MKL1888:Geschütz
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[215] Geschütz (hierzu Tafeln „Geschütze I u. II“), Feuerwaffe von solcher Schwere, daß sie den Handgebrauch ausschließt, besteht im allgemeinen aus dem Geschützrohr und der Lafette (s. d.). Man unterscheidet Feld-, Gebirgs-, Belagerungs-, Festungs-, Küsten- und Schiffsgeschütze. Zum kampffähigen G. gehören die Bedienung, das Geschützzubehör und die Munition, zum Feldgeschütz noch die Protze und Bespannung, zum Belagerungs-, Festungs-, Küsten- und Schiffsgeschütz, wenn dieselben nicht auf einer Bettung oder dem Geschützstand (Deck bei Schiffen) zurücklaufen, noch der Rahmen mit Unterlagen, daher Rahmengeschütze. Kasematten-, Turm-, Bug-, Heck-, Breitseit-, Batterie-, Oberdecksgeschütze sind solche, die in Kasematten, in Panzertürmen der Landbefestigungen und Schiffe, im Bug, Heck, auf den Breitseiten, in der Batterie oder auf dem Oberdeck von Schiffen ihre Aufstellung finden. Gebirgsgeschütze werden zerlegt auf Tragtieren fortgeschafft und kommen im Gebirgskrieg (s. d.) zur Verwendung. Panzergeschütze sind Geschütze schweren Kalibers, in der Regel erst von 21 (in Deutschland schon von 15) cm beginnend, welche vermöge der bedeutenden Durchschlagskraft ihrer Geschosse geeignet sind, Eisenpanzerungen zu durchdringen, die daher sowohl zur Küsten- als zur Schiffsartillerie gehören. Ausfallgeschütze sind Feldgeschütze, die, zu Batterien, ähnlich den Feldbatterien, formiert, bei den Ausfällen aus einer belagerten Festung ihre Verwendung finden. Flankengeschütze sind Geschütze kleinen Kalibers, die zur Flankierung der Gräben in Festungen und auf den Flügeln der Angriffsarbeiten bei Belagerungen aufgestellt und vorzugsweise mit Kartätschen gegen stürmende Truppen ausgerüstet sind; auch werden Revolverkanonen als solche verwendet. Die während der Belagerung von Paris 1870/71 bekannt gewordenen Kruppschen Ballongeschütze waren kleine gezogene Kanonen von 4 cm Seelendurchmesser, welche die aus Paris kommenden Luftballons beschießen sollten. Landungskanonen sind leichte 8 cm Geschütze, die bei Landungen der Schiffsbesatzungen von diesen bewegt und verwendet werden. Je nach ihrer Konstruktion unterscheidet man glatte und gezogene Geschütze, Kanonen, Mörser, Haubitzen (s. d.).
Die Geschütze werden aus Gußeisen, Bronze, Gußstahl oder Schmiedeeisen, auch aus zweien dieser Metalle zugleich gefertigt, z. B. aus Gußeisen mit schmiedeeisernen oder stählernen Ringen (französische Marinegeschütze) oder aus einem Stahlkern, mit schmiedeeisernen Ringen umgeben (England). Die Bohrung des Geschützes heißt Seele, ihr Durchmesser das Kaliber. Die Geschützrohre werden nach ihrem Kaliber benannt, und man drückt dies entweder nach dem Gewicht einer eisernen Vollkugel von gleichem Durchmesser in Pfunden, 4-, 6-, 12-, 24-Pfünder etc., oder nach dem Durchmesser in Zentimetern aus, 8, 9, 12, 15 cm etc. Letztere Art ist jetzt die gebräuchlichste. In England werden die Geschütze unter 7 Zoll Kaliber nach dem Geschoßgewicht, darüber nach dem Kaliber in Zollen und über 5 Tonnen schwer nach dem Rohrgewicht in Tonnen (à 1015,65 kg) benannt. Je nachdem die Geschütze von vorn oder hinten geladen werden, nennt man sie Vorder- oder Hinterlader; erstere können sowohl glatt als gezogen sein, letztere sind stets gezogen, d. h. in die Seelenwand sind flache Vertiefungen, Züge, spiralförmig, also Schraubengänge bildend, eingeschnitten, die den Zweck haben, dem Geschoß eine Drehung um seine Längenachse zu geben (s. Flugbahn). Die Mittellinie der Seele, Seelenachse, soll bei richtig gearbeiteten Rohren mit der Rohrachse zusammenfallen. Zur Verbindung des Rohrs mit der Lafette dienen die Schildzapfen, walzenförmige Angüsse zu beiden Seiten des Rohrs, deren Achse, Schildzapfenachse, senkrecht zur Rohrachse stehen muß. Der Schnittpunkt beider heißt der Lagerpunkt; liegt derselbe unter der Rohrachse, so heißt er versenkt, wie bei den ältern preußischen Festungs- und den österreichischen Feldgeschützen. Die Lage der Schildzapfen gibt dem Rohr entweder Hintergewicht, damit es auf der Richtsohle aufliege und ihren Bewegungen folge, oder hält das Rohr im Gleichgewicht, um den schädlichen Einfluß des Buckens (Abprallens des Rohrs von der Richtsohle beim Schießen) auf die Richtmaschine abzuschwächen. Die Mündung des Rohrs ist häufig verstärkt durch den Geschützkopf, der bei ältern Rohren eine bedeutende Höhe erreicht, bei den neuern entweder nur klein ist, oder auch ganz fehlt, weil er das Bucken vermehrt. Der Teil des Geschützrohrs vom Kopf bis zu dem Teil, an dem die Schildzapfen sitzen, Mittel- oder Zapfenstück, wird das Langefeld genannt; an das Mittelstück schließt sich nach hinten das Bodenstück an, welches bei Vorderladern in der Traube endigt, die zur leichtern Handhabung des Rohrs dient. Einen gleichen Zweck haben die Henkel (Delphine), welche über dem Schwerpunkt älterer bronzener Rohre stehen. Bei ältern Rohren sind die genannten Rohrteile durch Karniese, Bänder oder Rundstäbchen abgegrenzt; die neuern Rohre bestehen in der Regel nur aus einem konischen vordern und cylindrischen hintern Teil. Bei den Hinterladungsgeschützen ist in das Bodenstück das Keil- oder Quercylinderloch eingeschnitten, bestimmt, die gleichnamigen Verschlußteile aufzunehmen, um die Seele hinten abzuschließen, den Seelenboden herzustellen. In der Nähe des Seelenbodens befindet sich entweder senkrecht zur Rohrachse oder schräg von hinten nach vorn gehend das Zündloch, Oberzündung; in neuerer Zeit wird es in der Rohrachse durch den Keil geführt, Zentralzündung. Weil Bronze und Gußstahl leicht ausbrennen, haben Rohre aus diesem Metall einen Zündlochstollen aus Kupfer. Um dem Geschützrohr die Richtung geben zu können, ist entweder vorn auf dem Kopf, auf den Schildzapfen, oder seitlich derselben auf dem Rohr ein Korn angebracht. Der zweite Teil der Richteinrichtung am Geschützrohr ist der Aufsatz (s. d.).
Kanonen, ob glatt oder gezogen, sind Geschütze von ca. 18–35 Kalibern Rohrlänge, die im Verhältnis zum Gewicht des Geschosses mit möglichst großer Pulverladung feuern, daher bei relativ großer Stoßkraft des Geschosses eine flache (rasante) Flugbahn haben. Haubitzen hatten etwa 6–8, die Mörser nur 3–31/2 Kaliber Rohrlänge. Gezogene Kanonen von kürzerer Rohrlänge (der Charakter der Haubitzen, auf gezogene Geschütze modifizierend angewendet) heißen kurze Kanonen, z. B. kurze 15 und kurze 21 cm Kanonen. In allen Feldartillerien finden wir nur noch gezogene Geschütze. In der Festungsartillerie werden
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[216] die glatten nur noch als Kartätschgeschütze zur Grabenverteidigung verwendet.
Die gezogenen Geschütze der deutschen Artillerie sind Hinterlader mit gepreßter Geschoßführung, d. h. die Geschosse, mit Ausnahme der Kartätschen, haben auf dem cylindrischen Teil ihrer Oberfläche eine Ummantelung von Blei, Hartblei oder Kupferringe. Durch das Einpressen der ringförmigen Bleiwülste in die Züge des Rohrs wird der Spielraum zwischen Geschoß und Seelenwand aufgehoben. Die Geschosse sind Granaten, Schrapnells und Kartätschen. In Deutschland sind 8, 9, 12, 15, 17, 21, 24, 26, 28 und 30,5 cm Kaliber im Gebrauch, unter denen 9, 15 und 21 cm Mörser, 8, 9, 12 und 15 cm Kanonen aus Bronze, seit 1878 Hartbronze (in Österreich Stahlbronze genannt) gefertigt werden. Die Züge sind bei allen von gleicher Einrichtung, 1,3–2,6 mm tief, hinten 16–18 mm breit, vorn 3–5 mm schmäler. Man nennt sie ihrer ungleichen Breite wegen Keilzüge; deren Zweck ist, den Widerstand der Geschoßführung auf die ganze Rohrlänge zu verteilen. Parallelzüge sind vorn und hinten gleich breit. Die zwischen den Zügen stehen gebliebenen Teile heißen Felder. Die Anzahl der Züge steigt mit dem Kaliber von 12 bei der 8 cm bis zu 36 bei der 28 cm Kanone. Krupps 40 cm Kanone hat 96 Züge. Die Ansteigung der Züge (Drallwinkel) liegt zwischen 21/2–41/2 Grad. Die Dralllänge ist das Maß für die einmalige Umdrehung der Züge, man pflegt sie in Anzahl Kalibern auszudrücken; sie muß abnehmen mit dem Wachsen der Ladung und der Länge des Geschosses und zwar um so mehr, je kleiner das Kaliber ist; sie beträgt bei Krupps Kanonen etwa 28–45 Kaliber, erstere bei 9 cm, letztere bei 40 cm Kanonen. Der hintere Teil der Seele, der Ladungsraum, ist glatt, bei neuern Geschützen gezogen (Züge von etwa der halben Tiefe der gezogenen Seele), dient zur Aufnahme des Geschosses und der Pulverladung und hat deshalb einen größern Durchmesser als die Seele in den Zügen; er muß sich in Rücksicht auf Pulververwertung zur Länge des Ladungsraums wie 1 : 3–4,5 verhalten, wächst also, wenn man die Ladung desselben Kalibers steigert. Dieses Verhalten des erweiterten Ladungsraums ist wissenschaftlich noch nicht erklärt. Vom Ladungsraum zum gezogenen Teil führt der Übergangskonus. Die Seele wird hinten durch den Verschluß geschlossen, der seiner Konstruktion nach entweder Kolben- oder Keilverschluß ist. Ersterer ist älterer Art (9 cm) und besteht aus dem Verschlußkolben
Fig. 1. | |
Kolbenverschluß. | |
a (Fig. 1), in der Seelenachse liegend, der seine Führung in der Verschlußthür b erhält. Senkrecht zur Seelenachse wird durch das Rohr und den Verschlußkolben der Quercylinder c gesteckt, der dem Stoß der Pulverladung Widerstand bieten muß. Die Handhabung geschieht mittels der Kurbel d. Der Keilverschluß ist entweder Doppel- oder Einheitskeil. Ersterer ist die ältere Konstruktion; sein Konstruktionsprinzip ist folgendes (Fig. 2): Zwei rechtwinkelige Keile a und e liegen mit den schrägen Flächen aneinander, so daß Vorder- und Hinterfläche parallel laufen.
Fig. 2. | |
Doppelkeilverschluß. | |
Je nachdem man nun die schrägen Flächen von- oder übereinander schiebt, vermindert oder vermehrt sich der Abstand der parallelen Vorder- und Hinterfläche und gestattet das Herausziehen und Hineinschieben des Verschlusses oder das Öffnen und Schließen des Rohrs. Die Knebelschraube i begrenzt das Herausziehen, so daß die Ladeöffnungen k in die Seele treten. Bei den Panzergeschützen mußte der Doppelkeilverschluß
Fig. 3. | |
Einheitskeil. | |
seiner ungenügenden Widerstandsfähigkeit wegen durch den Kruppschen Einheitskeil, nach Form der hintern Keilfläche Rundkeil, bei einigen aptierten Geschützen Flachkeil genannt, ersetzt werden. Er (Fig. 3) ist ein ungeteilter prismatischer Körper a aus Stahl, dessen vordere Fläche i senkrecht, dessen hintere k aber schräg zur Rohrachse steht. Eine gleiche Form hat das Keilloch. Der Keil erhält seine Führung durch Führungsleisten und Nuten auf der obern und untern Keil- und Keillochfläche, die parallel der hintern schrägen Keilfläche laufen, wodurch es möglich ist, nach geringer Lockerung den Verschluß aus dem Rohr zu ziehen. Das Bewegen und Feststellen des Keils geschieht durch eine Kurbel b, die eine Schraubenvorrichtung von eigentümlicher Konstruktion, aus der Verschlußschraube f und der Spindel c bestehend, in Drehung setzt. Bei den Panzergeschützen wird der Verschluß seiner Schwere wegen (der 28 cm Verschluß wiegt 675 kg) im Rohr durch eine Transportschraube bewegt.
Um die Seele vollständig gasdicht abzuschließen, bedarf man eines besondern Liderungsmittels. Beim Kolbenverschluß dient hierzu der Preßspanboden, ein flaschenbodenähnlicher Napf aus mehrfachen Lagen sehr fester Preßspanpappe. Beim Keilverschluß ist in die Stahlplatte eine Kupferliderung (Fig. 2: m [217] in der Stahlplatte h), deren Querschnitt ein rechtwinkeliges Dreieck bildet, so eingesetzt, daß eine Kathete die Liderungsfläche bildet und in Funktion tritt, sobald die Pulvergase unter die Hypotenuse treten und die Kupferliderung heben. Die Kupferliderung setzt eine immer gleiche Lage des Vorderkeils im Rohr voraus,
Fig. 4. | |
Broadwell-Ring. | |
die bei Verschmutzungen nicht immer erreichbar ist; wegen der Weichheit ihres Metalls wird sie auch leicht unbrauchbar. Diese Nachteile sind durch den Broadwell-Ring beseitigt. Seine Konstruktion ist aus dem Durchschnitt (Fig. 4) ersichtlich. Er sitzt im Rohr an der Mündungskante des Ladungsraums und wird durch die bei a eintretenden Pulvergase gegen die Stahlplatte des Keils gedrückt. Alle neuen Geschütze (auch Feldgeschütze) erhalten eine durch Beseitigung der sehr empfindlichen scharfen Kante b modifizierte Form (Fig. 5), Liderungsring C/1873. Weil derselbe im Rohr sitzt, ist die gleiche Lage des Keils im Rohr bei jedem Schuß nicht geboten. Aber auch dieser Liderungsring erfordert eine so außerordentlich aufmerksame und sachverständige Behandlung zur Erfüllung
Fig. 5. | |
Liderungsring C/1873. | |
seines Zwecks, daß die gegen seine Kriegsbrauchbarkeit laut werdenden Bedenken sich mehren. Major Wille hält deshalb die Annahme von metallenen Kartuschhülsen, nach Art der Gewehrpatronenhülsen, für Geschütze, die sowohl die Pulverladung aufnehmen, als die Liderung bewirken, nur noch für eine Frage der Zeit. Der Verschluß wie die Bedienung der Geschütze würde dadurch vereinfacht und die Gebrauchsfähigkeit des erstern nicht durch Ausbrennungen beschränkt werden. Solche von Lorenz in Karlsruhe gepreßte Kartuschhülsen für Feldgeschütze befinden sich im Versuch.
Die deutschen Feldgeschütze C/1873 sind aus dem Bestreben hervorgegangen, den Geschossen eine möglichst große Anfangsgeschwindigkeit zu geben (s. Flugbahn), weshalb sie nach den Prinzipien der „künstlichen“ Metallkonstruktion (S. 219) als Ring- (Mantel-) Rohre gefertigt wurden. Einige der wichtigsten Geschütze der deutschen Artillerie nebst den Lafetten sind auf beifolgenden Tafeln „Geschütze I u. II“ abgebildet.
Die russische Feldartillerie hat ihre bronzenen 4- und 9pfündigen Kanonen, deren Leistungen im russisch-türkischen Krieg nicht befriedigten, zufolge Verordnung vom 28. Mai 1878 durch Kruppsche Stahlkanonen, die nur unerheblich von den deutschen Feldkanonen abweichen, ersetzt. Die nähern Angaben sind aus der Tabelle S. 219 ersichtlich. Die Kanonen von 10,67 cm Kaliber heißen Batteriekanonen, die 8,7 cm der Fußartillerie leichte, die der reitenden Artillerie Kavalleriekanonen. Die Belagerungs-, Festungs-, Küsten- und Schiffsgeschütze sind, mit Ausnahme einer Anzahl 12 und 15 cm nach englischem System beschaffter Rohre, alle mit den preußischen gleicher Konstruktion und zum großen Teil von Krupp bezogen oder zum Teil auch in russischen Fabriken, in dem Obuchowschen Gußstahlwerk am Ladogasee, gefertigt. Man hat 6-, 8-, 9-, 12zöllige Gußstahlringkanonen, zum Teil mit französischem Schraubenverschluß oder Rundkeil mit Broadwell-Ring, sowie leichte und schwere Hinterladungsmörser aus Bronze und Stahl mit Rundkeil und Parallelzügen. Ebenso ist gegenwärtig in der belgischen Artillerie durchweg das preußische System vertreten.
In die französische Feldartillerie wurden, nachdem sie im Krieg 1870/71 fast ihr gesamtes Material verloren hatte, neue Feldgeschütze nach der Konstruktion des Generals Reffye eingeführt, gezogene Hinterlader aus Bronze von 7,5 und 8,5 cm Kaliber mit gepreßter Geschoßführung, benannt nach dem Gewicht ihrer Granaten canon de 5 und de 7. Sie hatten den in Frankreich gebräuchlichen Schraubenverschluß und am Boden der Kartusche eine kurze kupferne Hülse, welche die Liderung bewirken sollte, sich aber nicht bewährte, weil sie sich festschoß und schwer ausziehen ließ. Die Geschütze waren nur ein Übergangsmodell bis zur Herstellung von Gußstahlringgeschützen nach der Konstruktion von Lahitolle. Es wurde ein solches von 95 mm Kaliber als Einheitsgeschütz eingestellt; als sich dasselbe zu schwer erwies, traten 2 Kaliber von 80 und 90 mm für die eigentlichen Feldbatterien an seine Stelle, während die 95 mm Kanonen für Feldpositionsbatterien bestimmt wurden. Nähere Angaben s. Tabelle S. 219. Die bis 1870 bestehenden Feld- und Gebirgskanonen aus Bronze waren gezogene Vorderlader nach dem System La Hitte. Um den Geschossen eine Drehung um ihre Längenachse zu geben, sind in die Seelenwand Züge mit ca. 7° Drallwinkel eingeschnitten. In das Geschoß (s. Granaten) sind Zinkwarzen (ailettes) zur Führung, daher Ailettenführung, eingesetzt. Die ältern französischen Festungs- und Belagerungsgeschütze sind nach demselben System gefertigt. Auch die ältern Marinegeschütze sind eiserne Hinterlader mit Ailettenführung, aus Gußeisen, am Bodenstück mit Stahlreifen umringt, die sich mit der Rohroberfläche vergleichen. Die Zahl und Art der Züge ist 3, 5 oder 6, Rechts- oder Linksdrall. Die Valérie, welche 1871 als Beute vom Mont Valérien heimgebracht wurde und jetzt neben dem Zeughaus zu Berlin ausgestellt ist, hat 21 cm Kaliber und 5 Linkszüge mit Progressivdrall, weshalb die hintern Ailetten halbmondförmig sind. Diese Geschütze
Fig. 6. | |
Schraubenverschluß. | |
haben den Schraubenverschluß (Fig. 6). Die Verschlußschraube a hat ein Schraubengewinde, das in drei Sextanten bis auf die Spindel fortgenommen ist (b). In der Seele befindet sich die entsprechende Muttereinrichtung, so daß die Verschlußschraube, [218] in das Rohr eingeführt, nach einer Rechtsdrehung um 60° in die Gewinde des Rohrs eingreift und hierin den Widerstand beim Schießen findet. Beim Herausziehen aus dem Rohr gleitet sie auf den Schlitten d, mit welchem sie seitwärts um den Scharnierbolzen c herumgedreht wird. Die Liderung wird durch einen kupfernen napfförmigen Ring am Kopf der Verschlußschraube bewirkt. Später wurde das Liderungssystem des Obersten de Bange, welches auch in England mit dem Schraubenverschluß bei Einführung der Hinterladung zur Annahme kam, besser befunden. Es besteht aus einem von zwei Metallplatten eingeschlossenen, vor dem Kopf der Verschlußschraube liegenden Polster, einem Gemisch aus Asbest mit Hammeltalg, welches, beim Schießen zusammengedrückt, die Seele abdichtet. 1872 wurde ein neues Geschützsystem eingeführt, von dem die Flotte 14, 19, 24, 27 und 32 cm Kanonen erhielt. Die Geschütze sind Hinterlader mit dem Verschluß Fig. 6 und einer Art Broadwell-Ring. Die Rohre aus grauem Gußeisen sind mit Ringen aus Puddelstahl bis vor das Schildzapfenstück bezogen. Bis auf etwa 1/3 Rohrlänge wird von hinten eine Stahlseele, aus Bessemerstahl und in Öl gehärtet, eingezogen. Die Rohre haben 14–32 Züge mit Progressivdrall. Das 14, 19, 24 und 27 cm Rohr wiegt 2655, 7896, 14,418, resp. 20,940 kg. Das 27 cm Rohr feuert mit 39 kg Ladung eine Langgranate von 150 kg. Die Langgranaten sind 2,4 Kaliber lang, und alle Geschosse haben zwei flache Kupferringe. In die Festungs- und Belagerungsartillerie sind Kanonen von 120, 138, 155 und 220 mm, Hinterladermörser von 220 und 270 mm Kaliber eingeführt. Sämtliche Rohre sind Stahlringgeschütze mit Kernrohren aus Gußstahl, Ringen aus Martinstahl und dem Schraubenverschluß; die Geschosse haben hinten kupferne Führungsbänder, vorn einen eisernen Zentrierwulst.
Die italienische Feldartillerie hat ihre frühern bronzenen Vorderladergeschütze französischen Systems nach dem Vorgang Deutschlands durch Hinterlader ersetzt, deren Konstruktion sich ganz der der deutschen Feldgeschütze anschließt, wie aus der Tabelle S. 219 ersichtlich. Die von Krupp gefertigten 8,7 cm Kanonen werden von den schweren, die 7,5 cm von den leichten Batterien geführt; letztere Geschütze sind, wie die österreichischen, aus Hartbronze gefertigt. Für die Belagerungs- und Festungsartillerie ist ein einheitliches Geschützsystem von gußeisernen beringten Hinterladern mit französischem Schraubenverschluß in der Einführung begriffen. Die Küstenartillerie besitzt 24 und 32 cm Rohre, hat 1886 auch 4 Kruppsche 35 Kaliber lange 40 cm Kanonen von je 120 Tonnen Gewicht erhalten und die Marine in den 100 Tonnen-Kanonen der Armierung des Duilio und Dandolo die größten bis jetzt im Gebrauch befindlichen Geschütze.
Die Schweizer Feldartillerie führte gezogene Vorderlader nach dem La Hitte-System und Hinterlader verschiedener Kaliber, ähnlich dem ältern preußischen System, hat aber bei Krupp 8,4 cm Gußstahlrohre für die Feld- und 7,5 cm Gußstahlrohre für die Gebirgsbatterien beschafft, die den Kruppschen Rundkeilverschluß und Stahlblechlafetten haben.
Das ältere in der österreichischen Feldartillerie vertretene System (nach Lenk) gezogener Vorderlader ist aus dem Bestreben hervorgegangen, mit der Vorderladung eine feste, zentrale Geschoßführung zu verbinden. Es wurde durch Bogenzüge erreicht, deren Basis der Bogen eines Kreises ist, dessen Mittelpunkt um die Zugtiefe seitlich der Rohrachse liegt (Fig. 7). Die österreichische Feldartillerie führte 4- und 8pfündige Feld- und 3pfündige Gebirgskanonen dieses Systems, welches dem in Deutschland eingeführten Feldgeschütz C/1873 erheblich nachstand. Nachdem man die Überzeugung gewonnen, daß Gußstahlgeschütze von
Fig. 7. | |
Bogenzüge. | |
befriedigender Güte durch die inländische Industrie nicht geliefert werden konnten, entschied man sich für solche aus Stahlbronze, nach dem von Uchatius angegebenen Verfahren im Arsenal zu Wien hergestellt. Das Material der Festungs- und Belagerungs- ebenso wie das der Küsten- und Schiffsartillerie ist ganz nach deutschem System reorganisiert; jedoch sind vorwiegend unter den ältern gußeiserne (9, 12, 15 cm Kanonen, 17, 21 cm Hinterladermörser) vertreten, an deren Stelle in neuerer Zeit solche aus Stahlbronze traten, in der Küsten- und Schiffsartillerie sind gußstählerne Ringrohre vorhanden.
In England waren bis 1871: 13 Kaliber, teils glatte, teils gezogene, in der Feldartillerie vertreten, letztere für Hinterladung nach Armstrongs System. 1871 wurden für die Feldartillerie in Indien bronzene, in England gezogene Vorderlader eingeführt, die aus einem Kernrohr von Gußstahl mit einer Anzahl übergeschobener Ringe von Schmiedeeisen bestehen. Die Züge sind die sogen. Woolwich-Züge mit bogenförmiger Basis. Das Geschoß erhält seine Führung durch Ailetten (System Maxwell). Die Zahl der Kaliber in den Geschützen der englischen Land- und Schiffsartillerie ist so groß, daß eine Auszählung hier unthunlich. Zur gasdichten Abschließung und Führung durch die Züge hat man am Boden der Geschosse schwerer Geschütze einen kupfernen Expansionsring (gas check) befestigt und erwartete, durch ihn die Vorteile der Kompressionsführung der Hinterlader auf die Vorderlader übertragen zu können. Der Erfolg entsprach diesen Erwartungen nicht. Dieser Mißerfolg wie das Springen einer 38 Tons-Kanone auf dem Thunderer 2. Jan. 1879[WS 1] und sodann die außerordentlichen Erfolge Krupps bei den Schießversuchen Anfang August 1879 und 1882 haben die englische Behörde für die Annahme der Hinterladung definitiv bestimmt. Diese Rohre bestehen aus einer Seele von Martinstahl, die je nach der Größe des Kalibers eine oder mehrere Ringlagen haben. Man hat den französischen Schraubenverschluß gewählt. Die Versuche, das Bodenstück nach den Vorschlägen von Longridge mit Stahldraht oder Stahlband in großer Anzahl Lagen zu umgeben, hatten günstigen Erfolg in Bezug auf Widerstandsfähigkeit der Rohre. Eine Übersicht der Feldgeschütze der größern europäischen Staaten gewährt die Tabelle auf S. 219.
geschieht in staatlichen Geschützgießereien oder Privatfabriken. Bronzene und eiserne Rohre werden gegossen, stählerne gegossen und geschmiedet. Für den Guß wird eine Form aus Lehm hergestellt, die, nachdem sie gebrannt ist, in eine Dammgrube senkrecht, mit der Mündung nach oben, eingesetzt wird. Die Rohre werden entweder voll oder über einen die Seele bildenden Kern und über der Mündung um 0,7–1 m länger gegossen, damit der obere Teil des Gußstückes, welcher in der Regel poröser ist, nicht einen Teil des Rohrkörpers bilde (der verlorne Kopf). Stahlrohre werden bei Krupp aus Tiegeln gegossen und [219] dann unter dem Dampfhammer geschmiedet. Das Ausbohren und Abdrehen der Rohre geschieht durch Bohrmaschinen und Drehbänke, das Ausschneiden der Züge auf einer Ziehbank mit Teilscheibe. Vor ihrer Ablieferung werden die Rohre in Bezug auf Abmessungen und Beschaffenheit des Metalls sorgfältig nach festgesetzten Vorschriften untersucht, nächstdem angeschossen, d. h. es werden eine bestimmte Anzahl Schüsse mit bestimmten Ladungen und Geschossen aus dem Rohr gethan, wobei gleichzeitig die Trefffähigkeit festgestellt wird. Die Bronze ist ihrer bedeutenden Zähigkeit wegen ein sehr geschätztes Geschützrohrmetall; dazu kommt, daß unbrauchbare bronzene Rohre sich mit geringer Entwertung des Metalls zum Neuguß wieder verwenden lassen; dagegen sind sie leicht zu beschädigen, büßen auch infolge baldigen Ausschießens durch Ausschmelzen des Zinns aus der Bronze nach und nach an Treffsicherheit ein. Zur Vermeidung der Zinnausscheidungen beim langsamen Erkalten des Gußstückes gießt man jetzt die Rohre, damit sie schnell erstarren, in eisernen Schalen. Der Herstellung von Geschützen nach dem Uchatiusschen Verfahren liegt gleichfalls der Guß in eisernen Schalen über einen Kern zu Grunde. Für die 8,7 cm Rohre wird die Seele auf 8 cm ausgebohrt und dann durch Hineinpressen von verschieden starken Stahlcylindern auf 8,7 cm erweitert. Die Bronze (92 Proz. Kupfer, 8 Proz. Zinn) nahe der Seelenwand erhält durch diese Verdichtung eine Festigkeit ähnlich dem Gußstahl, daher ihr Name Stahlbronze, und das Rohr in Bezug auf Widerstand beim Schießen ähnliche Eigenschaften wie die beringten Rohre (künstliche Metallkonstruktion). In Rücksicht auf ihre Billigkeit werden auch in Deutschland seit 1878 alle Bronzerohre nach diesem Verfahren hergestellt. Die Bronze wird hier aber Hartbronze genannt. Gußeiserne Rohre sind sehr billig, bieten aber den gegen früher sehr gesteigerten Geschützladungen gegenüber ungenügende Widerstandsfähigkeit und werden daher nicht mehr gefertigt. Das beste Geschützmetall für alle Geschütze ist der Gußstahl; seiner so ausgedehnten Verwendung steht nur sein hoher Preis entgegen. Durch Versuche und Rechnung ist nachzuweisen, daß bei Massivrohren (d. h. aus Einem Stück bestehenden) die äußern Schichten der Wandung durch den Gasdruck in viel geringerm Grad in Anspruch genommen werden als die innern, und zwar um so weniger, je größer die Metallstärke im Verhältnis zum Seelendurchmesser ist. Eine gleichmäßige Inanspruchnahme aller Schichten der Rohrwandung zum Widerstand gegen den Gasdruck wird dadurch erreicht, daß die äußern Rohrschichten die innern in einem von außen nach innen steigenden Druck zusammenpressen. Schiebt man auf eine cylindrische Röhre einen durch Erwärmen erweiterten Hohlcylinder, dessen innerer Durchmesser vorher (in kaltem Zustand) kleiner ist als der äußere der innern Röhre, so wird beim Erkalten diese zusammengedrückt, jener entsprechend ausgedehnt werden. Zieht man in ähnlicher Weise noch einen dritten Cylinder auf, so wiederholt sich dieselbe Wirkung. Auf diese Weise läßt sich bei richtiger Bemessung der Schrumpfmaße die Spannung der innern Schichten den obigen Grundsätzen gemäß regeln. Theoretisch wäre es vorteilhaft, dem Rohr möglichst viele Ringlagen zu geben; aus technischen Gründen und praktischen Erfahrungen empfiehlt sich deren Beschränkung auf 1–3 Lagen. Diesen Rohraufbau hat man die künstliche Metallkonstruktion und die nach ihren Grundsätzen gefertigten Rohre Ring- oder Mantelrohre genannt. Bei erstern bildet die [220] Kernröhre, welche auch den Verschluß enthält, den Hauptteil und trägt am Ladungsraum bis vor die Schildzapfen warm aufgezogene Ringe. Die Mantelrohre enthalten dagegen eine verhältnismäßig schwache Kernröhre, welche vor dem Verschluß endet und demselben nur nach einer Richtung, radial, Widerstand zu leisten hat; bei den Ringrohren tritt der Widerstand in Richtung der Rohrachse, durch den Gasdruck auf den Verschluß, hinzu. Die Kernröhre ist in den aus Einem Stück bestehenden Mantel eingeschoben, in dem also auch der Verschluß sitzt. Werden außer dem Mantel noch Verstärkungsringe angewendet, so entstehen Mantelringrohre. Die Kruppsche Fabrik fertigt in neuerer Zeit die kleinern Kaliber als Mantel-, die größern als Mantelringrohre. Je größer die Widerstandsfähigkeit der Geschützrohre gegen den Gasdruck ist, desto größer ist bei bestimmtem Rohrgewicht ihre Leistung. Bei den sich steigernden Forderungen an die Durchschlagskraft der Geschosse und der dem entsprechenden Zunahme der Seelendurchmesser ist in Rücksicht auf das absolute Rohrgewicht die rationelle Ausnutzung des Metalls von größter Wichtigkeit. Die folgende Tabelle gestattet in den Angaben über die auf 1 kg des Rohrgewichts entfallende lebendige Kraft in dieser Beziehung einen Vergleich der verschiedenen Rohrsysteme. Er zeigt, daß die Kruppschen Geschütze in ihrer Leistung den englischen entschieden überlegen sind.
[Hier folgt in der Vorlage die Tabelle, siehe unten.]
Sir W. Armstrong fertigte seine Rohre in der Weise, daß er schmiedeeiserne Stäbe von trapezförmigem Querschnitt spiralförmig aufwickelte, über einen Dorn in sich und dann solcher Coils so viele aneinander schweißte, als die Länge des Rohrs erforderte. Über dieses nächstdem abgedrehte Kernrohr wurden eine Anzahl in gleicher Weise hergestellte Ringe, die innen ausgedreht waren, warm aufgezogen und dann schnell abgekühlt (das Aufschrinken). Die neuern englischen Rohre erhalten eine Kernröhre aus Stahl mit mehreren Ringen, die wie die Coils gefertigt werden. In Nordamerika wurden bis vor kurzem glatte Vorderlader von 39–52 cm Kaliber als Panzergeschütze nach Rodmans verbessertem Gußverfahren bei schneller Abkühlung von innen und Erwärmung von außen aus Eisen gegossen, welche später eine gezogene Stahlseele erhielten; doch sind dieselben von ganz ungenügender Haltbarkeit. Zu einem selbständigen System ist man noch nicht gelangt. Schweden, welches seiner Eisenproduktion gemäß auch seine Feldgeschütze, die nach dem durch General Wrede abgeänderten La Hitte-System gezogen sind, aus Eisen fertigte, hat neuerdings von Krupp 8,7 cm Gußstahl-Hinterladungsgeschütze für seine Feldartillerie bezogen.
Eine besondere Art von Geschützen ist das sogen. Kartätschgeschütz, Kugelspritze oder Mitrailleuse, deren Konstruktionen sich unter dem Namen der Orgelgeschütze bis zur Mitte des 15. Jahrh. verfolgen lassen, und die zur Zeit der niederländisch-spanischen Kriege von 1568 bis 1609 vielfach zur Anwendung kamen. Das Wesen derselben besteht darin, daß eine größere oder geringere Anzahl von Gewehrläufen derart zusammengesetzt ist, daß sie entweder gleichzeitig oder schnell hintereinander abgefeuert werden können, um so den Kartätsch- und Schrapnellschuß der Geschütze zu ersetzen. Bei den Orgelgeschützen lagen die Läufe in Reihen übereinander und wurden durch Leitfeuer abgefeuert. 1832 konstruierte Steinheil eine Maschine mit Einem Lauf, aus dem durch die Drehgeschwindigkeit eines Rades Kugeln geschleudert wurden. Sie blieb ohne praktische Bedeutung. 1861 erfand Gatling aus Indianapolis in Nordamerika ein Repetiergeschütz, das er 1863 der französischen Regierung erfolglos anbot, welches ihm aber 1865 für die Vereinigten Staaten patentiert wurde. Das Gatling-Geschütz besteht in der Regel aus zehn durch zwei Platten fest zu einem Bündel vereinigten Läufen, in dessen Achse eine Welle drehbar gelagert ist. Am hintern Ende der Läufe befindet sich eine Trommel, welche den Schloßmechanismus umschließt. Jeder Lauf hat ein Schlößchen mit Patronenauszieher, Schlagstift und Spiralfeder. Die Trommel, mit der Welle fest verbunden, wird mit dieser gedreht, wobei die am hintern Ende der Schlagstifte sitzenden Knöpfe in spiralförmigen Führungsrinnen gleiten, die in den hinter der Trommel feststehenden Lade- oder Spannring eingeschnitten sind. Dadurch bewegen sie sich vor und zurück und verrichten hierbei selbstthätig das Laden, Abfeuern und Ausziehen der leeren Hülsen. Ein Mann dreht die Welle, ein andrer läßt die Patronen in die Trommel gleiten. Je schneller man dreht, desto schneller feuert das G. und erreicht bis 1000 Schüsse in der Minute. Die 1867 in Frankreich eingeführte und 1870 in den Kampf getretene Mitrailleuse (von de Reffye) gleicht äußerlich einer Bronzekanone. In derselben steckt ein vierseitiger Stahlblock, durch den 25 Seelen von 13 mm Durchmesser gebohrt sind. In eine Kammer des Ladestückes wird eine Büchse mit 25 Patronen eingesetzt, welche durch den Schloßmechanismus in kurzen Zeitpausen schnell abgefeuert werden. 1851 hatte ein ehemaliger belgischer Offizier und Ingenieur, Fafschamps, eine Mitrailleuse konstruiert, welche in ihrer Konstruktion unverkennbar der Vorläufer der französischen ist; sie hatte 50 fest verbundene Läufe und einen ähnlichen Schloßmechanismus. Die französische Mitrailleuse ist durch Montigny und Christoph in Lüttich verbessert worden. Sie vereinigten 37 Rohre in ein Bündel, welches mit einer eisernen Hülle umgeben wurde. Das Vor- und Zurückschieben des Schloßmechanismus wird durch einen Winkelhebel bewirkt. Aus diesem System ist die österreichische [221] Mitrailleuse hervorgegangen, mit der 1870 die ungarischen Honvedbatterien bewaffnet, die aber 1875 wieder aufgelöst wurden. Bei den bisher genannten Repetiergeschützen laufen sämtliche Seelenachsen parallel, weshalb der Streuungskreis auch nur dem Durchmesser des Rohrbündels entsprechen kann. Dies ist ein offenbarer Nachteil und erklärt, daß Tote 5, 7, ja 15 Mitrailleusenkugeln in der Brust hatten. Diesem Übelstand suchte Feldl, Ingenieur in Augsburg, durch ein System abzuhelfen, bei dem vier Läufe des bayrischen Werder-Gewehrs parallel nebeneinander lagen, denen sich während des Schießens eine seitliche Streuung von im ganzen 56° geben ließ. Das Laden und Abfeuern geschah durch Drehen eines seitlichen Handrades. 1870/71 hatte Bayern zwei solcher Batterien aufgestellt, von denen die eine bei Coulmiers nach 11/2stündigem Gefecht durch Störungen im Lademechanismus gefechtsunfähig war. Das Feldl-Geschütz wurde deshalb nicht eingeführt. Nach dem letzten deutsch-französischen Krieg sind von den meisten Staaten zum Teil früher abgebrochene Versuche mit Mitrailleusen von neuem durchgeführt. Die Ergebnisse waren in manchen Staaten für, in andern gegen, in noch andern für eine bedingte Einführung. Im allgemeinen scheint das Urteil jetzt darin seinen Abschluß erreicht zu haben, daß sie besser für die Defensive als die Offensive geeignet sind und im Festungskrieg eine hervorragendere Rolle spielen können als im Feldkrieg.
Das Kartätschgeschütz von Palmcrantz-Winborg, aus vier oder zehn nebeneinander liegenden Läufen bestehend, die durch Vor- und Zurückschieben eines Hebels geladen, abgefeuert und von den Hülsen entleert werden, ist in Rußland als Flankengeschütz für Festungen wie in der Marine zur Verwendung gegen Torpedoboote eingeführt. Dem Schloßmechanismus werden Einfachheit und große Haltbarkeit nachgerühmt. Das diesem ähnliche Maschinengeschütz von Gardner ist in verschiedenen Kalibern in England eingeführt. – Das der Gatling-Kanone nachgebildete Hotchkiß-Geschütz ist gleichfalls in mehreren Staaten (Österreich, Frankreich, Deutschland, Italien etc.) mit günstigen Ergebnissen versucht worden. Die fünf Läufe von 37 mm Kaliber verfeuern 410 g schwere Granaten mit Perkussionszünder und Kartätschen mit 78 g Ladung. Das G. ist mit wagerechten Schildzapfen und einem senkrechten Drehzapfen so in der Lafette gelagert, daß ihm jede beliebige Höhen- und Seitenrichtung gegeben werden kann. Die fünf Läufe, welche sich um die zentrale Welle drehen, haben nur eine gemeinschaftliche Lade- und Abfeuervorrichtung. Das Laden und Ausziehen der Hülsen wird durch zwei Zahnstangen bewirkt. Zum Abfeuern dient ein Schlagstift mit Spiralfeder. Eine Kurbel mit Schnecke setzt den Mechanismus in Thätigkeit. Eine wertvolle Eigentümlichkeit ist, daß die Läufe während des Abfeuerns selbstthätig stillstehen. Für den Wert der Kartätschgeschütze ist nicht nur die Feuergeschwindigkeit, sondern auch die Unempfindlichkeit des ganzen Mechanismus gegen störende Einflüsse beim kriegsmäßigen Gebrauch maßgebend. Die Feuergeschwindigkeit betreffend, ist die größte Schußzahl in einer Minute: für Gatling 1000, Palmcrantz-Winborg 850, österreichische Montigny 481, Feldl 400, Christoph und Montigny 296, Hotchkiß 150, französische Mitrailleuse 125 Schüsse.
Über das Alter der Geschütze sowie über das des Schießpulvers fehlen sichere Angaben. Diesem ähnliche Mischungen waren bereits im Altertum namentlich den Chinesen bekannt, deren schon in früher Zeit gebrauchte Brandpfeile mit Brandsatz gefüllt waren, um ihre Fluggeschwindigkeit durch die nach hinten ausströmenden Gase zu vermehren. Hieraus entstanden 969 n. Chr. die Raketen, die auch derart an Stangen befestigt, daß das Feuer nach vorn, auf den Feind, ausströmte, verwendet wurden. Auch aus den Wurfmaschinen wurden jene pulverähnlichen Mischungen geworfen, was wohl zu der irrigen Tradition von dem Bestehen von Geschützen schon im 11. Jahrh. und früher Veranlassung gegeben hat. Bis jetzt hat sich aber nur nachweisen lassen, daß der Gebrauch dieser Mischungen zum Forttreiben von Geschossen aus Röhren nicht über den Anfang des 14. Jahrh. hinausgeht. In der Chronik von Gent heißt es vom Jahr 1313, daß in Deutschland der Gebrauch der Büchsen von einem Mönch erfunden sei; ebenso ist authentisch nachgewiesen, daß 1326 in Florenz metallene Kanonen und schmiedeeiserne Kugeln gefertigt wurden. Von nun ab mehren sich die Nachrichten über Feuerwaffen. Die ersten Geschützrohre kleinen Kalibers waren geschmiedete Läufe, die größern wurden aus schmiedeeisernen Stäben mit darübergetriebenen Reifen wie ein Faß zusammengesetzt; in das eine Ende wurde das Bodenstück, durch welches das Zündloch ging, mit einem Zapfen eingeschraubt. Später wurden die Rohre aus Bronze gegossen. Der Hochmeister des Deutschen Ordens, Konrad von Jungingen, ließ 1401 durch den Stückgießer Fränzel zu Marienburg (Westpreußen) eine Geschützgießerei anlegen, deren zu Nürnberg und Augsburg damals schon bestanden. Die ersten gegossenen Geschütze scheinen vorzugsweise Hinterlader gewesen zu sein. Da das damals noch in Staubform angewendete Pulver sich von der Mündung schwer zu Boden bringen ließ, gab man dem G. eine von oben in das Rohr mit der Pulverladung einzusetzende Kammer, welche durch Keile festgehalten wurde, daher Keil- oder Kammerstücke (Fig. 8). Eiserne Rohre scheinen
Fig. 8. | |
Kammerstück. | |
zuerst in der letzten Hälfte des 15. Jahrh. in Schlesien gegossen worden zu sein, der Herzog von Sagan hatte deren bereits 1470; Karl der Kühne verlor 1476 bei Murten eiserne Geschütze. Auch die Art, wie Armstrong seine Rohre fertigt, war bekannt. 1486 wurde zu Mons ein schweres Rohr aus aufgewickelten Eisenstäben („wie man ein Tau aufwickelt“) gefertigt und an Jakob II. von Schottland verkauft. Es steht jetzt in Edinburg. Die „tolle Grete“ von Gent, die 33,000 Pfd. wog und eine Kammer hatte, die 140 Pfd. Pulver faßte, war in gleicher Weise gefertigt; sie blieb 1452 bei der Belagerung von Oudenaarde stehen. Um die Mitte des 15. Jahrh. [222] hatte sich das Geschützwesen schon bedeutend entwickelt und gelangte im 16. Jahrh. bereits zu einer gewissen künstlerischen Blüte. Der Hang zum Ungeheuerlichen führte zu den bekannten Riesengeschützen (die „faule Grete“ des Kurfürsten von Brandenburg 1414, „Taube“, „Ungnade“, der „Hahn“, die „böse Else“, „zwölf Apostel“), zu denen in neuester Zeit die italienische 100 Tons-, die englische 80 Tons- und Krupps 40 cm Kanone hinzutreten, jedoch mit dem Unterschied, daß diese Geschütze ihrer Größe Entsprechendes leisten, was bei den alten Riesengeschützen nicht der Fall war. Nach und nach kam etwas System in das Kaliber, namentlich unter Maximilian zu Anfang des 16. Jahrh., so daß sich gewisse Gruppen, wie Kartaunen und Feldschlangen (s. d.), unterscheiden lassen. Man legte einen großen Wert auf die Ausschmückung des Rohrs durch Ziselierungen, Reliefdarstellungen, besondere, oft sehr phantastische Gestaltung der Henkel und Traube. Nebenbei ist das Bestreben, Hinterladungsgeschütze zu konstruieren, niemals ganz eingeschlafen. Durch zahlreiche Versuche, namentlich seit Anfang des 18. Jahrh., wurden mit den Kalibern auch die Einzelheiten der Rohrkonstruktion, wie Länge der Seele, Metallstärke, Stellung des Zündlochs etc., festgestellt und an unsre Zeit überliefert.
Eine neue Zeit des Geschützwesens beginnt 1840 mit der vom schwedischen Baron v. Wahrendorff, Besitzer der Eisengießerei zu Aker, der für die meisten europäischen Staaten eiserne Geschützrohre goß, ausgeführten Herstellung eines glatten Hinterladers. Zweck der Hinterladung war, die Bedienung des Geschützes in Kasematten zu erleichtern. Während die Hinterladung durch die Reihe der Jahrhunderte an den unvollkommenen technischen Mitteln, vorzugsweise zur Herstellung einer genügenden Liderung, scheiterte, gelang es Wahrendorff, diese Schwierigkeit durch den nach und nach verbesserten Kolbenverschluß, der bei dem 9 cm Feldgeschütz der deutschen Artillerie zur Einführung gelangte, zu beseitigen. 1846 wurde Wahrendorff durch den italienischen Artilleriekapitän Cavalli angeregt, sein Rohr mit Zügen zu versehen. Letzterer setzte 1847 diese Versuche, bei denen er Geschosse mit zwei Ailetten und zwei Flügeln verwendete, in Turin fort. Die Züge hatten fast genau die Form der jetzigen Woolwich-Züge. Sie wurden 1856 in Frankreich durch die unter La Hittes Vorsitz zusammengetretene Kommission bei dem oben beschriebenen La Hitte-System eingeführt. In Rußland, Italien, Schweden, Dänemark, Belgien wurde um 1860 dies System angenommen. 1852 wurde das Lancaster-Geschütz, dessen Querschnitt elliptisch und dessen Geschoß ein Ellipsoid war, versucht, das dann im Krimkrieg seine Unbrauchbarkeit darthat. Seine Seele war in der Art gewunden, daß die große Achse der Ellipse am Rohrboden senkrecht stand, an der Mündung wagerecht lag. Darauf (1854) fiel die englische Artillerie in die Hände von Privatfabrikanten. 1860 wurde, nachdem die Fabrikanten die öffentliche Meinung für sich gewonnen hatten, das Armstrong-Geschütz eingeführt. Der Rückschlag trat nur zu schnell ein und wurde durch die gänzliche Unbrauchbarkeit der schweren Armstrong-Marinehinterlader nach kurzem Gebrauch herbeigeführt. Man behauptete nun, es sei unmöglich, einen genügenden Hinterladungsverschluß herzustellen, und ging zum Vorderlader über, nach welchem System unter Anwendung des Fraser- und Woolwich-Rohraufbaues (s. oben) bisher alle schweren Marine- und Küstengeschütze gefertigt wurden. Die französischen La Hitte-Kanonen erwiesen sich im italienischen Feldzug 1859 den glatten Geschützen so überlegen, daß sie der Impuls und das Vorbild für die Einführung gezogener Kanonen in den meisten Staaten wurden.
In Preußen wurden die Versuche mit gezogenen Kanonen im Frühjahr 1851 begonnen und dabei das Wahrendorffsche Rohr mit der Modifikation zu Grunde gelegt, daß die Seele flache Züge erhielt und ein Langgeschoß mit Bleimantel zur Kompressionsführung angewendet wurde. Auf den Grundzügen dieser Konstruktion ruht unsre heutige Artillerie. Die ersten Versuchsrohre waren aus Gußeisen, dann aus Bronze, 1856 aus Gußstahl. 1859 gelangte dies System zur Einführung. Auch die Kruppsche sogen. Riesenkanone der Pariser Ausstellung von 1867, von 36 cm Kaliber, wie das gegenwärtig größte Kruppsche Geschütz, die 40 cm Kanone (s. Tabelle S. 220), fußen auf demselben. Es ist auch unter erheblichen Schwierigkeiten gelungen, in gleicher Weise gezogene Hinterladungsmörser herzustellen. Österreich mußte nach den Erfahrungen von 1859 gezogene Geschütze einführen, konnte sich indes nicht für das La Hittesche System mit seiner schlotternden Geschoßführung entscheiden, wollte aber auch nicht ein Nachahmer Preußens sein und nahm deshalb 1863 das Lenksche Bogenzugsystem an. Über die um diese Zeit in Preußen nach dem Vorgang Frankreichs und Sachsens eingeführten Granatkanonen s. d.
Gleichzeitig mit Armstrong trat, als dessen bedeutendster Konkurrent, Whitworth mit einer eigenartigen Geschützkonstruktion auf. Die Seele seines aus Gußstahl gefertigten Rohrs zeigt im Querschnitt ein regelmäßiges Sechsseit mit abgerundeten Ecken und hat den ungewöhnlich starken Drall von zwei Umdrehungen auf die Rohrlänge. Das Geschoß ist drei Kaliber lang; die Pulverladung befindet sich in einer metallenen Hülse, welche gleichzeitig zur Liderung dient. Dieses G. wurde in Nordamerika eingeführt, aber 1862 durch die Parrot-Kanonen verdrängt. Dies sind Vorderladungsrohre aus Gußeisen, deren Bodenstück mit einem schmiedeeisernen Coil gepanzert ist. Die Geschosse, fast drei Kaliber lang, erhalten ihre Führung durch einen kupfernen oder bleiernen Expansionsring an der Kante des Geschoßbodens. Neben diesen sind noch glatte und gezogene Geschütze nach Konstruktionen von Rodman, Dahlgren und Ames eingeführt worden, die allesamt gleich schlecht sind. Während des Bürgerkriegs zersprangen 259 schwere Rohre, darunter 60 gezogene Parrot-100-Pfünder, 17 glatte 15zöllige Rodman-Kanonen, so daß sich Nordamerika in der Lage befindet, eine ganz neue Artillerie einführen zu müssen, was bei den herrschenden Parteiinteressen sehr schwer ist. – Das von Ames angewendete Fabrikationsverfahren, runde Scheiben aus drei konzentrischen schmiedeeisernen Ringen herzustellen und solche Scheiben nach Bedarf für die Rohrlänge aneinander zu schweißen, ist in England von Macomber durch ein eigentümliches Preß- und Walzverfahren verbessert worden. Das um 1865 in Nordamerika konstruierte Accelerationsgeschütz, in neuester Zeit durch Lyman-Haskell ebenso erfolglos wieder versucht, ging aus der Idee hervor, dem Geschoß im Rohr eine steigende Geschwindigkeit zu geben. Zu diesem Zweck waren in gewissen Abständen Nebenkammern, die mit der Seele kommunizierten, angebracht, deren Ladung durch das Feuer der eigentlichen Geschützladung entzündet wurde, sobald das Geschoß darüber hinweg war. Die den Belagerungsgeschützen durch ihre Transportfähigkeit gesteckte Gewichtsgrenze beschränkt auch [223] ihr Kaliber und somit auch in gewisser Weise ihre Wirkungssphäre. Dies führte 1877 den russischen Kapitän Kolokolzow, Direktor der Obuchowschen Gußstahlwerke, auf die Konstruktion zerlegbarer Geschützrohre, um durch ein in seinen Teilen transportiertes und am Gebrauchsort zusammengesetztes achtzölliges Rohr von 5668 kg Gewicht der russischen Belagerungsartillerie vor Rustschuk ein wirkungsvolleres G. zuzuführen. Das Rohr bestand aus einer Kernröhre von Stahl, auf welche ein aus zwei Stücken bestehender Mantel geschoben wurde, den eine muffenartige Verbindungsmutter zusammenhielt. Das Zusammensetzen geschah in der Batterie in drei Stunden; das Rohr that nach dem Anschießen noch 199 Schuß mit 7,8 kg Ladung und 80 kg schwerem Geschoß mit Erfolg. Von gleicher Bedeutung sind solche Geschütze für die Gebirgsartillerie. In Woolwich und Madrid sind 1878 zerlegbare Gebirgskanonen von La Mesrie und Hoyle gleichfalls mit günstigem Erfolg versucht worden, deren Zusammensetzen in einer Minute geschehen sein soll. Über Dampfgeschütze s. d.
[Litteratur.] Vgl. v. Decker, Geschichte des Geschützwesens (Berl. 1822); Mor. Meyer, Geschichte der Feuerwaffentechnik (das. 1835); R. Schmidt, Entwickelung der Feuerwaffen (Schaffhaus. 1869); v. Specht, Geschichte der Waffen (Leipz. u. Berl. 1869–77, 2 Bde.); Schott, Grundriß der Waffenlehre (2. Aufl., Darmst. 1875); „Quellen zur Geschichte der Feuerwaffen“ (hrsg. vom Germanischen Nationalmuseum, Leipz. 1877); Jähns, Handbuch einer Geschichte des Kriegswesens, mit Atlas (das. 1880); H. Müller: Die Entwickelung der Feldartillerie (Berl. 1873), Entwickelung der preußischen Festungs- und Belagerungsartillerie (das. 1876), Entwickelung der preußischen Küsten- und Schiffsartillerie (das. 1879); Prehn, Artillerieschießkunst (das. 1867); Roerdansz, Das gezogene vierpfündige Feldgeschütz (das. 1865); Schmölzl, Die gezogene Kanone, deren geschichtliche Entwickelung (Münch. 1860); Jüptner v. Jonstorff, Die Feldartillerie Österreichs, Frankreichs etc. (Wien 1871); Witte, Artillerielehre (Berl. 1872–73, 3 Bde.); Wille, Über die Bewaffnung der Feldartillerie (das. 1880); Derselbe, Über Kartätschgeschütze (das. 1871); Beckerhinn, Die Feldartillerie Österreichs, Deutschlands, Englands, Rußlands, Italiens und Frankreichs (Wien 1879); Galster, Die Schiffs- und Küstengeschütze der deutschen Marine (Berl. 1885); v. Löbell, Jahresberichte über die Veränderungen und Fortschritte im Militärwesen (das. 1875–86).
Deutschland | Frankreich | Italien | Österreich | Rußland | Spanien | England | ||||||||||
leichtes C/73 |
schweres C/73 |
80 mm C/77 |
90 mm C/77 |
7 cm C/74 |
9 cm C/76 |
8 cm C/75 |
9 cm C/75 |
leichtes C/77 | schweres C/77 | 8 cm C/78 |
9 cm | 16-Pfünder C/74 |
13-Pfünder C/82 |
12-Pfünder | 22-Pfünder | |
Kaliber Millim. |
78,5 | 88 | 80 | 90 | 75 | 87 | 75 | 87 | 87 | 106,7 | 78,5 | 87 | 94,4 | 76,2 | 76,2 | 89 |
Aufbau des Rohrs | Mantelrohr | Ringrohr | Hart- bronze |
Mantelrohr | Hartbronze | Mantelrohr | Hart- bronze |
Guß- stahl |
Mantelrohr | |||||||
Rohrmetall | Gußstahl | Gußstahl, Ringe | Gußstahl | Gußstahl | Stahl, Mantel aus Schmiedeeisen | |||||||||||
Puddelstahl | ||||||||||||||||
Verschlußsystem | Rundkeil | Schraubenverschluß | Rundkeil | Flachkeil | Rundkeil | Rundkeil | Vorderlader | Schraubenverschluß | ||||||||
Rohrgewicht Kilogr. |
390 | 450 | 425 | 530 | 300 | 492 | 299 | 487 | 438 | 617 | 372 | 516 | 609 | 406 | – | 545 |
Geschoßführung |
Hartblei, Kupfer in der Einführung |
Kupferband | Kupferringe | Kupferringe | Kupferband | Kupferringe | Bronze- | Kupfer- | Kupfer | |||||||
Ailetten | ||||||||||||||||
Art der Granate | Ringgranate | Doppelwand | Ringgranate | Ringgranate | Ringgranate | Ringgranate | einfache | Doppelwand | ||||||||
Gewicht der Granate Kilogr. |
5,07 | 7,0 | 5,825 | 8,015 | 4,20 | 6,70 | 4,309 | 6,397 | 6,9 | 12,5 | 4,60 | 6,40 | 7,343 | 5,89 | – | 9,98 |
Gewicht im Schrapnell Kilogr. |
5,439 | 9,002 | 5,97 | 8,16 | 4,20 | 6,70 | 4,66 | 7,082 | 6,9 | 12,5 | 4,60 | 7,10 | 7,84 | 5,19 | – | – |
Füllkugeln im Schrapnell Stück |
175 | 270 | 93 | 92 | 103 | 177 | 105 | 165 | 165 | 340 | 92 | – | 72 | 116 | – | 234 |
Geschützladung Kilogr. |
1,25 | 1,50 | 1,50 | 1,90 | 0,85 | 1,45 | 0,95 | 1,50 | 1,396 | 1,841 | 1,25 | 1,50 | 1,361 | 1,42 | 1,814 | 3,4 |
Anfangsgeschwindigkeit Meter |
465 | 444 | 490 | 455 | 421 | 454 | 422 | 448 | 442 | 373,4 | 490 | 455 | 411 | 486 | – | 538 |
Lebendige Kraft Meter |
55,9 | 70,4 | 68,5 | 83,9 | 58 | 71,0 | 39,2 | 65,6 | 68,7 | 88,6 | 56,3 | 65,3 | 63,1 | 73,2 | 78,7 | 149,4 |
Schußweite der Granate Meter |
6800 | 7000 | 7000 | 7000 | – | 5600 | 4500 | 4500 | 6400 | 5334 | 6000 | 6000 | 3800 | – | – | – |
Schußweite des Schrapnells Meter |
3500 | 3500 | 5000 | 5000 | 2600 | 2800 | 2250 | 2250 | 3414 | 3200 | 2400 | 2400 | 3800 | – | – | – |
Geschütze der Batterie | 6 | 6 | 6 | 6 | 8 | 8 | 8 | 8 | 8 | 8 | 6 | 6 | 6 | 6 | – | – |
Schußzahl der Batterie pro Geschütz | 1522/3 | 1342/3 | 161,5 | 150,5 | 142 | 130 | 146 | 123 | 165 | 126 | 120 | 103 | 100 | 144 | – | – |
[220]
Krupps | Französische | Armstrongs | |||||||
35 Kaliber lange | 40 cm Kanone C/84 | 34 cm Kanone C/81 | 37 cm Kanone C/84 | 30,5 cm Kanone | 43 cm Kanone C/82 | ||||
24 cm | 30,5 cm | ||||||||
Kanone | |||||||||
Gewicht des Rohrs Tonnen |
22,24 | 49,2 | 121 | 53 | 72 | 44,35 | 101 | ||
„ des Geschosses Kilogr. |
215 | 455 | 741 | 420 | 535 | 317,5 | 1000 | ||
„ der Ladung Kilogr. |
98 | 162 | 279,2 | 164 | 246,5 | 147,4 | 350,5 | ||
Anfangsgeschwindigkeit Meter |
600 | 565 | 615,2 | 600 | 600 | 547 | 558,8 | ||
Lebendige Kraft | ganze Meterton. |
3945 | 7403 | 14300 | 7710 | 9821 | 4842 | 15930 | |
auf 1 cm des Geschoßumfanges Meterton. |
52,32 | 77,28 | 113,8 | 72,18 | 84,4 | 50,5 | 117,3 | ||
auf 1 Ton. Rohrgewicht Meterton. |
177,4 | 150,5 | 120 | 148,2 | 138,3 | 109,1 | 159,3 |
[377] Geschütz (hierzu Tafel „Geschütze III“). Die Erfindung des braunen Schießpulvers durch die rheinisch-westfälischen Pulverfabriken hat auf die Entwickelung des Geschützwesens, zunächst der Panzergeschütze, großen Einfluß ausgeübt. Das langsamere Verbrennen und der verhältnismäßig geringe Gasdruck ergeben in Geschützrohren von 35 Kaliber Länge (L/35) erheblich größere Anfangsgeschwindigkeiten und lebendige Kraft. Krupp hat 1886 vier für die italienische Regierung gefertigte 40 cm Kanonen L/35 abgeliefert. Das Rohr wiegt bei 14 m Länge 121 Tonnen, der Verschluß 3760 kg; die 1050 kg schwere Stahlpanzergranate erhielt durch 384 kg Geschützladung 579 m Anfangsgeschwindigkeit und fast 18,000 Metertonnen lebendige Kraft. Das G. würde mithin nahe der Mündung eine schmiedeeiserne Platte von 104 cm Dicke, auf 1000 m Entfernung noch eine solche von 97 cm Dicke durchschießen können. Das braune Schießpulver (von Krupp C/82 genannt) ist für alle Kanonen vom 15 cm Kaliber aufwärts verwendbar und steigert deren Leistungsfähigkeit bedeutend. Die genannten Pulverfabriken haben später ein andres Pulver, welches nur wenig dünnen, schnell verfliegenden Rauch entwickelt, geringen Rückstand hinterläßt und schwache Feuererscheinung hat, auch für die kleinern Kaliber hergestellt, welches von Krupp als C/86 eingeführt wurde. Bei Feldgeschützen leistet dasselbe etwa 33 Proz. mehr als bisheriges Pulver. Später ist von den rheinisch-westfälischen Pulverfabriken ein prismatisches Pulver C/86 hergestellt worden, welches die Leistungen der 10,5, 12 und 13 cm Schnellfeuerkanonen sowie der 15 cm Kanone L/35 außerordentlich steigerte. In letzterer geben 17 kg braunes Pulver C/82 der 51,5 kg schweren Granate eine Anfangsgeschwindigkeit von 541 m und 770 Metertonnen lebendige Kraft, wogegen mit 14 kg prismatischen Pulvers C/86: 617 m Anfangsgeschwindigkeit und rund 1000 Metertonnen lebendige Kraft erzielt wurden.
Hatte die Einführung der schnell fahrenden Torpedoboote die Revolverkanonen zu ihrer Bekämpfung hervorgerufen, so verlangte die Bekämpfung der in der Folgezeit an Fahrgeschwindigkeit immer mehr zunehmenden größern Kriegsschiffe bis zu den gepanzerten Kreuzern von 4–6000 Ton. Deplacement größere Kaliber schnell feuernder Geschütze; so entstanden Schnellfeuerkanonen.
Die verschiedenen, eine gewisse Verwandtschaft besitzenden Geschützarten, welche aus dieser Ursache hervorgegangen sind, haben zu folgenden Bezeichnungen geführt: Mitrailleusen (canons à balles) sind die mehrläufigen Geschütze meist vom Gewehrkaliber, welche kartätschschußartig (daher auch Kartätschgeschütze genannt) sämtlich mit einemmal oder doch in sehr kleinen Zeiträumen lagenweise abfeuern, die französische Mitrailleuse, der belgische Mitrailleur von Mentigny; auch die Nordenfelt-, Gardener- und Palmcrantz-Geschütze, welche in England Maschinengeschütze genannt werden, gehören hierher. Revolverkanonen sind mehrläufige Geschütze, deren Läufe oder deren Kammern sich um eine gemeinschaftliche Achse drehen, Gatling- und Hotchkiß-Kanonen. Sie haben, wie die Mitrailleusen, Einheitspatronen und selbstthätige Patronenzuführung zur Bedingung, weshalb ihr Kaliber eine gewisse Grenze nicht übersteigen darf. Das größte ist die 4,7 cm Hotchkiß-Kanone, gebräuchlicher ist 3,7 cm. Schnell feuernde Geschütze oder Schnellfeuerkanonen sind einläufig mit einem Verschluß, sie haben meist größeres Kaliber als die Revolverkanonen, reichen jetzt (1889) bis 15 cm und beginnen, wie die Revolverkanonen, mit 3,7 cm Kaliber. Krupp fertigt 4, 5, 6, 7,5, 8,4, 10,5, 13 und 15 cm Schnellfeuerkanonen für Schiffsarmierungen und 8 cm schnell feuernde Feldgeschütze. Die Möglichkeit des Schnellfeuerns ist durch die Verwendung von Metallkartuschen erreicht worden, welche eine besondere Verschlußabdichtung entbehrlich machen und infolgedessen eine Vereinfachung des Verschlusses und der Ladevorrichtungen gestatten. Während bei den kleinen Kalibern ein senkrechter Riegelverschluß zur Anwendung gekommen ist, haben die größern einen Horizontal-Keilverschluß (s. Tafel, Fig. 3 u. 4). Der hinten abgerundete prismatische Keil A erhält durch Leisten und Nuten seine Führung im Keilloch, wird gehandhabt mittels der Kurbel E und durch die Verschlußschraube D im Rohr festgehalten. Letztere hat nur auf einer Seite Gewinde, so daß dieselben bei einer Kurbeldrehung um 90° aus den Einschnitten im Rohr heraustreten und ein Herausziehen des Verschlusses gestatten. Der letzte Gewindegang an der Verschlußplatte B ist jedoch voll; er drückt gegen den Ansatz des Spannhebels K, welcher sich innerhalb des Keils um i dreht. Sein anderes (linkes) Ende greift in einen Schlitz des Schlagbolzens H, in dessen Höhlung die Schlagfeder J liegt, die ihn nach vorn mit der Spitze in das Zündhütchen der Kartuschhülse schnellt, sobald die Nase des Abzugsblattes f am Abzugsstück C herausgezogen wird, der rechte Ansatz des Spannhebels legt sich hierbei in einen Ausschnitt des Gewindeganges der Verschlußschraube. Die Abzugsfeder F drückt die Abzugsplatte stets gegen den Spannhebel k. Der Auswerfer G greift mit gabelförmiger Spitze vor den Bodenrand der Kartuschhülse und liegt mit dem Wulst g im Rohrkörper. Seine Nasen h werden in der obern und untern Nute a des Keils geführt und nach rechts gedreht, sobald der Wulst b an dieselben beim Herausziehen des Keils anstößt, dadurch wird der Auswerfer um g gedreht, wobei er die Kartuschhülse durch das Ladeloch nach hinten auswirft. Zum Abfeuern wird entweder die Abzugsschnur in einen Haken der Abzugsplatte gehakt oder ein Schieber in die Verschlußschraube gesteckt, welcher beim Drehen der letztern hinter die Abzugsplatte tritt und anhebt und den Spannhebel in dem Augenblick auslöst, wenn der Verschluß geschlossen ist. Der Verschluß besitzt mithin Selbstspannung und feuert auch selbstthätig ab. Die Feuergeschwindigkeit
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[378] beträgt 30–15 Schuß in der Minute, je nach dem Kaliber und ob der Verschluß selbstthätig abfeuert oder ob mit der Abzugsschnur abgefeuert wird. Bis zum 8,4 cm Kaliber ist das Geschoß mit der Kartusche verbunden, Einheitspatrone, darüber hinaus nicht. Bis zum 5 cm Kaliber haben die Geschütze keinen Rücklauf, darüber hinaus ist er aus technischen Gründen notwendig, jedoch so gering, daß die Bedienung durch ihn nicht aufgehalten wird. Erstere Geschütze liegen (Fig. 1) in einer Pivotgabel, die in einem auf dem Oberdeck des Schiffs festgebolzten Untersatz drehbar ist. Die Geschützrohre größern Kalibers liegen in Lafetten mit hydraulischen Bremsen (Fig. 2), welche den Rücklauf auf etwa Kaliberlänge beschränken. Die beiden Bremscylinder liegen außen an den Wänden der Oberlafette, die Bremskolben sind an der Unterlafette befestigt, auf deren stark nach vorn geneigter Gleitbahn die Oberlafette zurück- und selbstthätig nach dem Schusse sofort wieder vorgleitet. Der richtende Kanonier sitzt auf dem Reitsitz hinter dem G., der beim Nehmen der Seitenrichtung mit dem rechten Handrad sich mit herumdreht; das linke Handrad gibt die Höhenrichtung. Die Lafetten der verschiedenen Geschützkaliber unterscheiden sich fast nur durch ihre Größenmaße. Die Geschütze feuern gußeiserne und Stahlgranaten, die bis zu 7,5 cm Kaliber 650 m Anfangsgeschwindigkeit haben. Die 5 cm Stahlgranate durchschlägt 7,5 cm dicke Stahlplatten. In der französischen Marine sind die Schnellfeuerkanonen von Hotchkiß, in der englischen die von Armstrong im Gebrauch. Zum Gebrauch in Festungen hat das Grusonwerk in Buckau bei Magdeburg Schnellfeuerkanonen in Verbindung mit eigentümlichen Panzerungen gebaut, welche vom Oberstleutnant a. D. Schumann konstruiert sind. Sie vertreten gleichzeitig die Stelle der Lafetten und sind deshalb Panzerlafetten (s. d., Bd. 17). Außerdem hat das Grusonwerk ein 5,3 cm schnell feuerndes Feldgeschütz hergestellt, dessen Rücklauf durch eine Nabenbremse gehemmt wird. Das Schildzapfenstück der Lafette, in welchem das Geschützrohr ruht, ist zum Nehmen der Seitenrichtung um einen senkrechten Zapfen oberhalb der Lafettenachse drehbar. Der senkrecht bewegliche Verschlußkeil wird durch Heben und Senken eines Hebels an der rechten Außenseite des Rohrvierkants geschlossen und geöffnet, wobei er selbstthätig alle Verrichtungen des Auswerfens, Spannens und Abfeuerns ausführt. Die größte Schnellfeuerleistung hat Maxim mit seinem Schießautomaten (Selbstschießer) erreicht, bei welchem die Kraft des Rückstoßes als Arbeitskraft zum Öffnen des Verschlusses, Ausziehen und Auswerfen der Hülsen, Schließen und selbstthätigen Abfeuern ausgenutzt wird. Durch eine Vorrichtung kann der Mechanismus des Abfeuerns ausgeschaltet werden, wenn letzteres durch den Schützen mit der Hand geschehen soll. Das G. hat nur einen Lauf, trotzdem sind bei einem Versuchsgeschütz vom Gewehrkaliber (11,42 mm) 700 Schuß in der Minute erreicht worden. Der Rückstoß treibt den Verschlußblock zurück, welcher hierbei auszieht, die Zubringervorrichtuug in Thätigkeit setzt und mit Hebelübertragung eine Feder spannt, welche selbstthätig nach den ausgeführten Ladevorrichtungen den Verschluß wieder vorschiebt und abfeuert. Die Patronen sind auf einem Band befestigt und werden von der rechten Seite in die Waffe eingeführt und selbstthätig nachgezogen. Die größere Feuergeschwindigkeit macht eine beständige Kühlung des Laufs notwendig, zu welchem Zweck der Lauf derart mit einer Hülse umgeben ist, daß zwischen beiden ein gewisser Zwischenraum bleibt. In denselben wird beim Schießen selbstthätig aus einem untenstehenden Gefäß Wasser geschöpft, welches beim nächsten Schuß als verbraucht abfließt. Stanley hat sich für seine gegenwärtige (1889) Afrikareise mit solchen Geschützen von 11,42 mm Kaliber ausgerüstet, welche 19,05 kg schwer sind, auf einem leichten, dreibeinigen Gestell liegen und durch einen Stahlblechschirm gegen Gewehrfeuer geschützt sind. Die gebräuchlichsten Maxim-Geschütze sind die von 8 und 11 mm Kaliber, Österreich, Italien und England haben sie eingeführt. Die nach dem System Longridge gefertigten Drahtkanonen sind in den meisten Ländern mit Erfolg versucht worden. Sie bestehen aus einem Kernrohr, auf welches Stahldraht in einer größern Anzahl Schichten mit gewisser, zunehmender Spannung aufgewickelt und mit einem Schutzmantel umgeben ist. In Frankreich hat man mit gleich gutem Erfolg Stahlband verwendet. Eine in Elswick gefertigte 23 cm Drahtkanone schoß eine 173 kg schwere Granate mit 122 kg Pulverladung bei einer Anfangsgeschwindigkeit von 701 m 19,200 m weit. Die Herstellung der Drahtkanonen ist schwierig und kostspielig, was ihrer Einführung bisher entgegenstand, obgleich sie an Widerstandsfähigkeit gegen Gasspannungen alle bisherigen Konstruktionen übertreffen. Die mit dem Verfeuern von Brisanzgeschossen (s. d., Bd. 17) verbundene Gefahr soll durch die von Zalinski erfundene Dynamitkanone dadurch beseitigt werden, daß das Geschoß mittels stark verdichteter Luft fortgetrieben wird. Mit dem aus Stahlblech gefertigten Geschützrohr sind durch Zuleitungsrohre die Luftcylinder verbunden, in welchen von einer Dampfmaschine die Luft verdichtet wird. Die 6–12 Kaliber langen Geschosse sind am Boden mit einem elastischen Puffer zur Abschwächung des Stoßes wie mit angesetzten Schraubenflügeln zur Herbeiführung einer Drehung um die Längenachse versehen und mit großen Ladungen Dynamit (daher der Name des Geschützes) gefüllt. Die 34 cm Kanone feuert Geschosse mit 227 kg Dynamitsprengladung mittels Luftdrucks von 70 Atmosphären auf etwa 2000 m. Die Dynamitkanone fand bisher besonders in Amerika in der Küstenverteidigung sowie versuchsweise auf dem für diesen Zweck erbauten Kreuzer Vesuvius Anwendung, haben hier aber nicht den Beifall der Versuchskommission gefunden und sind infolgedessen von den Schiffsarmierungen ausgeschlossen. Man hat Dynamitkanonen in vielen Kalibern bis zu 40 cm versucht. Versuchsstation Fort Lafayette bei New York. Neuerdings ist von Hicks in New York eine Wurfmaschine konstruiert worden, welche mit Dynamit gefüllte Geschosse durch die Zentrifugalkraft schnell rotierender Scheiben unter bestimmten Winkeln auf gewisse Entfernungen fortschleudern soll. Für Versuche mit dem Lyman-Haskelschen Accelerationsgeschütz bewilligte der Kongreß 150,000 Dollar; sie verunglückten vollständig und zeigten die Wertlosigkeit der Idee. Der französische Oberst de Bange, bekannt durch die nach ihm benannte Geschützverschlußliderung, hat ein 34 cm Geschützrohr (auf der Ausstellung in Antwerpen) gebaut, dessen Stahlringe zur Erhöhung der Zerreißfestigkeit außen bikonische Form hatten; das Rohr zersprang beim dritten Probeschuß. Vgl. Maudry, Mitrailleusen und schnell feuernde Kanonen („Mitteilungen über Gegenstände des Artillerie- und Geniewesens“, Heft 4 u. 5, Wien 1888); Monthaye, Krupp und de Bange (deutsch, Berl. 1887); Bender, Die Bewegungserscheinungen der Langgeschosse und ihre Beziehungen zum Feldgeschütz der Zukunft (Darmst. 1888); Grabe, Die Panzergeschütze (Berl. 1884).
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ HMS Thunderer (1872), Artikel der englischen Wikipedia.