Quebeck am Lorenzstrom in Canada

CLXXXXII. Die Stammburg Nassau Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band (1838) von Joseph Meyer
CLXXXXIII. Quebeck am Lorenzstrom in Canada
CLXXXXIV. Die Ruine Sayn
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QUEBECK in CANADA

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CLXXXXIII. Quebeck am Lorenzstrom in Canada.




Durch den Menschen geht die Zeit, ohne ihn würde sie still stehen. Die Zeit aber ist auf der Flucht. Glaube Keiner, erst seit gestern. Seit viertehalb Jahrhunderten sind ungeheure und große Dinge in so schnellem Wechsel geschehen, daß die Zeitgenossen gafften und da standen und nicht begreifen konnten. Die heutige Lieblingsphrase: wer die letzten zwanzig Jahre gelebt hat, hat für Jahrhunderte gelebt, war schon im Munde unserer Urgroßältern. Thörichter Wahn! als wäre das Spiel dieser zwanzig Jahre bedeutungsvoller, wie das der vorhergegangenen; als seyen die geschehenen Dinge dieser beiden Dezennien so ungeheuer und so groß, wie keine der ältern. Wohl, wenn ich zwanzig oder dreißig Jahre zurückdenke, ist mir’s, als wäre ich in einem wundervollen Traume, als wären die beiden Endpunkte des durchlaufenen Raumes himmelweit auseinander; der Raum selbst aber eine trümmervolle Wüste, belebt mit Phantomen, mit Wesen des Nichts. Wie Vieles von dem, was ich als groß, wichtig, zeitbildend, Weltgeschicke lenkend angesehen, Menschen und Dinge und Begebenheiten, ist wie Seifenblasen zerronnen. Wie viele Götzen, welche jene Zeit auf ihren Thron gesetzt, sehe ich herabgestürzt, wie viele vergötterte Führer sehe ich vergessen, geglaubte Lichter für alle Zeiten erloschen! Und doch verhüten so viele Täuschungen nicht, sich täglich neuen hinzugeben. Bei der klaren, sich mit jedem Rückblick aufdrängenden Ueberzeugung, daß alles Jüngste, Herrlichste, Schönste schnell altert, alles Großgeglaubte schnell zusammenschrumpft, oder vergeht, und keine Spur hinter sich läßt, wie das Schiff im Meere, oder der Flügel in der Luft, wird der eitle Mensch doch fortfahren, die Gegenwart durch eine Vergrößerungsbrille zu betrachten, das Zeitwölkchen, das über ihm schwebt, für den Himmel der Ewigkeit anzusehen, oder die Welle, die ihn trägt, für den unermeßlichen Ozean. –

Wenn sich Myriaden Wellen vereinigen, werden sie zum Weltmeer, und das Größte wird aus der Vielheit des Kleinen gebildet. Darum sollen wir, so lächerlich auch die Ueberschätzung der Gegenwart seyn mag, doch eingedenk seyn, daß das Sandkörnchen aus der Urne Kronions, was wir unsere Zeit zu nennen pflegen, ein Atom des Weltalters ist, in welchem sich die geistige und sittliche Revolution der Menschen in Neigungen und Streben entwickelt, und daß auch wir im Weltalter der Umwandlung leben, welches, mit Huß, Guttenberg und Columbus begonnen, in einer noch nicht zu berechnenden Zukunft endigen wird. Diese Aera hat eine weit höhere [18] Bedeutung, als die der Völkerwanderung, welche ihr vorausgeht. Die Völkerwanderung hatte Zerstörung der römischen Welt zur Aufgabe, als deren ungeheures, in sich zerfallenes Wesen ihrer Auflösung durch eine innere Fäulniß entgegen ging, welche die Menschheit zu verpesten und zu verderben drohete. Der Allmächtige schüttelte die Bergfesten und Wälder unbekannter Länder, und die Völker der Barbaren stürmten heraus, den Todeskampf der Sieger und Quäler der Erde zu beschleunigen und einem Zustande ein Ende zu machen, welcher sich überlebt hatte. Die Völkerwanderung war gleichsam für die alte Welt der Mörder und der Todtengräber zugleich. Durch sie ist Alles, was jene Großes, Herrliches, Verwerfliches und Beengendes hervorgebracht, im Leben untergegangen und nur im Buchstaben feierte es später eine Auferstehung. Die Völkerwanderung steckte die Marke, welche den Anfang eines neuen Lebensalters der Menschheit bezeichnet. Wenn nicht Alles trügt, dann hat mit der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts der dritte Abschnitt der Weltgeschichte begonnen, der keine Wanderung, sondern eine Verwandelung der Nationen zu berichten haben wird. –

Die ewigen Namen: Columbus, Guttenberg, und Huß-Luther, füllen die erste Zeile dieses neuen, welthistorischen Abschnitts. Die Entdeckung Amerikas war für die Fortbildung der Menschheit unentbehrlicher noch, als die Erfindung der Buchdruckerkunst und die Reformation. Die alte Welt bedurfte eine junge Schwester, die Familie der Menschheit bedurfte einer neuen Wohnung. Spanien fand sie. Leider Spanien! denn Spanien gebrauchte sie wie ein Spieler einen mit geringem Einsatz gemachten hohen Gewinn. Spanien hat es verstanden, seinen Fund zu vergeuden und zu verwüsten, nicht ihn zu nützen, oder zu erhalten.

Wer die Ruhe der Leichen liebt, der wird auch den Despotismus bewundern; denn jene gibt diese am sichersten. Eine solche Todtenackerruhe brachte Spanien über die größere Hälfte Amerikas. Rächen sich die Sünden der Väter an ihren Kindern, wahrlich, dann muß Spanien noch lange eine Hölle für seine unglücklichen Bewohner seyn.

Aber während der Süden der neuen Welt verfinsterte und verblutete unter den Klauen seiner von unersättlicher Habsucht gespornten Quäler, streute ein anderes Volk in der nördlichen Hälfte des Erdtheils die Saat aus, aus welcher Freiheit des Glaubens und der Meinung als Frucht gereift ist. Die inneren Unruhen, welche das Mutterland zerrütteten, die politischen und religiösen Streitigkeiten, welche, in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, die Britten in feindliche Parteien spalteten, die sich wechselsweise bekämpften, verfolgten und unterdrückten, bestimmten Tausende und aber Tausende ihre Heimath zu verlassen und – Nordamerika! ward das Losungswort Aller, welchen das Herz für Freiheit schlug, in denen der Sinn für die höheren Güter des Lebens lebendig war. Diese begeisterten Menschen bildeten den Kern, aus welchem der herrliche Baum erwachsen ist, in dessen Schatten jetzt so viele Völker verschiedener Welttheile ruhen.

[19] Engländer! die Mission, welche euch die Allmacht gegeben, war die erhabenste, und nur ein freies, hochstrebendes, gerechtes Volk konnte sie erhalten. Berufen, in vier Welttheilen zugleich zu kolonisiren und als die erste Seemacht der Welt, im Besitze der Mittel, ihren Beruf zu vollziehen, verbreitet diese rührigste und freieste Nation Europas ihre Bildung mit ihrer Sprache, mit ihrer Religion ihre Institutionen, Sitten und Gewohnheiten, und in jeder ihrer unzähligen Anpflanzungen und Ansiedelungen gewinnt die Civilisation einen Damm mehr gegen die Wogen des Despotismus und sein Gefolge von fauler Weichlichkeit, sklavischer Gedankenlosigkeit, Unwissenheit und Verfinsterung der Massen. Bis jetzt ist England noch die einzige Macht, welche bei ihren Colonisationsbestrebungen ein System befolgt, welches den Forderungen der Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Klugheit entspricht. Sie begünstigt überall die eigne Kraft-Entwickelung der Gebiete, die ihr unterworfen sind, fördert Fleiß und Thätigkeit, Kultur und Freiheit durch bürgerliche Gesetze und politische Institutionen, den eigenen nachgebildet. Seine MAGNA CARTA trägt der Engländer in alle Zonen. In allen englischen Kolonien findet man Altengland wieder, in wie weit der Zustand der Bevölkerung Annäherung und Gleichstellung verträgt, und vergißt es auch seinen eigenen Vortheil dabei nicht, so ist es doch mehr wie irgend ein anderer Staat ein Mutterland, das die seiner Pflege Zugefallenen als Glieder der großen Familie heraufzubilden sucht.

Die Emanzipation der Vereinigten Staaten, die, obschon fruchtlos bekämpft und erzwungen anerkannt, England unermeßliche Vortheile gebracht hat, gab diesem eine große Lehre, welche es wohl nie vergessen wird. – England hat seitdem der Welt in der Emanzipation der Sklavenbevölkerung seiner sämmtlichen Kolonien ein Beispiel wahrer Großmuth, Gerechtigkeit und Einsicht gegeben; auch das des Mündigsprechens der Kolonien, wird es noch aufstellen und für sie unter allen Völkern Anerkennung des Naturrechts erwirken, nach welchem jedes Kind, wenn es erwachsen ist, sein väterliches Haus verlassen kann, um sich ein eigenes zu bauen. Die Zeit, in welcher die Natur in den Genuß aller ihrer Rechte selbstständig treten will, bleibt weder bei dem einzelnen Menschen, noch bei einem jungen Volke aus, und es straft sich immer, wenn Unverstand, Leidenschaft, Eitelkeit, Geiz oder Herrschsucht ihm jenen Genuß zu entziehen suchen. – Auch in Bezug auf die Kolonien wird man der Macht der Zeit, die unwiderstehlich zum Bessern, Vernünftigern und Gerechtern fortdrängt, bestimmt noch allwärts nachgeben müssen, und nicht länger versuchen, die Tochter an die Mutter zu knebeln, nachdem die Hand der Natur die Bande gelöst hat. Sobald einer Herr in seinem Hause seyn kann, wird er es seyn wollen, und, um fremde Einsprache unbekümmert, sein Hausrecht üben.

Ich fürchte daher nicht, daß sich das blutige Drama, welches in den jetzigen Vereinigten Staaten Nordamerikas von 1763–1783 gespielt wurde, in Canada erneuere. Die letzten Aufstandversuche haben, obschon unterdrückt, der brittischen Regierung die ganze Gefahr gezeigt. Mit Entschlossenheit und Redlichkeit wird sie die Unzufriedenheit [20] auslöschen. Sie wird Canada die größtmögliche Masse von Selbstständigkeit gewähren, und ihm den Uebergang zur förmlichen Unabhängigkeit auf friedlichem Wege bahnen. Abgesehen davon, daß Gerechtigkeit und gesunde Staatsgrundsätze ein solches Verfahren anrathen, so ist es auch schon der Klugheit gemäß, dieselben zu befolgen; denn zwischen Canada und England ist das atlantische Meer, während ersteres 24 Republiken zur Seite hat, vereinigt zu einem mächtigen Föderativreiche, dessen Bevölkerung in drei Jahrzehnten die von Großbrittanien übertreffen muß. So lange die Canada-Kolonieen weniger öffentliche Freiheit besitzen als ihre Nachbarn, deren Beispiel sie unablässig vor Augen haben, werden sie unzufrieden seyn, – eine Unzufriedenheit, die nicht anders gehoben werden kann, als daß man die Regierungsform der der nordamerikanischen Freistaaten so ähnlich mache, als es die Verbindung mit dem Mutterlande nur irgend verträgt. Freiheit in der Leitung der eigenen Angelegenheiten nach ihrer Weise, das ist der einzige Grundsatz, welcher dem Mutterlande Erhaltung seiner Kolonieen sichert. Die Zeit, die ihn predigt, wird ihm auch allgemeine Geltung verschaffen.


Canada bildet den südöstlichsten und wohnlichsten Theil der englischen Besitzungen im Nordamerikanischen Festland, deren Gesammt-Ausdehnung die von Europa übersteigt. Es wird in zwei Provinzen, Unter- und Obercanada, von fast gleicher Größe (7000 Geviertmeilen) geschieden. Jener, der ältest-bevölkertste Theil des Landes, mit französischer Sprache und Sitte, begreift, von der Mündung des Ottawa ostwärts, das Tiefthal des Lorenzstroms; Obercanada, durchaus englischer Colonisation, gruppirt sich um die großen Seen, die, Meeren ähnlich, die gestaueten Fluthen des genannten Flusses schufen. Noch ist das Land ein ungeheuerer Urwald, Germanien zur Zeit des August ähnlich, angefüllt mit Strömen, Seen und Morästen. Die Kultur hat noch nicht den hundertsten Theil verändert. Bevölkerung und Anbau beschränken sich zur Zeit fast allein auf die Ufer des Lorenz und die Küsten der großen Seen: und obschon jene durch die Einwanderung aus dem Mutterstaate (jährlich an 60,000 Köpfe, meistens Irländer,) außerordentlich zunimmt, so dürften doch noch Jahrhunderte vergehen, bevor sie eine Dichtigkeit erlangen kann, wie wir sie in den schlechtest-bevölkerten Theilen Deutschlands finden. Die Einwohnerzahl, welche, als Canada unter englische Herrschaft kam, kaum 180,000 betrug, erreicht jetzt 1½ Millionen. Das Klima, rauh, wie in Polen, mit langen, strengen Wintern, ist der Organisation des Europäers doch äußerst zuträglich: das Leben dauert hier länger, und Leute von neunzig Jahren sind keine Seltenheit. – Canada’s natürliche Reichthümer sind groß. Obenan stehen seine unerschöpflichen Wälder, welche die brittische Marine mit dem vortrefflichsten Bauholz fast ausschließlich versorgen. Getreide, besonders Waizen, verführt es nach Westindien und nach England; [21] und die Ausfuhr von gesalzenem Fleische nach dem südlicheren Theile Amerika’s beträgt an die hunderttausend Tonnen. Quebeck versendet jährlich 12,000 Fässer Pottasche; Montreal 20,000. – An nutzbaren Mineralien verbirgt die Erde große, noch wenig benutzte Schätze: Eisen, Kupfer, Blei, Schwefel und Steinkohlen. Der Ertrag der Jagd, in früheren Jahren über alle Begriffe reich an den edelsten Pelzwerken, muß nothwendig von Jahr zu Jahr in eben dem Maße abnehmen, als die Kultur des Landes fortschreitet, die Wälder sich lichten, die Jagdreviere der Indianer sich verkleinern und ihre Zahl sich vermindert. Noch leben etwa 30,000 der Urbewohner auf canadischem Gebiete; zum Theile als zum Christenthume Bekehrte, Alle aber in friedlichem Verkehr mit ihren civilisirten Nachbarn, und von der brittischen Regierung geschützt und in ihren Rechten geachtet. Mehre Stämme sind ausgestorben, wie die einst so mächtigen Huronen; oder bis auf Trümmer vergangen, wie der einst so mächtige Bund der 6 Nationen; manche auch adoptirten europäische Sitte, z. B. die Algontiner und Irokesen, welche Schulen und Zeitschriften haben.

Canada, 1497 von den Engländern entdeckt, wurde 1534 durch die Franzosen, unter Cartier, zuerst (in der Gegend von Quebeck) colonisirt, wo noch ein Dorf, als der erste Niederlassungsort, seinen Namen trägt. Ludwig der Vierzehnte betrieb die Ansiedelung im Großen. Unter-Canada bekam den Namen Neu-Frankreich. Quebeck und Montreal blüheten zu schönen Städten auf, und lange rivalisirte das Mutterland mit England um den Ruhm, die größte Macht in Nordamerika zu seyn. Endlich wurde die Frage, ob Britten, ob Franzosen in den dortigen Gegenden die Herrschaft haben sollten, mit den Waffen durch langwierige und grausame Kriege entschieden, welche die Grenzländer der englischen und französischen Colonien hundert Jahre lang, mit kurzer Unterbrechung, mit Blut tränkten. Erst vor 8 Jahren[WS 1] gelang dem brittischen Heere unter dem General Wolf (der den Entscheidungssieg bei Quebeck, 1759, mit seinem Tode erkaufte) die Eroberung Canada’s, und von dieser Zeit an datirt sich die brittische Herrschaft. Durch freisinnige Anwendung der englischen Verfassung und durch eine redliche, liberale Verwaltung ist es den Engländern gelungen, die Zuneigung der französischen, durchaus katholischen Bevölkerung dieser Landstriche zu gewinnen. Die gesetzgebenden Gewalten und das Recht der Steuerverwilligung wurden einer Generalversammlung anvertraut, die das Volk aus seiner Mitte wählt. Auch die Weiber erhielten Stimmrecht: ein Vorzug, der einzig in seiner Art ist. Für den Genuß so vieler Freiheiten und der großen Handelsvortheile, welche die Verbindung mit England bot, waren die Franzosen nicht undankbar, und im versuchungsvollen Kampfe der Britten mit den nordamerikanischen Colonien wankten sie nicht in der Treue gegen eine Regierung, welche sie mit Wohlthaten überhäuft hatte. Französisches Volksthum und katholische Religion, beide noch immer in Untercanada herrschend, sind jedoch in spätern Zeiten, je mehr die brittische Bevölkerung durch das fortwährende Zuströmen aus dem Mutterlande das Uebergewicht bekam, Elemente der Reibungen und der Uneinigkeit geworden, welche, wie wir gesehen haben, [22] endlich einen politischen Charakter annahm, sich in einer Opposition der französischen Bevölkerung gegen alle Maßregeln der Regierung Luft machte, und am Ende, von priesterlichen Einwirkungen nicht frei, in offenem Aufstande ausbrach, der beide Fraktionen des canadischen Volkes zum blutigen Handgemenge gebracht hat. Eine Tendenz von Seiten der Majorität der Canadier, sich von einem Staate loszureißen, der ihnen alle Vortheile gewährt, Mitbürger eines Weltvolks zu seyn, das sie mit der ganzen Macht Großbrittaniens beschützt, und bei sicherer Erhaltung der Freiheit dem Staatsleben den Charakter der Festigkeit und Ordnung verleiht, ist in diesem Streite nicht zu erkennen.


Werfen wir nun noch einen Blick auf unser Bild – die auf hohem Felsenborde stolz thronende Hauptstadt des Landes. Quebeck liegt am Lorenz, dort, wo er sich zu einem strömenden Meere zu erweitern beginnt, das den Namen des Lorenzgolfs führt. Der Riesenstrom ist bei der Stadt 4000 Fuß breit: – aber schon dicht unter derselben hat er eine Bucht von 2 Meilen Breite ausgewühlt, groß und tief genug, alle Flotten der Erde aufzunehmen. Die Landschaft wird in der Nähe von Quebeck, von der Seeseite her, wahrhaft prachtvoll. Die weiten, kaum sichtbaren Gestade ziehen sich plötzlich an einander; ein lachendes Eiland (die Orleansinsel) theilt die von hohem Felsen umpanzerte Wogenmasse, und über einer steilen Wand stürzt der Montmorenci, in einer Breite von 500 Fuß, 250 Fuß hoch mit einem auf 10 Seemeilen weit gehört werdenden Donner herab. Ist man an der Orleansinsel vorüber, dann fällt der Blick in ein reich cultivirtes, fruchtbares Land, besäet mit Landhäusern und Dörfern, und die sich wieder erhebenden Gestade zeigen in der Ferne die Thürme und Bollwerke Quebeck’s in einer Majestät, wie die der Hauptstadt eines Weltreichs.

Das Felsenplateau, auf welches Quebeck gebaut ist, ist 350 Fuß über dem Spiegel des Lorenz. Landeinwärts fällt er allmählich in das anmuthige Carlsthal ab, das der Fluß gleichen Namens bewässert. An diesem Abhange liegt der größere Theil der eigentlichen Stadt. Die Scheitel des Felsen sind gekrönt von den Festungswerken der Cidatelle. Ein Gibraltar der neuen Welt steht dieselbe im Rufe der Unüberwindlichkeit. Stolz wehen von ihren Bastionen die Banner Brittaniens; sie wehen von den Thürmen des Gouvernements-Pallastes, den eine Reihe gewaltiger Pfeiler, gleichsam schwebend über dem Abgrund, tragen, über welchen er gebaut ist; sie wehen von den vielen hundert Schiffen, die theils im Hafen ankern, theils mit schwellenden Segeln, oder Dampf auswerfenden Masten, kommend und gehend, auf dem Busen des Stromes sich wiegen. – Kays, mit knarrenden, aus- und einladenden Krahnen, zahlreiche Werfte, auf welchen Schiffe von allen Größen gezimmert und gerüstet werden, strecken sich vor den tiefen Häusermassen aus, und ein eigenthümliches Summen verkündigt den hier nie rastenden Fleiß. [23] Der Anblick der Metropole des Brittenreichs in der neuen Welt ist in der That herrlich, und macht einen Eindruck, der nie wieder auslöscht.

Da die Stadt auf sehr unebenem Terrain gebaut ist, so sind ihre Straßen unregelmäßig, und in den ältern Quartieren eng und altväterisch. Aber Quebeck hat einen Reichthum von schönen und großen Gebäuden: und viele öffentliche, besonders aus der französischen Zeit, sind wahre Palläste. Die Klöster, Kirchen (die Cathedrale ist die schönste in Nordamerika), das Collegium der Jesuiten, die Börse, Bank, Gerichtshöfe, Hospitäler, das Seminar, die Universität zeichnen sich alle durch geschmackvolle Bauart, oder Größe aus. In den Hauptstraßen reihen sich Läden und Gewölbe an einander, die mit einem Waarenreichthum und einer Eleganz ausgestattet sind, welche an Paris und London erinnern. Die meisten Privatwohnungen sind zwar noch mit Schindeln gedeckt; indeß hat man seit einigen Jahren die eben so schöne, als dauerhafte Eisenbedachung eingeführt, und jene, ein unstädtisches Ansehen gebend, wird bald gänzlich verschwinden.

Zur Zeit der Eroberung durch die Britten hatte Quebec nicht ganz zehn tausend Einwohner, gegenwärtig über dreißig tausend. Die größere Hälfte ist französischer Abstammung, und die Unterhaltungssprache ist noch meistens die französische. In den gebildetsten Cirkeln hat französische Sitte das Uebergewicht ungeschmälert behauptet, und man sieht hier die für das gesellige Leben angenehmsten Seiten des französischen Charakters, Gastfreiheit, herzliche Fröhlichkeit, Gefälligkeit, lebendige Theilnahme und jene Bonhomie entfaltet, für welche die deutsche Sprache kein völlig entsprechendes Wort hat.

Der Handel des Platzes bedarf jährlich an 1000 große Seeschiffe von durchschnittlich 300 Tonnen Trächtigkeit. Die Ein- und Ausfuhr zur See übersteigt 20 Millionen Gulden; das im Handel überhaupt angelegte Capital das Dreifache dieser Summe. Schiffbau, Fischerei und Rhederei sind Hauptnahrungszweige von Quebeck.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Wohl: 80 Jahre, bzw. 8 Jahrzehnte.