Methodik und Abgrenzung der Politik

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Autor: Fritz Berolzheimer
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Titel: Methodik und Abgrenzung der Politik.
Untertitel:
aus: Handbuch der Politik Erster Band: Die Grundlagen der Politik, Erstes Hauptstück: Politik als Staatskunst und Wissenschaft, Abschnitt 4, S. 14−19
Herausgeber: Paul Laban, Adolf Wach, Adolf Wagner, Georg Jellinek, Karl Lamprecht, Franz von Liszt, Georg von Schanz, Fritz Berolzheimer
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Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Dr. Walther Rothschild
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Erscheinungsort: Berlin und Leipzig
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[14]
4. Abschnitt.


Methodik und Abgrenzung der Politik.
Von
Dr. iur. Fritz Berolzheimer, Berlin.

Literatur:

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Dahlmann, Politik. 2. Aufl., 1847 Google.
Waitz, Grundzüge der Politik. Kiel 1862 Google.
G. Rümelin, Reden und Aufsätze. S. 144–177: Über das Verhältnis der Politik zur Moral. Tübingen 1875 Internet Archive.
Franz von Holtzendorff, die Prinzipien der Politik. 2. Aufl., Berlin 1879 Internet Archive.
Bluntschli, Deutsche Staatslehre. 1. Teil. Allgemeine Staatslehre. 2. Aufl., Nördlingen 1880.
Gumplowicz, Soziologie und Politik, Leipzig 1892 Internet Archive.
Ratzenhofer, Wesen und Zweck der Politik. 3 Bde., Leipzig 1893.
Schäffle, Bau und Leben des sozialen Körpers. Bd. 1. Tübingen 1875, Bd. 4. 1878; 2. Aufl.: 2 Bde., 1896.
Rehm, Geschichte der Staatsrechtswissenschaft. Freiburg i. B. 1896 Internet Archive.
Schäffle, Über den wissenschaftlichen Begriff der Politik, i. d. Ztschr. f. d. ges. Staatswissenschaft, Bd. LIII, 1897, S. 579–600 DigiZeitschriften.
v. Treitschke, Politik. I. Bd., Leipzig 1897 USB Köln.
Fritz van Calker, Politik als Wissenschaft. Strassburg 1880.
Rehm, Allgemeine Staatslehre. Freiburg i. B., 1899.
Richard Schmidt, Allgemeine Staatslehre, 1. Bd., Leipzig 1901.
v. Hertling, Art. „Politik“ im Staatslexikon der Görres-Gesellschaft, 2. Aufl., Bd. 4, Freiburg 1903. S. 546–562.
Berolzheimer, System der Rechts- und Wirtschaftsphilosophie. Bd. II (Die Kulturstufen der Rechts- und Wirtschaftsphilosophie). Bd. III (Philosophie des Staates samt den Grundzügen der Politik) München 1905, 1906.
Rich. Schmidt, Wege und Ziele der Politik. In der Ztschr. f. Politik. Bd. 1. 1907. S. 1–60. Internet Archive.
Tönnies, Soziologie und Politik, ebenda (1908) S. 219–229.

1. Politik als Wissenschaft – Staats-Machtlehre

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Wesen und Methodik der Politik stehen in enger Wechselbeziehung. Die gewählte Methode ist zweifellos von Einfluss auf die Ausgestaltung der politischen Wissenschaft; aber zuvor muss das Untersuchungsobjekt feststehen, damit das Untersuchungsmittel bestimmt werde.

[15] Während im Altertum Politik gleichbedeutend war mit Wissenschaft vom Staat,[1] steht heute nur so viel fest, dass Politik lediglich eine der Wissenschaften vom Staat bedeutet. Das Wesen der politischen Wissenschaft findet man durch Betrachtung der Betätigungskreise, deren Regeln die politische Wissenschaft zu bestimmen hat. Die für die politische Praxis geltenden oder zu bestimmenden allgemeinen Gesichtspunkte oder Normen ergeben die politische Wissenschaft.[2]

Die politische Praxis umfasst die Regierung der Machthaber im Staat, unter Ausschluss der Rechtsprechung; ferner die Wahrung der Gemeinschaftsinteressen gegenüber dem Ausland, mit Ausschluss der internationalen und der Schiedsgerichts-Rechtsprechung; zum dritten die Geltendmachung von Rechten und Ansprüchen der Regierten mit Bezug auf die Gemeinschaft oder Gemeinschaftsteile, unter Ausschluss der im Prozessweg verfolgten.[3] Das gemeinsame Kennzeichen all dieser Akte, Regungen und Strebungen ist die Erstrebung, Entfaltung, Behauptung, Verteilung oder Erweiterung von Macht mit Bezug auf die eigene oder fremde Gemeinschaft. Politik als Wissenschaft ist daher Staats-Machtlehre.

Die Probe ergibt ein Blick auf den Inhalt der wissenschaftlichen Werke über Politik. Als der Kampf zwischen Staat und Kirche um die Macht im Staat mit der Befreiung des Staats aus kirchlicher Umklammerung endigte, galt es das Wesen der Souveränität festzulegen.[4] Der Despotismus findet seine wissenschaftliche Spiegelung bei Machiavelli.[5] Der aufgeklärte Absolutismus im Antimachiavel.[6] Mit der politischen Befreiung der Bürgerschaft bildet der Parlamentarismus[7] den Kernpunkt der wissenschaftlichen Politik. Und seit der wirtschaftlichen Befreiung des Proletariats stehen die Machtfragen der Arbeitgeber- und -nehmerverbände im Vordergrund.

Machtbehauptung, -verteilung und -erweiterung bilden das Wesentliche.[8]

2. Geschichtliche Methode mit soziologischem Ausbau.

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Das Untersuchungsobjekt bestimmt die Untersuchungsmethode. Jedermann sieht ein, dass die Untersuchungsmethode des Strafrichters eine andere sein muss, als jene des Ingenieurs oder Arztes. Wenn gleichwohl in der Politik, wie in anderen Geisteswissenschaften der Versuch auftauchte, eine fremde, für andersgeartete Wissenschaftszweige geeignete Methode herüberzuverpflanzen, findet dieses fehlerhafte Bemühen regelmässig seinen Grund in dem (begrüssenswerten) Streben nach Voraussetzungslosigkeit. So sucht Fritz van Calker[9] auf neukantschem Boden a priori eine Idee der Vervollkommnung (= „Erhöhung der Leistungsfähigkeit“) als Prinzip [16] der Politik festzustellen. Allein der Apriorismus ist in der gesamten Staatslehre abzulehnen, weil er die geschichtliche Entwicklung ausser Betracht lässt. Daher gelangt denn auch van Calker zu einem grundlegenden politischen Gesetz „grösstmöglicher Förderung der Vervollkommnung aller“[10]), dessen angebliche Geltung mit den geschichtlichen Tatsachen nicht im Einklang steht.

Die Soziologen[11] erstreben gleichfalls absolute Voraussetzungslosigkeit und Ausschaltung der Werturteile. Die Soziologen wollen durch Übertragung der naturwissenschaftlichen Forschungsart[12] „den naturgesetzlichen und daher notwendigen und unvermeidlichen Gang der sozialen Entwicklung kennen lehren.“[13]

Dass jedoch die Politik sich der historischen Methode bedienen muss, ergibt sich aus dem Wesen der Politik. Das politische Handeln, oder der Kampf um die Macht des Staates und im Staate bezielt und erzielt fortgesetzt grössere und kleinere Änderungen im staatlichen Leben. Die Lehre dieses Machtringens muss daher das staatliche Leben in seiner Entwicklung ergreifen, um es begreifen zu können. Diese Lehre der historischen Methode führt auf Herder[14] und die historische Schule der Jurisprudenz[15] zurück.[16] Schon in der Zeit der Romantik wurde (für die Begreifung des Rechts) die Forderung der historischen Methode aufgestellt, die freilich bis heute erst zum geringsten Teil erfüllt ist.[17]

Die geschichtliche Betrachtung erweist aber das geschichtliche Werden oder die Entwicklung nicht etwa dergestalt, dass ein früherer Zustand restlos in einen späteren umgewandelt würde. Vielmehr bleiben kraft Beharrungsvermögens Reste der früheren Zeit immer noch fortbestehen – zwecklos oder selbst zweckwidrig (wenn man sich utilitarisch ausdrücken will), rudimentär (um eine naturwissenschaftliche Bezeichnung zu verwenden). Aus allen früheren Epochen ragen Reste grösseren oder kleineren Umfangs in die spätere Zeit, bis zur Gegenwart. Diese Beharrungsreste finden sich im Recht, wie im gesellschaftlichen Leben; ebenso auch bei den Machtfaktoren (Päpstliche Universalmonarchie, Absolutismus, Feudalismus, Polizeistaat, kapitalistische Ausbeutung bestehen noch heute in rudimentären Machterscheinungen fort). – Aus dieser Erkenntnis der geschichtlichen Entwicklung als einer unvollkommenen, restebehafteten Umgestaltung erwächst die Notwendigkeit, die geschichtliche Betrachtung zur universalgeschichtlichen zu erweitern.

Ist daher die Soziologie auf dem Irrweg mit ihren naturwissenschaftlichen Verpflanzungsversuchen, so verdanken wir doch der Soziologie eine bedeutsame Erkenntnis: sie hat der Neuzeit die Augen geöffnet für die Wichtigkeit der Gruppen zur Begründung und Fortführung des staatlichen Lebens. Die atomistische Betrachtungsart des Naturrechts wurde zerstört (so gründlich, dass man heute zu übersehen geneigt ist, dass die Gruppe zwar nach aussen hin geschlossen auftritt, nach innen aber differenziert bleibt durch die Einzelnen mit ihrem Eigenleben und ihren Sonderansprüchen).

[17] Somit ergeben sich methodologisch die Leitsätze:

1. Die Politik als Staatsmachtlehre kann nur durch geschichtliche Betrachtung der Machtgruppierungen erfasst werden.

2. Die staatliche Machtentwicklung besteht nicht aus restlosen Umformungen, vielmehr verbleiben aus den früheren Gestaltungen noch jeweils Machtreste fort.

3. Für die Machtgestaltung ist die menschliche Gruppenbildung erheblich.

3. Politik und Allgemeine Staatslehre. Politik und Staatsphilosophie.

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Regelmässig setzt die Wissenschaft heute Grenzen zwischen den Disziplinen Politik und Allgemeine Staatslehre.[18] Mit Recht. Die Allgemeine Staatslehre stellt die staatlichen Verhältnisse (ohne Beschränkung auf den einzelnen Staat) wesentlich im Beharrungszustand dar, die Politik dagegen wesentlich nach der Seite des Werdens (Entstehens und Vergehens). Allgemeine Staatslehre ist die Wissenschaft der stabilen Machtverhältnisse des Staats und im Staat, Politik jene der labilen. Allgemeine Staatslehre gibt eine Art Anatomie des Staats, während Politik die Physiologie des staatlichen und innerstaatlichen Machtringens aufzeigt.[19]

Da dieses Machtringen nach Verwirklichung strebt und demnach im günstigen Fall zu Neuem führt, hat man die Politik auch die schöpferische Seite der Staatstätigkeit genannt.[20] Aber das trifft nicht den Kern der Sache. Denn auch die Rechtsprechung kann schöpferisch sein (das Prätorische Edikt der Römer, die equity der Engländer, die Ausgestaltung gemäss der Freirechtsschule der Gegenwart); andrerseits bleibt die Politik auch dann noch Politik, wenn sie, in Marasmus verfallen, jeder schöpferischen Kraft entbehrt (Niedergangszeiten; Herrschaft der Reaktion).

Auch der Gegensatz: die Staatslehre enthält wesentlich Erkenntnisurteile, die Politik Werturteile,[21] ist unzutreffend. Denn die Staatslehre kann sich der Kritik nicht begeben, während die Werturteile für die Politik nur das Mittel bilden zu Erkenntniszielen. – Wie Anatomie und Physiologie das Objekt, den menschlichen Körper, gemeinsam haben, so auch Allgemeine Staatslehre und Politik, nämlich den Staatskörper. Der Unterschied hegt hier wie dort in dem Gegensatz: Ruhe – Bewegung. Die Politik spiegelt das Machtringen in seinen zahllosen Gliederungen, die Staatslehre zeigt die gefestigte Macht. Der bleibende Niederschlag der Politik der Gegenwart ergibt die Staatslehre der nächsten Zukunft.

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Politik und Staatsphilosophie sind so eng verwandt, dass ihre Grenzen in einander überfliessen. Denn Politik und Staatsphilosophie haben das Objekt gemeinsam. Der Unterschied liegt nur in der Grösse und Bedeutsamkeit des Standpunkts der Forschung; der quantitative Unterschied begründet den qualitativen.[22]

Man kann somit das Verhältnis von Allgemeiner Staatslehre zur Staatsphilosophie und zur Politik in die Gleichung bringen:

Allgemeine Staatslehre: Staatsphilosophie: Politik = Zustand: Richtlinien: Erfolgsstrebungen.

[18]

4. Politik und Moral.

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Wäre Politik gleichbedeutend mit Staatsklugheitslehre, dann würde die moralinfreie Doktrin Machiavellis kaum widerlegt werden können. Die praktische Politik hat überdies in alten, wie in neueren Zeiten oft genug zu jedem Gebot der Ethik in Widerspruch gestanden. Gleichwohl bekennt sich die Wissenschaft heute zu der Lehre, dass die Politik den Moralgesetzen unterworfen ist. Man begründet dies entweder damit, dass der Staat als solcher in der sittlichen Ordnung begründet sei;[23] oder mit der Erklärung, für den Staat seien besondere Sittengesetze massgebend; andere, als für den Einzelnen; höchstes Sittengebot für den Staat sei das Gebot der Selbsterhaltung, überhaupt die Machtbehauptung.[24]

Beide Lehren sind irrig. Die erste geht von einem falschen Staatsbegriff aus; der Staat als solcher gehört nicht der Sittlichkeit an, sondern ist autonome Rechtsherrschaft. Die zweite aber konstruiert eine Sittlichkeit, die nicht „echt christlich“ ist, wie v. Treitschke meint,[25] sondern echt antik-heidnisch; man streckt zudem die Moral ins Prokrustesbett, bis sie sich mit der politischen Übung deckt.[26] − −

Da Politik Staatsmachtlehre bedeutet, hat sie an sich mit der Moral (als Wissenschaft, mit der Ethik) ebensowenig zu tun, als an sich die Politik als Praxis mit ethischer Betätigung. Die Betrachtung der Geschichte erweist denn auch, dass nicht nur in niedriger stehenden Zeiten, sondern noch in der Gegenwart bei der politischen Betätigung die brutale Gewalt oft genug nur dürftig verdeckt wird mit einem sittlichen Vorwand. Etwas anderes ist es doch schliesslich nicht, wenn heute die eine oder andere Weltmacht fremde Länder geringerer staatlicher Ordnung und minderer wirtschaftlicher Entfaltung in irgendeiner Form sich unterwirft oder angliedert (pénétration pacifique), um dort „Zivilisation“ oder „Ordnung“ zu schaffen! Falls man daher das Gebot der Ethik für die Politik schlechthin aufstellt, spricht man eine Phrase aus, die in der rauhen Wirklichkeit wie Spreu verfliegt.

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Über das Verhältnis von Politik und Moral bringt die universalgeschichtliche Betrachtung Klarheit. Da die Macht im Staat und das Ringen um staatliche Macht stets sich der Formen des Rechts bedienten, sind die Stufen der Rechtsentwicklung von wesentlichem Einfluss auf die Politik. Alles Recht zeigt aber, von den Urzeiten der Rechtsbildung bis zur Gegenwart, drei grundlegende Gestaltungen: Religiösrechtliche Epoche, Anethische Rechtsgestaltung, Sittlich-rechtliche Synthese.[27]

Im Anfang ist die Gemeinschaft aus Sakralverbänden gebildet; Recht und Kult (der die Ethik in sich schliesst) fallen zusammen. Der Fremde, der jenseits der Gemeinschaft Stehende ist Feind – sowohl des staatlichen Gemeinwesens wie der Kultgenossenschaft; seine Vernichtung ist daher zugleich religiöse Pflicht. Der Untertan steht unter absoluter Herrschaft des Priesterkönigs oder der Hierarchenoligarchie.

[19] In den Zeiten anethischer Rechtsgestaltung ist die Politik nach aussen, wie nach innen brutales Machtringen der gepanzerten Faust, Kampf um die grösste Land- und Schatzgewinnung, moralinfreies Streben nach den besten Futterplätzen: Vae victis! Sei im Besitz und du wohnst im Recht.

Die sittlich-rechtliche Synthese wird gekennzeichnet durch Toleranz nach aussen und Freiheit nach innen. Die Sittlichkeit wirkt in der Politik die Anerkennung stets grösserer Massen als Menschen (Humanitätsidee), als Rechtsträger, als zu Respektierende. (Die Entartung dieser Idee führt zur Irrlehre der Gleichberechtigung aller.) Die Herrschaftsmacht wird gemildert durch die ethische Macht der Freiheitsidee.[28] Dem Machtstreben tritt die Freiheit entgegen: gestützt durch finanzielle Kraft des Bürgertums; robuste Arme – der Arbeiter, Kanonen und Panzerschiffe – fremder Staaten. (Wie so häufig, einen auch hier sich Idealismus und Realismus.)

Die Ethik hat ihre Wirksamkeit in der inneren Politik seit dem Mittelalter in den grossen Emanzipationskämpfen offenbart: Seelische Befreiung der Weltlichkeit aus kirchlicher Umklammerung; politische Befreiung des Bürgertums vom Absolutismus der Fürsten;[29] wirtschaftliche Befreiung der ausgebeuteten Arbeiterschaft aus dem Joch kapitalistischer Übermacht.

In der äusseren Politik wirkt die ethische Forderung die Ausbreitung des Schiedsgerichtsgedankens und der Friedensidee, auf der Grundlage der Gleichberechtigung (des gleichen Rechts auf Existenz und Selbstbehauptung) aller Staaten.

Die Politik wird durch das ethische Ferment geläutert:Die brutale Gewalt unterstellt sich der Gerechtigkeit mit der universalen Anerkennung der Menschheitsidee oder (was dasselbe bedeutet) des Freiheitsgedankens.





  1. πολιτική τέχνη = Staatenkunde und Sittenlehre im weitesten Sinn. – Noch Waitz, Grundzüge der Politik (Vorbemerkung) setzt Politik gleich mit „wissenschaftlicher Erörterung der Verhältnisse des Staats.“ – Auch die romanischen Völker und England treffen keine scharfe Scheidung. Vergl. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 5.
  2. Rehm, Allgemeine Staatslehre, S. 9: „Die Politik als Lehre ist die Lehre von der Politik als Tätigkeit.“
  3. Daher zu eng van Calker, Politik als Wissenschaft, S. 7: „Politik als Praxis . . : die Leitung der Staatsangelegenheiten.“
  4. Dante bis Nicolaus Cusanus und die Tyrannomachen. Vergl. dazu mein System der Rechts- und Wirtschaftsphilosophie, Bd. II, S. 129–132, 141–145; Bd. III, S. 191 ff.
  5. Discorsi und II principe. (Vergl. dazu mein System, Bd. II, S. 133 f.)
    Aus der Zeit des Absolutismus rührt die Auffassung der Politik als der Staatskunst (v. Treitschke, Politik, I, 1: „Alle Politik ist Kunst“).
  6. L’Antimachiavel ou examen du prince de Maciavel (1739). Vergl. dazu mein System, Bd. II, S. 183 bis 186.
  7. Vergl. mein System, Bd. III, S. 215–232.
  8. Im wesentlichen treffend: Schäffle, Bau und Leben des sozialen Körpers (in der 1. Aufl.) Bd. 4, S. 327 bis 347 (dagegen irrig ebenda Bd. 1, S. 559); Über den wissenschaftlichen Begriff der Politik, Ztschr. f. d. ges. Staatswissenschaft, LIII, S. 579–600.
    Rehm, Allgemeine Staatslehre, S. 10, er sieht in der Politik: Staatskunstlehre, Staatsmacht- und Staatsklugheitlehre. Aber die Gleichsetzung in dieser Trias ist unzutreffend. Staatskunst und -klugheit sind nur Mittel zur Behauptung oder Erweiterung der Staatsmacht; auf diese letzte allein kommt es an.
  9. Politik als Wissenschaft, S. 15 ff., 19, 27.
  10. Politik als Wissenschaft, S. 27.
  11. Gumplowicz, Soziologie und Politik, S. 103–134, 137 ff. (Literaturangaben). Hierher gehört auch Schäffle. Zu vergleichen ferner Spencer, Die Prinzipien der Soziologie. Deutsch von Vetter. II. Bd., Stuttgart 1887, S. 5–21 (Darstellung der Gesellschaft als eines Organismus). Ratzenhofer, Wesen und Zweck der Politik, I, S. 1–25, gründet die Politik auf die Soziologie.
  12. Mit Recht gegen die soziologische Methode Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S.67; Rich. Schmidt, Wege und Ziele der Politik, Ztschr. f. Politik, I, S. 9 ff.; F. van Calker, Politik als Wissenschaft, S. 11–15, S. 11 f.: „. . . Gegenstand der naturwissenschaftlichen Erkenntnis ist . . . das einzelne Lebewesen und seine Entwicklung . . . Gegenstand jeder Untersuchung des staatlichen Lebens . . . die Gestaltung des Zusammenlebens und Zusammenwirkens . . .“
  13. Gumplowicz, Soziologie und Politik, S. 103 (Vergl. dazu a. a. O. S. 107 f.) Ratzenhofer, Wesen und Zweck der Politik, I, S. 1–26, 155–159.
  14. Ideen zur Geschichte der Menschheit. Riga und Leipzig 1785–92.
  15. v. Savigny, Puchta, Niebuhr, Eichhorn Dazu kommt der Einfluss des Philosophen Schelling.
  16. Mit Recht – unter Bezugnahme auf Herder – v. Treitschke für die geschichtliche Methode. Politik, I, 6: „Demnach soll also die Politik nach der Methode des historischen Denkens aus empirischen Betrachtungen deduzieren.“
  17. Richtig: Bergbohm, Jurisprudenz, und Rechtsphilosophie, I, Leipzig 1892.
  18. Anders Rich. Schmidt, Allgemeine Staatslehre, I, S. 25–30: Da die Allgemeine Staatslehre nicht nur deskriptiv, sondern auch kritisch verfährt und verfahren muss, fällt sie nach Schmidt in ihrem kritischen Teil zusammen mit der Politik. Zugleich scheidet Schmidt die Lehre von den Akten der blossen Staatskunst aus der Allgemeinen Staatslehre aus (a. a O. S 29).
  19. Bluntschli, Lehre vom modernen Staat, I, S. 2f: „Die Wissenschaft der Politik betrachtet den Staat in seinem Leben, in seiner Entwicklung, sie weist nach den Zielen hin, nach denen das öffentliche Leben sich bewegt und lehrt die Wege kennen, welche zu diesen Zielen führen . . .“ Vergl. auch Schäffle, Über den wissenschaftlichen Begriff der Politik, Ztschr. f. d. ges. Staatswissenschaft, LIII, S. 582 ff. Gegen Bluntschli: Rich. Schmidt, Allgemeine Staatslehre, I, S 29.
  20. So Schäffle, a. a. O. S. 593.
  21. So Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 13.
  22. Vergl. mein System, Bd. II, S. 23 und sonst.
  23. So v. Hertling, im Staatslexikon der Görresgesellschaft, 4, S. 556: „Geht man davon aus, dass der Staat als solcher in der sittlichen Ordnung begründet ist, so leuchtet ein, dass ein Widerspruch zwischen den Zwecken und Aufgaben des staatlichen Lebens und dem Sittengesetz in Wahrheit nicht bestehen kann . . .“ Ebenda, S. 561: „. . . .So ist also . . . die volle Herrschaft der Moralgesetze auf dem politischen Gebiet zu proklamieren . . .“
  24. Rümelin, Über das Verhältnis der Politik zur Moral, S. 157, unter Bezugnahme auf den Satz: salus publica suprema lex esto. – v. Treitschke, Politik, I, S. 87–112, S. 100 f. : „. . . . erinnern wir uns, dass das Wesen dieser grossen Gesamtpersönlichkeit (scil. des Staates) Macht ist, so ist also für seine Macht zu sorgen die höchste sittliche Pflicht des Staates. Das Individuum soll sich opfern für eine höhere Gemeinschaft, deren Glied es ist; der Staat aber ist selbst das Höchste in der äusseren Gemeinschaft der Menschen . . . Daraus ergibt sich also, dass man unterscheiden muss zwischen öffentlicher und privater Moral. . . Auch im Innern ist die Macht, das Aufrechterhalten und Durchsetzen des Staatswillens das Wesentliche.“
  25. a. a. O. S. 100.
  26. v. Treitschke, Politik, I, S. 105: „Die Moral muss politischer werden, wenn die Politik moralischer werden soll . . .“
    Ähnlich schon Rümelin, Über das Verhältnis der Politik zur Moral, S. 168.
  27. Des näheren vergl. mein System der Rechts- und Wirtschaftsphilosophie, Bd. 2–5 und mein Moral und Gesellschaft des 20. Jahrhunderts, München 1914.
  28. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 142: „Die Sittlichkeit ist die Idee der Freiheit...“
  29. Eingeleitet durch die wohlwollende Bevormundung im Polizeistaat. Anti-Machiavel, Kap. 1: „Es ist demnach die Gerechtigkeit, welche das vornehmste Augenmerk eines Fürsten sein soll; es ist demnach die Wohlfahrt seines Volks, so er allem anderen Nutzen vorziehen muss.“