Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
fertig  
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
talus, das Sprungbein
Band II,2 (1896) S. 17931795
Astragaloi in der Wikipedia
Astragaloi in Wikidata
Bildergalerie im Original
Register II,2 Alle Register
Linkvorlage für WP   
* {{RE|II,2|1793|1795|Ἀστράγαλος|[[REAutor]]|RE:Ἀστράγαλος}}        

Ἀστράγαλος (auch ἄστρις, ἄστριχος), talus, das Sprungbein, der kleine zwischen die Knöchel des Schien- und Wadenbeins eingeklemmte und die Verbindung mit dem Fusse herstellende Knochen. Die ἄ. der Hinterfüsse zweihufiger Tiere (Schafe, Ziegen) waren eines der beliebtesten Spielzeuge der griechischen Jugend, schon bei Homer Il. XXIII 88 und später häufig erwähnt (s. Heydemann Die Knöchelspielerin im Palazzo Colonna, Halle 1877, 5), und wurden auch in Elfenbein (Prop. III 24, 13. Mart. XIV 14), Gold (Suet. Tib. 14) und anderen Metallen, Edelsteinen u. s. w. nachgebildet: Ficoroni I tali (Rom 1734) Taf. bei S. 88. Heydemann a. O. 6, 14. Man spielte damit ἀρτιάζειν, ὤμιλλα, τρόπα, πενθελιθίζειν (s. d.). Von diesen Spielen, bei denen die Form des ἄ. unwesentlich war, und die auch z. B. mit Nüssen gespielt werden konnten, ist zu unterscheiden das Würfelspiel mit ἀ., über welches eine aus Sueton stammende Nachricht (Reifferscheid p. 322-328. 462) bei Poll. IX 99. Schol. Plat. Lys. 206 e. Eustath. Il. 1289, 50; Od. 1397, 35 erhalten ist. Über dies Spiel handeln Sauppe Philol. XI 36. Voemel Philol. XIII 302. Marquardt Privatl.² 850. Becker-Göll Gallus III 457. Bei demselben kamen die beiden spitzen [1794] Enden des länglichen Knochens (am Fusse das obere, κεραία, und das untere) nicht in Betracht. Von den übrigen vier Seiten sind zwei breiter, und von diesen die eine (hintere) leicht convex (τὸ πρανές), die andere (vordere) etwas concav (ὕπτιον); ebenso ist von den schmäleren Seiten die eine (äussere, τὸ Χῖον) voll, die andere (innere, τὸ Κῷον) eingedrückt: Aristot. hist. an. II 499 b. Diese vier Seiten hatten Zahlengeltung, und zwar das Κῷον die höchste, 6; und da erfahrungsmässig (Marquardt 850, 5) der . am seltensten auf diese Seite fällt, und der seltenste Wurf der beste sein musste, so ergiebt sich, dass die Würfe nach der Seite benannt wurden, auf welche der . fiel. Die gegenüberliegende Seite, τὸ Χῖον, galt 1, von den anderen das ὕπτιον 3 (suppus Isid. or. XVIII 65), das πρανές 4 (planus Isid.), so dass je zwei entgegengesetzte Seiten zusammen 7 zählten. Die Würfe des einzelnen . hiessen: 1 Χῖος, auch κύων, canis, volturius (Plaut. Curc. 357), 6 Κῷος, ἑξίτης, senio, 3 ὕπτιος, 4 πρανής (diese beiden aus Isid. a. O. zu erschliessen). Man spielte mit 4 . (daher öfter 4 . abgebildet: Heydemann 9. Marquardt 851, 3), so dass 35 Combinationen möglich waren, die zum Teil nach Göttern, Heroen und bekannten Persönlichkeiten, zum Teil in anderer Weise benannt waren. Nur wenige dieser Namen sind bekannt, noch wenigere mit ihrer Geltung. Der beste Wurf hiess Ἀφροδίτη, Venus: wenn alle 4 . verschiedene Seiten zeigten (Mart. XIV 14. Lucian. amor. 16). Ein 8 geltender Wurf hiess Στησίχορος, nach dem achteckigen Grabmal des Dichters. Die Angabe, der Wurf Εὐριπίδης (Wortspiel mit εὖ ῥίπτειν) habe 40 gegolten, stösst auf Schwierigkeit wegen der unverständlichen Begründung (εἶς γὰρ Εὐριπίδης τῶν τεσσαράκοντα Ἀθήνῃσι προπστατῶν τῶν μετὰ τὴν τῶν λ’ τυράννων κατασταθέντων κατάλυσιν); C. Fr. Hermann (bei Voemel 306) vermutet 20 (κ’ für μ’), Sauppe a. O. 37 vielmehr 10 (ι’); vgl. Voemel 306. Ist die Zahl richtig, so beweist sie, dass nicht einfach die vier Zahlen addiert wurden, sondern die 35 Combinationen wie verschiedene Namen, so auch, was an sich wahrscheinlich, verschiedene Geltung hatten. Auf ein compliziertes System deutet auch das Vorhandensein von Schriften quid valeant tali, Ovid. trist. II 473. Unbekannter Geltung sind Ἀλέξανδρος (Jacobs Anth. Gr. II 33, 93), Ἀντιγόνιος, Βερενίκης πλόκαμος, γραῦς, Δαρεῖος, δικέντρων (Hesych). Manche der für die Würfel überlieferten Namen mögen auch für die . gegolten haben. Dass 1 . 1 . 1 . 1 = 1, ebenso 6 . 6 . 6 . 6 = 6 gewesen, und κύων und Κῷος gehiessen haben, hat man aus der Angabe aus Sueton mit Unrecht geschlossen (Voemel 307. Marquardt 858); vielmehr zeigt der dort angeführte Spruch Χῖος παραστὰς Κῷον οὐκ ἐᾷ σώζειν (so Sauppe 39 statt ἐάσω), dass hier von den βόλοι der einzelnen . die Rede ist: wenn in demselben Wurf 6 und 1 vorkamen, so galt die 6 nicht. Dass es beim Würfelspiel Würfe mit diesen Namen gab (Poll. VII 204. 205), beweist nicht für die . Übrigens spielte man sicher auf mancherlei Art, meistens wohl πλειστοβολίνδα (Poll. IX 117), wobei die höchste Zahl gewann. Ein besonderes Spiel beschreibt Augustus bei Sueton 71: canis und senio zahlten Einsatz, Venus gewann alles.

[1795] Die Astragalen dienten auch zu Würfelorakeln. Schol. Pind. Pyth. 4, 337; s. o. unter Astragalomanteia. Bei Gelagen wurde der rex bibendi durch .-Spiel und zwar durch den Venuswurf ernannt: Hor. od. I 4, 18. II 7, 25. Vielleicht hiess dieser deshalb auch βασιλικός: Plaut. Curc. 359. Schmucksachen, Amulette, Siegel in .-Form Heydemann 7.

In der Architectur nennt Vitruv (abweichend vom modernen Sprachgebrauch) . den Rundstab, sei es dass er glatt, sei es dass er als Perlschnur ausgebildet ist; er erwähnt ihn am oberen Ende des ionischen und korinthischen Säulenschaftes (III 3 [5], 7. IV 1, 11), an der ionischen Säulenbasis (III 3 [5], 3) und an Thüreinfassungen (IV 6, 2. 3).

[Mau.]