MKL1888:Griechische Musik

Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Griechische Musik“ in Meyers Konversations-Lexikon
Seite mit dem Stichwort „Griechische Musik“ in Meyers Konversations-Lexikon
Band 7 (1887), Seite 729732
Mehr zum Thema bei
Wikisource-Logo
Wikisource: [[{{{Wikisource}}}]]
Wiktionary-Logo
Wiktionary:
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Indexseite
Empfohlene Zitierweise
Griechische Musik. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 7, Seite 729–732. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Griechische_Musik (Version vom 29.04.2023)

[729] Griechische Musik. Von der Musik der alten Griechen haben wir in der Hauptsache nur aus den Schriften der Theoretiker Kunde, die uns in ziemlich großer Anzahl erhalten sind. Daß die musikalische Kunst im Altertum gleich den übrigen Künsten im höchsten Ansehen stand und die Musiker nicht etwa wie im Mittelalter zu den Vagabunden und rechtlosem Gesindel gehörten, ist bekannt. Bei den großen Festspielen der Griechen (den Olympischen, Pythischen, Nemeischen und Isthmischen) spielten die musischen (poetischen und musikalischen) Wettkämpfe eine hervorragende Rolle. Speziell die Pythischen Spiele waren ursprünglich nur musikalische zu Ehren des Apollon zu Delphi; der Sieger wurde mit einem Lorbeerkranz geschmückt, zu welchem die Zweige im feierlichen Aufzug aus dem Thal Tempe geholt wurden. Die ältere Geschichte der griechischen Musik ist so mit Sagen und Märchen durchsetzt, daß der historische Kern nur sehr schwer kenntlich ist; die Erfindung der musikalischen Instrumente wie der Musik überhaupt wird den Göttern zugeschrieben (Apollon, Hermes, Athene, Pan). Amphion, Orpheus, welche Steine belebten und Tiere bezwangen, Linos, der wegen seines schönen Gesanges, Marsyas, der wegen seines trefflichen Flötenspiels von Apollon aus Eifersucht getötet wurde, sind mythische Gestalten (vgl. Musik, Geschichte). Die griechische Theorie der Musik ist eine sehr entwickelte und hat den Theoretikern des Abendlandes viel Geistesarbeit erspart; das Wesentlichste derselben werden wir in kurzen Worten darzustellen suchen.

I. Das System. Während unser ganzes modernes Musiksystem in der Auffassung im Dursinn, im Sinn der Durtonleiter und des Durakkords wurzelt, war den Griechen gerade die umgekehrte Auffassungsweise die natürlichere. Den Kernpunkt ihres Systems bildete eine Tonleiter, welche durchaus das Gegenteil unsrer Durtonleiter ist; die Griechen dachten sich dieselbe von oben nach unten gehend, wie wir gewohnt sind, uns die Durtonleiter nach oben gehend vorzustellen. Die Auffassung dokumentiert sich in beiden Fällen durch die Ordnung der Tonbuchstaben (vgl. unten IV). Abgesehen natürlich von der nicht genau nachweisbaren absoluten Tonhöhe, entsprach die mittlere Oktave unserm e′–e:

was, wie die Bogen für die Halbtonschritte verraten, das Gegenteil unsrer Durtonleiter (C′–c) ist:

Jene Skala hieß die dorische. Die Auffassung im Sinn von Akkorden (Klängen, Dreiklängen, s. Klangvertretung) war den Griechen fremd, da sie Mehrstimmigkeit nicht kannten. Deshalb sind alle ihre Theoreme nur auf das Melodische bezüglich. Sie faßten diese Skala daher, wenn sie dieselbe näher zergliederten, auf als aus zwei gleichen Tetrachorden (Stücken von je vier Tönen) zusammengesetzt. Ein solches Tetrachord, das in absteigender Folge aus zwei Ganztonschritten und einem Halbtonschritt bestand, hieß ein dorisches. Das sogen. vollständige System erstreckte sich durch zwei Oktaven, d. h. es trat an obige Skala noch ein gleiches Tetrachord in der Höhe und Tiefe an, aber derart, daß der Schlußton des einen zugleich den Anfangston des andern bildete (verbundene Tetrachorde), und in der Tiefe wurde noch ein Ton hinzugenommen (Proslambanomenos), der die Unteroktave des mittelsten und die Doppelunteroktave des höchsten Tons des ganzen Systems war; die Tetrachorde erhielten folgende Namen:

oben: a′ g′ f′ e′, unten: e′ d′ c′ h′ Tetrachord der Hohen (Tetrachordum hyperbolaeon)
Tetrachord der Getrennten (T. diezeugmenon)
Diazeuxis (Trennung).
oben: a g f e, unten: e d c H Tetrachord der Mittlern (Tetrachordum meson)
Tetrachord der Tiefen (T. hypaton)
A Proslambanomenos.

Die beiden mittlern Tetrachorde waren also getrennt; indessen benutzte man für Modulationen nach der [730] Tonart der Unterquinte (die den Griechen ebenso das Nächstliegende war wie uns die nach der Tonart der Oberquinte) den Halbton über dem höchsten Ton des Tetrachords der Mittlern und unterschied daher ein besonderes Tetrachord der Verbundenen (Synemmenon) im Gegensatz zu dem der Getrennten, bestehend aus den Tönen a b c′ d′. Besondere Wichtigkeit legen die Theoretiker dem höchsten Ton des Tetrachords der Mittlern bei, welcher vorzugsweise der Mittlere hieß (Mese) und Tonikabedeutung hatte. Die vollständigen Namen der sämtlichen Stufen waren:

a′ die höchste der Hohen = Nete Hy­per­bo­laeon
g′ die zweithöchste der Hohen = Paranete
f′ die dritte der Hohen = Trite
e′ die höchste der Getrennten = Nete Die­zeug­me­non  
d′ die zweithöchste der Getrennten = Paranete
(resp. höchste der Verbundenen)   Nete Synem­me­non
c′ die dritte der Getrennten = Trite  
(resp. zweithöchste der Verbundenen)   Paranete
h die neben der Mitte = Paramese  
[b die dritte der Verbundenen]   Trite
a die Mittelste = Mese  
g der Zeigefingerton der Mittlern = Lichanos Me­son
f die vorletzte der Mittlern = Parhypate
e die tiefste der Mittlern = Hypate
d der Zeigefingerton der Tiefen = Lichanos Hypa­ton
c die vorletzte der Tiefen = Parhypate
H die tiefste der Tiefen = Hypate
  A der hinzugekommene Ton = Proslambanomenos.

Dieses System liegt den theoretischen Betrachtungen nicht nur der Griechen, sondern auch der mittelalterlichen Musikgelehrten zu Grunde. In seiner vollständigen Gestalt wie hier hieß das System das vollkommene (Systema teleion) oder das veränderliche, d. h. modulationsfähige (Systema metabolon), sofern die Benutzung der Synemmenon eine Modulation nach der Unterdominante bedeutete; ohne die Synemmenon hieß es unveränderlich (ametabolon).

II. Oktavengattungen (Tonarten). Da die Griechen Harmonie in unserm heutigen Sinn nicht kannten, so sind ihre Begriffe von Tonart, Tongeschlecht etc. rein melodischer Bedeutung, und ihre sogen. Tonarten sind daher eigentlich nichts andres als verschiedene Oktavenausschnitte (Oktavengattungen) aus derselben Tonleiter, nämlich der oben gegebenen von zwei Oktaven. Das Tetrachord synemmenon kommt dabei nicht in Betracht. Als Mittelpunkt des Systems erwies sich die dorische Oktavengattung e′–e; die Oktave von d′–d hieß dagegen die phrygische, c′–c lydisch, h–H mixolydisch. Diese vier waren in ähnlicher Weise die vier Haupttonarten der Griechen, wie die vier gleichnamigen (aber nicht gleichbedeutenden) Kirchentöne (s. d.) die vier authentischen waren. Die zu ihnen gehörigen, durch den Zusatz „hypo-“ unterschiedenen Seitentonarten sind so vorzustellen, daß die Lage der Quinte und Quarte, aus denen sich die Oktave zusammensetzt, vertauscht ist: e′..a..e ist dorisch; wird die Quinte e′ a eine Oktave tiefer versetzt oder die Quarte a e eine Oktave höher, so ist die neue Oktavengattung die hypodorische. Bei den Kirchentönen ist die Grundanschauung die entgegengesetzte, z. B. dorisch (d–d′) ist aus der Quinte d a und Quarte a d′ zusammengesetzt; wird die Lage der beiden Stücke vertauscht, so ist A..d..a = hypodorisch. Während also die griechischen Seitentonarten eine Quinte unter den Haupttönen liegen, liegen die plagalen Kirchentöne nur eine Quarte unter den authentischen. Die Kirchentöne sind eben aufsteigend gedacht, und es spielen schon harmonische Begriffe hinein. Die sieben Oktavengattungen der Griechen sind:

1. Dorisch (e′–e). 5. Hypodorisch (äolisch, a–A).
2. Phrygisch (d′–d). 6. Hypophrygisch (g′–g).
3. Lydisch (c′–c). 7. Hypolydisch (f′–f).
4. Mixolydisch (h–H). 8. Hypomixolydisch (dorisch, e′–e).

Daß die Griechen durchaus nicht so, wie das später bei den Kirchentönen der Fall war, dem phrygischen etc. eine ähnliche grundlegende Bedeutung beimaßen wie dem dorischen, d. h., daß sie nicht d oder g als Hauptton des phrygischen betrachteten (sozusagen als Tonika oder Dominante), sondern daß sie vielmehr wirklich alle Oktavengattungen als verschiedene Ausschnitte aus einer dorischen Skala betrachteten, geht zur Evidenz aus der Unterscheidung der Thesis (Stellung) und Dynamis (Bedeutung) hervor. d′ ist der Stellung nach (kata thesin) in der phrygischen Tonart Nete, g Mese und d Hypate; der Bedeutung, Wirkung nach (kata dynamin) aber ist d′ Paranete, g Lichanos meson, d Parhypate, d. h. die Dynamis ist immer die der dorischen Tonart. Wenn daher Aristoteles der Mese eine besondere Bedeutung beimißt, so meint er stets die dorische Mese.

III. Transpositionsskalen (eigentliche Tonarten in unserm Sinn). Benutzt man für die Oktavengattung d′–d das Tetrachord synemmenon statt diezeugmenon, also b statt h, so ist dieselbe nicht mehr die phrygische, sondern die hypodorische, denn das Eigentümliche der verschiedenen Oktavengattungen ist die verschiedene Stellung der Halbtonschritte. Da nun aber die hypodorische Oktavengattung als von der dorischen Mese bis zum Proslambanomenos sich erstreckend anzusehen ist, so gehört d′–d mit b in ein transponiertes System, dessen Proslambanomenos nicht A, sondern d ist. In der That war die g. M. nicht wie der Gregorianische Gesang an die diatonische Skala A–a′ ohne Vorzeichen gebunden, sondern benutzte sämtliche chromatische Zwischenstufen und auch eine Anzahl höherer und tieferer Töne. Entsprechend unsern Dur- und Molltonarten auf 12 oder mehr verschiedenen Stufen, hatten die Griechen ihre Transpositionen des oben (I) erklärten Systems und zwar in späterer Zeit 15, von denen die ältesten die gleichen Namen hatten wie die sieben Oktavengattungen. Wie aus der unten gegebenen Tabelle der griechischen Notenzeichen hervorgeht, ist die Grundskala der Griechen die hypolydische: f′ e′ d′ c′ h a g f; das System A–a′ ohne Vorzeichen heißt daher das hypolydische; die transponierten sind benannt je nach der Oktavengattung, welche der Ausschnitt f′–f ergibt, z. B. f′ e′ d′ c′ b a g f ist eine lydische Oktave, das [731] System d–d″ mit einem b heißt daher das lydische. Also die Oktave f′–f gehört

ohne Vorzeichen ins System A–a′ = hypolydisch
mit 1 ♭ d–d″ = lydisch
2 ♭ G–g′ = hypophrygisch
3 ♭ c–c″ = phrygisch
4 ♭ F–f′ = hypodorisch
5 ♭ b–b″ = dorisch
6 ♭ es–es″ = mixolydisch
(hyperdorisch).

Die (zweifellos jüngern) Kreuztonarten bringen dagegen lauter neue Namen; es gehört fis′–fis

mit 1 ♯ ins System e–e″ = hyperiastisch (hoch mixolydisch)
2 ♯ H–h′ = iastisch (hoch dorisch)
3 ♯ Fis–fis′ = hypoiastisch oder lokrisch (hoch hypodorisch)
4 ♯ cis–cis″ = äolisch (hoch phrygisch)
5 ♯ Gis–gis′ = hypoäolisch (hoch hypophrygisch)
6 ♯ dis–dis″ = hyperdorisch (hoch lydisch).

Das System dis–dis″ mit 6 ♯ ist enharmonisch identisch mit es–es″ mit 6 ♭; beide werden hyperdorisch genannt; hier schließt sich der Quintenzirkel.

IV. Griechische Notenschrift (Semantik). Die Griechen besaßen zweierlei Arten der Notation, eine ältere, von Haus aus diatonische, welche später als Instrumentalnotation sich noch hielt, als die jüngere, gleich enharmonisch-chromatisch angelegte Notierung für den Gesang eingeführt wurde. Die Notenzeichen sind teils intakte, teils verstümmelte und verdrehte Buchstaben des griechischen Alphabets:

Übersicht der griechischen Notenschrift, mit Übersetzung in die heutige Notation.

Ausführlicheres darüber s. in den Spezialschriften von Fortlage, Bellermann, Riemann („Studien zur Geschichte der Notenschrift“, Leipz. 1878) etc. Leider sind nur dürftige Reste altgriechischer Kompositionen auf uns gekommen, so daß die Kenntnis der Bedeutung der Noten bisher wenig praktischen Wert hat.

V. Die Tongeschlechter der Griechen waren nicht harmonische Unterscheidungen wie die unsrigen (Dur und Moll), sondern melodische. Die Griechen zerlegten, wie bereits erwähnt, die Skalen in Tetrachorde; das normale Tetrachord war das dorische, aus zwei Ganztonschritten und einem Halbtonschritt bestehend, z. B.: Dieses diatonische Geschlecht war das älteste. Neben ihm kam noch im grauen Altertum (nach der Sage eine Erfindung des Ulympos) das (ältere) enharmonische Tongeschlecht auf, bei welchem die beiden mittlern Töne des Tetrachords durch Herabstimmung des höhern auf gleiche Tonhöhe gebracht wurden, so daß also die Lichanos, resp. die Paranete fortfiel, z. B.: . Als drittes Geschlecht kam das chromatische hinzu, welches die Lichanos oder Paranete nicht ausließ, sondern um einen Halbton erniedrigte, so daß zwei Halbtonschritte einander direkt folgten: . Endlich teilte die (neuere) Enharmonik den Halbton des diatonischen Tetrachords, oder, vielleicht richtiger, sie führte neben dem diatonischen den chromatischen Halbton ein: . Im Hinblick auf die verschiedenen Tongeschlechter, welche die Paranete, Trite, resp. Lichanos und Parhypate veränderten, unterschieden die Griechen diese Töne als veränderliche, während die Grenztöne des Tetrachords (Nete und Hypate, resp. Mese, Paramese und Proslambanomenos) unveränderliche waren. Außer diesen drei Tongeschlechtern stellten die Theoretiker noch eine große Anzahl andrer Tetrachordenteilungen auf, welche Färbungen (Chroai) genannt wurden und in der Notenschrift keine Darstellung fanden. Dieselben sind zum Teil wunderlichster Art, und es ist nichts andres als eine Zufälligkeit, daß sich darunter auch die unsern heutigen Bestimmungen genau entsprechenden mit 15 : 16 für den Halbton und 4 : 5 für die große Terz befinden (bei Didymos und Ptolemäos). Bekanntlich beziehen sich Fogliano und Zarlino, welche diese Verhältnisse zuerst endgültig aufstellten, auf Ptolemäos. Näheres s. bei O. Paul, Die absolute Harmonik der Griechen (Leipz. 1866). Die vollständige Entwickelung des Systems geben F. Bellermann, Die Tonleitern und Musiknoten der Griechen (Berl. 1847), und R. Fortlage, Das musikalische System der Griechen (Leipz. 1847). Sehr interessant, aber in vieler Beziehung irre führend sind die bezüglichen Schriften von R. Westphal (s. d.). Vgl. auch Gevaert, Histoire et théorie de la musique de l’antiquité (Gent 1875–81, 2 Bde.).

VI. Die praktische Musikübung der Griechen war entweder bloßer Gesang oder Gesang mit Begleitung von Saiteninstrumenten (Kitharodie) oder Blasinstrumenten (Aulodie), oder bloßes Saitenspiel (Kitharistik) oder Flötenspiel (Auletik). Die wichtigsten und für die Kunstmusik beinahe allein in Frage kommenden Instrumente waren die Lyra, Kithara und der Aulos. Die Lyra hatte einen gewölbten, die Kithara einen flachen Resonanzkasten; die Saitenzahl beider war lange Zeit 7, später stieg sie erheblich. Die Magadis war ein größeres Saiteninstrument mit 20 Saiten, auf welchem in Oktaven gespielt wurde. Sämtliche Saiteninstrumente der Griechen, auch die ältern [732] vielsaitigen, Barbitos und Pektis, wurden mit den Fingern gezupft, erst in späterer Zeit kam das Plektron auf. Vgl. K. v. Jan, Die Saiteninstrumente der Griechen (Programm, Leipz. 1882). Der Aulos war eine Art Schnabelflöte, die in verschiedenen Größen gebaut wurde; die Syrinx (Pansflöte) war ein untergeordnetes Instrument. Die Weisen, welche die Komponisten erfanden, erhielten bestimmte Namen, ähnlich wie bei den Meistersängern; der allgemeine Name war Nomos (Gesetz, Satz). Berühmt war z. B. der pythische Nomos des Flötenspielers Sakadas (585 v. Chr.), welcher es zuerst durchsetzte, daß bei den Pythischen Spielen neben der Kithara auch der Aulos zugelassen wurde. Um die Kitharodik machte sich besonders der noch 50 Jahre ältere Terpandros verdient, welcher wohl als der Begründer eigentlicher musikalischer Kunstformen bei den Griechen angesehen wird. Weiter sind als hervorragende Förderer der Komposition zu nennen: Klonas, der vor Sakadas und nach Terpandros blühte, der Erfinder wichtiger Formen der Aulodie; der viel ältere Archilochos (um 700), der statt der vorher allein üblichen daktylischen Hexameter volkstümlichere lyrische Rhythmen einbürgerte (Iamben); weiter der Lyriker Alkäos, die Dichterin Sappho etc. Plutarch datiert in seiner dialogisch abgefaßten Musikgeschichte die Periode der neuern Musik von Thaletas (670), dem Begründer der spartanischen Chortänze (Gymnopädien), und Sakadas; um diese Zeit soll die neuere Enharmonik eingeführt worden sein (s. oben V). Zur größten Entfaltung ihrer Mittel gelangte die g. M. in der Tragödie, welche in ähnlichem Sinn wie das moderne musikalische Drama eine Vereinigung von Dichtkunst, Musik und Schauspielkunst (Mimik, Hypokritik) war; die Chöre wurden durchaus gesungen, und auch viele Monologe waren komponiert. Leider ist noch keine Tragödienmusik aufgefunden worden, so daß wir eine konkrete Vorstellung von einer solchen nicht haben.

VII. Musikschriftsteller. Eine große Zahl musiktheoretischer Traktate griechischer Schriftsteller ist auf uns gekommen. Der älteste und zugleich einer der interessantesten ist das 19. Kapitel der „Probleme“ des Aristoteles (gest. 322 v. Chr.), ferner das 5. Kapitel des 8. Buches seiner „Republik“. Von größter Wichtigkeit sind die noch vorhandenen Schriften des Aristoxenos (Schüler des Aristoteles) über Harmonik und Rhythmik; leider sind viele Werke dieses bedeutendsten aller griechischen Theoretiker verloren gegangen. Ein Auszug aus Aristoxenischen Schriften ist unter dem Namen Euklids erhalten, während eine Intervallenlehre (Saitenteilung) wohl wirklich von dem Mathematiker Euklid (3. Jahrh.) herrührt. Die interessante Schrift Plutarchs über die Musik (deutsch von Westphal, mit geistreichem Kommentar, Leipz. 1865) gehört ins 1. Jahrh. n. Chr.; ins 2. Jahrh. gehören die Schriften des Pythagoreers Klaudios Ptolemäos, Aristeides Quintilianus, Gaudentios, Bakchios, Theon von Smyrna und des Nikomachos; ins 3. Jahrh. der Kommentar des Porphyrios zum Ptolemäos sowie die Skalentabellen des Alypios. Auch das 14. Buch des Athenäos und das 26. Kapitel des Iamblichos enthalten musikalische Notizen. Das „Syntagma“ des Psellos gehört ins 11., die Harmonik des Bryennios sowie des Nikephoros Gregoras Ergänzungskapitel zum Ptolemäos nebst dem Kommentar von Barlaam ins 14. Jahrh. Eine klassische lateinische Überarbeitung der griechischen Musiklehre ist das Werk des Boethius (gest. 524): „De musica“ (deutsch von O. Paul, Leipz. 1872). Eine vortreffliche Textausgabe des Aristoxenos besorgte P. Marquard (Berl. 1868, mit Übersetzung). Im übrigen sind die Sammelwerke von Meibom (1652) und Wallis (1682) in den meisten größern Bibliotheken zu finden. Einige kleine, weniger beachtete Schriften über g. M. hat Fr. Bellermann (Berl. 1840) herausgegeben. Reste griechischer Hymnenkomposition, etwa aus dem 2. Jahrh. n. Chr., s. in Bellermanns „Hymnen des Dionysios und Mesomedes“ (Berl. 1840).