Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Granaten“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 7 (1887), Seite 611612
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Granaten. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 7, Seite 611–612. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Granaten (Version vom 29.10.2024)

[611] Granaten (vom ital. granata; frz. grenade, auch obus), die eisernen Hohlgeschosse. Zur Zeit der glatten Geschütze hießen G. die aus Haubitzen und Granatkanonen, Bomben die aus Mörsern geworfenen Geschosse, die im übrigen sich in nichts unterschieden (s. Bomben). G. für glatte Geschütze sind sphärische, für gezogene Langgeschosse. Sie werden benannt nach dem Durchmesser des Geschützes, also 8, 9, 12, 15 cm etc. G. Langgranaten hießen zum Unterschied von den ältern, 2 Kaliber langen G. 2,5 Kaliber lange G. In neuerer Zeit sind indessen bis 6 Kaliber lange G. mit Vorteil verwendet worden. Hartgußgranaten dienen als Panzergranaten zum Beschießen von Panzerzielen. Die G. der glatten 12 cm Granatkanonen (s. d.) hatten eine ellipsoidale Höhlung, deren große Achse senkrecht zur Schußebene, also parallel zur Rotationsachse, um welche die Granate rotierte, lag. Durch die ellipsoidale Form erreichte man eine bedeutende Exzentrizität des Geschosses und durch diese eine große Ablenkung aus der Flugbahn (s. d.), die nach der Seite hin erfolgte, auf welcher der Geschoßschwerpunkt lag. Die gezogenen G. bestehen in der deutschen Artillerie aus dem Eisenkern und dem Weich- oder Hartbleimantel, den Kupferringen oder Kupferbändern, ersterer aus einem cylindrischen Teil und der ogivalen Spitze. Auf dem cylindrischen Teil befindet sich der zur Führung des Geschosses in den Zügen dienende Bleimantel, welcher bei den ältern G. in einer Gußform umgegossen [612] wurde. Seine Konstruktion ist aus Fig. 1 ersichtlich. Die vier Wülste des letztern pressen sich in die Züge. Der cylindrische Teil des Eisenkerns der Lang- und Hartgußgranaten wird abgedreht, verzinkt und

Fig. 1.
Granate.

in einer Form mit Blei umgossen. Der Bleimantel erhält dann mit einem Façonstahl auf der Drehbank seine Form. In neuerer Zeit wendet man nach Vavasseurs Vorschlag statt des Bleimantels Kupferringe, bei den großen Kalibern Kupferbänder an. Bei Geschützen mit gezogenem Ladungsraum dienen die beiden hintern Ringe oder Bänder zur Führung, ein vorderer Ring nur zur Zentrierung des Geschosses, der neuerdings auch fortfällt; das Geschoß erhält hier eine wulstartige, abgedrehte Verstärkung, welche zentriert. Zur Kupferführung mußte man übergehen, weil bei großen Geschoßgeschwindigkeiten mit Blei keine feste Führung erreichbar ist. G. und Langgranaten werden aus gewöhnlichem Roheisen über einen Kern in Sand (Kasten), Hartgußgranaten mit der Spitze in eisernen Schalen gegossen. Krupp fertigt vorzügliche Panzergranaten aus Gußstahl. Die G. werden über einen Kern gegossen, dessen Spindel entweder an einem oder beiden Enden aufliegt, wodurch im Boden oder in der Spitze oder in beiden ein Loch entsteht. Bei

Fig. 2. Fig. 3.
Granate mit Bodenloch. Hartguß­granate.

allen Langgranaten wird das Loch in der Spitze für den Zünder ausgearbeitet, das Bodenloch (Fig. 2) aber verschraubt, während Hartgußgranaten niemals ein Loch in der Spitze haben (Fig. 3), aber auch im Boden keinen Zünder erhalten, da sich ihre Sprengladung auch ohne ihn entzündet, wenn das Geschoß einen genügend starken Panzer trifft. Für die Feldgeschütze sind Doppelwandgranaten nach dem System von Bassompières eingeführt worden. Dieselben werden um einen innern Eisenkern gegossen, dessen oben und unten offene Höhlung auch die Höhlung der Granate ist; auf seiner äußern Oberfläche trägt er vierseitige, pyramidale Erhöhungen, deren Kanten abgerundet sind. Beim Zerspringen des Geschosses trennt sich der Mantel vom Kern, und es entsteht so (theoretisch) eine doppelte Zahl von Sprengstücken. 1876 wurden nach dem Vorgang Österreichs statt ihrer die Uchatiusschen Ringgranaten eingeführt, deren Kern bei den leichten G. aus 10, bei den schweren aus 12 übereinander gelegten Ringen besteht, die nach außen hin ähnlich einem Zahnrad tief gezahnt sind, so daß sie in diesen tiefen Einkerbungen zerspringen und eine 2–21/2mal größere Zahl von Sprengstücken liefern als die Doppelwandgranaten. Sie sind (1880) auch bei der italienischen und russischen Feldartillerie eingeführt und haben entweder Hartbleimantel oder Kupferringe.

Torpedogranaten nennt Krupp seine 6 Kaliber langen, dünnwandigen Stahlgranaten, die aus Mörsern geworfen werden und eine sehr große Sprengladung (21 cm G. 40 kg) fassen. Die G. des französischen La Hitte-Systems sind aus Gußeisen (Fig. 4), 2 Kaliber lang und tragen auf ihrem cylindrischen Teil Zinkwarzen (Ailetten), welche in die Züge eingreifen und die Führung vermitteln. Die G. der russischen Vorderlader haben an beiden Enden Halbogivale

Fig. 4.
Französische Granate.

aufgesetzt. Der Boden ist flach, in der Spitze sitzt der Zünder, auf dem cylindrischen Teil sitzen die zinkenen Führungswarzen. Die G. der frühern österreichischen Feldgeschütze haben einen Mantel nach Form der Züge aus einer Zinnzinklegierung. Über die Segmentgranaten der englischen Artillerie siehe Schrapnells. Über die historische Entwickelung der sphärischen G. s. Bomben. Die kleinsten der gebräuchlichen G. waren die sogen. Spiegelgranaten mit einem Durchmesser von 8 cm, die unter dem Namen Handgranaten von den Grenadieren (s. d.) aus der Hand geworfen wurden; außerdem wurden sie in größerer Zahl (25–30) mit Einem Wurf aus Mörsern (28, 32 cm oder Steinmörser) geworfen (Rebhühner- oder Wachtelwurf). Wurden diese Spiegelgranaten aus Haubitzen geworfen, so hieß der Wurf Granathagel. Über Gewichte und Sprengladung der G. s. die Tabellen zum Artikel „Geschütze“.