ADB:Gagern, Friedrich Freiherr von

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Artikel „Gagern, Friedrich Balduin Freiherr von“ von Julius von Hartmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 8 (1878), S. 301–303, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gagern,_Friedrich_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 2. November 2024, 16:21 Uhr UTC)
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Gagern: Friedrich Balduin Freiherr v. G., geb. am 24. Oct. 1794 zu Weilburg; † am 20. April 1848. G. war der älteste Sohn des Freiherrn Hans Christoph Ernst v. G. (s. d.); der Vater stand an der Spitze der Regierung des Fürstenthums Nassau-Weilburg; die sehr ausgezeichnete Mutter war eine geb. Freiin v. Gaugreben. Als Westdeutschland 1795 zum Kriegsschauplatz wurde, folgten die Eltern dem nassauischen Fürstenhause nach Baireuth; erst 1800 kehrten sie nach Weilburg zurück. G. besuchte das Gymnasium, begleitete mehrfach den Vater auf dessen diplomatischen Reisen; war während der J. 1809 und 10 in Paris, um sich dort zum Besuch der école polytechnique vorzubereiten; studirte sodann bis 1812 in Göttingen. Der Vater hatte damals den nassauischen Dienst verlassen; er brachte den Sohn nach Wien und ließ ihn als Cadet beim kaiserl. Dragonerregiment Riesch eintreten. In diesem Verhältniß machte G. den Feldzug Oesterreichs gegen Rußland unter Fürst Schwarzenberg mit; 1813 wurde er Officier; während des Krieges gegen Frankreich gehörte sein Regiment zum Corps des Grafen Giulay. Der Vater war mittlerweile als Generalbevollmächtigter in die Dienste des Prinzen von Oranien getreten; er zog den Sohn nach sich; als der Prinz als König Wilhelm I. die Regierung der nördlichen Niederlande übernommen hatte, wurde G. (Januar 1814) als Hauptmann des Generalstabs und Ordonnanz-Officier des Prinzen von Oranien in der niederländischen Armee angestellt. Als solcher focht er 1815 bei Quatrebras und Waterloo. In Paris gelangte er durch die Verbindungen des Vaters in die daselbst zu jener Zeit maßgebenden politischen Kreise. Nach dem Frieden wurde G. vom Vater, der das Herzogthum Luxemburg beim Bundestage in Frankfurt vertrat, attachirt; studirte gleichzeitig bis Ende 1816 in Heidelberg. Er kehrte dann nach den Niederlanden zurück und arbeitete als Generalstabsofficier bis 1823 an der großen Landestriangulation. 1824 bis Mai 1825 war er der Bundesmilitär-Commission in Frankfurt zugetheilt; 1826 wurde er Major und fand bis 1830 verschiedene Verwendungen als Generalstabsofficier innerhalb der belgischen Provinzen. Gagern’s vielseitig beanlagte und sehr kräftige Persönlichkeit hatte durch die Anleitungen seines Vaters, durch reges Selbststudium und durch die Mannigfaltigkeit der gesellschaftlichen und militärischen Welt, mit welcher ihn seine Dienst- und Lebensverhältnisse in Berührung gebracht hatten, eine weit über das Gewöhnliche hinausragende Entwickelung genommen. Scharfer Verstand, Ruhe und objective [302] Gediegenheit des Urtheils, großer Thätigkeitstrieb und unermüdliche Arbeitskraft, Ehrgeiz und lebhaftes Interesse für die politischen Gestaltungen der Gegenwart gaben ihm gemeinsam mit einer ritterlichen und dem Idealen zugewandten Gesinnung eine reiche, mannigfach entwickelte Innerlichkeit. – Nach dem Ausbruch der belgischen Revolution 1830, als der Prinz Friedrich von Oranien genöthigt gewesen war, den Angriff auf Brüssel aufzugeben, wurde G. Chef des Stabes beim Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar; es folgten die kriegerischen Vorgänge, die Ende des Jahres mit der Räumung Belgiens ihren zu voreiligen Abschluß fanden (Bombardement Antwerpens), und die im August 1831 zu dem zehntägigen, für die Holländer sehr ehrenvollen, durch die Intervention Frankreichs und Englands unterbrochenen Feldzug (Treffen bei Hasselt) sich zuspitzten. An dieselben schloß sich eine stete Kriegsbereitschaft und Concentrirung der niederländischen Armee innerhalb Nordbrabants; dieselbe hörte erst auf, als 1839 die niederländisch-belgischen Differenzen zum endlichen Austrag gelangt waren. G., 1834 zum Oberstlieutenant avancirt, schied nunmehr auch aus seinem Verhältniß zum Herzog Bernhard; er trat zur Cavallerie über und erhielt dort bald das Commando eines in Deventer garnisonirenden Dragonerregiments; er wurde zum Oberst befördert. Als solcher begleitete er den Prinzen Alexander von Oranien (Sohn des Prinzen von Oranien) 1839 nach Petersburg und Moskau. 1842 wurde G. zum Brigade-Commandeur und Provinzial-Commandanten von Nord-Holland ernannt; er war damit nach Harlem versetzt. Im October 1843 gelangte G. in Folge einer durch die niederländische Finanzlage aufgezwungenen allgemeinen Reducirung der Armee in „Nonaktivität“; der König Wilhelm II. ernannte ihn zu seinem „persönlichen Adjutanten im außerordentlichen Dienst“. Nach einer längeren Beurlaubung, während deren er in Hornau im gastlichen Hause seines Vaters, dem Mittelpunkte eines überaus angeregten geistigen Lebens, verweilte, wurde G. als Generalmajor mit einer besonderen vertraulichen Mission nach den holländischen Colonien auf den Sunda-Inseln entsandt (Juni 1844). Es handelte sich um eine Inspicirung des militärischen Dienstes innerhalb der Colonien, einschließlich der vorhandenen Vertheidigungsmittel und des adoptirten Vertheidigungssystems. Der amtliche Theil der Reise erstreckte sich auf Java, Madura und Sumatra. Hin- und Rückweg gaben Gelegenheit, dort Madeira und Brasilien kennen zu lernen, hier sich eingehendere Anschauungen von Brittisch-Indien und von Egypten zu verschaffen. Die Expedition, deren Resultate die vollste Anerkennung des Königs und des Ministeriums fanden, nahm drei volle Jahre in Anspruch. Nach seiner Rückkehr wurde G. zum Commandanten der Reservebrigade (Garden) und zum Gouverneur der Residenz ernannt. – Die Vorgänge des Februar und März 1848 bestimmten G., in seine deutsche Heimath zu eilen; in dem innigen Verkehr mit seinem Vater und seinen Brüdern Heinrich und Max hatte er derselben und ihrer Entwickelung zu bundesstaatlicher Einheit nicht allein ein sehr warmes Herz, sondern auch ein mannigfach reflektirendes und die einschlagenden staatsrechtlichen und realen Verhältnisse abwägendes Interesse bewahrt. Unter dem Drucke des das Oberland überziehenden Hecker’schen Aufruhrs und gegenüber der Bedrohung durch Freischaaren, die von Frankreich her erwartet wurden, berief ihn die Regierung von Baden an die Spitze ihrer Truppen, welche einen Theil des durch den Bundestag mobilisirten achten Bundescorps bilden sollten. Bestimmt durch das drängende Verlangen des in jenen überaus kritischen Tagen dem Bundestage zur Seite gestellten Collegiums von 17 Vertrauensmännern, folgte G. der unterm 14. April ausgefertigten Ernennung zum „zeitlichen Stellvertreter des Commandirenden“, ohne daß es vorher zu einer förmlichen Lösung seiner niederländischen Dienstverbindlichkeiten gekommen war. Schon am 20. April wurde er bei einem Zusammentreffen [303] badischer und großherzogl. hessischer Truppenabtheilungen mit den von Hecker geführten Aufständischen auf der Scheidegg bei Kandern, nachdem die Versuche, die letzteren durch Unterhandlungen und mündliche Aufforderungen zum Niederlegen der Waffen zu bestimmen, mit der an die Truppen gerichteten Aufforderung zum Treubruch beantwortet worden waren, durch die ersten Schüsse des von den Aufständischen begonnenen Schützenfeuers niedergestreckt; er blieb todt auf der Stelle. Ihm folgte trotz des eigenthümlichen Charakters seiner letzten Entschließungen die anerkennende Treue des Königs Wilhelm und die Bezeugungen der Hochachtung aus den Reihen des niederländischen Heeres, zugleich aber die patriotische Klage weiter Kreise des deutschen Vaterlandes. Heinrich v. G. wurde der Biograph des Bruders („Das Leben des Generals Friedrich v. G.; von Heinrich v. G., Leipzig und Heidelberg 1856–57, 3 Bde.). Mit der Biographie ist ein werthvoller litterarischer Nachlaß veröffentlicht worden.