Jugenderinnerungen Rudolf v. Gottschalls

Textdaten
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Autor: Johannes Proelß
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Titel: Jugenderinnerungen Rudolf v. Gottschalls
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 427–428
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Jugenderinnerungen Rudolf v. Gottschalls.

Mit bewunderungswürdiger Geistesfrische hat unser alter treuer Mitarbeiter R. v. Gottschall in dem kürzlich erschienenen Buch „Aus meiner Jugend“ ein Bild der Zeit entworfen, in welcher er zum Dichter heranreifte und als solcher die ersten Erfolge genießen durfte. Wie er in einzelnen Erinnerungsblättern schon früher erzählt hat, stand sein erstes Auftreten als Dichter in engem Zusammenhang mit der nationalen Freiheitsbewegung, die in den Märzerrungenschaften des Jahres 1848 ihren schönsten Triumph erlebte. Er war in Königsberg Student der Rechte und eben vom Gymnasium gekommen, als die ostpreußischen Stände in den Kampf für die längst verheißene Verfassung traten; was Johann Jacoby in seinen „Vier Fragen eines Ostpreußen“ forderte, fand Wiederhall in den „Liedern der Gegenwart“ des achtzehnjährigen Studenten. Andere Gedichte desselben, in denen die revolutionäre Stimmung der damaligen Jugend sich noch ungestümer äußerte, erschienen als „Censurflüchtlinge“ in der Schweiz, in Follens und Fröbels Flüchtlingsverlag, wo auch Georg Herweghs „Lieder eines Lebendigen“ erschienen waren. Das große Festmahl, das die Liberalen Königsbergs im Herbst 1842 zu Ehren Herweghs veranstalteten, als dieser nach seiner Audienz bei Friedrich Wilhelm IV die Pregelstadt besuchte, gab seinem jungen Verehrer Gelegenheit, mit Wilhelm Jordan öffentlich als Dichter zu wetteifern, zum Preise des gefeierten Vorbilds.

Im Jahre darauf wurde Gottschall selber zum „Censurflüchtling“; die Reaktion war wieder im Zuge. Den Studenten der Albertina wurde der Besuch der aufreizenden Vorträge Walesrodes im Kneiphofschen Junkerhof verboten, die sich in satirischen „Glossen“ zu den „Texten der Zeitgeschichte“ ergingen; eine Katzenmusik vor dem Haus des Kurators war die Antwort der empörten Studentenschaft. Auf den Verfasser der „Lieder der Gegenwart“, der mit Walesrode verkehrte, fiel der Verdacht, die Sache angestiftet zu haben. Er erhielt das consilium adeundi und mußte zwangsweise das geliebte Königsberg verlassen. Auch in seiner Vaterstadt Breslau, wohin er sich wandte, ging es ihm nicht besser. Polizeichikanen verwehrten dem „politisch Verdächtigen“ ein ordnungsmäßiges Studieren. Seine Teilnahme an einer Studentenversammlung, die gegen einen reaktionär gesinnten Professor manifestierte und auf welcher er als Redner auftrat, hatte seine Ausweisung zur Folge. Er sah sich gezwungen, die Stadt sofort zu verlassen; doch gab ihm die Breslauer Studentenschaft, Burschenschafter und Landsmannschafter vereinigt, ein feierliches Geleit. Zuflucht fand er bei einem Manne, der die Seele der liberalen Bestrebungen in Schlesien war, beim Grafen Eduard Reichenbach auf Waltdorf.

Gottschall gedenkt dieses edlen Volksmanns aus dem ältesten schlesischen Adel, der sich seiner in jener kritischen Lebensperiode hilfreich und thatkräftig annahm, mit herzlicher Dankbarkeit. Die hohe Gestalt des noch jugendlichen Grafen, sein imponierender Vollbart und die Feueraugen unterstützten die Wirkung seines frischen energischen Wesens, das einen hinreißenden Zauber ausübte. Sein säulengetragenes Schloß in der Nähe von Neisse war „ein Heim aller Entgleisten in vormärzlicher Zeit“. Es wimmelte von ehemaligen Staatsgefangenen – den Grafen selbst, der ein eifriger Jenenser Burschenschafter gewesen war, umschwebte die Glorie einer überstandenen Festungshaft –, von fortgejagten Professoren und Studenten, abgesetzten Kaplänen. Gottschall traf hier den Dichter Hoffmann von Fallersleben, den der frondierende Geist seiner „Unpolitischen Lieder“ um seine Breslauer Professur gebracht hatte. Trotz seiner radikalen Gesinnung nahm der Graf im Neisser Kreise eine angesehene Stellung ein; er war Kreisdeputierter und Vertreter des Landrats, als solcher von der Regierung gewählt, Direktor der Neisse-Brieger Eisenbahn. So war er denn auch in der Lage, den Dichtern, die bei ihm ein Asyl fanden, für Vorlesungen ihrer Werke ein gebildetes Publikum einzuladen, ein Vorteil, den Gottschall wiederholt in jenen Tagen genoß, da seiner regen dramatischen Muse die Bühne verschlossen blieb. Schon als Gymnasiast, in Koblenz und Mainz, wo sein Vater als Artilleriehauptmann damals in Garnison gestanden, hatte er eine ganze Reihe historischer Dramen gedichtet. Gutzkows Beispiel hatte ihn angespornt; als Student ergriff er Stoffe, die dem Freiheitsdrange der Zeit entsprachen; seinem „Hutten“ hatte er in Breslau den „Robespierre“ folgen lassen. Die Aufführung am Breslauer Theater untersagte die Polizei. Graf Reichenbach ließ das Drama, das auch Hoffmann sehr gefiel, auf seine Kosten drucken und zahlte dem Dichter einen Ehrensold.

Als Begleiter des Grafen nahm Gottschall auch an einer jener geheimen Versammlungen der „Vaterlandsfreunde“ auf Adam v. Itzsteins Weingut in Hallgarten teil, deren letztes Ziel die Einigung Deutschlands in freier Verfassung war. Es war im Jahre 1846. In Leipzig ergänzte sich das Häuflein der Wallfahrer nach dem Rheingau durch Robert Blum, Schaffrath und andere Abgeordnete des sächsischen Landtags. In Weimar wurde Wydenbruck begrüßt, der spätere Märzminister. Auf dem „Rütli“ von Hallgarten traf man dann „die [428] Eidgenossen des Liberalismus“ aus Baden, Württemberg, Nassau, Hessen-Darmstadt und Kurhessen. „So wurde denn getagt im Gartenhause, in welches die Sommersonne fröhlich hereinblickte, und es war eine erlauchte Versammlung parlamentarischer Größen, die mit der Geschichte des Jahres 1848 für immer verknüpft sind, hier noch einig im gemeinsamen Streben, bald nach allen Richtungen der Windrose auseinander fahrend. Da saß ich zwischen Gagern, dem hochgemuten Führer der späteren verfassungsmäßigen Bewegung, und Friedrich Hecker, der später im offenen Kampfgefild bei Kandern dem Bruder Gagerns, dem General der Regierungstruppen, gegenüberstand und mit ihm unterhandelte, bis diesen eine verräterische Kugel aus den Reihen der Aufständischen tödlich traf. Und mir gegenüber saß der wackere Volksmann Robert Blum, den zwei Jahre später die österreichischen Kugeln auf der Brigittenau daniederstreckten. … Nach den Verhandlungen erfreuten wir uns an der gemütlichen Weinbergidylle, an Spaziergängen auf die benachbarten Rebenhügel, in die nebenliegenden Dörfer. Der Herbergsvater war bei bester Laune; noch höre ich seine Stimme, wenn er mich, den langschlafenden ‚Schwarzenberger‘, weckte, als schon die höhersteigende Sonne durch die Jalousien blinzelte. Er hatte mir diesen Beinamen erteilt, weil ich mit meinen langen, dunklen Haaren, den dunklen Augen, dem brünetten Teint einen sehr schwärzlichen Eindruck machte.“ Die schlesischen Gäste begleiteten Hecker und Bassermann nach Karlsruhe und wohnten hier einer interessanten Sitzung im Ständehaus bei. Von da ging’s nach Stuttgart, wo sie mit dem späteren Märzminister Friedrich Römer verkehrten.

So bilden die Jugenderinnerungen Gottschalls einen gar lebensvollen Kommentar zur Geschichte jener Zeit, die uns heute als die Sturm- und Drangperiode der Wiedererrichtung des Deutschen Reiches erscheint. Sein Freiwilligenjahr, das er in Berlin bei den Gardeschützen abdiente, die Zeit seiner ersten Erfolge als Bühnendichter in Hamburg und Königsberg brachten ihn ebenfalls in Beziehung zu vielen hervorragenden Männern der Bewegung. Den März oes Jahres 1848 erlebte er in Königsberg, wo er nach bestandenem Doktorexamen Dramaturg am Woltersdorffschen Theater geworden war. Auch hier trat eine Bürgerwehr ins Leben, und Gottschall, der sein Dienstjahr mit der Qualifikation zum Landwehrleutnant abgeschlossen hatte, erhielt die Führung eines Bataillons. Bei der Wahl zur Deutschen Nationalversammlung in Frankfurt a. M, wo sich in der Pregelstadt Eduard Simson und Johann Jacoby gegenüberstanden, gab er dem letzteren seine Stimme.

Mit Begeisterung gedenkt der Dichter jener Tage: „Man hatte das Gefühl einer vollständigen Wiedergeburt, wie die alten Aegypter, wenn der leuchtende Sirius ein neues Weltjahr begann. Wer an diese Zeit nur zurückdenkt als an eine trübe Epoche des Umsturzes, der Anarchie, der Straßenkämpfe, der hat die Stimmung nicht begriffen, welche damals die Gemüter beherrschte und mit Begeisterung und Rührung erfüllte, und auch die Historiker, welche vom Standpunkte einer verspäteten Reflexion die Chronik jener Tage schreiben, geben nur eine irrige und verfälschte Darstellung derselben, indem sie über den Krämpfen und Zuckungen dieser Geburtswehen die schöpferische Lebenskraft, die in ihnen zu Tage trat, hervorzuheben versäumen.“ Die „Odyssee“ der Jugendzeit Gottschalls reicht bis zum Tag seiner Verheiratung mit Freiin Marie v. Seherr-Thoß, der Tochter eines schlesischen Gutsherrn, deren Herz er zuerst durch eine Vorlesung seines „Ferdinand von Schill“ gewonnen hatte. Dies Drama war unter dem Eindruck des Zusammenbruchs der patriotischen Hoffnungen im Jahre 1849 entstanden, das so viele Märtyrer schuf, deren Schicksal an das Schills gemahnte. Auch für diese Märtyrer der Reichsidee, die, um die Reichsverfassung zu retten, vor fünfzig Jahren zur Waffe griffen, hat noch heute der gealterte Dichter warme Worte der Sympathie. „Die meisten jener Kämpfer waren keine Landsknechte der Freiheit, keine Rebellen um der Rebellion willen – gerade unter denen, die im Kampfe gefangen genommen oder zum Tode verurteilt wurden, waren viele edle und sympathische Jünglinge und Männer, von idealer Begeisterung entflammt. Mich erfüllte das mit Wehmut; ich selbst hatte diese Begeisterung geteilt und mich bisweilen von ihr zu stürmischen Ergüssen phantasievoller Lyrik hinreißen lassen; aber ich hatte daneben eine scharfe kritische Ader, ich sah das Unmögliche mit einer visionären Deutlichkeit – und so war meine Stimmung eine geteilte und traurige.“ Gottschalls „Ferdinand von Schill“ fand auf den Bühnen viel Erfolg, in Breslau und Berlin wirkte er mit der Kraft politischer Ereignisse; der beglückendste Erfolg für den Dichter aber war der Herzensbund, den das Hochzeitsfest auf Schloß Olbersdorf am 13. April 1852 besiegelte. Die glückliche Stimmung jener Tage spiegelt sich ungemein anmutig in denr „Olbersdorf“ betitelten Odencyklus des Dichters wieder. Auch diese Lebensbeziehung hatte die Freundeshand des Grafen Reichenbach geknüpft.
J. Proelß.