Landschaften von Ludwig Richter

Textdaten
Autor: Hermann Lücke
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Titel: Landschaften von Ludwig Richter
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Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Alphons Dürr
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Erscheinungsort: Leipzig
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[II]

LANDSCHAFTEN
VON
LUDWIG RICHTER.



ZWÖLF ORIGINAL-RADIRUNGEN.


MIT TEXT VON DR. H. LÜCKE.



LEIPZIG.
VERLAG VON ALPHONS DÜRR.
1875.

[III]

01.     Titelblatt.
02.     Apenninen-Aussicht.
03.     Brunnen bei Ariccia.
04.     Brunnen bei Grotta Ferrata.
05.     Monte Serrone während eines Gewitters.
06.     Abendandacht vor einem Madonnenbild bei Monte Serrone.
07.     Rocca di Mezzo.
08.     Thal bei Amalfi.
09.     Bajä.
10.     Die Teufelsmauer im Harz.
11.     Herbstabend.
12.     Abendandacht.



[1] In der Kunst Ludwig Richter’s hat das Landschaftliche eine sehr bedeutsame Stelle; in jene kleinen und doch so unerschöpflich reichen Compositionen, an die man zuerst denkt, wenn Richter’s Name genannt wird, die durch den volksthümlichen Holzschnitt schon längst zum Gemeingut der Nation geworden sind, ist der Reiz landschaftlicher Poesie auf das mannigfachste verflochten, in tausendfältigen Zügen erkennt man hier die Hand eines Meisters, der mit dem Wesen landschaftlicher Schönheit innig vertraut ist. Eine Zeit lang hat sich Ludwig Richter der Landschaftsmalerei ganz ausschliesslich gewidmet; sie war das Gebiet, dem sich seine Neigung am frühesten zuwandte, schon unter dem Einfluss des ersten künstlerischen Unterrichts, den er vom Vater empfing. Dieser selbst, der die Kupferstecherkunst übte, versuchte sich in landschaftlichen Zeichnungen mit Vorliebe und einem nicht gewöhnlichen Talent, dessen Ausbildung ihm jedoch unter dem harten Druck der äussern Verhältnisse versagt blieb; öfters ist Richter in späteren Jahren durch die Wahrnehmung überrascht worden, dass eine ganz ähnliche Naturauffassung, wie sie bei ihm sich entwickelte, schon den Arbeiten des Vaters zu Grunde lag[1]. Mit ihm gemeinschaftlich radirte er, kaum fünfzehn Jahre alt, eine Reihe von Ansichten Dresdens und der sächsischen Schweiz, kurze Zeit nachher selbständig eine andere Folge solcher Ansichten, in denen sich seine künstlerische Eigenthümlichkeit schon in manchen Zügen vernehmlich ankündigte.

[2] Noch entbehrte er jeder bedeutenderen Anregung und Leitung. In Dresden, wo Richter 1803 geboren war, hatte das akademische Zopfthum noch immer die Herrschaft, und mit der Landschaftsmalerei war es fast schlimmer bestellt, als mit jedem anderen Kunstgebiet. In dem steifen Schematismus des Componirens, in der schablonenmässigen Behandlung aller landschaftlichen Formen ward das Erstaunliche geleistet. „Einer meiner Lehrer,“ erzählt Richter, „sagte: Wenn Sie Baumschlag machen wollen, so nehmen Sie einen Streifen Papier, brechen ihn zusammen, biegen die Spitzen herum und setzen diese Formen mit drei, vier, fünf und sechs Spitzen in Gruppen neben einander, das gibt Baumschlag. Dito macht man auch Gras. – Ach, gütiger Gott, ich war Tags vorher im Plauenschen Grunde gewesen und war vor Wonne fast aus der Haut gefahren, wie ich am Mühlgraben und in den Wiesen im hochaufsprossenden Gras die prachtvollsten Kleeblüthen, Butterblumen und Pechnelken, Gundermann und tausend andere Formen und Farben aufblühen gesehen hatte. Ich hatte die Umrisse der Erlen und Haselbüsche, der Eichen und Buchen mit Entzücken verfolgt und sollte nun Baumschlag machen, der fast aussah, wie hölzerne spanische Reiter – es war zum Verzweifeln! Und doch hatte ich zu grossen Respekt vor der Weisheit der Professoren, ich musste meinen Ansichten misstrauen und den ihrigen folgen; nichts in der umgebenden Kunstwelt, das einem hätte auf die Sprünge helfen können. Von der Noth einer manierirten Zeit hat die jetzige junge Kunstwelt gar keinen Begriff.“

Auch die romantische Richtung, die dann unter den Dresdener Malern aufkam, hatte nur geringe künstlerische Bedeutung; aber es war in ihr doch ein poetischer Zug, der über das enge und dürre Feld der Schule hinausführte. Die Landschaftsbilder des begabten und feinsinnigen Friedrich, wohl das Beste, was aus dieser Dresdener Kunstromantik hervorging, erregten viel Aufsehen und wurden von Tieck mit lebhaftem Beifall, fast wie eine neue Kunstoffenbarung begrüsst. Das Sentimentale dieser „Landschaftselegieen“, deren Stimmung zuletzt ganz in’s Nebelhafte zerfloss, das wunderliche Symbolisiren, womit nicht blos die Staffage, sondern die landschaftliche Darstellung selbst in allerhand räthselhaften Anspielungen bedeutsam gemacht werden sollte, war jedoch nichts, wobei es einem lebendigen künstlerischen Sinn hätte wohl werden können. Förderlicher wirkte der Einfluss des Norwegischen Landschaftsmalers Dahl, der 1818 nach Dresden kam und der akademischen Richtung mit seiner kräftigen Art der Naturschilderung eine glückliche Opposition machte. Aber schon übte auch hier, inmitten des noch immer ziemlich dumpfen künstlerischen [3] Treibens, die Kunde von der neuen Schule in Rom, von dem jugendlichen Aufschwung, den die deutsche Kunst dort genommen, ihre aufregende und begeisternde Wirkung. Von den jüngeren Künstlern trieb die Sehnsucht bald diesen, bald jenen über die Alpen, und manchen schon hatte Richter scheiden sehen, als auch er, nach mehreren Jahren traurigen Harrens, sich endlich nach Rom aufmachen konnte.

So sehr sich die Wege, die Richter späterhin einschlug, und auf denen er die eigentliche Lösung seiner künstlerischen Lebensaufgabe fand, von der Richtung jener in Rom erwachten Kunst unterschieden, so war sie es doch, die ihn zuerst innerlich befreite. Der poetischen Begeisterung, von der dies neue Kunstleben getragen wurde, gab er sich mit der ganzen Wärme jugendlicher Empfänglichkeit hin. Die Landschaftsmalerei war, wie schon zu Carstens’ Zeit, auch während der Erneuerung der historischen Kunst, die sich damals durch Cornelius und Overbeck vollzog, von dem Gang der geschichtlichen Bewegung nicht ausgeschlossen. Joseph Koch, Carstens’ Freund und Genosse, der noch diese zweite Epoche der deutschen Kunstreform erlebte, hatte der Landschaft im Sinne des historischen Stils zuerst wieder künstlerischen Charakter verliehn. Sie sollte nicht mehr eine gleichgiltige Decoration sein, sondern als der bedeutungsvolle Schauplatz eines grossgearteten Lebens erscheinen; in die landschaftlichen Formen selbst strebte man den imposanten Zug, das Pathos der historischen Kunst zu übertragen. Manches bedeutende Talent, Reinhardt, Karl Fohr und andere schufen in solchem Sinne, und lag auch diese Art der landschaftlichen Auffassung den Neigungen Richter’s ziemlich fern, so empfing er von ihr doch mannigfache künstlerische Anregung. Den nachhaltigsten Einfluss gewann auf ihn Julius Schnorr, dessen landschaftliche Zeichnungen er sich eine Zeit lang zum eigentlichen Studium machte; in ihrer klaren und einfachen Schönheit entsprachen sie seinem künstlerischen Empfinden, wie weniges andere. An mitstrebenden Genossen fehlte es nicht. Eine ganze Schaar von Landschaftern fand sich zusammen, die während des Sommers gemeinschaftliche Excursionen unternahmen und die römische Campagna, die schönen Thäler und Höhen des Albaner- und Sabinergebirges mit künstlerischer Forschbegier durchstreiften. Manche poetische Stelle, die später kein Landschaftsmaler unbesucht liess, manches landschaftliche Motiv, das später traditionelle Bedeutung erhielt, wurde auf diesen Wanderungen zuerst entdeckt.

In den Landschaften, zu denen Richter auf solchen Ausflügen die Studien sammelte, hat er das heiter Anmuthige der südlichen Natur mit liebenswürdig schlichter Poesie geschildert. Nicht häufig ging er an grosse weiträumige [4] Darstellungen, oft genügt ihm als künstlerisches Thema ein kleiner Ausschnitt der Natur, ein stiller Thalweg, eine waldige Schlucht, eine Gruppe von Bäumen, die das Gemäuer eines ländlichen Brunnen überschattet; die einfache Stimmung idyllischer Ruhe ist der vorherrschende Charakter der landschaftlichen Scenen. Wenn er einmal, wie in der Gegend am Monte Serrone während eines Gewitters, der Landschaft einen bewegteren Charakter gibt, so ist das eine Ausnahme, bei der sich sogleich in der ganzen Art der Behandlung zeigt, dass der Künstler etwas ihm Fremdartiges versuchte; das Gewitter macht in der That einen Eindruck, als habe es sich nur wie ein seltsamer Zufall auf das Gebiet seiner Darstellungen verirrt. Mehrere der vorzüglichsten italienischen Landschaften Richter’s fehlen leider unter den folgenden Blättern; die besonders schöne Ansicht von Civitella und einige andere sind niemals vervielfältigt worden.

Sehr bezeichnend für Richter’s ganze künstlerische Anschauungsweise ist die Art, wie er die Staffage behandelt; fast überall tritt sie mit sehr charakteristischer Bedeutung, als etwas für die Landschaft ganz Wesentliches auf. In der Hervorhebung und eigenthümlichen Behandlung derselben bekundete sich von Anfang eine Neigung des Künstlers, die ihn später, frei entwickelt, der Genrekunst zuführte. Während seines Aufenthalts in Italien empfing er von Schnorr auch in diesem Punkt der landschaftlichen Darstellung bestimmende Einflüsse. „Zum Bild von Amalfi,“ erzählt v. Quandt[2], „entwarf ihm Schnorr eine Gruppe, in welcher alle Heiterkeit und Schönheit, alles Licht und Leben der südlichen Natur, die über die ganze Landschaft ausgeströmt sind, wie in einem Brennpunkt sich vereinigen. Noch bewahrt Richter diese Zeichnung seines Freundes wie ein Heiligthum auf und er hat mir oft gesagt, dass diese Skizze den entscheidendsten Einfluss auf ihn hatte, denn er fühlte nun deutlich, dass der Natur ohne Menschen der Schlussstein fehlen würde, und, möchte man sagen, dass eine Landschaft ohne menschliche Gestalten ein Räthsel ohne Auflösung sei, denn in der gegenseitigen Beziehung erklärt sich wechselseitig Natur und Menschenleben.“ Freilich darf man einwenden, es komme nur auf die Art der künstlerischen Auffassung und Behandlung an, um die landschaftliche Natur auch für sich allein zum vollsten Ausdruck einer seelischen Stimmung zu machen, und das Geheimnissvolle, das sich in diesen Ausdruck mischt, kann die Kunst ja wollen. In der historischen Landschaft hatte die [5] Staffage entschieden jene hervorragende Bedeutung; der Character der Natur bestimmte und erläuterte sich durch den Character der heroischen Gestalten, als deren Stätte und Wohnsitz sie erschien; die Landschaft war gleichsam nur die Instrumentation zu der leitenden Melodie der figürlichen Darstellung, sie gelangte nicht zu der vollen Selbständigkeit, in der sie, nach unserem Gefühl, allerdings erst ihre eigenthümlichsten Reize entfaltet. Jene Kunst der landschaftlichen Darstellung, welche, bei entschiedener Unterordnung oder auch völliger Beseitigung der Staffage, eine Wirkung hervorbringt, die mit den Eindrücken der Musik so eigene Verwandtschaft hat, vermochte sich unter der Oberherrschaft des historischen Stils nicht auszubilden. Meist ist in den Landschaften Richter’s das Verhältniss Natur und Staffage ein ganz ähnliches wie in der historischen Landschaft, nur dass sich bei ihm die Darstellung von Anfang an gern dem Genrehaften zuneigt. Die Eigenthümlichkeit der Auffassung des Menschen bedingte die Auffassung der Natur und umgekehrt ward jene durch diese bestimmt.

Interessant ist eine Aeusserung Schinkel’s über das Richter’sche Bild von Civitella. Ein Zug von Landleuten steigt auf steilem Pfad zu dem malerischen Felsennest hinan, zuletzt eine schöne Schnitterin, die etwas zurückgeblieben ist und sich im Gehen flüchtig umschaut. Schinkel sagte, er könne sich nicht anders denken, als dass diese Gestalt der Keim sei, aus dem das ganze Bild hervorgegangen. In Wahrheit bildet sie den poetischen Mittelpunkt des Ganzen. Wie man sich vorstellen kann, dass die Begegnung mit einer solchen Gestalt dem Künstler für das Bild die poetische Stimmung gab, dass die Anmuth ihrer Erscheinung, der Blick, mit dem sie die Gegend streifte, ihm diese gleichsam erhellte und in doppelter Schönheit zeigte, so übt die Gestalt nun auf den Beschauer eine ähnliche Wirkung, indem sie, gleichsam selbst die empfindende Seele der Landschaft, unmittelbar zur Sympathie bewegt und in die Stimmung der Landschaft hineinführt. Die sinnige und gemüthvolle Zusammenstimmung von Staffage und Landschaft geht durch alle Darstellungen, wie mannigfach und verschiedenartig sich auch dieses Verhältniss gestaltet. Nicht selten zeigt die Staffage ein bestimmtes genrehaftes Motiv und oft ist die Composition ganz eigentlich eine Verschmelzung von Genre und Landschaft. Beide Gebiete sind in Richter’s Kunst nicht scharf von einander gesondert, bald tritt das Landschaftliche bald das Genrehafte mehr hervor. Eine lange vielfach nüancirte Scala von Compositionen lässt sich verfolgen von den Landschaftsbildern, in denen das Figürliche die Auffassung der Natur illustrirt, bis zu den Genrescenen, wo die Landschaft gleichsam nur als stimmungsvolle Umrahmung [6] erscheint. Stets aber steht mit der Verschiedenartigkeit dieser Beziehungen die Art der künstlerischen Behandlung im Einklang. Der bedeutsamen Stellung, die das Figürliche auch in den eigentlichen Landschaftsbildern einnimmt, entspricht das charakteristisch Eingehende der Durchführung; wie aber zu solcher Illustrirung der Landschaft niemals eine Scene von zu selbständigem, individuellem Interesse gewählt ist, so zeigt sie auch nicht einen Grad detaillirter Behandlung, der den Eindruck des Ganzen schädigen würde, während die Landschaft auch in ihrer reichen Durchbildung so gehalten ist, dass sie die Bedeutung der Staffage zur vollen Wirkung kommen lässt. Bei einzelnen der hier neu veröffentlichten Compositionen, zuweilen besonders an einer gewissen Befangenheit in der Behandlung des figürlichen Theils , verräth sich, dass sie noch der Entwicklungsperiode des Künstlers angehören; mitunter, wie z. B. bei der weiblichen Gestalt in dem Bild von Amalfi, wird man lebhaft an die Einflüsse Schnorr’s erinnert. – Gemalt hat Richter verhältnissmässig nur wenig. Wie lebendig, frisch und poetisch sein Farbengefühl ist, bekunden die in Oel ausgeführten Landschaften, besonders aber die Aquarellbilder durchgehends; die künstlerische Eigenthümlichkeit Richter’s und der Gang seiner Entwicklung brachten es jedoch mit sich, dass das specifisch Coloristische, wie es sich in der Landschaft mit dem tieferen Eindringen in die Geheimnisse des atmosphärischen Lebens, der Luft- und Lichtstimmung ausgebildet hat, nicht das ist, worin die Hauptwirkung seiner Bilder beruht. Zuweilen vielleicht etwas bunt in der Färbung, sind sie gleichwohl, wie z. B. der Brautzug in der Dresdener Galerie, durch die eigenthümlich naive Frische des Colorits und die liebevolle Behandlung des Details von ungewöhnlichem Reiz.

Von den italienischen Landschaften hat Richter zwei während seines römischen Aufenthaltes ausgeführt: Ein Thal bei Amalfi mit dem Blick auf den Meerbusen von Salerno und eine Gegend bei Rocca di Mezzo; die übrigen nach seiner Rückkehr von Italien: Ariccia und Civitella, eine zweite Ansicht von Rocca di Mezzo und eine Gegend von Palästrina, mehrere Ansichten von Bajä, einen Erntezug italienischer Landleute, die Abendandacht am Fuss des Monte Serrone, eine andere Gegend bei Monte Serrone während eines Gewitters, eine Osteria bei Tivoli, den Brunnen bei Grotta Ferrata und eine Gegend aus der römischen Campagna. Eine Anzahl der Bilder hat Richter selbst meisterlich radirt und eine Reihe dieser Radirungen, die fast schon völlig vergriffen waren, bildet in neuen Abdrücken den grösseren Theil der nachfolgenden Blätter.

Lange Zeit nach Richter’s Rückkehr in die deutsche Heimath waren die italienischen Studien noch immer die [7] Hauptquelle seines künstlerischen Schaffens. Die Sehnsucht nach Italien liess ihn nicht los und er hatte sich, in der Beschränktheit seiner Lage, schon ganz in sie hineingesponnen, als sich sein künstlerischer Sinn plötzlich für die Schätze der heimischen Natur erschloss. Eine kleine Wanderung von Dresden das Elbthal hinauf bis nach Lowositz führte für sein Leben und seine Kunst diese neue Wendung herbei. „Das Herz ging ihm gross auf,“ erzählt Otto Jahn, „über die Herrlichkeit dieser wundervollen Gegend, die ihn über alle Maassen überraschte; es war ihm, als würden seine Augen nun erst geöffnet für die Schönheit deutscher Natur, die ihm seit Italien wie verschlossen und versiegelt geblieben war, dass er in ihr „wie der ärgste Philister, nur um sich die nöthige Leibesbewegung zu machen“ herumgelaufen war.“ Seitdem war es der Reiz deutscher Landschaft, deutsches Volksleben, deutsche Sitte, woraus er für seine Kunst Inhalt und Stimmung schöpfte, seitdem strömte ihm die Erfindungskraft wundervoll fruchtbar, denn er hatte zugleich das künstlerische Gebiet, die künstlerische Form gefunden, die ihm die gemässesten waren. Sein Eigenstes konnte nun erst zu ganz reinem Ausdruck kommen. Gegen die genrebildlichen Compositionen, diese kleine Welt voll des reizendsten Lebens, der gemüthvollsten Laune, der schlichtesten und zugleich zartesten Poesie, traten die selbständigen Landschaften allmälig zurück. Aber noch entstanden in dieser Zeit einige der schönsten und poesievollsten, wie die Abendandacht, der Brautzug und Im Juni. Das „malerische und romantische Deutschland“, das bei G. Wigand erschien, schmückte er mit einer Anzahl Landschaften, Ansichten von der sächsischen Schweiz, von Franken, dem Harz und dem Riesengebirge, die in der Auffassung fein und characteristisch und poetisch zugleich, durch den verflachenden Stahlstich freilich viel verloren haben. Zwei landschaftliche Darstellungen aus dieser späteren Zeit konnten den italienischen Blättern beigefügt werden: Die Abendandacht in einer Radirung von Witthöft, und eine Gegend aus dem Harz, die sogenannte Teufelsmauer, gestochen von Friedrich. Beigegeben ward noch der Herbstabend, eine Landschaft von Öhme, die von Richter mit grosser Feinheit radirt ist.

Allen Freunden des Künstlers, so dürfen wir uns überzeugt halten, wird die Sammlung dieser bisher verstreuten Blätter eine willkommene Gabe sein. Von Richter’s Thätigkeit auf dem Gebiete der Landschaft geben sie eine zwar nicht vollständige, aber doch ziemlich umfassende Anschauung, und Mancher, dem der Künstler schon längst ein vertrauter Freund gewesen, wird sie vielleicht jetzt noch als eine neue Erscheinung begrüssen.



[8] An der Hand des Künstlers machen wir in diesen Landschaftsblättern eine Wanderung durch Italien, von einer Gegend des Apennin durch das Albaner- und Sabinergebirge bis zu den südlichen Gestaden von Salerno und Bajä, und kehren dann mit ihm zurück auf vaterländischen Boden, unter den Schatten heimathlicher Eichen, in die Romantik der deutschen Gebirgswelt.

Das erste Blatt, eine Apenninen-Aussicht, zeigt im Vordergrund eine Anhöhe mit prächtigem Baumwuchs und reicher Vegetation, vor der sich eine breite hügelige Niederung hindehnt, rechts überragt von einem Höhenzug des Gebirges, während sie in der Mitte einen Ausblick in unbestimmte, sonnige Fernen gewährt. Von der freien Höhe des Apennin führen dann die folgenden Blätter an zwei idyllische Punkte des anmuthigen Albanergebirges, das eine zu dem Brunnen an der Strasse nach Ariccia; des Weges daher kommt eine echt italienische Caravane, voran auf dem schwer belasteten Maulthier eine junge Albaneserin mit dem Tamburin, dann eine Mutter mit dem Kind wie auf der Flucht nach Aegypten, zuletzt die dicke Gestalt eines schwer bepackten Mönches. Das andere Blatt, der Brunnen bei Grotta Ferrata, eines der ansprechendsten der ganzen Folge, ist wie die Illustration zu einer modernen Odyssee; am Brunnen, den das mächtige Blätterdach immergrüner Eichen beschattet, ein Hirt mit den Mägden im Zwiegespräch, hinter dem Zaun hervorkommend und im Gehen spinnend eine greise Matrone, im Vordergrund Widder und Ziegen, die nach der Tränke gehen. Dem grossartigeren Sabinergebirg ist das Motiv des nächsten Bildes entnommen: eine Gegend am Monte Serrone während eines Gewitters. Zu dieser Scene in anmuthigem Gegensatz zeigt das folgende Blatt den fernen Gipfel desselben Berges im milden Glanz der Abendsonne, hell und heiter verbreitet sich der Himmel über die friedliche Landschaft und über die Gruppe von Männern und Frauen, die das Madonnenbild im Vordergründe umgiebt, die einen in Andacht, die andern nur rastend von der Wanderung, alle in der gleichen Stimmung abendlicher Ruhe. Im Mittelgrund des Bildes öffnet sich eine schattige Thalschlucht, aus der eine schlanke Mädchengestalt, mit dem Krug auf dem Kopf, zwischen zwei Alten heransteigt, eine jener Gestalten, die nur ganz flüchtig angedeutet, doch so wesentlich auf die Stimmung des Ganzen mit einwirken. Eine dritte Gegend des Sabinergebirgs, ein waldiges reich gegliedertes Thal bei Rocca di Mezzo, zeigt das nächste, besonders schön durchgeführte Blatt; das folgende, fast nur skizzirte, versetzt uns ganz nach dem Süden, in ein Thal bei Amalfi. Die Hälfte des Hintergrunds nimmt eine hohe mächtige Felswand ein, nach der Seite öffnet sich das Thal, noch in [9] ziemlicher Höhe des Gebirgs, gegen das Meer hin und lässt die Helligkeit des Himmels hereindringen. Eine schöne weibliche Gestalt, wie sie zu der prächtigen Umgebung stimmt, schreitet den Bergpfad hinab, die Gestalt eines greisen Hirten, der, auf seinen langen Stab gelehnt, die fernen Segel zu beobachten scheint, lenkt den Blick in die Weite des Meeres. – Eine andere Gegend der schönheitgesegneten Gestade des Mittelmeeres zeigt das folgende Blatt: den Strand von Bajä, jener altberühmten Stätte, von deren ehemaligem Glanz und üppigem Luxus nur noch die imposanten Ueberreste der Thermen und wenige andere Trümmer Kunde geben. Am sonnigen Ufer hat sich eine Fischerfamilie zum Mahle gelagert, über das stillruhende Meer blickt aus duftiger Ferne Capri herüber, weiter rechts begränzt das Vorgebirge von Misenum und das mittelalterliche Castell den Horizont.

Unmittelbar aus der sonnigen Klarheit des Südens versetzt uns das folgende Blatt in die Poesie der nordischen Natur, in eine Gegend des Harzes, die sich sogleich als der romantische Schauplatz für allerhand phantastisches Sagen- und Märchenwesen ankündigt. Im Mittelpunkte des Bildes ragt ein mächtiges, bizarr gestaltetes Felsstück, die sogenannte Teufelsmauer, vor der eine finstere Thalschlucht klafft, ein verrufener Ort, wie das steinerne Kreuz zur Seite anzeigt. Ein Paar berittener Edelleute in mittelalterlichem Costüm, denen sich Frauen und Pilger angeschlossen, kommen mit ihren bewaffneten Dienern von rechts und scheinen ihren Weg nach dem Schlosse zu nehmen, das links in der Ferne an dem düstern Horizonte auftaucht. – Auf den „Herbstabend“, den Richter nach einem Oehme’schen Gemälde radirte, ein stimmungsvolles, zart ausgeführtes Blatt, folgt zum Schluss die „Abendandacht“, die zu Richter’s schönsten Compositionen gehört. Ein Paar ungeheuere alte Bäume, deren mächtiges Geäst sich dicht in einander verflicht, überschatten den ganzen Vordergrund, aus dessen dämmrigem Dunkel man zu beiden Seiten der gewaltigen Stämme in den hellen Abendhimmel hinausblickt. In der Oeffnung zur Linken, im vollen Lichtschein, kniet eine Gruppe von Schnittern, ein Mann, Frauen, Mädchen und Kinder, andächtig vor dem Madonnenbild, das an dem Baumstamm, angebracht ist, auf der andern Seite läutet ein Mönch die in dem Geäst verborgene Glocke zum Ave Maria. In dem Rasen des Vordergrundes spielende Kinder; zwei andere haben sich in dem hohlen Stamm des riesigen Baumes versteckt und lugen aus der Höhlung wie kleine Elfengestalten hervor. Der Frieden des Abends klingt in der frommen Andacht der Betenden, wie in dem harmlosen Spiel der Kinder wieder. Nirgends hat das Naturgefühl des Künstlers sich reiner, anmuthiger und rührender ausgesprochen, als in dieser einfachen und doch so poesiereichen Landschaft.



[10]
LEIPZIG,
Druck von Alexander Edelmann.

  1. S. Otto Jahn. Biographische Aufsätze. 221 ff.: Mittheilungen über L. Richter. Auch für das Folgende verweise ich hier auf diese vorzügliche Biographie des Künstlers.
  2. Kunstblatt. 1848.

Vorsatztitel (In der Furth)