Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Institut zur Unterstützung d. Reichsfinanzen im röm. Reich
Band VI,1 (1907) S. 3033
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2) Ἐπιβολή (Procop. hist. arc. 23 p. 67 B. D. Nov. Iust. 128, 8. 166. 168. Cod. Iust. I 34, 2), lateinisch adiectio (Cod. Theod. X 3, 4. Cod. Iust. XI 71, 2. Nov. Theod. 26, 3. 4) oder permixtio (Cod. Iust. XI 59, 5), eines der Verzweiflungsmittel, durch die man im sinkenden Römerreiche dem Rückgange des Grundsteuerertrages und der Pachten des öffentlichen Landes entgegenzuwirken suchte. Denn da die Bevölkerungsziffer stetig sank, blieb von dem früher bebauten Lande, indem es für die Ernährung der verminderten Volkszahl überflüssig wurde, ein immer größerer Teil wüst liegen, was auf die Reichsfinanzen eine sehr fühlbare Wirkung übte (Seeck Geschichte des Untergangs der antiken Welt I² 338). Jenes Mittel bestand darin, daß Grundeigentümern oder Erbpächtern öffentlichen Bodens, deren Besitz noch leistungsfähig gebliegen war, Teile jenes wertlos gewordenen Landes zugewiesen wurden, damit sie auch davon die Steuer oder die Pacht, die früher darauf geruht hatte, weiter bezahlten. E. ist also die staatlich erzwungene Hinzuschlagung unbrauchbaren Grundbesitzes zu brauchbarem, damit dieser für beide gemeinsam die Forderungen der kaiserlichen oder städtischen Kassen befriedige.

Das Institut entsprang aus einer doppelten Wurzel: 1. der Haftbarkeit der Decurionen für den richtigen Einlauf der Reichssteuern, die auf ihrer Stadt lasteten, 2. der Haftbarkeit der Grundstücke, welche Pächter öffentlichen Landes als Privateigentum besaßen, für die Erlegung der Pachten. 1. Schon Aurelian (270–275) hatte verfügt, daß derelinquierte Grundstücke, deren frühere Eigentümer nicht mehr nachweisbar oder zahlungsunfähig waren, unter die Decurionen der betreffenden Stadt verteilt werden sollten, damit diese nach dreijähriger Steuerfreiheit ihre Lasten trügen. Dies war gegen den früheren Zustand eine Erleichterung: denn was von der einmal festgesetzten Steuersumme der Stadt nicht einlief, hatten sie ohnehin aus ihrem eigenen Vermögen ergänzen müssen, ohne daß sie dadurch Eigentümer der im Rückstande bleibenden Grundstücke geworden waren. Doch da diese sich nur ausnahmsweise verwerten ließen, blieb trotzdem die Last eine sehr schwere. Constantin verordnete daher, daß auch die übrigen Großgrundbesitzer des Stadtgebietes dazu herangezogen werden sollten (Cod. Iust. XI 59, 1). Die Verteilung des wüsten Landes unter die einzelnen noch leistungsfähigen [31] fünf Jahre bei Gelegenheit des Census ernannt wurden (Cod. Theod. VII 19 § 3. XI 1, 31. XIII 11, 13. Seeck Ztschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte IV 323) und nicht wenig gefürchtet waren (Cod. Theod. XI 1, 33. XIII 11, 4). Im Orient wird 444 bestimmt, daß diejenigen, welche wüstes Domanialland zum Zwecke des Anbaus in Pacht genommen haben, auch nachdem es wieder leistungsfähig geworden ist, keine E. zu fürchten haben (Nov. Theod. 26, 4); im übrigen bleibt hier die Verordnung Constantins bis auf Iustinian in Kraft, wie sich aus der Aufnahme derselben in seine Rechtssammlung ergibt.

Auch im Occident hat sie während des ganzen 4. Jhdts. ihre Geltung behalten. Als 399 ein Teil von Afrika durch räuberische Wüstenstämme verheert worden ist, bestimmt noch Honorius, daß, falls die alten Herren ihr Land nicht wieder in Bebauung nehmen wollen, es mit unverminderter Steuerpflicht unter andere leistungsfähige Großgrundbesitzer verteilt werden soll (Cod. Theod. VII 19 § 3). Bald darauf aber mußte man sich überzeugen, daß auch diese durch solche Maßregeln ruiniert wurden und die Steuerbeträge noch mehr zurückgingen. Im J. 412 wurde daher verordnet, daß nur die früheren Eigentümer derelinquierter Grundstücke oder deren Erben zur Steuerzahlung für jene wüsten Ländereien anzuhalten seien. Ließen sie sich nicht mehr nachweisen oder waren zahlungsunfähig, so sollte das Land nur solchen zugewiesen werden, die es gegen einen zweijährigen Steuererlaß freiwillig übernähmen (Cod. Theod. XIII 11, 13. VIII 8, 10. XI 1, 31).

2. Der Pächter öffentlichen Landes ist für Fortsetzung des Anbaus auf demselben und richtige Erlegung der Pacht mit seinem ganzen Vermögen haftbar (Cod. Theod. V 15, 14. Cod. Iust. XI 59, 3. 62, 7). Für das private Grundeigentum der Erbpächter wurde diese Verpflichtung im J. 319 zu einer Reallast erhoben, die bei Veräußerung der betreffenden Ländereien auch auf den Käufer derselben übergehen sollte (Cod. Theod. XI 1, 4; über die Datierung s. Seeck Ztschr. d. Savigny-Stiftung f. Rechtsgeschichte, Roman. Abt. X 224). So konnte aus jener Haftung eine E. hervorgehen; denn wer von einem Erbpächter ein Stück Land gekauft hatte, wurde, falls dieser oder seine Erben ihren Verpflichtungen nicht nachkommen konnten, seinerseits gezwungen, ein entsprechendes Stück des gepachteten Landes mit den darauf ruhenden Lasten zu übernehmen. Noch weiter ging Valens. Einflußreiche Leute hatten die Erbpacht des städtischen Landes, soweit es ertragreich war, zum größten Teil an sich gebracht (Cod. Theod. XIII 11, 9), so daß die wertlosen Grundstücke des öffentlichen Besitzes der Gesamtheit der Decurionen zur Last fielen, welche die Reichssteuern dafür aufzubringen hatten. Der Kaiser verordnete daher, daß jene Erbpächter entweder auch entsprechende Mengen wertlosen Landes mit in den Kauf nehmen oder zu Gunsten der andern Decurionen, die sich dieser Bedingung fügen wollten, auf ihre einträgliche Erbpacht verzichten sollten (Cod. Iust. XI 59, 5). Dieselbe Bestimmung wurde von Theodosius auch auf die kaiserlichen Domänen ausgedehnt (Cod. Theod. X 3, 4), mußte aber [32] noch mehrmals wiederholt werden, weil jene einflußreichen Erbpächter sich ihrer Wirkung zu entziehen wußten (Cod. Theod. V 14, 30. 34. XIII 11, 9).

Diese stete Gefahr, daß der Erbpächter oder Käufer haftpflichtiger Grundstücke ganz plötzlich und unerwartet die Lasten wertloser Ländereien aufgebürdet bekomme, hatte natürlich unheilvolle Folgen (Procop. hist. arc. 23 p. 67 D). Als 368 die Privatgüter säumiger Staatspächter zur Deckung ihrer Schulden versteigert wurden, wollte sich darauf kein Bieter finden, weil jeder fürchtete, sich durch ihre Erwerbung der E. auszusetzen, und es mußte das gesetzliche Versprechen gegeben werden, daß in solchem Falle die Gefahr ausgeschlossen sei (Cod. Theod. X 16, 1). Bald wurde es auch schwierig, neue Pächter für die öffentlichen Güter zu bekommen. Es wurde daher im J. 383 versprochen, nachdem schon zwei E. stattgefunden hatten, sie mit einer dritten zu verschonen (Cod. Theod. X 3, 4), und hatten sie Meliorationen gemacht, so sollte auch eine zweite E. ausgeschlossen sein (Cod. Iust. XI 71, 2). Doch solche Verheißungen genügten um so weniger, als die folgenden Kaiser sich meist an die Gesetze ihrer Vorgänger nicht gebunden fühlten. Um einige Sicherheit zu gewähren, wurde daher das Gesetz, das Honorius 412 erlassen hatte, nur die ehemaligen Besitzer aufgegebener Grundstücke und deren Rechtsnachfolger sollten für die Steuern derselben haftbar sein, auch auf die Pachten übertragen und im Orient gleichfalls eingeführt. Darnach gestaltet sich das Iustinianische Recht folgendermaßen.

Vorher war es zwar Regel gewesen, daß die wüstliegenden Ländereien benachbarten Grundstücken zugelegt wurden; doch fanden sich solche nicht in genügender Menge und Leistungsfähigkeit, so durfte man auch auf weiter entfernte übergreifen, ja die Inspektoren waren nicht einmal an die Grenzen des gleichen Stadtgebietes gebunden (Cod. Iust. XI 59, 7 § 2). Jetzt wird die E. auf die ὁμόδουλα ἢ ὁμόκηνσα beschränkt (Nov. Iust. 128, 8. 166. 168. Cod. Iust. I 34, 2). Die Bedeutung dieser Worte ergibt sich daraus, daß Iustinian in seinem Codex (XI 59, 10) dem Gesetze Cod. Theod. XIII 11, 9 mit Bezug auf die E. die Interpolation: ex eadem substantia hat hinzufügen lassen; denn sie bezeichnet die Neuerung, welche sein Recht von dem früheren scheidet. Ὁμόκηνσα sind Grundstücke, die unter demselben Titel in der Censusliste verzeichnet sind, weil sie zum Vermögen (substantia) desselben Mannes gehören oder in früherer Zeit gehört haben. Befinden sie sich noch in derselben Hand, so hat der Besitzer die aufgegebenen und wüsten Teile einfach wieder zu übernehmen und ihre Lasten zu tragen. Sind sie dagegen durch Veräußerungen und Erbteilungen zersplittert, so sind in erster Linie die derzeitigen Eigentümer mit ihrem übrigen Grundbesitz für die wüstgelassenen Teile haftbar. Sind sie nicht aufzufinden oder unvermögend, so geht die Verpflichtung auf die Erben der früheren Besitzer über, wobei immer zuerst die nächstvorhergehenden in Betracht gezogen werden, aber der Stammbaum bis zu seinem Ursprung hinauf und dann wieder zu den letzten Erben herab verfolgt werden soll, falls die in erster [33] Linie Berufenen nicht leistungsfähig sind (Nov. Iust. 166). Doch sollen dabei nur die ländlichen Grundstücke haftbar sein, nicht auch städtische Häuser und bewegliches Eigentum (Nov. Iust. 168). Ist keiner, der nach dem Gesetz zur Übernahme verpflichtet wäre, aufzufinden, oder steht sonst etwas der E. entgegen, so hat der Provinzialstatthalter über das Inventar, das noch auf dem betreffenden Grundstück vorhanden ist, ein Verzeichnis aufzunehmen und es dann den Decurionen oder sonstigen Steuererhebern in Sequester zu geben, bis sich eine geeignete Persönlichkeit zur Übernahme findet (Nov. Iust. 128, 8). Doch dürfen Grundstücke, die durch Erbschaft oder Konfiskation in kaiserlichen Besitz übergegangen sind, nicht als ὁμόκηνσα mit der E. belastet werden (Cod. Iust. I 34, 2). Wie ὁμόκηνσος sich auf die Steuerpflicht bezieht, so vielleicht ὁμόδουλος auf die Erbpacht. Es könnte diejenigen Grundstücke bezeichnen, die bei Eingehung derselben im Eigentum des Pächters gestanden hatten und dadurch der Verpflichtung für richtiges Einlaufen des Pachtzinses dienstbar (δοῦλα) geworden waren. Doch können beide Worte auch gleichbedeutend sein. Gothofredus zu Cod. Theod. X 3, 4. XI 1, 4. Zachariae von Lingenthal Geschichte des griechisch-römischen Rechts³ 201. Weber Römische Agrargesch. 209. Schulten Herm. XXIX 219. His Die Domänen der römischen Kaiserzeit 85. O. Seeck Geschichte des Untergangs der antiken Welt II 296.