MKL1888:Galvanokaustik
[879] Galvanokaustik, die Anwendung der durch den galvanischen Strom erzeugten Glühhitze zu chirurgischen Zwecken, eine Operationsmethode, welche Middeldorpf in Breslau besonders ausgebildet und in die Praxis eingeführt hat. Sie beruht darauf, daß, wenn man einen dünnen Platindraht zwischen die Pole einer genügend kräftigen galvanischen Kette einschaltet, dieser beim Schließen derselben glühend wird und so lange glühend bleibt, als die Kette geschlossen ist. Man hat verschiedene Vorrichtungen in Anwendung gebracht und mit den Enden des Platindrahts in Verbindung gesetzt: kugel- oder messerförmige Instrumente, mittels deren man die chirurgischen Zwecke, welche man gerade im Auge hatte, erreichen wollte, je nachdem man die Glühhitze als solche statt des Glüheisens benutzen oder gleichzeitig oder vorzugsweise trennen und schneiden wollte. Zum Schneiden hat man ein breit geschlagenes Stück Platindraht angewendet, den Galvanokauter; zum Brennen wickelte man den Platindraht um einen kleinen Porzellankegel, sodaß dieser glühend heiß wurde. Am meisten aber ist jetzt die von Viktor Bruns angegebene galvanokaustische Schneideklinge im Gebrauch (s. Abbildung), welche außerordentlich schnell zum Ziel führt und in allen Fällen anwendbar ist, wo früher eine langsame Abschnürung durch straff umgelegte Fäden vorgenommen wurde. Der Platindraht von 1/3–1 mm Dicke wird in Form einer Schlinge um den zu trennenden Körperteil herumgeführt und die Schlinge zusammengezogen, sobald die Kette geschlossen ist, worauf der betreffende Teil mit großer Leichtigkeit abgetrennt wird. Die Blutung ist hierbei sehr gering, was bei Abtragungen von sehr blut- und gefäßreichen Teilen, namentlich von krankhaften Gewächsen etc., von besonderm Wert ist. Ferner aber ist man vermittelst der galvanokaustischen Schneideschlinge im stande, an sonst sehr schwer zugänglichen Stellen zu operieren und die Glühhitze einwirken zu lassen, nachdem man ganz ungehindert den noch kalten Draht appliziert hat. Für die G. eignen sich besonders Operationen im Mund, namentlich an der Zunge, am Mastdarm, am männlichen Glied etc. Vgl. Middeldorpf, Die G. (Bresl. 1854); Bruns, Galvanochirurgie (Tübing. 1870); Hedinger, Die G. seit Middeldorpf (Stuttg. 1878).
Galvanokaustische Schneideschlinge (nach Bruns). | |
In der Technik bezeichnet man mit G. oder galvanischem Gravieren ein Ätzverfahren auf galvanischem Weg, welches gegenüber dem gewöhnlichen Ätzen (s. d.) den Vorteil bietet, daß eine nur ganz schwache Ätzflüssigkeit angewandt werden kann, wodurch ein Unterfressen der Linien der Zeichnung vermieden wird. Eine Metallplatte (Kupfer, Stahl) wird mit Deckgrund überzogen, in den man die Zeichnung radiert; man bringt sie hierauf in eine Auflösung von Kupfervitriol oder in stark verdünnte Schwefelsäure und verbindet sie mit dem positiven Pol einer galvanischen Kette, was zur raschen Auflösung des Metalls an allen nicht bedeckten Stellen der Platte führt. Durch Herausnehmen aus der Flüssigkeit überzeugt man sich von deren Wirkung und überdeckt nach und nach alle diejenigen Partien, welche nicht tiefer geätzt werden sollen, so daß man die Verteilung von Licht und Schatten ganz in seiner Hand hat. Diese galvanische Ätzung wirkt fast nur nach der Tiefe, nicht seitlich; selbst ganz nahe zusammenliegende Linien fließen hierbei nicht zusammen, und da sie in beliebiger Tiefe ausgeführt zu werden vermag, so eignet sie sich namentlich zur Herstellung von Walzen, die für den Druck von Kaliko und andern Geweben, Tapetenrollen etc. bestimmt sind.