Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Elektrizität“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 5 (1886), Seite 529533
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Elektrizität. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 5, Seite 529–533. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Elektrizit%C3%A4t (Version vom 27.12.2022)

[529] Elektrizität. Wenn man eine Glasröhre oder eine Siegellackstange reibt, etwa am Rockärmel, so erlangen sie die Eigenschaft, leichte Körperchen, wie Papierschnitzel, Zigarrenasche u. dgl., anzuziehen. Da diese Eigenschaft schon in alter Zeit zuerst am Bernstein, welchen die Griechen Elektron nannten, beobachtet worden war, so nannte man den Zustand, in welchem sich die geriebenen Körper befinden, elektrisch und die Ursache desselben E. Außer den genannten zeigen auch noch andre Körper, z. B. Schwefel, Edelsteine, Seide, Harze (zu welchen auch Siegellack und Bernstein gehören), Kautschuk (Hartkautschuk, Kammmasse, Ebonit), Guttapercha, Kollodium etc., diese Eigenschaft; dagegen bemüht man sich vergebens, eine in der Hand gehaltene Eisen- oder Messingstange durch Reiben elektrisch zu machen. Befestigt man aber die Metallstange an einem Griffe von Glas oder Hartkautschuk, den man mit der Hand faßt, so wird sie durch Reiben gleichfalls elektrisch. Wir schließen daraus, daß, als wir die Metallstange unmittelbar in der Hand hielten, jenes Wirksame, das wir E. nennen, zwar ebenfalls erzeugt wurde, jedoch durch das Metall selbst und die berührende Hand sofort entwich, dagegen durch den Griff von Glas oder Hartkautschuk nicht fortgeleitet wurde. Während also Metall die E. fortpflanzt oder leitet, besitzen Glas und Kautschuk diese Fähigkeit nicht. Die besten Leiter der E. sind die Metalle; weniger gut leiten der menschliche Körper, Kohle, Wasser und viele andre [530] Flüssigkeiten, Holz, Papier, Stroh, Baumwoll- und Leinenfaser, Holundermark, Leder, viele Gesteine und die Erde; Nichtleiter dagegen oder richtiger sehr schlechte Leiter sind die oben bereits aufgezählten Körper. Soll ein Leiter den elektrischen Zustand, in welchen man ihn auf irgend eine Weise versetzt hat, bewahren, so muß er rings von Nichtleitern umgeben und dadurch von allen Leitern seiner Umgebung getrennt (isoliert) werden; wegen dieser Anwendung nennt man die Nichtleiter auch Isolatoren. Ein Metallkörper, der an gläsernem Griff in der Hand gehalten wird oder auf gläsernem Fuße steht, ist isoliert, denn die Luft, mit der er außerdem noch in Berührung steht, ist, wenn trocken, ein Nichtleiter; feuchte Luft leitet zwar an sich ebenfalls nicht, sie beschlägt aber die Oberflächen der festen Isolatoren mit einer dünnen Wasserschicht und macht sie dadurch leitend.

Ein an seidenem Faden, also isoliert, aufgehängtes Holundermarkkügelchen nennt man ein elektrisches Pendel. Nähert man dem Kügelchen einen geriebenen Glasstab, so wird es von demselben angezogen, kommt mit ihm in Berührung, wird dadurch selbst elektrisch, und nun wird es von dem Glasstab abgestoßen; von einer geriebenen Siegellack- oder Hartkautschukstange aber wird es jetzt lebhafter angezogen, als wenn es unelektrisch wäre. Macht man das Kügelchen mittels der Siegellackstange elektrisch, so wird es von dieser abgestoßen, von dem Glasstab dagegen angezogen. Die Glas- und die Siegellackstange befinden sich demnach in verschiedenen elektrischen Zuständen, da sie auf das Kügelchen entgegengesetzte Wirkungen ausüben. Prüft man andre geriebene Körper an dem elektrischen Pendel, so findet man, daß sie sich dem durch den Glas- oder Siegellackstab elektrisch gemachten Kügelchen gegenüber entweder wie Glas oder wie Siegellack (Harz) verhalten. Es gibt also nur zwei verschiedene elektrische Zustände, als deren Ursache wir zwei verschiedene Elektrizitäten annehmen, welche man Glas- und Harzelektrizität nennen kann. Hängt man einen geriebenen Glasstab an einem Faden wagerecht auf, so wird er von einem zweiten geriebenen Glasstab abgestoßen, von einer geriebenen Siegellackstange aber angezogen; eine geriebene Siegellackstange, ebenso aufgehängt, wird von einer Glasstange angezogen, von einer Siegellackstange aber abgestoßen. Es ergibt sich also, daß gleichnamige Elektrizitäten sich gegenseitig abstoßen, ungleichnamige sich anziehen. Man erkennt jetzt, daß vorhin die leitende Kugel des elektrischen Pendels, nachdem sie mit der Glasstange in Berührung war, glaselektrisch, und daß sie durch Berührung mit der Siegellackstange harzelektrisch geworden war. Die auf einem geriebenen Körper erregte E. läßt sich also ohne Änderung ihrer Beschaffenheit durch Berührung auf einen Leiter übertragen. Von zwei durch gläserne Griffe isolierten Messingplatten werde nun die eine glaselektrisch, die andre ebenso stark harzelektrisch gemacht; ob sie gleichstark elektrisch sind, erkennt man daran, daß sie die unelektrische Kugel des Pendels aus gleicher Entfernung gleichweit aus der lotrechten Gleichgewichtslage ablenken. Bringt man nun die Platten miteinander in Berührung, so erweisen sie sich nachher als vollkommen unelektrisch. Die beiden ungleichnamigen Elektrizitäten in gleichen Mengen miteinander vereinigt, heben sich also gegenseitig auf oder neutralisieren sich. Zwei Größen, die sich so verhalten, bezeichnet man als entgegengesetzte und zwar die eine als positiv, die andre als negativ. Gräbt man z. B. ein Loch, so bildet die ausgeschaufelte Erde einen Haufen; der Haufe ist eine positive, das Loch die entsprechende negative Größe; vereinigt man beide miteinander, d. h. schaufelt man den Haufen in das Loch, so „heben sie sich gegenseitig auf“, und es entsteht wieder die ursprüngliche ebene Bodenfläche. Man kann daher das Verhalten der beiden entgegengesetzten Elektrizitäten zu einander sehr treffend dadurch bezeichnen, daß man die eine die positive (+E), die andre die negative E. (−E) nennt. Welche von beiden als positiv zu betrachten sei, darüber geben uns die Erscheinungen selbst keinen Wink; man ist aber allgemein dahin übereingekommen, die Glaselektrizität positiv, die Harzelektrizität negativ zu nennen. Wie man kein Loch graben kann, ohne einen entsprechenden Erdhaufen aufzuwerfen, so ist es auch unmöglich, die eine E. zu erregen, ohne gleichzeitig ebensoviel von der andern hervorzubringen. Reibt man eine Glasstange mit einem Kautschuklappen und nähert diesen der zuvor mit negativer E. geladenen Kugel des elektrischen Pendels, so wird dieselbe abgestoßen, von der Glasstange aber angezogen, und zeigt somit, daß, während letztere positiv elektrisch geworden ist, der als Reibzeug dienende Kautschuklappen negativ elektrisch wurde. Hierdurch wird die Vorstellung gerechtfertigt, daß die beiden Elektrizitäten durch das Reiben nicht erst entstehen, sondern in gleichen Mengen miteinander vereinigt in jedem unelektrischen Körper bereits vorhanden sind und durch das Reiben nur voneinander getrennt werden, so daß die eine auf dem geriebenen Körper, die andre auf dem Reibzeug auftritt. Der Arbeit, welche beim Reiben aufgewendet wurde, um die beiden sich anziehenden Elektrizitäten voneinander zu trennen, entspricht die Energie (Potenzialdifferenz), mit welcher sie bestrebt sind, sich wieder miteinander zu vereinigen. – Indem man je zwei Körper aneinander reibt und prüft, welche E. jeder derselben angenommen hat, kann man alle Körper in eine Reihe ordnen, in welcher jeder, mit einem der folgenden gerieben, positiv, mit einem der vorhergehenden negativ wird. Die wichtigsten Körper dieser Spannungsreihe für Reibungselektrizität sind: Haare (Katzenfell, Fuchsschwanz), poliertes Glas, Wolle, Papier, Seide, mattes Glas, Kautschuk, Harze (Siegellack), Bernstein, Schwefel, Metalle, Kollodium (Schießbaumwolle); weiteres s. in dem Artikel Elektrische Spannungsreihe.

Die E. kann sich im Gleichgewichtszustand nur auf der Oberfläche der Leiter, niemals in ihrem Innern befinden. Denn da die Teile einer und derselben Elektrizitätsart sich gegenseitig abstoßen, so werden sie auseinander weichen, bis ein Nichtleiter ihrem Entweichen eine Grenze setzt, was eben an der Oberfläche eines isolierten Leiters stattfindet. Hat man z. B. eine auf einem Glasfuß stehende Metallkugel elektrisch gemacht und bedeckt sie nun mit zwei an gläsernen Griffen gehaltenen hohlen Halbkugeln, so erweist sich nach Wegnahme der letztern die Kugel ganz unelektrisch; ihre E. ist auf die Halbkugeln, welche einen Augenblick ihre Oberfläche bildeten, übergegangen. Auf eine isolierte Metallplatte stelle man ein Metallsäulchen, an welchem an einem dünnen Draht eine Holundermarkkugel als elektrisches Pendel herabhängt; führt man der Metallplatte E. zu, so wird das Pendel von dem Metallsäulchen lebhaft abgestoßen; deckt man jetzt eine Glocke aus Drahtgewebe darüber, so hängt das Pendel an dem Säulchen schlaff herab; es ist jetzt in das Innere des ganzen [531] Leiters versetzt, auf dessen Oberfläche sich alle E. begeben hat. Metallteile an elektrischen Apparaten brauchen daher nicht massiv zu sein, sondern können ebensogut hohl sein. Auf einer Kugelfläche verbreitet sich die E. überall gleichmäßig; sie hat überall dieselbe Dichte, d. h. auf gleichen Flächenteilen ist die gleiche Elektrizitätsmenge vorhanden. Auf Körpern von andrer Gestalt sammelt sich die E. an denjenigen Stellen am dichtesten an, welche am meisten hervorragen, besonders an Kanten, Ecken und Spitzen. Namentlich auf Spitzen häuft sich die E. dergestalt an, daß sie aus denselben auszuströmen scheint; in Berührung mit einem elektrischen Körper werden nämlich die Luftteilchen gleichnamig elektrisch und um so stärker abgestoßen, je größer die Dichte der E. auf dem Körper ist; an Spitzen entweicht die elektrisch gewordene Luft so kräftig, daß sie sich der entgegengehaltenen Hand als elektrischer Wind fühlbar macht und eine Kerzenflamme zur Seite bläst. Ein leichtes mit seiner Mitte auf eine Spitze aufgesetztes Metallrädchen (das elektrische Flugrad), dessen zugespitzte Speichen alle nach derselben Richtung gekrümmt sind, wird durch den Rückstoß der den Spitzen entströmenden Luft der Strömungsrichtung entgegen in Umdrehung versetzt. Ein mit einer Spitze versehener Leiter kann nicht oder nur schwach elektrisch gemacht werden, weil der von der Spitze ausgehende elektrische Wind die E. rasch entführt. Soll daher ein Leiter die E. behalten, so muß man ihm unter Vermeidung aller scharfen Kanten und Ecken eine möglichst abgerundete Gestalt geben; soll er dagegen seine E. rasch abgeben, so muß man ihn mit Spitzen versehen.

Nähert man einem isolierten Leiter, z. B. einem an den Enden abgerundeten, auf einem Glasfuß wagerecht aufgestellten Metallcylinder, vom einen Ende her einen elektrischen Körper, etwa einen geriebenen Glasstab, so wirkt die (positive) E. des letztern auf die beiden in dem Leiter anfangs noch miteinander verbundenen Elektrizitäten und trennt sie, indem sie die ungleichnamige (negative) an das nähere Ende heranzieht, die gleichnamige (positive) nach dem entferntern Ende zurückdrängt. Daß die beiden Enden des Metallcylinders in der angegebenen Weise entgegengesetzt elektrisch geworben sind, erkennt man an elektrischen Doppelpendeln, die man daselbst aufgehängt hat; jedes derselben besteht aus zwei Holundermarkkugeln, welche an leinenen Fäden nebeneinander hängen und im unelektrischen Zustand sich berühren; beim Annähern der Glasstange sieht man jedes Pendelpaar auseinander gehen, weil die beiden Holundermarkkugeln eines jeden, gleichnamig elektrisch geworden, sich abstoßen und zwar, wie man sich leicht durch Prüfung überzeugen kann, die am nähern Ende mit negativer, die am entferntern Ende mit positiver E. Man nennt diese durch den Einfluß eines genäherten elektrischen Körpers in einem Leiter bewirkte Trennung der beiden Elektrizitäten elektrische Verteilung oder Influenz. Würde man nun den elektrischen Körper (den Glasstab) wieder entfernen, so würden sich die beiden getrennten Elektrizitäten sofort wieder vereinigen, der isolierte Leiter in den unelektrischen Zustand zurückkehren und die Pendelpaare wieder zusammenfallen. Berührt man dagegen bei fortdauernder Gegenwart des Glasstabes den Metallcylinder mit dem Finger, so ist der abgestoßenen positiven E. ein Ausweg eröffnet, sie entweicht durch den leitenden menschlichen Körper in die Erde, und das am entferntern Ende aufgehängte Pendelpaar klappt zusammen; aber die am nähern Ende angehäufte negative E. kann durch den Finger nicht entweichen, weil sie, von der positiven des Glasstabes angezogen, festgehalten oder, wie man sagt, gebunden wird. Nimmt man jetzt erst den Finger und dann den Glasstab weg, so verbreitet sie sich frei über den ganzen Cylinder, und beide Pendelpaare fahren auseinander mit negativer E. Der Metallcylinder ist also jetzt negativ geladen durch den Einfluß eines positiv elektrischen Körpers, ohne daß dieser von seiner E. das mindeste abgegeben hat. Es wäre jedoch irrig, anzunehmen, daß jene negative E. ohne entsprechenden Arbeitsaufwand gewonnen worden sei; denn indem man den positiv elektrischen Glasstab von dem negativ elektrischen Leiter entfernte, hatte man die zwischen beiden wirksame Anziehung zu überwinden und dabei eine Arbeit zu leisten, deren Ergebnis die auf dem Leiter auftretende elektrische Energie ist.

Fig. 1.
Goldblattelektroskop.

Ein leitend aufgehängtes Pendelpaar, seien es nun zwei an Leinenfäden aufgehängte Holundermarkkügelchen oder wegen der bedeutendern Empfindlichkeit zwei Strohhälmchen oder noch besser zwei Goldblättchen, ist sehr geeignet, die auf einem Leiter, mit dem sie verbunden sind, herrschende elektrische Spannung anzuzeigen, u. dient daher als Elektroskop. Das Goldblattelektroskop (Fig. 1) besteht aus einem in ein Glasröhrchen mit Siegellack eingekittetes Messingstäbchen, welches oben eine Messingplatte, unten als elektrisches Doppelpendel zwei Streifen aus Blattgold trägt. Um die Pendel vor Luftströmungen zu schützen und zugleich das Ganze zu isolieren, ist das Röhrchen mittels eines Korks oder einer eingekitteten Metallfassung in den Hals eines Glasgefäßes eingesetzt. Hält man einen elektrischen Körper, z. B. eine geriebene Glasstange, in einiger Entfernung über die Platte, so gehen die Pendel auseinander mit positiver E.; der positiv elektrische Glasstab hat nämlich in dem Metallkörper des Elektroskops Verteilung bewirkt, indem er positive E. in die Pendel trieb, negative in die Platte heranzog. Berührt man jetzt die Platte mit dem Finger, so entweicht die abgestoßene positive E., und die Pendel fallen zusammen, während die negative E. in der Platte gebunden bleibt. Wird nun nach Wegnahme des Fingers auch der Glasstab entfernt, so wird diese negative E. frei, verbreitet sich über den ganzen Metallkörper und zwingt die Pendel, auseinander zu gehen. Das Elektroskop ist demnach mittels des positiven Glasstabes mit negativer E. dauernd geladen. Mittels einer geriebenen Kautschuk- oder Siegellackstange hätte man es auf dieselbe Weise positiv laden können. Nähert man dem negativ geladenen Elektroskop den Glasstab wieder, so gehen die Pendel mehr zusammen, weil der Glasstab durch seine verteilende Wirkung positive E. in die Pendel treibt und negative aus ihnen herauszieht und somit ihre negative Spannung vermindert; nähert man dagegen eine negativ elektrische Siegellackstange, so wird eine neue Menge negativer E. in die Pendel getrieben, und sie gehen weiter auseinander. Das geladene Elektroskop gibt also nicht bloß [532] über das Vorhandensein von freier E. in dem zu prüfenden Körper, sondern auch darüber Aufschluß, ob diese E. positiv oder negativ ist, indem die Pendel im erstern Fall bei positiver, im letztern Fall bei negativer Ladung weiter auseinander gehen. Aus dem Zusammengehen der Pendel dagegen kann man noch nicht schließen, daß der genäherte Körper elektrisch ist. Denn die Pendel gehen auch zusammen, wenn man die Hand oder irgend einen andern unelektrischen Leiter dem geladenen Elektroskop nähert. Die auf dem Metallkörper des Apparats verbreitete E. wirkt nämlich verteilend auf die beiden Elektrizitäten der Hand: die abgestoßene gleichnamige entweicht in den Boden, während die angezogene ungleichnamige in der Hand gebunden bleibt und zugleich einen Teil der E. des Apparats in die Platte heraufzieht und bindet, so daß die elektrische Spannung auf den Pendeln geschwächt wird. Man begreift jetzt auch, warum ein elektrischer Körper einen unelektrischen, z. B. die Holundermarkkugel des elektrischen Pendels, anzieht. Er trennt in ihr zunächst die beiden Elektrizitäten, und da hierbei die ungleichnamige näher an ihn herankommt, so zieht er diese stärker an, als er die weiter zurückgedrängte gleichnamige abstößt. Kommt nun die Kugel mit dem elektrischen Körper, z. B. einem geriebenen Glasstab, in Berührung, so wird ihre durch diese Verteilung hervorgerufene negative E. durch eine gleichgroße Menge positiver E. des Glasstabes aufgehoben, die positive Verteilungselektrizität aber bleibt auf dem Kügelchen zurück und bewirkt, daß es nun vor der Glasstange flieht. Man sieht also, daß der Vorgang, welcher auf den ersten Blick als eine Mitteilung von positiver E. von seiten des Glasstabes an das Kügelchen erscheint und in seinem Erfolg einer solchen auch gleichkommt, eigentlich in einem Austausch gleicher Mengen entgegengesetzter E. zwischen dem Kügelchen und dem Glasstab besteht.

Aus der Weite des Auseinandergehens der Pendel eines Elektroskops kann man durch oberflächliche Schätzung auf die Größe der elektrischen Spannung schließen. Zur wirklichen Messung derselben dienen die Elektrometer (s. d.), welche zum größten Teil auf dem Prinzip der Drehwage (s. d.) beruhen. Mittels der Drehwage hat Coulomb dargethan, daß zwei elektrische Teilchen sich gegenseitig anziehen oder abstoßen mit einer Kraft, welche im geraden Verhältnis der wirkenden Elektrizitätsmengen und im umgekehrten Verhältnis des Quadrats ihrer Entfernung steht (Coulombs Gesetz).

Nähert man einem elektrischen Körper einen Leiter mehr und mehr, so werden an den einander zunächst gegenüberstehenden Stellen der beiden Körper entgegengesetzte Elektrizitäten mit wachsender Dichte sich anhäufen, indem die in letzterm durch Verteilung geweckte und nach seinem äußersten Punkt hingezogene ungleichnamige E. die entgegengesetzte E. des erstern Körpers ebenfalls nach dessen gegenüberstehendem Punkt hinzieht. Ist die Dichte der beiden Elektrizitäten groß genug geworden, so durchbrechen sie die trennende Luftschicht und vereinigen sich unter knisterndem Geräusch oder mit einem Knall durch einen elektrischen Funken, welcher in Dampf verwandelte und glühende Teilchen der Leiter, zwischen welchen er übergeht, mit sich reißt. Der elektrische Körper ist nun entladen. Entlädt man ihn durch eine Reihe von Leitern, die durch Zwischenräume voneinander getrennt sind, z. B. durch eine Reihe rautenförmiger Stanniolblättchen (Fig. 2), welche auf eine Glastafel (Blitztafel) oder längs einer Schraubenlinie auf eine Glasröhre (Blitzröhre) aufgeklebt sind, so springt an jeder Unterbrechungsstelle ein Funke über, was einen hübschen Anblick gewährt.

Fig. 2.
Elektrische Funken (Blitzröhre).

Der Blitz ist nichts andres als ein ungeheurer elektrischer Funke, welcher zwischen zwei entgegengesetzt elektrischen Wolken oder zwischen einer elektrischen Wolke u. der Erde überschlägt. Aus Spitzen ausströmend, bildet die positive E. Lichtbüschel (s. Elektrische Büschel), die negative Lichtpünktchen.

Fig. 3.
Elektrisches Ei.

Im luftverdünnten Raum, z. B. im elektrischen Ei (Fig. 3), einem mit Messingfassungen versehenen eiförmigen Glasgefäß, in welches mit Kugeln endigende Messingstäbe (b und b′) hineinragen, geht die E., weil die verdünnte Luft ihrem Durchgang einen geringern Widerstand entgegensetzt, auf größere Entfernungen über; die Lichterscheinung besteht in einer von der positiven Kugel ausgehenden rötlichvioletten Lichtgarbe, welche sich fast bis zur negativen Kugel hin erstreckt; diese dagegen erscheint von einer blauen Lichthülle umgeben (vgl. Geißlersche Röhren). Durch die Entladung, d. h. durch die Vereinigung der beiden getrennten Elektrizitäten, wird in den Körpern, welche sie vermitteln, eine Wärmemenge erzeugt, welche der Arbeit entspricht, die zu ihrer Trennung aufgewendet worden war (s. Wärme). Über die mechanischen Wirkungen der Entladung s. Leidener Flasche. Die Dauer eines elektrischen Funkens ist außerordentlich kurz; eine rasch sich drehende Pappscheibe, welche mit abwechselnd weißen und schwarzen Speichen bemalt ist, erscheint, von dauerndem Licht beleuchtet, gleichmäßig grau, weil das Bild einer jeden schwarzen Speiche in unserm Auge an derselben Stelle erscheint, an welcher das Bild der vorhergehenden weißen Speiche noch nicht erloschen ist, und sich daher mit diesem mischt; beleuchtet man aber die Scheibe im Dunkeln durch einen elektrischen Funken, so wird sie deutlich mit allen Speichen gesehen, als ob sie stillstände, weil sie sich während der kurzen Dauer des Funkens in unserm Auge nur in der Stellung abbilden konnte, welche sie im Augenblick der Beleuchtung besaß. Die Geschwindigkeit der Fortpflanzung der E. in Leitern ist je nach den Umständen verschieden gefunden worden; sie ist jedenfalls sehr groß, wahrscheinlich etwa gleich derjenigen des Lichts (vgl. Geschwindigkeit).

Außer durch Reibung kann die Trennung der beiden Elektrizitäten auch noch durch andre Vorgänge bewirkt werden, namentlich durch gegenseitige Berührung zweier verschiedenartiger Stoffe (Berührungselektrizität, Galvanismus, s. d.) und durch Einwirkung von Wärme (Thermoelektrizität und Pyroelektrizität, s. d.).

[Geschichtliches.] Der erste Schritt zur Entwickelung der Elektrizitätslehre geschah, als Gilbert in einem Werk über den Magnet 1600 die Beobachtung mitteilte, daß außer Bernstein auch gewisse andre Körper durch Reiben die Eigenschaft annehmen, leichte Körperteilchen anzuziehen. Otto v. Guerike zu Magdeburg, der Erfinder der Luftpumpe, machte auch den ersten Anfang zur Konstruktion der Elektrisiermaschine (s. d.) und wies die elektrische Abstoßung nach. [533] Diese Untersuchungen wurden von andern, namentlich in England, fortgesetzt; aber mehr als ein Jahrhundert verging wiederum, bis der Engländer Gray (1727) die Entdeckung machte, daß auch die Metalle und andre Körper, welche man bis dahin nicht elektrisch machen konnte, diese Eigenschaft erlangten, wenn sie an seidenen Fäden hingen oder auf Glas ruhten; er erkannte hiermit den wahren Unterschied zwischen Leiter und Nichtleiter. Beinahe 50 Jahre später, um 1773, unterschied Du Fay zwei Elektrizitäten und zeigte, daß die gleichartig elektrischen Körper sich abstoßen, hingegen die ungleichartig elektrischen sich anziehen. Die Erfindung der Verstärkungsflasche ward 1745 vom Domherrn v. Kleist in Pommern (daher Kleistsche Flasche) und einige Zeit später von Cunäus in Leiden (daher Leidener Flasche) gemacht. Die Vermutung, daß Blitz und Donner die Wirkung einer elektrischen Entladung seien, sprach Benjamin Franklin, der berühmte Amerikaner, zuerst entschiedener aus, zeigte auch den Weg (vermittelst des Drachen), sie zur Gewißheit zu erheben, und erfand den Blitzableiter. Ein ganz neues Gebiet der E. wurde durch Entdeckung der Berührungselektrizität von Galvani (1789) und Volta in dem nach ersterm benannten Galvanismus eröffnet. Während man bis dahin bloß die Erscheinungen des Gleichgewichtszustandes der E. im ruhenden Zustand beobachtet und studiert hatte, fand man jetzt, daß die in fortwährender Bewegung in einem Leiter begriffene E., der sogen. elektrische oder galvanische Strom, ganz neue, ungeahnte Beziehungen zu Wärme, Chemismus und Magnetismus darbot. Schon zu Anfang dieses Jahrhunderts vermochte Davy vermittelst des Stroms die Alkalien zu zersetzen und die Alkalimetalle im regulinischen Zustand auszuscheiden. Im J. 1820 entdeckte Örsted in Kopenhagen durch Zufall den Elektromagnetismus. Ampère wies 1826 die gegenseitige Einwirkung elektrischer Ströme nach. Im J. 1827 entdeckte Ohm das nach ihm benannte Gesetz der Stromstärke, Faraday entdeckte 1831 die Induktion, die Magnetelektrizität und den Diamagnetismus; 1833 erfanden Gauß und Weber den elektromagnetischen Telegraphen, 1838 Jacobi die Galvanoplastik. Das für die technische Anwendung der E. so wichtige dynamoelektrische Prinzip wurde 1866 von W. Siemens aufgestellt, und 1877 erfand Graham Bell das Telephon. Vgl. Rieß, Reibungselektrizität (Berl. 1853, 2 Bde.); Derselbe, Abhandlungen zur Lehre von der Reibungselektrizität (das. 1867); Becquerel, Traité de l’électricité (Par. 1855–56, 3 Bde.; mit der Fortsetzung: „Résumé de l’histoire de l’électricité“, 1858); Kuhn, Angewandte Elektrizitätslehre (Leipz. 1866); Carl, Die elektrischen Naturkräfte (Münch. 1878); v. Beetz, Grundzüge der Elektrizitätslehre (Stuttg. 1878); Ferrini, Technologie der E. und des Magnetismus (deutsch, Jena 1878); Maxwell, Lehrbuch der E. (deutsch, Berl. 1882, 2 Bde.); Wiedemann, Lehre von der E. (Braunschw. 1882 bis 1885, 4 Bde.); Hoppe, Geschichte der E. (Leipz. 1884); Mascart und Joubert, Lehrbuch der E. und des Magnetismus (Berl. 1886).


Jahres-Supplement 1891–1892
Band 19 (1892), Seite 245
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[245] Elektrizität als Motor von Tiefbohr- und Gesteinsbohrmaschinen, s. Erdbohrer.