Textdaten
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Autor: Rudolf Gottschall
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Titel: Literaturbriefe an eine Dame XII
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aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 856–858
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Über Adolf Friedrich von Schack
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Literaturbriefe an eine Dame.


Von Rudolf Gottschall.


XII.


Sind Sie, verehrte Freundin, einmal durch die breiten stolzen Straßen der Isarstadt gewandert, die wie ein aufgeschlagenes Buch der Kunstgeschichte vor uns liegen mit ihren hellenischen und gothischen Bauten, mit ihren Basiliken, Glyptotheken, Pinakotheken, Siegesthoren? Hier wird es uns so feierlich ernst zu Muthe; man sieht sich nach einem Professor um, der uns in aller Eile ein Collegium liest, indem er diese Bauwerke als erläuternde Illustrationen benutzt; man wundert sich, daß nicht jeder Münchner mit einer Zeichenmappe durch die Straßen wandert, und meint, man müsse lauter idealen Gesichtern mit griechischen Profilen begegnen und lauter Grazien, Musen und Madonnen, da eine solche künstlerische Atmosphäre doch nicht ohne Einfluß bleiben kann auf die Wesen, die in ihr athmen. Sie lächeln, verehrte Freundin? Sie sind gewiß in München gewesen und haben Unglück gehabt; Sie haben keine Gesichter mit akademischem Schnitt gesehen, sondern joviale Biergesichter; Sie haben die Straßen leer gefunden, wo die Prachtgebäude stehen, und ein Getümmel fröhlicher Menschen an den classischen Stätten, wo der kastalische Quell der Münchner, der edle Gerstensaft, strömt; Sie sind den Gestalten begegnet, die Sie aus den „Fliegenden Blättern“ kennen, der drallen Biermamsell, dem Falstaff in Civil und Uniform, dem oberbairischen Bauern mit den Frage- und Ausrufungszeichen im Gesicht, wenn er an den steinernen Wundern vorübergeht, dem Mönch, der diesen heidnischen Säulenordnungen keinen Blick schenkt.

Das sind Contraste, verehrte Frau, und Contraste sind ebenso lehrreich wie pikant. Es giebt ein doppeltes München, das München des Volks und das München des Königs; dort herrscht das Bier, hier herrscht die Kunst; beide berühren sich wohl, aber sie verschmelzen nicht miteinander.

Gleichwohl ist die bairische Hauptstadt eine schöne und stolze Stadt, und Niemand wird durch ihre Kunstgalerien wandern, ohne anregende und geistig befreiende Eindrücke zu erhalten. Sie kennen die Pinakothek und Glyptothek; doch Münchens Kunstschätze sind nicht mit den Staatssammlungen erschöpft; es giebt Privatgalerien, in denen sich Gemälde von höchstem Kunstwerth befinden.

Ich führe Sie zu einem deutschen Dichter. Es ist nicht Emanuel Geibel, der jetzt an den Ufern der Trave seine patriotische Harfe schlägt; es ist nicht Paul Heyse, der feine Novellist mit dem Rafaelskopf; es ist nicht Hermann Lingg, der historische Freskenmaler, der in neuester Zeit eine von mir nicht getheilte Vorliebe für die Schicksale der Vandalen an den Tag legt; noch weniger ist es Mirza Schaffy, der in einem stillen Thale Thüringens Buße thut für die kecke Fröhlichkeit seiner westöstlichen Maskerade. Vor allen Dingen aber verbannen Sie jeden Gedanken an Kotzebue’s armen Poeten und an eine Dachstube. Der Dichter, zu dem ich Sie führe, besitzt eine Gemäldegalerie, welche nicht blos einen hohen Kunstwerth, sondern auch einen hohen Geldwerth repräsentirt; ein armer Poet, der seine Dachstube mit Neu-Ruppin’schen Bilderbogen tapeziert, müßte hier in seines Nichts durchbohrendem Gefühle dastehn.

Ein freundlicher Herr empfängt uns, mit diplomatischen Formen, mit wohlwollendem Lächeln und geistreich leuchtenden Augen; er führt uns zu diesen Schätzen, er erläutert uns die Gemälde, auf welche manche königliche Galerie stolz zu sein ein volles Recht hätte. Da sind die genialen Oelgemälde von Genelli: der Raub der Europa, auf welchem Bilde der kühne Erfinder und Zeichner auch Herrschaft über das Colorit an den Tag legt; da ist Herkules und Omphale, da ist der Kampf zwischen Bacchus und Lykurgus, eine der vermessensten Compositionen kraftgenialischer Malerei; da sind Meisterstücke von Schwind, kleine Gemälde von geistreicher Erfindung und stimmungsvoller Haltung, mit dem [857] Pinsel ausgeführte lyrische Gedichte von einer mächtig hervorquellenden Genialität, die selbst das anscheinend Seltsame, den verwegenen Einfall, harmonisch in das ganze Kunstwerk einzuordnen weiß. Da sind Gemälde von Anselm Feuerbach, wie der „Fischerknabe“, Bilder von süßverlockendem Reiz und magischem Colorit; da sind prachtvolle Copien jener erhabenen Fresken des Michel Angelo, welche in der Sixtinischen Capelle uns zu hoch über den Häuptern schweben, als daß wir uns in das großartig Markige ihrer Darstellung mit dauerndem Genuß versenken könnten.

Unser freundlicher Cicerone aber ist Friedrich von Schack, der meisterhafte Uebersetzer des „Firdusi“, der Verfasser einer trefflichen Geschichte des spanischen Drama’s, ein Literaturkenner wie wenige, ein Kunstfreund und Kunstmäcen, der großen strebenden Talenten die Wege geebnet, einen Genelli der Noth des Lebens entrissen hat, und außerdem ein begabter Dichter.

Mag von unseren lyrischen Poeten Schiller’s Sentenz gelten, daß die Jugend schnell fertig ist mit dem Worte, mag die Mehrzahl derselben ihre Verslein auskriechen lassen, ehe sie flügge geworden sind, und sie, noch mit den Eierschalen behaftet, auf den Jahrmarkt der Literatur schicken – Friedrich von Schack gehört nicht zu diesen schnellfertigen Dichtern. Er hat sich als Literarhistoriker, als Uebersetzer einen Namen gemacht, ehe er seine eigenen Poesien dem verschwiegenen Pult entnahm und der Oeffentlichkeit übergab. Es geht in der That nichts über die Mittheilungslust junger Lyriker, und während Andere ihre Jugendsünden zu verschweigen lieben, plaudern diese sie mit Vorliebe in alle vier Winde aus. Wie ein Liebender den Empfindungen, von denen sein Herz voll ist, Luft zu machen sucht, so auch der junge Poet, und jeder Sterbliche, der ihm in den Weg kommt, wird das Opfer seiner Muse. Mein Freund Wilhelm Jordan, verehrte Frau, war als jugendlicher Dichter einer der gefährlichsten; er wegelagerte sogar, legte raubritterlich auf jeden empfänglichen oder unempfänglichen Schulfreund Beschlag auf offener Straße und schleppte ihn dann auf sein Zimmer, wo er ihn zum Genuß seiner neuesten poetischen Ergüsse verurtheilte. Was ein Dörnchen werden will, krümmt sich bei Zeiten. Jetzt hat Jordan sich für seine „Nibelungen“ diesseits und jenseits des Oceans die größten Auditorien zusammengetrommelt und der Ehren Fülle geerntet.

Wie viel Entsagung gehört also dazu, mit seinen Musenkindern Jahrzehnte lang allein zu bleiben und die ungeduldige Sehnsucht nach dem Licht der Oeffentlichkeit, dieselbe Sehnsucht, die eine nichtgehaltene Landtagsrede für einen ruhmbedürftigen Abgeordneten zu lebenslänglicher Qual macht, siegreich zu überwinden!

Erst im Jahre 1867 öffnete Friedrich von Schack den Käfig, der seine schwungkräftigen und melodischen Lieder gefangen hielt; es erschienen zuerst „Gedichte“, denen dann „Episoden“, poetische Erzählungen, die humoristische Dichtung „Durch alle Wetter“ und neuerdings „Lothar“, ein Gedicht in zehn Gesängen, folgten.

Friedrich von Schack ist kein Poet, der an der Scholle haftet, und auch seine Gedichte haben etwas Reiselustiges und tragen das Gepräge weiter Weltwanderungen. Der Dichter kennt den Süden Europas, Spanien und Italien; er kennt den Orient, Syrien und Aegypten. Daher erfreut uns in seinen Gedichten das lebendige feurige Colorit, das aber nirgends in die gluthrothe Manierirtheit einiger Landschaftsmaler ausartet, ebensowenig eine geistlose Panoramenmalerei durch bestechenden Farbenprunk zu heben sucht. Ueberall ist die Muse Schack’s gedankenreich. Wenn er uns den „Pic von Teneriffa“ mit einigen großartigen Zügen vor die Seele zaubert, so vergleicht er die furchtbaren Mächte der Tiefe mit den grausen Dämonen, die im Menschenherzen schlummern. „Die Jungfrau“ aber, die im Strahle der sinkenden Sonne schimmert, fragt er, ob sie mit Geistern anderer Welten sich Flammenzeichen gebe oder jenseits der Erde ungeahnte Geheimnisse erblicke, daß süßes Erschrecken ihr die Wangen röthet. Schöne Landschaftsbilder im classischen Stile eines Poussin und Claude Lorrain bilden die Gedichte „Der Tempel von Aegina“, „La Cava“, „Im Theater des Dionysos“, orientalische Reisebilder die Gedichte „Jaffa“, „Auf dem Nil“ etc.

Wen hat nicht einmal eine Sehnsucht nach dem schönen Spanien angewandelt, besonders nach jenen Zauberlandschaften, wo die höchsten Bergriesen der Nevada herabsehen auf die Fluren, die der Xenil durchströmt, und auf das Zauberschloß der Mauren, die vielbesungene Alhambra? Friedrich von Schack ist heimisch in diesem Lande; er ist der genaueste Kenner des spanischen Theaters, dem er ein mehrbändiges Werk gewidmet hat; er hat die Poesie und Kunst der Araber in Spanien und Sicilien in einem sinnreichen Werke geschildert; natürlich fehlt auch seine Muse nicht, wo es gilt, diese von geschichtlichen Erinnerungen verklärte Pracht der Landschaft zu besingen, und wie Ludwig Tieck die mondbeglänzte Zaubernacht des deutschen Mittelalters heraufbeschwört, so beschwört Schack in den „Liedern aus Granada“ die Zaubernacht der spanisch-maurischen Vorzeit herbei und versenkt sich in die sieben Himmel des Propheten:

Nun noch einmal, Nacht der Nächte,
Zauberweib vom Morgenlande,
Zeig’ noch einmal dich als echte
Sultanin im Prachtgewande!

Einmal noch im Purpurflore,
Der um Thal und Hügel walle,
Zieh’ hinein durch diese Thore
Zu der alten Königshalle!

Feur’ge Meteore lasse
Durch die Himmelswölbung schießen
Und auf Garten und Terrasse
Rothe Flammen niedergießen!

Bunte Wunderlampen hänge,
Wie sie Aladdin besessen,
In die Lauben, in die Gänge,
An die Zweige der Zypressen!

Wirf empor die Silberwellen
Aus den Alabasterschalen,
Daß sie hell wie Naphthaquellen
Durch der Gärten Dämm’rung strahlen!

Auf den flüssigen Krystallen,
Wie sie kriechend sich verschlingen,
Wie sie steigen, wie sie fallen,
Mag ein Lied des Ostens klingen.

Sie kennen diese Lieder des Ostens; wir haben sie leider zur Genüge gehört und es ist wahrhaft trostreich, daß ein Dichter wie Schack, der uns die „Stimmen vom Ganges“ zugeeignet hat, der so innig mit dem Geiste des Orients vertraut ist, es stets verschmähte, sich in das westöstliche Costüm jener Strophenbildungen zu hüllen, welches eine Zeitlang auf unserem Parnaß Mode war, Dank dem Vorbilde der beiden formgewaltigen Dichter Rückert und Platen! Welche westöstliche Formbewältigungen haben Sie in nächster Nähe schaudernd erlebt! Da ist Ihr Nachbar, der gräfliche Sänger im Schlosse am Meere, den bisweilen der heilige Bardenwahnsinn an das Gestade der hochaufrauschenden baltischen See führt. Hier schlägt er zwar nicht die Harfe, da dies nicht mehr zeitgemäß ist; aber er zieht die Brieftasche und den Bleistift heraus und notirt sich die unsterblichen Gedanken, welche der Gischt der heiligen Meerfluth ihm in’s Gehirn spritzt. Und diese Brieftasche, die er wie einen meuchlerischen Dolch stets „im Gewande“ trägt, zieht er dann bei jeder Begegnung heraus und setzt uns seine lebensgefährlichen Gedichte auf die Brust. Früher waren es nur abendländische Knüttelverse, welche an eine Fahrt auf den Knüppeldämmen seines Guts erinnerten, da er sich trotz aller landräthlichen Mahnungen wenig mit Wegebesserung beschäftigt; seitdem er aber die Bekanntschaft Rückert’s und Platen’s gemacht hat, dichtet er Makamen, jene Knüttelverse des Morgenlandes, die bei ihm mit ihren Schlag- und Klappreimen wie mit Fliegenklatschen jeden verständigen Zusammenhang todtschlagen. Und gar die Ghasalen! Der kleine Schulrath in X. fabricirt in seinen Mußestunden solchen unchristlichen Klingklang! Sie wissen, wie der wohlbeleibte, aber galante Herr sich bei den jungen Grazien Ihres Nachbarschlosses beliebt zu machen sucht, indem er an ihrem Federballspiel thätigen Antheil nimmt! Wenn er dabei athemlos in den verschiedensten ungraziösen Stellungen, vorstürzend und zurückstolpernd, denselben Ball immer wieder aufzufangen und zurückzuschlagen sucht – dann ahnt er gewiß nicht, daß man dabei an seine Ghasalendichtungen denken muß, wo er auch immer einen und denselben Reim über die holperigsten Verszeilen hinweg, unter den unschönsten Verrenkungen der Wortstellung, auffängt und zurückschlägt!

Und wie unseren guten Freunden, die ihre Poesie leider! durch den Druck einer ruhmlosen Vergessenheit anheimgegeben haben, so ergeht es auch vielen namhaften Dichtern, die sich auf einmal den Turban aufsetzen und die „Schönen“ nach [858] östlicher Sitte im Plural feiern, wie schon Karl Immermann gesungen hat:

Von den Früchten, die sie aus dem Zauberhain von Schiras stehlen,
Essen sie zu viel, die Armen, und vomiren dann Ghaselen.

Darum freuen wir uns, daß ein so meisterhafter Uebersetzer orientalischer Dichtungen wie Schack den Nachdruck auf den Geist und nicht auf die Form legt. Seine Sehnsucht nach Indien, die er in einem schwunghaften Gedichte ausspricht, die Sehnsucht nach den Tempeln am Gangesstrome, die das Weltgeheimniß hüten, dorthin, wo der Geist der Urzeit in den windbewegten Palmen von den Wunderträumen der ersten Weltnacht singt, macht den Sänger nicht zu einem Brahmanen, auch nicht zu einem Buddhisten, der in das Nichts der Weltentsagung versinkt, wie der philosophische Einsiedler der Table d’hôte von Frankfurt am Main mit seinem Faust-Pudel, wie Arthur Schopenhauer, nein, bei aller Verherrlichung brütenden Tiefsinns beseelt doch Schack’s Gedichte der thatenkräftige Geist des Abendlandes.

Schon in den „Gedichten“ Schack’s, noch mehr in den „Episoden“, finden sich poetische Erzählungen, denen vorzugsweise ein lebendiges Colorit nachzurühmen ist; es fehlt ihnen allerdings die Prägnanz lakonischer Darstellung, sie ergehn sich behaglich in’s Breite, aber sie werden dabei nie von den Grazien verlassen.

„Lothar, ein Gedicht in zehn Gesängen“ ist die umfangreichste von Schack’s poetischen Erzählungen, die ebenfalls nicht neuerdings entstanden ist, sondern, eine Schöpfung früherer Zeit, erst jetzt an das Licht tritt. Das Gestirn, das am Himmel des Dichters stand, als er seinen „Lothar“ schuf, ist das Doppelgestirn Byron’s und Freiligrath’s. Von Jenem hat die Dichtung die politische Begeisterung, den Haß gegen die Stimmführer einer dumpfen, rückwärts gewendeten Zeit, den Enthusiasmus für die Befreiung Griechenlands, welche einer thatenlosen Epoche als die glorreiche Wiedererweckung einer alten Heldenzeit erschien; von Freiligrath hat Schack die Vorliebe für das exotische Colorit, für afrikanische Wüstenbilder, die hier im sechsten und siebenten Gesange mit einer jenem Dichter ebenbürtigen Meisterschaft ausgemalt werden. Hier haben die Abenteuer selbst etwas Ergreifendes und Spannendes und lesen sich wie Romancapitel, was für eine epische Dichtung immerhin ein seltenes Lob ist, denn wir alle wissen ja, welche Mohnkörner die epische Muse auszustreuen liebt und wie eine erhabene Langeweile die Blätter von Kalliope’s unsterblichen Manuscripten umblättert. Doch unsere Zeit ist so ungeduldig geworden, daß sie kaum mehr die Ruhe hat, epische Gesänge anzuhören, besonders wenn die Geschicke der Helden so ohne alle Spannung verlaufen. Ein echter Epiker geht auf sein Ziel los, wie man durch eine endlos gestreckte Pappelallee auf die Poststation zufährt, doch wir wollen in der Dichtung auf Wegen wandeln, die sich anmuthig krümmen, sich bald in Gebüsch verstecken, bald unter Wiesenblumen verlieren, bald, an freien Berghängen sich schlängelnd, anmuthige und wechselnde Fernsichten bieten. Unsere Epiker müssen die Kunst der Spannung von den Romandichtern lernen; sind sie echte Poeten, so wird ihnen dadurch nicht das Concept verdorben. Nicht allen Gesängen des „Lothar“ können wir indeß diese Kunst der Spannung nachrühmen; in einigen hat es sich der Dichter bequem gemacht und für Verwicklung und Lösung zum Theil verbrauchte Motive benutzt, im Vertrauen auf seine Kunst, auch diese durch poetischen Schwung zu adeln. In allen Gesängen aber weht ein echt patriotischer Geist, jene ideale deutsche Gesinnung, von welcher die blasirte Muse des englischen Lords nichts weiß. Lebendig ist Lothar’s Jugendliebe geschildert, sein studentischer Freiheitsdrang, das Duell mit dem Aristokraten, das einen so tragischen Ausgang nimmt. Dann folgt die Selbstverbannung, Kämpfe und Liebesabenteuer in Spanien, Erlebnisse in Afrika und Griechenland, bis der Schluß den Helden wieder der Heimath und den Seinen zuführt.

Schack, verehrte Frau, ist kein Dichter von absonderlicher Genialität und von jenem erschreckenden Tiefsinn, der seine Orakel oft in unverstandenem Schwulst verkündet. Es giebt Kritiker, denen alles flach vorkommt, was die verhängnißvolle Eigenschaft der Gemeinverständlichkeit besitzt, und es giebt Dichter, welche sich für groß halten, wenn sie sich in labyrinthischen Gedankengängen verlieren. Schack gehört nicht zu ihnen, aber auch nicht zu den glatten und geleckten Akademikern; er wahrt die schöne Mitte künstlerischer Richtung. Seine Sprache hat echten Adel, seine Verse melodischen Fluß – und solchen Zauber werden Sie nicht gering achten, verehrte Frau; denn es ist der Zauber der Schönheit, mit dem Sie vertraut sind, so lange Sie auf Erden wandeln!



WS-Anmerkung:

Dieser Beitrag erschien als Nr. XII in der Serie Literaturbriefe an eine Dame