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auslöschen. Sie wird Canada die größtmögliche Masse von Selbstständigkeit gewähren, und ihm den Uebergang zur förmlichen Unabhängigkeit auf friedlichem Wege bahnen. Abgesehen davon, daß Gerechtigkeit und gesunde Staatsgrundsätze ein solches Verfahren anrathen, so ist es auch schon der Klugheit gemäß, dieselben zu befolgen; denn zwischen Canada und England ist das atlantische Meer, während ersteres 24 Republiken zur Seite hat, vereinigt zu einem mächtigen Föderativreiche, dessen Bevölkerung in drei Jahrzehnten die von Großbrittanien übertreffen muß. So lange die Canada-Kolonieen weniger öffentliche Freiheit besitzen als ihre Nachbarn, deren Beispiel sie unablässig vor Augen haben, werden sie unzufrieden seyn, – eine Unzufriedenheit, die nicht anders gehoben werden kann, als daß man die Regierungsform der der nordamerikanischen Freistaaten so ähnlich mache, als es die Verbindung mit dem Mutterlande nur irgend verträgt. Freiheit in der Leitung der eigenen Angelegenheiten nach ihrer Weise, das ist der einzige Grundsatz, welcher dem Mutterlande Erhaltung seiner Kolonieen sichert. Die Zeit, die ihn predigt, wird ihm auch allgemeine Geltung verschaffen.


Canada bildet den südöstlichsten und wohnlichsten Theil der englischen Besitzungen im Nordamerikanischen Festland, deren Gesammt-Ausdehnung die von Europa übersteigt. Es wird in zwei Provinzen, Unter- und Obercanada, von fast gleicher Größe (7000 Geviertmeilen) geschieden. Jener, der ältest-bevölkertste Theil des Landes, mit französischer Sprache und Sitte, begreift, von der Mündung des Ottawa ostwärts, das Tiefthal des Lorenzstroms; Obercanada, durchaus englischer Colonisation, gruppirt sich um die großen Seen, die, Meeren ähnlich, die gestaueten Fluthen des genannten Flusses schufen. Noch ist das Land ein ungeheuerer Urwald, Germanien zur Zeit des August ähnlich, angefüllt mit Strömen, Seen und Morästen. Die Kultur hat noch nicht den hundertsten Theil verändert. Bevölkerung und Anbau beschränken sich zur Zeit fast allein auf die Ufer des Lorenz und die Küsten der großen Seen: und obschon jene durch die Einwanderung aus dem Mutterstaate (jährlich an 60,000 Köpfe, meistens Irländer,) außerordentlich zunimmt, so dürften doch noch Jahrhunderte vergehen, bevor sie eine Dichtigkeit erlangen kann, wie wir sie in den schlechtest-bevölkerten Theilen Deutschlands finden. Die Einwohnerzahl, welche, als Canada unter englische Herrschaft kam, kaum 180,000 betrug, erreicht jetzt 1½ Millionen. Das Klima, rauh, wie in Polen, mit langen, strengen Wintern, ist der Organisation des Europäers doch äußerst zuträglich: das Leben dauert hier länger, und Leute von neunzig Jahren sind keine Seltenheit. – Canada’s natürliche Reichthümer sind groß. Obenan stehen seine unerschöpflichen Wälder, welche die brittische Marine mit dem vortrefflichsten Bauholz fast ausschließlich versorgen. Getreide, besonders Waizen, verführt es nach Westindien und nach England;

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/36&oldid=- (Version vom 10.10.2024)