, weil dorthin keine Quaestoren gesandt werden (Gai. I 6). Es fehlen auch in dieser Zeit neu aufkommende Bestandteile des E. nicht ganz; sie finden sich namentlich zur Ausführung neuer zivilrechtlicher Vorschriften, wie z. B. des SC. Trebellianum (Gai. II 253); in der Hauptsache aber liegt die Fortbildung des Rechts jetzt in andern Händen. Hadrian ließ durch den berühmten Juristen Iulianus das E. des Praetor urbanus und als Anhang dazu dasjenige der Curulaedilen neu redigieren, und zwar vor 129 n. Chr.; denn schon vor diesem Jahre begann Iulian seine Digesten, welche die vollendete E.-Redaktion voraussetzen. Die Datierung der E.-Redaktion auf das J. 131 n. Chr. beruht nur auf der Chronik des Hieronymos, einer Quelle, die gerade in Bezug auf Jahreszahlen anerkannt unzuverlässig ist (Teuffel-Schwabe § 434, 10). Die Praefatio der ἐκλογὴ νόμων vom J. 920 (Zachariae Ius Graeco-Romanum II 280) gibt dem Iulianus einen Mitarbeiter Servius Cornelius, von dem sonst niemand etwas[WS 2] weiß. Die Nachricht ist geglaubt (Rudorff R. Rechtsgesch. I 268) und angefochten worden (Dirksen Abh. Akad. Berl. 1847, 10. Krüger 86 Anm. 8). Jetzt, da wir (seit 1899) wissen, daß Iulian, bisher bekannt als Salvius Iulianus, die zahlreichen Namen L. Octavius Cornelius Salvius Iulianus Aemilianus führte, werden wir annehmen dürfen, daß eine Quelle der ἐκλογή Iulians Namen auf zwei Persönlichkeiten verteilt und dabei aus Salvius Servius gemacht hat. Wie tief und nach welchen Richtungen hauptsächlich Iulian in das E. eingegriffen hat, ist nicht sicher zu sagen. Wenn er später ordinator edicti heißt (Iust. Cod. Iust. IV 5, 10, 1), so beweist dies durchaus nicht, daß er hauptsächlich die systematische Anordnung verbessert hat, denn hierauf geht ordinare nicht einmal vorzugsweise, sondern es bedeutet überhaupt die Festsetzung nach Inhalt und Form. So heißt es von einer einzelnen Vorschrift des E.: ita edictum ordinatum videtur, Ulp. Dig. XXV 2, 13 (vgl. auch die Wendungen iudicium, testamentum ordinare). Das systematische Interesse der Römer ist so gering, daß nicht füglich ein Kaiser den größten Juristen seiner Zeit mit Revision des E.s vorzugsweise der Anordnung wegen betraut haben kann. Es war vielmehr unzweifelhaft die Absicht, das zurückgebliebene E. nach Inhalt ebensowohl wie Form wieder auf die Höhe der Zeit zu bringen. Wenn sogleich vorgesehen wurde, wie spätere Neuerungen eingefügt werden sollten (s. u.), so kann man bei der Redaktion selbst nicht verfehlt haben, die bereits als wünschenswert erkannten sachlichen Änderungen zu bewerkstelligen. Dagegen fällt nicht ins Gewicht, daß wir zufällig nur eine solche Änderung kennen, die sog. nova clausula de coniungendis cum emancipato liberis eius (Marcell. Dig. XXXVII 8, 3. Ulp. Dig. XXXVII 9, 1, 13). Der Iulianische Text ist durch Senatusconsult bestätigt und heißt e. perpetuum in dem neuen Sinne des die einzelnen Amtsjahre überdauernden Inhalts (C. Tanta § 18). Das [1946] SC. hat das E. nicht zum Reichsgesetz für die Untertanen erhoben, sondern war ein Dienstbefehl an die Magistrate, das E. nunmehr stets mit dem Iulianischen Text zu proponieren. Etwa erforderliche Neuerungen sollten vom Kaiser ausgehen (C. Tanta § 18). Auch das E. des Praetor peregrinus und das Provinzial-E. muß auf ähnliche Weise festgelegt sein; es fehlt jedoch an Nachrichten darüber. Damit war das ius edicendi der Magistrate sachlich unterbunden. Die formelle Proposition der E. läßt sich aber noch bis ins 3. Jhdt. verfolgen (Cod. Iust. VIII 1. 1 vom J. 224 praeses ad exemplum interdictorum quae in albo proposita habet). Der Gegensatz zwischen ius civile und ius honorarium ist danach durch Hadrian formell nicht aufgehoben. Es wurde aber die Verschmelzung beider Rechtsmassen, die sich, wie gezeigt, schon früher angebahnt hatte, durch die dauernde Fixierung des E.-Inhalts noch wesentlich befördert. Niemals freilich ist im Bewußtsein der Römer jener Gegensatz, so praktisch bedeutungslos er im Laufe der Zeit wurde, erloschen. Noch im Iustinianischen Rechte wird er als vorhanden angenommen, während er hier, da Iustinian das ganze alte Recht als sein kaiserliches Gesetz publizierte, jede Existenzberechtigung verloren hatte. Es war unmöglich, sich von einer Auffassung, mit der Jahrhunderte operiert hatten, ganz zu trennen.
5.
Unsere Kenntnis von den Iurisdictions-E. beruht ausschließlich auf ihrer Verarbeitung in der Literatur. E.-Kommentare aus der Zeit vor Hadrian werden genannt von Servius Sulpicius, Ofilius, Labeo, Masurius Sabinus, Caelius Sabinus (von letzterem zum aedilicischen E.). Bearbeitungen des Hadrianischen E.s lieferten Pomponius, Paulus, Ulpian, Gaius (letzterer ad edictum provinciale). Aber das E. hat die tiefsten Spuren auch den Werken eingeprägt, die nicht seiner Kommentierung gewidmet sind. Die Versuche, das Hadrianische E. zu restituieren, beginnen im 16. Jhdt.: Eguinarius Baro Manualium libri von 1547 an. G. Ranchinus E. perpetuum 1597. H. Giphanius Oeconomia iuris 1606. Jac. Gothofredus Quatuor fontes iuris civilis 1653. A. Wieling Fragmenta edicti perpetui 1733. J. G. Heineccius Historia edictorum et edicti perpetui etc. 1744; vgl. Haubold Über die Versuche, das praetorische Edict herzustellen, in Hugos Civilist. Magazin II 4, 1827, 274f. Von den modernen Arbeiten kommt die von Rudorff, wiewohl seinerzeit sehr verdienstlich, doch jetzt kaum noch in Betracht neben dem epochemachenden Werk von Lenel Das Edictum perpetuum, Leipzig 1883. Eine zweite Auflage erschien in französischer Sprache: Lenel Essai de reconstitution de l’édit perpétuel. Ouvrage traduit en français par Frédéric Peltier sur un texte revu par l’auteur, Paris I 1901. II 1903. Von Lenel ist auch jetzt die entsprechende Partie in Bruns Fontes I 202ff. bearbeitet. Rubrikenindex des E.s bietet Lenels Palingenesia iuris civilis II 1247ff. S. auch Girard Textes de droit Romain³, Paris 1903, 119ff. Sonstige Literatur: Puchta Institutionen I § 79–82. 114. 115. Karlowa R. Rechtsgesch. I § 60. 82. Krüger Quellen und Litteratur des röm. Rechts § 5. 13. Voigt Röm. Rechtsgesch. I § 19. 20. II § 84. Jörs in Birkmeyers [1947] Encykl. 78ff. Bruns-Pernice-Lenel Holtzendorffs Encykl. I 112ff. 122ff. Costa Storia di dir. Rom. I 36ff. Kipp Gesch. der Quellen des röm. Rechts² 44ff. Rudorff Die iulianische Edictsredaktion, Ztschr. f. Rechtsgesch. III 1ff. Dernburg Untersuchungen über das Alter der einzelnen Satzungen des prätor. Edicts, Berliner Festgabe f. Heffter 1871. Brinz Krit. Viertelj.-Schr. XI 471ff. zu Rudorffs E.; derselbe Ztschr. d. Savigny-Stift. IV 164ff. zu Lenels Ed. Lenel Beiträge zur Kunde des prätorischen Edicts, 1878; Ztschr. d. Savigny-Stift. II 14ff. III 104ff. 177ff. IV 112ff. XII 1ff. XX 1ff. Wlassak Edict und Klageform 1882; Grünhuts Ztschr. XII 255ff. zu Lenels E.
III.
Natürlich hat auch der Kaiser das ius edicendi. Amtsprogramme haben die Kaiser nicht erlassen, aber sowohl in speziellen Angelegenheiten wie zur Aufstellung allgemeiner Vorschriften ediciert. Für das erste geben Beispiele das E. des Augustus über die Venafraner Wasserleitung, CIL X 4842, und das des Claudius de civitate Anaunorum, CIL V 5050. Anlangend allgemeine Vorschriften, so hat zuerst Augustus, dann Claudius durch E. den Frauen die Intercession für ihre Männer verboten (Dig. XVI 1, 2pr.). Die Verjährung der Statusklage fünf Jahre nach dem Tode der Person, die sie betrafen, wird auf ein E. Nervas zurückgeführt (Dig. XL 15, 4), das Vorzugsrecht des Gläubigers, der ein Darlehen zum Wiederaufbau eines Gebäudes gegeben hat, auf ein E. Marc Aurels (Dig. XLII 5, 24, 1; vgl. Cod. Iust. X 60 [59], 1). Streitig ist, ob die kaiserlichen E. auch nach dem Aufhören des Amtes ihres Urhebers fortgelten. S. über diese Frage Mommsen R. St.-R. II 910f. 1124. Pernice Ztschr. f. Rechtsgeschichte XIX 194ff. Wlassak Krit. Studien (1884) 150f. Kuntze Die Obligationen im röm. u. heut. Recht (1886) 377. Krüger 103f. Karlowa I 646f. Lenel Holtzendorffs Encykl. 127, 4. Es wird für die Bejahung zu entscheiden sein. Wenn auch Wiederholung von E. eines Kaisers durch einen späteren vorkommt (Dig. XVI 2, 2. XL 15, 4), so ist doch andererseits ein E. des Augustus als später aufgehoben bezeugt (Paul. Dig. XXVIII 2, 26), und schon Augustus trifft in dem E. de aquaeductu Venafrano Anordnungen für eine unbestimmte Zukunft. Das kaiserliche E. kann von dem Kaiser selbst verkündet werden, was aber wohl nur ausnahmsweise geschah. Ein Beispiel ist die von Marc Aurel im Praetorianerlager verlesene Rede Frg. Vat. 195. Die Form des schriftlichen E.s ist wie sonst: dicit (z. B. edict. Claudii de civ. Anaunor. 6). Es wird auf eine wohl wechselnd bestimmte Zeit öffentlich angeschlagen, zunächst in der Residenz des Kaisers, nach Umständen auch anderswo. Bei Publikation in weiterem Bereiche wird die Mitwirkung der zuständigen Behörden in Anspruch genommen. Das E. des Claudius zu Gunsten der Juden (Joseph. ant. Iud. XIX 286ff.) sollte von den Magistraten aller Stadtgemeinden in Italien und außerhalb desselben und von den verbündeten Fürsten mindestens 30 Tage ausgehängt werden. In der nachdiocletianischen Zeit ist das kaiserliche E. eine der beiden (die andere: oratio in senatu) Formen der leges generales (Cod. Iust. I 14, 2. 3). Das E. kann unmittelbar an die Untertanen (ad populum: [1948] Nov. Val. 9, 1) oder einzelne Kreise derselben, z. B. die Einwohner der Hauptstadt (Nov. Val. 14, 1) gerichtet werden und wird dann als kaiserliches E. selbständig aufgestellt. Es kann aber auch (wie die meisten posttheodosianischen Novellen es zeigen) an einen oder mehrere hohe Reichsbeamte oder die Provinzialstatthalter oder einen unter ihnen mit dem Auftrage gerichtet werden, die Veröffentlichung (nötigenfalls unter Mitwirkung weiter zu beauftragender Organe) zu veranlassen. Dann wird das kaiserliche E. durch Beamten-E. publiziert, welche das kaiserliche in sich aufnehmen (vorangeschickt: antelata edicto oder nachgestellt: proposita sub edicto). Die Aushangszeit wird auch jetzt verschieden gewählt sein. Im Sinne eines besonders langen Aushangs tritt die Verfügung auf, daß das E. das ganze laufende Jahr stehen bleiben soll. Auch die Anordnung, daß das E. in Erz dauernd aufgestellt werden soll, kommt vor (Cod. Theod. II 27, 1, 6. XIV 4, 4). Vereinzelt ist ein mündliches E. Konstantins an die Soldaten (Cod. Theod. VII 20, 2). Die Beurkundung in gegenwärtiger Rede (dicit) wird jetzt auch in solchem Falle nicht mehr beobachtet, es heißt: dixit. Mommsen R. St.-R. II 905f. 1124. III 1265. Karlowa R. Rechtsgesch. I 646f. 939f. Krüger Quellen u. Literatur d. röm. Rechts 93. 103f. 264f. Voigt Röm. Rechtsgesch. II 175f. III 79f. Jörs Birkmeyers Encykl. 80. 87. Bruns-Pernice-Lenel Holtzendorffs Encykl.⁶ 125. 148. Kipp Quellen des röm. Rechts² 61f. 71f.
IV.
Die Beamten kaiserlichen Stils haben die Sitte der Amtsprogramme von den republikanischen Magistraten nicht entlehnt; aber ein Recht zum Erlaß von E. haben sie gehabt. Dies beweisen schon die Ladungs-E., die im Prozeß vor diesen Beamten unzweifelhaft in Übung stehen; ferner die Möglichkeit, kaiserliche Erlasse durch E. des Beamten zu publizieren. Aber auch ein Recht zu selbständigen Rechtsverordnungen steht den höheren kaiserlichen Beamten zu. Vor allem die Praefecti praetorio besitzen dieses Recht, nur mit der Maßgabe, daß ihre Verordnungen Gesetzen und kaiserlichen Konstitutionen nicht zuwiderlaufen dürfen (Alex. Cod. Iust. I 26, 2). Die charakteristische Form der E. (λέγουσι, die Praefecti praetorio zusammen) weisen diese Verordnungen oft deutlich auf, so noch Nov. Iust. 167. Auch andere kaiserliche Beamte haben ein ähnliches Verordnungsrecht innerhalb ihres Amtskreises ausgeübt, z. B. der Praefectus urbi (CIL VI 1770. 1771), der Consularis Numidiae (CIL VIII Suppl. 17896), der Praefectus Aegypti (CIG III 4956. 4957. Pap. Oxyr. II 237). Krüger 106. 277. Kipp 86f.