Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Galvanismus“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 6 (1887), Seite 876878
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Galvanismus. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 6, Seite 876–878. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Galvanismus (Version vom 20.04.2021)

[876] Galvanismus (Voltaismus), der Inbegriff derjenigen Erscheinungen, welche durch die bei der Berührung ungleichartiger Stoffe entwickelte Elektrizität (Berührungs- oder Kontaktelektrizität, galvanische oder Volta-Elektrizität) hervorgerufen werden, oder auch die Lehre von diesen Erscheinungen. Luigi Galvani, Professor der Anatomie in Bologna, beobachtete eines Tags (1790), daß enthäutete Froschschenkel jedesmal zusammenzuckten, wenn jemand aus dem Konduktor einer nahen Elektrisiermaschine einen Funken zog. Die Zuckungen waren ohne Zweifel nur eine Wirkung des Rückschlags (s. d.); Galvani aber glaubte in ihnen eine Bestätigung seiner Lieblingsansicht von einer dem Tierkörper eignen Elektrizität zu erblicken und widmete sich mit großem Eifer der weitern Verfolgung der beobachteten Thatsache. Einst hatte er mehrere Froschschenkel mittels Drahthaken an dem eisernen Geländer seines Balkons aufgehängt, und sah jedesmal lebhafte Zuckungen eintreten, sobald er einen der Froschschenkel gegen das Eisengeländer bog. Es zeigte sich, daß diese Zuckungen hervorgerufen wurden, wenn man die Nerven oder das Rückenmark des Frosches mit den Muskeln durch einen Metallbogen verband. Galvani meinte, daß der Froschschenkel gleichsam als eine geladene Leidener Flasche zu betrachten sei, deren entgegengesetzt elektrische Belegungen, nämlich der Nerv einerseits und die Muskeln anderseits, durch den Metallbogen sich entladen. Die von Galvani selbst bereits gemachte Bemerkung, daß die Zuckungen bedeutend lebhafter auftreten, wenn der Metallbogen aus zwei verschiedenen Metallen besteht, veranlaßte jedoch Alessandro Volta, Professor der Physik in Pavia, die Elektrizitätsquelle in dem Metallbogen statt in dem Froschschenkel zu suchen. Indem Volta die Elektrizitätsentwickelung im Tierkörper völlig leugnete, ging er freilich zu weit; seine Ansicht führte ihn aber zu der wichtigen und folgenreichen Entdeckung, daß zwei verschiedenartige Metalle, miteinander in Berührung gebracht, entgegengesetzt elektrisch werden. Durch folgenden Versuch („Voltas Fundamentalversuch“) wies er diese Thatsache nach. Eine Zink- und eine Kupferscheibe, durch Glasstiele isoliert, werden mit ihren rein metallischen Oberflächen in Berührung gebracht und parallel auseinander genommen; die Zinkplatte ist alsdann positiv, die Kupferplatte negativ elektrisch. Da aber die bei einmaliger Berührung entwickelte Elektrizitätsmenge meist zu schwach ist, um auf das Elektroskop (s. Elektrizität, S. 531) bemerkbar zu wirken, so bediente sich Volta des von ihm erfundenen Kondensators (s. d.), um dieselbe durch Ansammlung zu verdichten.

Fig. 1.
Kondensator.

Um jede Berührung mit andern Metallen auszuschließen, ist die eine Platte des Kondensators (Fig. 1) aus Zink, die andre aus Kupfer verfertigt; beide sind auf den einander zugekehrten Seiten gefirnißt, so daß sie, aufeinander gesetzt, durch eine dünne isolierende Harzschicht voneinander getrennt sind. Nachdem man jene Zink- und Kupferscheibe nach der Berührung auseinander genommen, berührt man mit jener die Zink-, mit dieser die Kupferplatte des Kondensators, bringt die Scheiben wieder in Berührung, dann nach der Trennung an den Kondensator und wiederholt dieses Verfahren etwa 16mal. Die beiden entgegengesetzten Elektrizitäten sind nun zu beiden Seiten der Harzschicht gebunden und wirken daher nicht auf die Goldplättchen des Elektroskops; hebt man aber die obere Kondensatorplatte ab, so verbreitet sich die in der untern Platte angesammelte Elektrizität frei auf die Goldplättchen, und diese gehen auseinander mit positiver Elektrizität, wenn die auf das Elektroskop geschraubte Kondensatorplatte aus Zink, dagegen mit negativer Elektrizität, wenn sie aus Kupfer bestand. Auf diese Weise hat Volta auch die übrigen Metalle untersucht und die gefundenen Ergebnisse dadurch übersichtlich gemacht, daß er sämtliche Metalle in eine Reihe, die Voltasche Spannungsreihe, derart ordnete, daß jedes vorhergehende Metall, mit einem folgenden berührt, positive, jedes folgende mit einem in der Reihe vorhergehenden negative Elektrizität annimmt. Die wichtigsten Glieder dieser Reihe sind die folgenden: Zink, Blei, Zinn, Eisen, Kupfer, Silber, Gold, Platin, an welche sich als nichtmetallische Körper noch Kohle und einige Metalloxyde, z. B. Mangansuperoxyd (Braunstein) und Bleisuperoxyd, anschließen. Die elektrische Spannung, welche durch Berührung je zweier dieser Körper hervorgerufen wird, hat eine ganz bestimmte, nur von der Beschaffenheit dieser Körper, nicht aber von der Form und Größe ihrer Berührungsfläche abhängige Größe; es genügt, daß zwei Metalle sich nur an einer einzigen Stelle berühren, um beide bis zu der ihnen eignen Spannung zu laden. Die Spannung fällt um so größer aus, je weiter die Stoffe in der Spannungsreihe voneinander entfernt stehen. Mit Hilfe eines Strohhalmelektrometers fand Volta folgende Werte:

[877]

Zink-Blei 5
Blei-Zinn 1
Zinn-Eisen 3
Eisen-Kupfer 2
Kupfer-Silber 1
Zink-Silber 12
Zinn-Kupfer 5
Zink-Eisen 9

Zählt man nun die fünf ersten Werte Zink-Blei bis Kupfer-Silber zusammen, so findet man 5+1+3+2+1=12, also gerade diejenige Spannung, die zwischen dem ersten und dem letzten Glied, nämlich zwischen Zink und Silber, beobachtet wurde. Ebenso findet man: Zinn-Eisen + Eisen-Kupfer gleich Zinn-Kupfer, und Zink-Blei + Blei-Zinn + Zinn-Eisen gleich Zink-Eisen. Die der Spannungsreihe angehörigen Körper zeigen also ein ganz besonderes Verhalten, es stellt sich nämlich heraus, daß die elektrische Erregung zwischen zwei Metallen gleich ist der Summe der elektrischen Erregungen zwischen den einzelnen in der Spannungsreihe zwischen jenen Metallen stehenden Gliedern. Dieses Gesetz heißt das Voltasche Spannungsgesetz.

Volta glaubte, daß nur durch die Berührung der Metalle unter sich Elektrizität entwickelt werde, dagegen keine bei Berührung eines Metalls mit einer Flüssigkeit. Spätere Untersuchungen jedoch zeigten, daß die Metalle durch Flüssigkeiten, welche fähig sind, chemisch auf sie einzuwirken, bedeutend stärker erregt werden als durch irgend eine metallische Berührung, und daß die Erregung um so kräftiger ausfällt, je stärker die Neigung der Flüssigkeit ist, mit dem Metall eine chemische Verbindung einzugehen. Mit verdünnter Schwefelsäure in Berührung werden z. B. die meisten Metalle negativ elektrisch, die Säure ebenso stark positiv; aber das Zink, welches ein großes Bestreben zeigt, sich mit Schwefelsäure zu schwefelsaurem Zink zu verbinden, erlangt eine zehnmal so große negative Spannung als das Kupfer, welches eine weit geringere Neigung zu einer solchen Verbindung besitzt.

Durch die Entdeckung Voltas war eine Thatsache festgestellt, welche den Erfahrungen, die man bis dahin hinsichtlich des Verhaltens der Elektrizität gemacht hatte, zu widersprechen schien: zwei leitende Körper, welche sich berühren und sonach miteinander in leitender Verbindung stehen, laden sich mit entgegengesetzten Elektrizitäten, welche sich trotz ihrer gegenseitigen Anziehung nicht miteinander vereinigen, sondern während der Berührung mit unveränderter Spannung getrennt gehalten werden. Es muß also eine Kraft vorhanden sein, welche die beiden Elektrizitäten voneinander trennt und ihre Wiedervereinigung hindert. Diese elektromotorische Kraft verrichtet die zur Scheidung der beiden vorher verbundenen Elektrizitäten erforderliche Arbeit, und der Erfolg ihrer Arbeit ist die erreichte elektrische Spannung. Volta meinte, daß diese Kraft an der Berührungsstelle zweier verschiedener Metalle ihren Sitz habe. Es ist jedoch nicht einzusehen, wie durch die bloße Thatsache der metallischen Berührung, durch welche keine entsprechende Veränderung der sich berührenden Metalle herbeigeführt wird, irgend eine Arbeit geleistet werden kann. Dagegen begreift man wohl, daß bei der Berührung von Zink mit Schwefelsäure durch die zwischen diesen beiden Körpern thätige chemische Anziehung Arbeit geleistet wird (sei es, daß eine chemische Verbindung zwischen ihnen wirklich stattfindet, oder daß sie durch eine unter dem Einfluß dieser Kraft erfolgende Umstellung der Moleküle bloß vorbereitet wird), und daß diese Arbeit sich in Wärme oder auch in elektrische Spannung umsetzen kann. Beachtet man nun, daß in der Voltaschen Spannungsreihe diejenigen Metalle, welche am leichtesten rosten, vorangehen, die Edelmetalle aber zuletzt stehen, daß also jene Anordnung der Metalle zugleich die Reihenfolge ihrer Neigung, sich mit Sauerstoff zu verbinden, ausdrückt, so liegt es nahe, zu vermuten, daß die elektrische Erregung der Metalle nicht in ihrer gegenseitigen Berührung, sondern in der Einwirkung des Sauerstoffs der umgebenden Luft ihren Grund habe, und daß sonach der Sitz der elektromotorischen Kraft an der mit der Luft in Berührung stehenden Oberfläche eines jeden Metalls zu suchen sei. Diese Vermutung wird zur Gewißheit erhoben durch den von de la Rive gelieferten Nachweis, daß zwei verschiedenartige Metalle keine Elektrizitätsentwickelung zeigen, wenn sie jeder chemischen Einwirkung entzogen sind.

Wenn man demgemäß annimmt, daß jedes Metall durch den Sauerstoff der Luft um so stärker negativ elektrisch erregt werde, je größer seine Neigung zum Rosten ist, und die an dem Metall haftende Luftschicht (s. Absorption) eine ebenso große positive Spannung erreiche, so erklären sich die von Volta entdeckten Thatsachen und Gesetze sehr einfach. Betrachten wir z. B. eine isolierte Zinkplatte, so wird die an ihrer der Luft ausgesetzten Oberfläche thätige elektromotorische Kraft negative Elektrizität in das Zink hineintreiben, während die gleiche Menge positiver Elektrizität in der auf der Oberfläche haftenden Luftschicht bleibt (Fig. 2).

Fig. 2.
Zink 0

Fig. 3.
Platin
Zink

Fig. 4.
Kupfer
Zink

Fig. 5.
Kupfer
Eisen
Zink
Voltas Fundamentalversuch.

Nach außen hin können diese getrennten Elektrizitäten keine Wirkung hervorbringen, weil die anziehende Wirkung der einen durch die abstoßende der andern aufgehoben wird; die Zinkplatte für sich erweist sich daher als unelektrisch. Bringt man sie nun mit einer Platte eines Metalls, z. B. Platin, in Berührung, welches vom Sauerstoff der Luft gar nicht erregt wird, so entweicht die von der Oberfläche des Zinks durch die elektromotorische Kraft fortgetriebene negative Elektrizität an den Berührungspunkten der beiden Metalle in das Platin; dieses erscheint daher nach der Trennung negativ elektrisch, während die positive Elektrizität auf der Zinkplatte zurückbleibt (Fig. 3). Wird aber auch das zweite Metall, z. B. Kupfer, durch den Sauerstoff elektrisch erregt, jedoch in geringerm Grad als das erste, so wird die an seiner Oberfläche ins Innere getriebene negative Elektrizität auf das erste übergehen und dessen positive Spannung vermindern, so daß jedes der beiden Metalle, das eine positiv, das andre negativ, eine dem Unterschied der beiderseitigen Erregungen entsprechende Spannung annimmt [878] (Fig. 4). Schiebt man noch ein drittes Metall zwischen die beiden, so ergibt sich übereinstimmend mit der Erfahrung, daß der Unterschied der elektrischen Spannungen der Endplatten der nämliche ist, als wenn das erste mit dem dritten Metall unmittelbar in Berührung wäre (Fig. 5). Das Voltasche Spannungsgesetz erscheint als selbstverständliche Folgerung aus der obigen Annahme, da ja in einer beliebigen Zahlenreihe die Summe der Unterschiede notwendig gleich dem Unterschied zwischen dem ersten und letzten Glied sein muß. Wie es in Bezug auf Sauerstoff eine Spannungsreihe der Metalle gibt (die Voltasche), so gibt es auch eine in Bezug auf Schwefelsäure, Salpetersäure etc., und für jede derselben gilt notwendig das Spannungsgesetz. Es würde aber offenbar gar keinen Sinn haben, wenn man etwa den Sauerstoff oder die Schwefelsäure in die zugehörige oder gar in eine der andern Spannungsreihen der Metalle einordnen wollte.

Durch die Beobachtung geleitet, daß die Versuche besser gelangen, wenn die beiden Metalle nicht unmittelbar sich berührten, sondern eine feuchte Papier- oder Tuchscheibe zwischen ihnen lag, gelangte Volta dazu, durch Aufeinanderschichten vieler solcher Plattenpaare die bei einem Paar nur schwache Wirkung beträchtlich zu steigern; so entstand 1800 der bewundernswerte Apparat, der noch heute zum ruhmreichen Gedächtnis seines Erfinders den Namen der Voltaschen Säule (s. Galvanische Batterie) trägt. Verbindet man die Enden oder Pole der Voltaschen Säule durch einen Schließungsdraht, so wird derselbe dauernd von einem elektrischen oder galvanischen Strom durchflossen, welcher sowohl in dem Schließungskreis selbst als außerhalb desselben höchst bemerkenswerte Wirkungen hervorbringt. Das ganze umfassende Gebiet der mannigfaltigen Erscheinungen, welche die Voltasche Säule darbietet, hat man zum Andenken desjenigen, der es zuerst erschloß, G. genannt. Um die weitere Ausbildung des G. haben sich zahlreiche, besonders deutsche, Physiker dieses Jahrhunderts Verdienste erworben, da das reiche, wunderbare Gebiet große experimentelle Ausbeute und allgemeines Interesse bot. Faraday entdeckte die elektrolytischen Gesetze, die Induktion und war überhaupt höchst fruchtbar und unermüdlich in neuen Experimenten. Die Deutschen befaßten sich im allgemeinen mehr mit quantitativen Untersuchungen, d. h. sie maßen die Wirkungen des Stroms und drückten sie durch Zahlen aus, die mit andern Kräften Vergleichungen gestatteten. Unter ihnen sind besonders namhaft zu machen Gauß, Weber, Lenz, Jacobi, Ohm, Rieß, Poggendorff, Schweigger, Buff, Schönbein, Kohlrausch, Kirchhoff, ferner der Däne Örsted durch die zufällige Entdeckung des Elektromagnetismus und der Franzose Ampère als der Begründer der noch heute gültigen Theorie desselben; die Franzosen zeichneten sich im übrigen weniger auf diesem Gebiet aus, doch sind unter ihnen noch Pouillet und Becquerel hervorzuheben. Von Engländern sind noch zu erwähnen Wheatstone, Daniell und Grove wegen Erfindung der nach ihnen benannten konstanten galvanischen Batterien, aus ähnlichem Grund Bunsen u. a. in Deutschland. Über die chemische Wirkung des galvanischen Stroms s. Elektrolyse, über die magnetische Wirkung s. Elektromagnetismus und Elektrodynamik, über galvanische Induktion s. d., über Lichtwirkungen s. Elektrisches Licht und Geißlersche Röhre, über Wärmewirkungen s. Wärme. Über die Anwendung des G. in der Technik s. Elektrotechnik. Vgl. Wiedemann, Die Lehre von der Elektrizität (Braunschw. 1882–85, 4 Bde.); Exner, Theorie des galvanischen Elements (Wien 1880).

Der G. wird in der Medizin in Form des konstanten und des unterbrochenen Stroms namentlich bei Störungen des Nervenapparats, bei Lähmungen aller Art, bei sogen. sympathischen Gefäßleiden angewandt; vgl. Elektrotherapie. – Die Thatsache, daß ein Metalldraht, welcher in die galvanische Kette eingeschaltet ist, beim Schluß der Kette in Glühhitze gerät, hat in der Chirurgie mannigfache Anwendung gefunden; vgl. hierüber Galvanokaustik.