MKL1888:Leidener Flasche

Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Leidener Flasche“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 10 (1888), Seite 652654
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Leidener Flasche. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 10, Seite 652–654. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Leidener_Flasche (Version vom 26.04.2022)

[652] Leidener Flasche (Kleistsche Flasche), Apparat zur Anhäufung von Elektrizität, welcher 1745 von Kleist in Kammin und 1746 von Cunäus in Leiden erfunden wurde. Die L. F. besteht aus einem Glasgefäß, welches innen und außen bis auf einige Zentimeter vom Rand mit Stanniol beklebt ist. Der nicht mit Stanniol bekleidete Teil des Gefäßes ist gefirnißt; durch einen ebenfalls gefirnißten Deckel geht ein oben mit einer Kugel versehener Messingstab, welcher mit der innern Belegung in leitender Verbindung steht. Anstatt sehr großer Leidener Flaschen bedient man sich der elektrischen Batterien, welche aus mehreren Leidener Flaschen in der Art zusammengestellt sind, daß alle äußern Belegungen einerseits und alle innern anderseits miteinander in leitender Verbindung stehen. Fig. 1 zeigt die Batterie von Rieß, bei welcher die Knöpfe der einzelnen Flaschen durch scharnierartig [653] bewegliche Drähte mit der großen hohlen Messingkugel der mittlern Flasche verbunden sind. Der Tisch ab steht auf Glasfüßen und ist mit Stanniol belegt, von welchem mittels einer Klemmschraube

Fig. 1.
Batterie von Rieß.

ein Draht zur Erde geleitet werden kann. Die Wirkungsweise der L. F. wird am besten erläutert durch die dem Wesen nach mit ihr übereinstimmende Franklinsche Tafel (Fig. 2), d. h. eine Glastafel, welche senkrecht auf einem Glasfuß steht und auf beiden Seiten so mit Stanniol belegt ist, daß das

Fig. 2. Fig. 3.
  Seitenansicht
Franklinsche Tafel.

Glas am Rand ungefähr handbreit frei bleibt. Wäre nur eine Belegung vorhanden, so würde sich dieselbe, mit dem Konduktor der Elektrisiermaschine in leitende Verbindung gesetzt, nur so weit laden, bis die Spannung ihrer Elektrizität derjenigen auf dem Konduktor gleich geworden ist. Steht aber der ersten Belegung eine zweite gegenüber, so wirkt die auf jene geleitete (z. B. positive) Elektrizität verteilend (influenzierend) auf die beiden miteinander verbundenen Elektrizitäten der letztern, indem sie die ungleichnamige (negative) anzieht, die gleichnamige (positive) aber abstößt. Wird nun die zweite Belegung, etwa durch Berührung mit dem Finger, mit dem Boden in leitende Verbindung gesetzt, so entweicht die abgestoßene gleichnamige Elektrizität (die Influenzelektrizität zweiter Art), während die ungleichnamige Influenzelektrizität erster Art (−E) sich auf die dem Glas anliegende Seite des Stanniolblattes und sogar zum großen Teil auf die Glasfläche selbst begibt, wo sie durch die anziehende Wirkung der +E der ersten Belegung festgehalten oder, wie man zu sagen pflegt, gebunden wird. Diese −E der zweiten Belegung wirkt aber auch bindend zurück auf die +E der ersten Belegung, indem sie dieselbe ebenfalls nötigt, zum größten Teil auf der innern Seite des Stanniolblattes und auf der Glasfläche selbst sich anzusammeln. Diese Bindung der +E auf der ersten Belegung ist jedoch nie ganz vollständig, denn zur vollständigen Bindung der −E auf der zweiten Belegung muß auf der ersten ein Überschuß von +E, also freie Elektrizität, vorhanden sein, welche auf folgende Art leicht nachgewiesen werden kann. Klebt man nämlich auf jede Seite der Tafel mit etwas Wachs ein elektrisches Pendel, so wird das eine von der ersten Belegung, auf welcher sich freie Elektrizität befindet, abgestoßen, während das andre an der zweiten Belegung gerade herunterhängt (Fig. 3). Diese noch frei gebliebene Elektrizität besitzt aber eine viel geringere Spannung als diejenige des Konduktors; es kann daher neue +E von diesem auf die erste Belegung überströmen, welche neuerdings auf die zweite influenzierend wirkt und, wenn diese abgeleitet ist, durch die wachgerufene Influenzelektrizität erster Art gebunden wird. So setzt sich die Ansammlung von +E auf der ersten Belegung fort, bis die auf ihr vorhandene freie Elektrizität dieselbe Spannung wie auf dem Konduktor erreicht hat. Das Verhältnis, in welchem diese Belegung mehr Elektrizität aufnehmen kann, wenn ihr die zweite Belegung gegenübersteht, als wenn sie allein vorhanden wäre, heißt die Verstärkungszahl. Die L. F. unterscheidet sich von der Franklinschen Tafel nur durch die Form. Sie wird geladen, indem man ihren Knopf und sonach auch die innere (erste) Belegung mit dem Konduktor der Maschine verbindet, während die Flasche mit der äußern (zweiten) Belegung auf leitender Unterlage steht. Die Entladung der Flasche, d. h. die Vereinigung der beiden entgegengesetzten auf den Belegungen angesammelten Elektrizitäten, erfolgt, wenn man zwischen

Fig. 4.
Auslader.

der äußern Belegung und dem zur innern Belegung führenden Knopf eine leitende Verbindung herstellt. Faßt man mit der einen Hand die äußere Belegung, mit der andern den Knopf an, so fühlt man eine starke Erschütterung der Armgelenke, bei stärkerer Ladung einen heftigen Schmerz in der Brust. Um bei Versuchen mit der L. F. die Entladung durch den menschlichen Körper zu vermeiden, bedient man sich eines isolierten Ausladers (Fig. 4.) z. B. eines an beiden Enden mit Knöpfen versehenen u. mit einer Guttaperchahülle überzogenen Messingdrahts, dessen eines Ende mit der äußern Belegung in Berührung gebracht, während das andre dem Knopf der Flasche rasch genähert wird. Schon in einiger Entfernung springt mit lautem Knall ein heller Funke über. Nach einiger Zeit gibt die Flasche einen zweiten, [654] freilich viel schwächern Funken; man erklärt diesen Rückstand (Residuum) durch das teilweise Eindringen der Elektrizitäten in die Glasmasse, von wo sie, nachdem die obersten elektrischen Schichten durch die erste Entladung weggenommen sind, allmählich an die Oberfläche zurückkehren. Um mit dem Funken der L. F. bequem experimentieren zu können, bedient man sich des Henleyschen Ausladers

Fig. 5.
Henleyscher Auslader.

(Fig. 5). Auf Glasfüßen aa ruhen in einem Scharnier die kurzen Glasröhren bb, und in diesen stecken die Arme cd und ef, von denen man erstern mit der äußern Belegung und dann den zweiten mit Hilfe eines gewöhnlichen Ausladers mit dem Knopf der innern Belegung in Verbindung bringt. Eine starke Ladung erhitzt, schmilzt, verflüchtigt und oxydiert Metalldrähte, die zwischen die Kugeln de gebracht werden. Schlägt die Elektrizität zwischen Spitzen über, so kann sie Kartenblätter, Holz und Glasscheiben durchbohren. Auch unter Wasser erscheint der Funke und läßt sich das Knacken hören; die Flüssigkeit wird fast immer mit großer Gewalt auseinander geschleudert, und selbst offene, mit Wasser gefüllte Glasgefäße werden dabei bisweilen zersprengt. Gase werden durch den Entladungsschlag plötzlich und stark ausgedehnt. Zur Messung der Schlagweite einer Flasche dient das

Fig. 6.
Funkenmikrometer.

Funkenmikrometer, dessen Einrichtung aus Fig. 6 von selbst klar wird. Will man eine Flasche oder Batterie meßbar laden, so bedient man sich der Laneschen Maßflasche (Fig. 7); ihrem Knopf a steht die von einem horizontalen Stäbchen getragene Kugel b gegenüber, deren Abstand von a durch Verschiebung des Stäbchens beliebig reguliert werden kann. Der Knopf a wird mit der äußern Belegung der zu ladenden Flasche oder Batterie, während dieselbe auf isolierender Unterlage steht, in Verbindung gesetzt; die von der äußern Belegung fortgestoßene Influenzelektrizität zweiter Art geht nun in die Lanesche Flasche und ladet dieselbe, bis die Schlagweite ba (Kugel

Fig. 7.
Maßflasche von Lane.

und Knopf) erreicht ist und eine Selbstentladung erfolgt; während die Ansammlung der Elektrizität in der zu ladenden Batterie fortschreitet, ladet und entladet sich die Maßflasche immer wieder von neuem, und die Batterie enthält schließlich die zur Sättigung der Maßflasche erforderliche Elektrizitätsmenge so vielmal, als Entladungen der letztern gezählt wurden.