[460]

Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Schiffahrt“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 14 (1889), Seite 460462
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Schiffahrt. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 14, Seite 460–462. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Schiffahrt (Version vom 10.11.2022)

[460] Schiffahrt, das Transportwesen zu Wasser und zwar: Binnenschiffahrt, die S. auf Flüssen (s. Flußschiffahrt), Kanälen (s. Kanäle) und Landseen, Küstenschiffahrt längs der Meeresküsten und Seeschiffahrt auf hoher See. Die Anfänge der S. in dem heute gebräuchlichen Sinn sind bei den Phönikern zu suchen. Die hohe Stufe, welche die S. in spätern Jahrhunderten zur Blütezeit des altrömischen Reichs und der griechischen Staatenbildungen erreicht hatte, ist aus den Überlieferungen der damaligen Schriftsteller bekannt. Auch bei den nordischen Völkern hatte die S. in den ersten Jahrhunderten nach Christo einen bemerkenswerten Aufschwung zu verzeichnen. Die Wikinger von den Küsten Englands, Norwegens und Dänemarks hatten zu jenen Zeiten wahrscheinlich schon die Gestade Nordamerikas entdeckt. Sie fanden auch den Weg zum Mittelmeer und waren an allen europäischen Küsten, von Island bis Konstantinopel, wohl bekannt. Ihre schnellen und kühnen Reisen durch große und stürmische Meere zeigen eine Geschicklichkeit in der Seefahrt, welche die frühern Schiffer, die ihre Fahrten meist nur entlang den Küsten ausführten, bei weitem übertrafen. Im Mittelalter übernahmen Portugiesen und Spanier die Führerschaft unter den seefahrenden Nationen. Schon vom Beginn des 14. Jahrh. ab war der Handel zwischen dem Königreich Aragonien und den afrikanischen Küsten in steter Entwickelung begriffen, und trotz der religiösen Spaltung hatten die christlichen Nationen des Westens und die Mohammedaner schon von jeher volle Gegenseitigkeit in ihren Schiffahrts- und Handelsbeziehungen zugelassen. Den Ausgangspunkt zu den wichtigen Schiffahrtsunternehmungen, welche den Aufschwung der S. in den letzten Jahrhunderten herbeiführten, bildeten die Bestrebungen zur Auffindung eines direkten Seewegs nach Ostindien. Schon die Seereisen Marco Polos hatten im 13. Jahrh. den europäischen Völkern die weite Ausdehnung des asiatischen Festlandes gezeigt und klare Begriffe von seiner Gestaltung geliefert; die Handeltreibenden des Mittelmeers waren jedoch zu eifersüchtig auf die Erhaltung des in ihren Händen befindlichen Monopols des indischen Handels, als daß sie ihre Aufmerksamkeit mehr auf die bloße geographische Erforschung der unbekannten Meere gerichtet hätten. Erst dem portugiesischen Prinzen Heinrich, mit dem Beinamen „der Seefahrer“, war es vorbehalten, die Anregung zu den Entdeckungsexpeditionen zu geben, welche im 15. Jahrh. und besonders gegen Ende desselben einen völligen Umschwung in der bisherigen Richtung und Ausdehnung der S. hervorriefen. Unter dem Prinzen Heinrich wurde 1418 Madeira entdeckt, 1441 erreichten portugiesische Seefahrer das Cabo Blanco; 1446 und 1449 entdeckten portugiesische Expeditionen die Kapverdischen Inseln, und 1471 wurde der Äquator überschritten und der Grund zu Handelsniederlassungen an den Küsten von [461] Guinea gelegt. 1486 entdeckte B. Dias das Kap der Guten Hoffnung, wagte sich aber nur eine kurze Strecke jenseit des Wegs, und erst zehn Jahre später gelang es Vasco da Gama, den Seeweg nach Ostindien aufzufinden. Inzwischen hatten die Versuche Kolumbus’, Indien durch eine Fahrt nach dem Westen zu erreichen, 1492 zur Entdeckung Amerikas geführt. Damit waren der S. ganz neue großartige Bahnen eröffnet, und es war damit der Grund zu der hohen Entwickelung gelegt, welche sie in der Neuzeit, unterstützt durch die Anwendung der Dampfkraft auf den Wassertransport (s. Dampfschiff und Dampfschiffahrt) genommen hat. In welchem Maß die Segelschiffahrt zur Zeit durch die Dampfschiffahrt verdrängt ist, ist in dem Art. „Dampfschiffahrt“ (S. 492 f.) näher ausgeführt. Auf den englischen, nordamerikanischen, deutschen, französischen, italienischen, skandinavischen und andern Schiffswerften wurden 1883 vom Stapel gelassen: 1370 Dampfer mit 994,797 Ton. Gehalt und 2811 Segelschiffe mit 403,983 T. Gehalt. In den spätern Jahren ist jedoch im Bau der Dampfer ein starker Rückgang eingetreten, während der Bau der Segelschiffe seit 1881 eine fortwährende Steigerung zeigt. Während die Segelschiffahrt von den Flüssen und Kanälen immer mehr verschwindet, wird sie auf offener See für voluminöse und minderwertige Güter vermöge ihrer billigern Betriebskosten dauernd am Platz bleiben. Die Gesamtzahl aller Seesegelschiffe wurde 1879 zu 118,800 mit einem Raumgehalt von 15,130,351 Nettoregistertonnen angegeben. Über den Bestand der deutschen See- (Kauffahrtei-) Schiffahrt und den Binnenschiffahrtsverkehr in Deutschland geben die nebenstehenden Tabellen Aufschluß (s. auch die Textbeilage zu „Marine“).

Die Größe und Tragfähigkeit der Schiffe wird in Registertonnen ausgedrückt. Wenn aber der Tonnengehalt zur Angabe der Leistungsfähigkeit einer aus Segel- und Dampfschiffen gemischten Flotte dienen soll, so trägt man dem Umstand, daß die Dampfer infolge ihrer Unabhängigkeit vom Wind in derselben Zeit mehr Reisen machen, dadurch Rechnung, daß man von dem Tonnengehalt derselben ein Vielfaches, und zwar in der internationalen Statistik das Dreifache, in Rechnung zieht; eine solche Angabe nennt man den berechneten Tonnengehalt. Die Vermessung der Schiffe geschieht bei allen seefahrenden Nationen amtlich, und jedem Schiff wird ein amtliches Attest (Schiffscertifikat oder Meßbrief) über seinen Raumgehalt ausgestellt. Mit demselben wird es in die Schiffsregister eingetragen, und danach richten sich die Abgaben des Schiffs in Häfen etc. (weiteres s. Schiffsvermessung).

Die Gesamtheit der Schiffsbesatzungen zählt gegenwärtig gegen 900,000 Köpfe, von denen 200,000 auf die Dampfschiffe, über 500,000 auf die Segelschiffe kommen. Die deutsche Handelsflotte hat eine Besatzung von 39,000 Köpfen, die englische gegen 270,000; in einzelnen Flotten zeigt die Zahl der Besatzung trotz der Zunahme des Tonnengehalts infolge zunehmender Durchschnittsgröße der Schiffe in den letzten Jahren eine Abnahme. Die deutsche Flotte z. B. hatte die höchste Zahl von Mannschaften 1875, d. h. 1600 Mann mehr als jetzt; 1887 betrug zwar die Dampferbesatzung derselben Flotte gegen 9000 Mann mehr, die Segelschiffsbesatzung aber 10,000 weniger als 1875, was, abgesehen von der Vermehrung der Dampferflotte auf Kosten der Segelflotte, auf die Außerdienststellung zahlreicher kleinerer Fahrzeuge und die Ersetzung durch wenige größere Schiffe zurückzuführen ist.

Die Frage, wie sich die durch S. vermittelte Warenbewegung zu derjenigen auf dem Land verhält, ist noch nicht sicher gelöst. Als ungefährer Ausdruck kann das Verhältnis der Tragfähigkeit aller Schiffe zu derjenigen aller Eisenbahnen gelten. Im J. 1882 überstieg zwar die Tragfähigkeit der Schiffe diejenige der Eisenbahnfahrzeuge um etwa 13 Mill. Gewichtstonnen; dagegen hatten sämtliche in europäischen und amerikanischen Häfen ein- und ausgelaufene Schiffe nur eine Fracht von etwa 370 Mill. Gewichtstonnen, während die Eisenbahnen der Welt 1200 Mill. Gewichtstonnen Frachten bewegten. Berücksichtigt man aber die durchschnittlich größern Strecken bei den Schiffsfrachten, so wird man die Transportleistung der Schiffe und der Eisenbahnen immerhin einander gleichsetzen können.

Bei der außerordentlichen Wichtigkeit der S. ist die Regelung der dabei in Betracht kommenden Rechtsverhältnisse im Weg der Gesetzgebung (Schiffahrtsgesetze) und die stete Überwachung der Normen der letztern (Schiffahrtspolizei) geboten. Soweit sie die Seeschiffahrt betreffen, bilden diese gesetzlichen Vorschriften das Seerecht (s. d.). Zahlreiche Schiffahrtsverträge (s. d.) regulieren dabei die internationalen Verkehrsverhältnisse, und schwere Strafandrohungen sind, insbesondere auch in dem deutschen [462] Reichsstrafgesetzbuch (§ 322 ff.), gegen gemeingefährliche Störungen der S. erlassen. Die deutsche Reichsverfassung vom 16. April 1871 (Art. 4) erklärt den Schutz der deutschen S. für Reichssache. Das statistische Material über die Schiffahrts- und Reedereiverhältnisse ist in den verschiedenen Ländern nach zu ungleichen Grundsätzen gesammelt, als daß eine Vergleichung desselben von Nutzen sein könnte. Über die Lehre von der S., die Schiffahrtskunde, s. Navigation (Nautik). Vgl. Lindsay, History of merchant shipping (Lond. 1874–76, 4 Bde.); Geistbeck, Der Weltverkehr (Freiburg 1887); Stabenow, Sammlung der deutschen Seeschiffahrtsgesetze (Leipz. 1875), und die im Artikel „Handel“ angeführte Litteratur.

I. Die Entwickelung der deutschen Seeschiffahrt in den Jahren 1871 bis 1887.
A. Bestand der deutschen Seeschiffe im ganzen und nach Küstenstrecken.
Reich und Küsten-, bez. Rheinuferstrecken Am 1. Jan. der Jahre Segelschiffe Dampfschiffe Zusammen
Zahl Reg.-Tons Besatzg. Zahl Reg.-Tons Besatzg. Zahl Reg.-Tons Besatzg.
Deutsches Reich
1871/75 4316 81227 33764 218 133235 6925 4534 1014462 40689
1881/85 3894 919819 28328 528 313450 11137 4422 1233269 39465
1887 3327 830789 23566 694 453914 15455 4021 1284703 39021
Davon im:                    
Ostseegebiet
1871/75 2002 437524 17130 101 21419 1415 2103 458943 18545
1881/85 1520 347227 12335 260 85496 3152 1780 432723 15487
1887 1200 275922 9395 331 120744 4055 1531 396666 13450
Nordseegebiet
1871/75 2314 443703 16634 117 111816 5510 2431 555519 22144
1881/85 2374 572592 15993 268 227954 7985 2642 800546 23978
1887 2127 554867 14171 363 333170 11400 2490 888037 25571
B. Bestand der deutschen Seeschiffe nach Eigenschaften am 1. Januar 1887.
Eigen­schaften der Schiffe Räder­dampf­schiffe Schrau­ben­dampf­schiffe Voll­schiffe (Fre­gatt­schiffe) Bar­ken Schoner­bar­ken und drei­mas­tige Scho­ner Briggs Schoner­briggs u. Bri­gan­tinen Schoner Schoner­gal­joten, Gal­jassen und Gal­joten Gaffel­schoner und Schmacken Andre zwei­mas­tige Schiffe Ein­mas­tige Schiffe
Anzahl der Schiffe 50 644 150 723 123 265 134 275 261 68 674 654
Netto-Raumgehalt in Register-Tons 5862 448052 184966 411171 35755 65898 26782 28686 19609 4685 28279 24958
Regelmäßige Besatzung 459 14996 3102 9785 1121 2450 1002 1417 1084 271 1833 1501
Eigenschaften der Schiffe Segelschiffe Dampfschiffe Zusammen
Zahl Reg.-Tons Besatzg. Zahl Reg.-Tons Besatzg. Zahl Reg.-Tons Besatzg.
Schiffe von Eisen 205 149702 2843 683 453076 15366 888 602778 18209
   Holz 3115 674975 20619 10 667 73 3125 675642 20692
   Holz und Eisen 7 6112 104 1 171 16 8 6283 120

[461]

II. Binnenschiffahrtsverkehr in Deutschland 1886.
Durchgangs- bez. Hafenorte Anzahl der durchgegangenen, bez. abgegangenen Frachtschiffe
zu Berg zu Thal
be­laden un­bela­den Trag­fähig­keit in 1000 t be­laden un­bela­den Trag­fähig­keit in 1000 t
Schiffe Schiffe
Schmalleningken (Memel) 142 1183 143,1 1358 14 149,2
Pillau (Frisches Haff) 742 179 69,4 528 391 68,9
Königsberg (Pregel) 5221 168 140,4 3429 18 206,9
Thorn (Weichsel) 534 173 84,5 846 7 97,2
Bromberger Kanal
Richtung n. d. Netze Richtung n. d. Weichsel
519 312 73,6 367 229 56,2
Küstrin (Warthe) 938 1434 264,7 2075 153 247,7
Thiergarten b. Ohlau (Oder) 134 572 53,3 628 54 50,9
Lübeck (Trave) 604 135 45,2 442 9 17,8
Hamburg (Oberelbe) 15608 3353 1854,1 15436 3076 1894,0
Rathenower Schleuse (Havel) 4542 133 489,7 667 547 159,1
Berlin (Spree) 20511 1167 2333,1 14016 1062 1534,6
Brieskow (Friedrich-Wilhelms-Kanal)
Richtung n. d. Spree Richtung n. d. Oder
1329 36 145,8 553 1345 198,1
Eberswalde (Finowkanal)
Richtung n. d. Havel Richtung n. d. Oder
10794 46 1184,7 119 1820 206,4
Niegripper Schleuse (Plauer Kanal)
Richtung n. d. Elbe Richtung n. d. Havel
424 452 127,8 2338 126 349,6
Schandau (Elbe) 1167 5203 1676,2 7490 1872,1
Bremen (Oberweser) 427 277 113,4 645 68 114,5
Koppelschleuse bei Meppen (Ems) 355 33 16,8 183 194 16,1
Emmerich (Rhein) 7820 7267 3304,5 14174 426 3137,5
Ruhrort (Rhein) 1738 872 898,1 9655 327 1596,6
Köln (Rhein) 842 235,1 1628 273,1
Koblenz (Mosel) 34 3,3 117 3,7
Güdingen (Saar) 3781 228 947,0 935 3045 941,4
Niederlahnstein (Lahn) 36 596 73,9 619 22 75,0
Würzburg (Main) 243 350 40,4 545 112 44,5
Mannheim (Rhein) 3426 528 1819,5 442 244 118,7
Heilbronn (Neckar) 1650 144,3 369 34,8
Passau (Donau) 798 129,2 188 44,6


Jahres-Supplement 1891–1892
Band 19 (1892), Seite 806
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