MKL1888:Buchstabentonschrift

Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Buchstabentonschrift“ in Meyers Konversations-Lexikon
Seite mit dem Stichwort „Buchstabentonschrift“ in Meyers Konversations-Lexikon
Band 3 (1886), Seite 581582
Mehr zum Thema bei
Wikisource-Logo
Wikisource: Musik
Wikipedia-Logo
Wikipedia: Tonsymbol
Wiktionary-Logo
Wiktionary:
unkorrigiert
Dieser Text wurde noch nicht Korrektur gelesen. Allgemeine Hinweise dazu findest du bei den Erklärungen über Bearbeitungsstände.
Indexseite
Empfohlene Zitierweise
Buchstabentonschrift. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 3, Seite 581–582. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Buchstabentonschrift (Version vom 15.06.2021)

[581] Buchstabentonschrift, die Anwendung der Buchstaben zur Bezeichnung der Töne. Es schein, daß die B. die älteste Art der Notenschrift ist, wenigstens finden wir sie bereits bei den Griechen (vgl. Griechische Musik). Die griechische B. hielt sich, zum mindesten in den Traktaten der Musiktheoretiker, bis ins [582] 10. Jahrh. n. Chr., während die Praxis sich vielleicht seit dem 6. Jahrh., vielleicht noch früher, der Neumenschrift (s. d.) bediente. Im 10. Jahrh. aber finden wir zuerst eine neue Art der B., nämlich mit lateinischen Buchstaben und zwar mit den sieben ersten Buchstaben des Alphabets: ABCDEFG, für die sieben Töne der diatonischen Skala; doch hatten dieselben damals nicht gleich die Bedeutung, welche sie heute haben, vielmehr entsprachen sie unsern heutigen cdefgah. Die Mönche, damals die einzigen Musiktheoretiker, führten sie in ihre Traktate ein, aber bald in einer veränderten Gestalt, indem sie dieselbe auf das griechische System (eine Molltonleiter durch zwei Oktaven) übertrugen. Dadurch erhielt A die Bedeutung, die es noch heute hat, d. h. während vorher CD und GA Halbtonschritte waren, wurden nun BC und EF Halbtonschritte. B war also der Ton, den wir heute H nennen. Schon im 10. Jahrh. fing man an, die Buchstaben für jede Oktave verschieden zu gestalten. Das griechische System war um einen Ton nach der Tiefe bereichert worden, nämlich um unser großes G; dieses bezeichnete man durch das griechische Gamma: Γ. Dann folgte die Oktave der großen Buchstaben: ABCDEFG, weiterhin die der kleinen: abcdefg; brauchte man noch höhere, so verdoppelte man die kleinen Buchstaben: aa bb cc dd ee ff etc. Anstatt in der zweiten Oktave die kleinen Buchstaben zu bringen, bediente man sich zeitweilig auch der weiter folgenden großen: HIKLMNOP. Duch Guidos von Arezzo (gest. 1037) Erfindung oder Einrichtung unsrer modernen Notation auf Linien, die aber, wie die vorgezeichneten Schlüssel noch verraten, nichts weiter ist als eine abgekürzte und anschaulichere B., kam der Gebrauch der Buchstaben, wenigstens für die Notierung der Gesänge, nach und nach immer mehr ab, während die Instrumentalisten sich ihrer wohl nach wie vor weiter bedient haben werden. Leider haben wir keine notierten Instrumentalkompositionen, die über das Ende des 15. Jahrh. zurückreichten. Um diese Zeit endlich taucht die B. wieder auf und zwar als die bekannte Orgeltabulatur (s. d.). Die Buchstabenbedeutung ist nur noch eine einzige, feststehende, wie sie ins Guidonische Liniennotensystem übergegangen und Grundlage der Mensuralnotenschrift (s d.) geworden war; dagegen finden wir verschiedene Arten der Buchstabenordnung bezüglich der Oktaventeilung. Neben der alten: Γ, A–G, a–g etc., finden wir Fe, F–e, Fe, seltener G–F, g–f etc., und es tauchen bereits zu Anfang des 16. Jahrh. die Anfänge unsrer heutigen Oktaventeilung auf, die immer mit c beginnt. Vollständig entwickelt finden wir die letztere zuerst zu Anfang des 17. Jahrh. bei Michael Prätorius (1619); doch erhielt sich die alte Oktvaenteilung als A–G, a–g, ag, nach der Tiefe erweitert AG, so lange, als überhaupt die Tabulatur gebraucht wurde (bis ins vorige Jahrhundert), und daneben eine im 16. Jahrh. aufgekommene, welche die Oktaventeilung zwischen B und H setzte: ABHCDEFGABhcdefgabhcde etc. Über die rhythmischen Wertzeichen und Pausezeichen der Tabulaturen s. Tabulatur. – Während für die Praxis die B. gänzlich abgekommen ist, bedienen sich ihrer die Theoretiker in ihren Abhandlungen nach wie vor zur Demonstrierung der akustischen Verhältnisse etc., aber stets nur mit der Teilung von c aus. Doch hat man in neuerer Zeit von den großen und kleinen Buchstaben einen abweichenden Gebrauch gemacht. Erstens hat sich seit Anfang dieses Jahrhunderts eine Akkordbedeutung der Buchstaben eingebürgert, indem man unter einem großen Buchstaben den Dur-Akkord des durch den Buchstaben bezeichneten Tones (ohne Rücksicht auf die Lage in dieser oder jener Oktave) und unter einem kleinen dessen Moll-Akkord versteht, z. B. A =A dur, a= A moll; eine kleine Null bezeichnet dann den verminderten Dreiklang, z. B. a0 = a:c:es. Dieser Gebrauch der Buchstaben ist heute ziemlich allgemein; auch versteht man wohl unter A die A dur-Tonart und unter a die A moll-Tonart. Moritz Hauptmann und seine Schüler brauchen große und kleine Tonbuchstaben wieder in anderm Sinne, nämlich zur Unterscheidung der Quinttöne u. Terztöne (s. d.). Hauptmann bezeichnet alle Töne, welche durch Quintschritte allein erreicht werden, durch große Buchstaben und zwar von C anfangend; die Terztöne dagegen bekommen kleine Buchstaben, z. B. CeG, aCe etc. Diese Bezeichnungsweise stellte sich für die exakte wissenschaftliche Behandlung als unzulänglich heraus; es müßte z. B. die zweite Oberterz von C als Terz von e wieder mit einem großen Buchstaben geschrieben werden: Gis, d. h. sie ist nicht unterschieden von der um zwei syntonische Kommas höhern achten Quinte. Deshalb griff Helmholtz in der 1. Auflage der „Lehre von den Tonempfindungen“ zu dem Auskunftsmittel eines die Vertiefung andeutenden Horizontalstrichs unter dem großen Buchstaben für die zweite Oberterz: C e, e Gis, und eines ebensolchen über dem Buchstaben als Zeichen der Erhöhung für die zweite Unterterz: as C, Fes as. Endlich vereinfachte A. v. Öttingen das Verfahren, indem er gleich zuerst zu den Horizontalstrichen griff und von der Verwendung der großen Buchstaben gänzlich absah. Er bezeichnete nämlich durch den Horizontalstrich über dem Buchstaben denselben als Oberterz, durch den Strich unter dem Buchstaben aber als Unterterz, die zweite Terz durch zwei, die dritte durch drei Striche etc., so daß die B. jetzt genau die Schwingungszahl der Intervalle verrät etc. Jeder Strich bedeutet die Vertiefung, resp. Erhöhung des durch lauter Quintschritte gefundenen Tones um 80:81. Der Gewinn für die theoretische Betrachtung ist ein sehr erheblicher, weil die harmonische Auffassung eines Intervalls direkt durch die B. gegeben ist. So ist die Terz der dritten Quinte von , dagegen die zweite Terz der Unterquinte von etc. Leider hat Helmholz, als er diese Verbesserung in der 2. Auflage des genannten Werks annahm, dabei die Bedeutung der Horizontalstriche über oder unter dem Buchstaben vertauscht oder vielmehr in dem Sinn beibehalten, wie er sie zuerst aushilfsweise angewendet hatte. Man muß deshalb jetzt genau zusehen, ob man die v. Öttingensche oder Helmholtzsche Bezeichnungsweise vor sich hat; die verbreitetere ist die letztere.