ADB:Gagern, Maximilian Freiherr von

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Artikel „Gagern, Maximilian Freiherr von“ von Gustav von Pacher in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 55 (1910), S. 479–483, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gagern,_Maximilian_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 12. Oktober 2024, 12:48 Uhr UTC)
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Gagern *): Max von G. Der dritte unter den in die politischen Ereignisse Deutschlands in den Jahren 1848 und 1849 eingreifenden und in ihren Lebensschicksalen mit denselben verwobenen Söhnen des Vertreters des Hauses Nassau-Oranien auf dem Wiener Congresse, Hans Christoph Ernst’s Freiherrn v. Gagern (s. A. D. B. VIII, 303 f.) war Maximilian Ludwig v. G., geboren in Weilburg im Herzogthum Nassau am 26. März 1810. Er war um 16 Jahre jünger als sein im badischen Aufstand 1848 bei Kandern als badischer General gefallener Bruder Fritz (s. ebd. VIII, 301) und um 11 Jahre jünger als Heinrich (s. ebd. XLIX, 654 f.), der Präsident der deutschen Nationalversammlung der Jahre 1848 und 1849. Er war das jüngste unter elf Geschwistern, von denen die meisten, wie er selbst, ein hohes Alter erreichten. Mit seinen beiden andern „politischen“ Brüdern war er trotz des großen Altersunterschiedes von seiner Jünglingszeit her in treuer Freundschaft verbunden, und der ausgesprochene Wunsch des Vaters, daß diese drei im öffentlichen Leben vereint nach gleichen Zielen streben möchten, fand im Geburtsjahr der deutschen Einheitsbestrebungen seine schöne Verwirklichung.

Der schulmäßige Bildungsgang Max v. Gagern’s war ziemlich zerstückt. Mit 16 Jahren bereits hatte er das in drei Städten absolvirte Gymnasium hinter sich und bezog die Universität Heidelberg, wo er, wie vorher seine älteren Brüder, in eine Burschenschaft eintrat. Aber schon ein Jahr später mußte er das deutsche Universitätsleben mit demjenigen Hollands, in Utrecht, vertauschen, das von ersterem ganz verschieden war. Sein Vater, dem der [480] König der damals noch mit Belgien vereinigten Niederlande durch erfolgreiche Vertretung auf dem Wiener Congresse wohl zum großen Theile seine Erhebung auf den Thron zu verdanken hatte, hatte nämlich von diesem, als sozusagen einzigen Lohn seiner Verdienste, die sehr bescheidene Zusage erhalten, einen seiner Söhne im Heere und einen andern in seinem Civilcabinet unterbringen zu wollen. Zu Letzterem wurde nun Max bestimmt. Schon nach einem weiteren Jahre war auch Utrecht absolvirt und der junge Anwärter des königlichen Civildienstes zur gründlichen Erlernung der französischen Sprache, welche Belgiens wegen von besonderer Wichtigkeit war, nach Paris geschickt. Im Jahre darauf, 1829, trat er, noch nicht zwanzigjährig, als Commis d’Etat in das Civilcabinet des Königs der Niederlande ein. Bei der Abneigung der Holländer gegen alles Deutsche war jedoch seine persönliche Stellung in diesem Dienste wenig behaglich.

Bei Ausbruch der belgischen Revolution in den letzten Tagen des September 1830 nahm er, einem schon früher gegebenen Rathe seines Bruders Fritz, damals Oberstlieutenant des holländischen Generalstabes, folgend, Urlaub im königlichen Cabinet und trat, mit Bewilligung und Lob des Königs für sein Beispiel, als einer der ersten Freiwilligen in die holländische Armee. Im Hauptquartier angekommen, wurde er dem unter dem Höchstcommandirenden, Prinzen Friedrich, dienenden Herzog Bernhard von Weimar und dessen Generalstabschef v. Gagern, seinem Bruder, unterstellt, machte in diesem Feldzug die Belagerung der Citadelle von Antwerpen und die Schlacht bei Löwen mit und blieb durch dritthalb Jahre bis zum Schlusse dieses Secessionskrieges unter den Fahnen.

Nach Beendigung dieser militärischen Episode seines Lebens erkannte er, daß er im Civilcabinet des Königs von Holland bei der vorerwähnten Abneigung der Holländer gegen alles deutsche Wesen keine Aussicht auf entsprechendes Fortkommen habe und nahm, mit einem militärischen Orden ausgezeichnet, trotz der ungeschmälerten Huld seines Souveräns, seinen Abschied aus dessen Diensten.

Die Wahl eines neuen Lebensberufes war allerdings für ihn recht schwierig. Trotzdem er schon in diesen Jugendjahren mit einer größeren Anzahl bedeutender Männer in nahe Berührung gekommen und mehr von der Welt und den Menschen gesehen und in Erfahrung gebracht hatte, als manchen seiner Standesgenossen im Laufe eines langen Lebens zu Theil wird, war sein ganzer Studiengang doch viel zu unregelmäßig, um in die Beamtencarriere irgend eines deutschen Staates einspringen zu können. Außerdem hatte er in Holland eine Tochter des Landes geheirathet und war nun froh, daß ihm von seinen Eltern ein Wohnsitz auf ihrem kleineren Gute Hornau in Nassau eingeräumt wurde, um sich daselbst auf eine Privatdocentur der Geschichte auf einer deutschen Universität vorzubereiten. Die Wahl der letzteren fiel auf Bonn, woselbst er sich im Frühjahr 1836, nach in Halle erlangtem Doctorgrad, als Privatdocent habilitirte.

G. las sodann in Bonn durch mehrere Jahre deutsche Geschichte. Seine Stellung im Kreise der Professoren war durchaus angenehm, und er wurde auch schon nach kürzester Zeit für eine außerordentliche Professur vorgeschlagen. Aber schon in dem Jahre, das seiner Habilitirung folgte, 1837, fühlte er sich, obgleich damals noch im Verbande der protestantischen Kirche, durch seine Ueberzeugung gedrängt, in dem bekannten Conflict des Erzbischofs Droste-Vischering von Köln mit der preußischen Regierung für ersteren gegen die letztere Partei zu ergreifen, worauf ihm vom Curator der Universität privatim [481] eröffnet wurde, „daß in Preußen für solche Gesinnung selbst im Lehrfache keine Aussicht auf Beförderung sei“.

Infolge dessen war G. froh, im J. 1840 aus seinem Heimathlande Nassau eine Berufung in den Staatsdienst mit dem Titel Legationsrath zu erhalten. Daselbst arbeitete er unter angenehmen Verhältnissen, bis ihn die Ereignisse des Jahres 1848 in einen größeren Wirkungskreis und in stürmische Lebensverhältnisse brachten. Auch sein im J. 1845 erfolgter Uebertritt aus der protestantischen in die katholische Kirche erregte weder Aufregung inmitten der ganz protestantischen Beamtenschaft Nassaus, noch zog er ihm persönliche Feinde zu; so wenig, als ihm sein Landesherr deshalb sein Vertrauen entzog.

Max v. G. gehörte einer damals noch ganz protestantischen Familie an, und sowohl sein Vater als seine Brüder Fritz und Heinrich standen religiösen Fragen durchaus kühl und unpolemisch gegenüber. Er selbst aber, durchaus Gefühlsmensch und von tiefem Glaubensdrang erfüllt, hatte von seiner katholischen Mutter, einer geb. v. Gaugräben, schon in zarter Jugend die Keime der Sympathie und Bewunderung für das gewaltige hierarchische Gebäude der katholischen Kirche und für seine zum Gemüthe sprechenden Cultusformen eingepflanzt erhalten. Die protestantische Nüchternheit gewährte seiner Art des religiösen Glaubensbedürfnisses keine Befriedigung; ja, sie stieß ihn mehr und mehr ab, je mehr sich in den Mannesjahren sein Charakter in der in der Kindheit erhaltenen Richtung fortentwickelte. Seine damals noch lebende erste Gattin, eine Holländerin, wie später auch seine zweite, war Protestantin und seine Kinder erster Ehe sämmtlich noch protestantisch getauft, wenn letztere ihm nach seinem Uebertritte auch alle zur katholischen Kirche nachfolgten. Daß ein Katholicismus, der einem so tiefen Gemüthsbedürfnisse entsprang, kein lauer sein konnte, sondern sich nach dem formellen Uebertritte leidenschaftlicher bethätigte und in seiner Hingebung auch opferfreudiger bewies, als dies bei der großen Mehrzahl der im Katholicismus Geborenen der Fall ist, ist wohl selbstverständlich und darf mit dem bekannten Uebereifer derjenigen, welche aus weltlichen Rücksichten ihr Religionsbekenntniß ändern, nicht verwechselt werden. Bis in seine Todesstunde klang in seinem Innern die religiöse Saite, wenn sie angeschlagen wurde, am mächtigsten nach, und ihre Erregung fand dann auch im Tone seiner Stimme lebhaften Widerhall. Alle weltlichen Rücksichten, auch die nächstliegenden seines Berufes und seiner Familie, traten dahinter, trotz Pflichttreue, Arbeitseifer und Herzenswärme, weit zurück. In diesem Punkte gab es auch für ihn kein Transigiren, kein prüfendes Abwägen von Vorzügen und Mängeln, kein Geltenlassen der Parität entgegenstehender Ueberzeugung. Da stand nur zweifellos geoffenbarte göttliche Wahrheit gegen menschlichen Irrthum.

Aus den ruhigen Verhältnissen des nassauischen Staatsdienstes wurde G. durch die politischen Stürme des Jahres 1848 gerissen, denen sein ältester Bruder Fritz im badischen Hecker-Aufstand als erstes Opfer fiel, während der zweite, Heinrich, durch sie an die oberste Stelle der Vertretung des deutschen Volkes in der Frankfurter Nationalversammlung gehoben wurde. Schon in den Märztagen des erregten Jahres trat Max G. im Auftrage seines Herzogs, um gemeinsam mit anderen Fürsten zu den Forderungen der Völker Stellung zu nehmen, an die Spitze einer eigenthümlichen, schneeballartigen Mission an die deutschen Höfe. Sie nahm, von Weilburg ausgehend, ihren Weg über Darmstadt, Karlsruhe und Stuttgart nach München, jedes Mal einen Vertreter des letztbesuchten Hofes sich angliedernd und endete in Berlin. Die Absicht war nicht Repression, sondern wohlgemeintes Entgegenkommen gegen [482] erfüllbare Anforderungen des Zeitgeistes und der Einigungsbestrebungen des deutschen Volkes.

Schon gleich nach jenen Märztagen gehörte G. der sogenannten Siebzehnercommission in Frankfurt an, welche die nöthigen Vorarbeiten zur Einberufung der Deutschen Nationalversammlung leistete. Aus dieser letzteren wurde er in das dem Reichsverweser, Erzherzog Johann von Oesterreich, unterstehende Reichsministerium Leiningen als Unterstaatssecretär des Auswärtigen berufen und blieb in dieser Stellung auch unter den darauffolgenden Ministerien Schmerling und zuletzt Heinrich Gagern, bis zur Auflösung der deutschen Nationalversammlung. Auch an der Versammlung in Gotha nahm er theil und wurde noch 1850 in den Unionsreichstag in Erfurt gewählt.

Nach dem Scheitern der letzten der damaligen Einheitsbestrebungen des deutschen Volkes, mit denen der Name Gagern so innig verknüpft war, trat Max wieder in den nassauischen Staatsdienst zurück. Daselbst erhielt er Verwendung in der inneren Verwaltung; aber die Verhältnisse gestalteten sich für ihn nicht so freundlich, wie in seiner ersten Dienstzeit vor 1848. Nachträglich wurde ihm von der Beamtenschaft dieses kleinen, durchaus protestantischen Staatswesens sein Uebertritt in die katholische Kirche doch verübelt und seine dienstliche Thätigkeit durch allerhand Quälereien verbittert, um ihn aus seiner Stellung hinauszuärgern. Diese Absicht gelang auch vortrefflich, und als G. im Sommer 1854 die erbetene Entlassung aus dem nassauischen Staatsdienst erhielt, empfand er dies als Erlösung aus hartem Druck, trotzdem er mit seiner Gattin und einer zahlreichen Kinderschar, nachdem er Beruf und Broterwerb seiner religiösen Ueberzeugung geopfert hatte, in sehr bescheidenen Vermögensverhältnissen einer voraussichtlich düstern und schwankenden Zukunft gegenüberstand.

Er bewirthschaftete nun ein Jahr lang, so gut es ging, das kleine Familiengut Hornau und schrieb an der Biographie seines bei Kandern gefallenen Bruders Fritz, als ihm eines Tages ein Brief eines alten Freundes aus der Cabinetskanzlei des Königs von Belgien zukam, der ihm mittheilte, sein König und Herr, Leopold I. habe von seiner Entlassung gehört und nehme an seinem Schicksal herzlichen Antheil. König Leopold machte diese Gesinnung auch zur That, und auf seine Verwendung bei Kaiser Franz Josef erhielt G. die Einladung des österreichischen Ministers des Aeußeren, Grafen Buol, sich in Wien vorzustellen und wurde dann in dessen Ministerium als Hofrath angestellt.

In dieser Stellung blieb er durch beinahe zwei Jahrzehnte, bis er im J. 1873 aus dem activen Dienste ausschied. Er machte darin den Uebergang Oesterreichs aus einem einheitlich-absolutistischen in ein dualistisch-constitutionelles Staatswesen unter Ministern und Systemen mit, welche grelle Gegensätze unter einander einschlossen und der Gesammtmonarchie schmerzliche Schläge und schwere Einbußen eintrugen. In seinem Ministerium leitete G. zuerst das Preßdepartement, dann das handelspolitische Departement. Das letztere, welches erst durch ihn auf den heute noch bestehenden Grundlagen organisirt wurde, gewann dadurch eine hohe Bedeutung, daß es, nach Zweitheilung des bisher einheitlichen Handelsministeriums in ein österreichisches und ein ungarisches, die einzige Instanz für den Abschluß aller Handelsverträge der Monarchie mit dem Auslande wurde. An dem Abschluß einer Anzahl dieser Verträge, die theilweise noch vor den Zeitpunkt der Trennung fielen (mit dem deutschen Zollverein 1865, Frankreich 1866, Belgien, Niederlande, Italien 1867) ist G. in leitender Stellung betheiligt gewesen. Sein letzter, schwer zu befriedigender Chef, Minister Graf Andrassy, charakterisirte bei Gagern’s [483] Ausscheiden in einem Vortrag an den Kaiser seine Verdienste in dieser Stellung dahin, daß diese Gebiete neuer Thätigkeit „nur durch eine schöpferische Gestaltungskraft vereint mit einer kundigen Hand zu einer festen Organisation verbunden werden konnten; … daß diese Aufgaben in Freiherrn v. Gagern ihren Meister fanden; … daß er dabei im eigentlichsten Sinne des Wortes Schule gemacht habe, und daß das Verdienst für das allen gerechten Wünschen entsprechende Functioniren der handelspolitischen Section in erster Reihe ihm zuzuerkennen sei.“ Diese Anerkennung ist um so höher zu schätzen, als das Gebiet der Volkswirthschaft G. seinem ganzen Lebensgange wie auch seinen persönlichen Neigungen nach durchaus fern lag und gerade nur Pflichttreue und Diensteifer die Triebfedern seiner Leistungen auf diesem Felde sein konnten.

Zu Beginn des Jahres der Wiener Weltausstellung, 1873, stellte deren Generaldirection die Bitte an das Ministerium des Auswärtigen, die Vermittlung des Verkehrs mit den ausländischen Commissionen in Gagern’s Hände zu legen. Dieser entsprach auch auf Wunsch seines Ministers diesem Anliegen, erklärte sich aber in Anbetracht seiner geschwächten Gesundheit außer Stande, dieses anstrengende Amt, welches zugleich die Aufgabe der gesellschaftlichen Repräsentation der Regierung gegen das in Wien vertretene Ausland in sich schloß, mit der Leitung seines bisherigen Ressorts zu vereinigen und bat für seine Stellung im Staatsdienst um Versetzung in den Ruhestand, die ihm auch mit gleichzeitiger Verleihung der Würde eines Wirkl. Geheimen Rathes gewährt wurde. Auch die Leitung des während der Weltausstellung in Wien tagenden internationalen Aerztecongresses fiel ihm zu.

In den Jahren seines Ruhestandes erfolgte dann noch seine Ernennung zum Mitglied des österreichischen Herrenhauses. Doch nahm er an politischen Fragen nicht mehr viel Antheil, sondern lebte seinen religiösen und philanthropischen Herzensneigungen und den Interessen seiner im zweiten Geschlecht heranwachsenden zahlreichen Familie. Zu Zeiten der Weltausstellung und noch nachher war das gastliche Haus, dem er und seine hoch begabte Gattin Dora, geb. Bindenweg vorstand, ein Sitz feiner, geistig angeregter Geselligkeit. Der Tod Max v. Gagern’s erfolgte in seinem achtzigsten Lebensjahre nach kurzer Krankheit am 17. October 1889.

Er hatte eine mächtige Gestalt und herbe Züge, die in eigenthümlichem Contrast zu seiner geistigen Grazie, Feinfühligkeit und Herzenswärme standen. Vorurtheile der Geburt und des Standes lagen ihm ferne, und im Verkehr mit Geringeren und Hülfesuchenden trat dieselbe gewinnende Liebenswürdigkeit zu Tage, wie in dem mit den Großen und Mächtigen.

Persönliche Erinnerungen des Verfassers; dann die Schriften „Jugenderinnerungen aus dem Gebiete der Nationalität“ von Max Frhr. v. Gagern sen. Regensburg 1889, und „Das Leben des Generals Friedrich v. Gagern“, herausgeg. von Heinrich v. Gagern, gemeinsam verfaßt mit Max v. Gagern. 3 Bde., Leipzig und Heidelberg 1857.

[479] *) Zu Bd. XLIX, S. 237.