Gesetzgebungspolitik gegenüber Kartellen und Trusts

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Autor: Robert Liefmann
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Titel: Gesetzgebungspolitik gegenüber Kartellen und Trusts
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aus: Handbuch der Politik Zweiter Band: Die Aufgaben der Politik, Zwölftes Hauptstück: Urproduktion und Gewerbebetriebe, 61. Abschnitt, S. 413−419
Herausgeber: Paul Laban, Adolf Wach, Adolf Wagner, Georg Jellinek, Karl Lamprecht, Franz von Liszt, Georg von Schanz, Fritz Berolzheimer
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Dr. Walther Rothschild
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Erscheinungsort: Berlin und Leipzig
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61. Abschnitt.


Gesetzgebungspolitik gegenüber Kartellen und Trusts.
Von
Universitätsprofessor Dr. Robert Liefmann, Freiburg i. B.


Wir haben mit der Konzentrationsbewegung, deren verschiedene Formen für einige der wichtigsten Industrien in den vorhergehenden Abschnitten geschildert wurden, als einer Tatsache zu rechnen, die immer weiter um sich greifen und immer grössere Bedeutung gewinnen wird. Und zwar werden die verschiedenen Formen sich nebeneinander weiter entwickeln. Es kann nicht die Rede davon sein, dass die Kartelle etwa schon eine veraltete Organisationsform seien und immer mehr von den Trusts verdrängt werden. Vielmehr zeigt sich auch in Amerika, dass in den ganz grossen Industrien das Zusammenfassen aller Unternehmungen zu einer einzigen (Trust) ganz unmöglich ist, dass mehrere grosse Unternehmungen bestehen bleiben und dann die Konkurrenz unter einander durch Kartellvereinbarungen vermindern. Ebenso wenig darf man erwarten, dass die ganze Konzentrationsbewegung bis zum Extrem gehen werde, so dass schliesslich in den grossen Industrien nur eine einzige Unternehmung übrig bleiben werde. Viele der grossen Unternehmungen sind heute schon an der Grenze angekommen, wo die Übersehbarkeit des Ganzen, die Möglichkeit einheitlicher Leitung und Organisation aufhört. Aber Beteiligungen an anderen Unternehmungen, Interessengemeinschaften und Kartelle sind auch bei ihnen noch sehr erheblicher Ausdehnung fähig. Auch wird diese ganze Entwicklung zweifellos noch viele andere Industriezweige ergreifen. Aber es ist sicher, dass bei den meisten die Vorbedingungen für die Konzentrationsbewegung nicht so günstige sind wie bei den bisher von ihr ergriffenen Unternehmungszweigen, und es ist anzunehmen, dass in den meisten Erwerbszweigen in Deutschland mittlere Unternehmungen in Privatbesitz noch auf lange hinaus die überwiegende Mehrzahl bilden werden.

Es ist natürlich, dass diese Entwicklungsvorgänge nicht ohne wirtschaftliche Erschütterungen sich vollzogen, dass demgemäss von solchen, die dadurch beeinträchtigt wurden, Klage geführt und der Staat zur Hilfe gerufen wurde. In der Tat sind der Wirtschaftspolitik auf diesem Gebiete zahlreiche und schwierige Aufgaben gestellt, die bisher freilich erst zu einem kleinen Teile in Angriff genommen wurden, in der Hauptsache noch einer sicherlich nicht fernen Zukunft bevorstehen.

I. Bloss kontrollierende Massregeln.

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Die erste und allgemeinste Aufgabe, die der Staat gegenüber den Kartellen und Trusts zu erfüllen hat, ist die einer Überwachung dieser Organisationen. Diese modernen Bildungen greifen so tief in das Wirtschaftsleben ein und können eine so grosse, selbst über das wirtschaftliche Gebiet hinausgehende Macht in sich vereinigen, dass der Staat sie nicht unbeaufsichtigt lassen kann. In den Vereinigten Staaten sind zu diesem Zwecke durch die Interstate Commerce Commission, die Industrial-Commission und andere Organisationen, auch durch zahlreiche Gerichtsverhandlungen die Wirkungen mehrerer wichtiger Trusts untersucht und daraufhin schon seit Anfang der 90er Jahre zahlreiche Antitrustgesetze erlassen worden.

In Deutschland wurden 1903-7 durch die Kontradiktorischen Verhandlungen über deutsche Kartelle die wichtigsten Organisationen der Montanindustrie, des Buchhandels, das Kartell für Zeitungsdruckpapier, das Tapetenkartell und das Spiritussyndikat untersucht.[1] Ausserdem legte die Reichsregierung dem Reichstage eine umfangreiche Denkschrift [414] über Kartelle vor, die in 4 Teilen eine Statistik deutscher Kartelle, eine Sammlung von Kartellstatuten, eine Zusammenstellung der die Kartelle betreffenden Vorschriften des deutschen Zivil- und Strafrechts sowie von Reichsgerichtsurteilen, eine ausführliche Darstellung der Verbände im deutschen Kohlenbergbau, endlich eine Übersicht über die ausländische Kartell- und Trustgesetzgebung enthält. Aber damit wird man auf die Dauer nicht auskommen. Ein ständiges Kartellamt wird immer mehr zu einer Notwendigkeit. Am zweckmässigsten wäre wohl die Einrichtung eines allgemeinen „Industrie-und Handelsamtes“, das auch andere als Kartellfragen, die Handel und Industrie betreffen, zu behandeln und die wichtigsten Unternehmungszweige, auch z. B. das Bankwesen zu überwachen hätte, Auskünfte einholen und Enqueten veranstalten könnte. In Verbindung damit könnte den Kartellen die Erstattung regelmässiger Jahresberichte über die Lage ihres Unternehmungszweiges, den Grad der Beschäftigung, die Preise und dergl. zur Pflicht gemacht werden.

II. Zivil- und Strafrechtsnormen.

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Die Forderungen, über bloss kontrollierende Massregeln hinaus das Kartellwesen staatlich zu regeln, sind sehr zahlreich und sehr verschiedenartig. Manche verlangen ein allgemeines Kartellgesetz und mehrere derartige Entwürfe wurden von den politischen Parteien vorgelegt. Aber allgemeine Bestimmungen, die über bloss kontrollierende Massregeln hinausgehen, würden unbedingt verfehlt sein. Es liegt z. B. gar kein volkswirtschaftliches Interesse vor, die Kartelle in irgend eine bestimmte juristische Form zu pressen. Am ersten könnten noch besondere Zwangsmittel, welche die Kartelle (aber auch andere, gemeinsame Organisationen) anwenden, um Aussenstehende zum Beitritt zu veranlassen: die sog. Exklusionsverträge oder Verpflichtungen zum ausschliesslichen Verkehr, die verschiedenen Formen des Organisationszwangs, einer allgemeinen gesetzlichen Regelung unterworfen werden. Ganz zu verbieten sind jedoch derartige Verpflichtungen ebenso wenig wie Boykott, Streik und Aussperrung, bisher hat aber noch kein allgemeiner Gesichtspunkt gefunden werden können, bis zu welcher Grenze derartige Massregeln berechtigt und wann sie unberechtigt sind; die Gerichte entscheiden hier von Fall zu Fall und oft sehr willkürlich.

Von juristischer Seite wurden teilweise besonders Zivil- und Strafrechtsnormen gegen die Kartelle gefordert, von der Mehrzahl jedoch, z. B. auf dem deutschen Juristentage, erklärt, dass die vorhandenen Rechtsnormen zur Bekämpfung von Missbrauchen der monopolistischen Vereinigungen genügen. Das ist aber nur insofern zutreffend, als damit nicht die Notwendigkeit wirtschaftspolitischer Massregeln verneint werden soll. Denn es ist klar, dass die Hauptwirkungen der Kartelle durch die Zivil- und Strafrechtsordnung gar nicht erfasst werden können. Diese liegen ja wie bei allen Monopolorganisationen in der Gefahr übermässig hoher Preise. Es ist aber ganz undenkbar, dass ein Richter, z. B. auf eine Zivilrechtsklage hin, entscheiden sollte, ob die Preise eines Kartells zu hoch sind und ein Verstoss gegen die guten Sitten oder wucherische Ausbeutung vorliegt (§ 138 bezw. 134 B.G.B.) Die Preise können nur im Zusammenhang mit der ganzen Konjunktur des Wirtschaftslebens beurteilt werden. Aber selbst Sachverständigen aus der betr. Industrie wird es oft nicht möglich sein, zu sagen, wann die Preise zu hoch sind, geschweige denn, wann von wucherischer Ausbeutung die Rede sein kann. Es ist dabei auch zu berücksichtigen, dass es sich hier nicht um einen einzigen Verkaufsvertrag handelt, der dem Richter gerade vorliegt, sondern es sind auf der gleichen Grundlage, z. B. den Preisfestsetzungen oder Absatzbedingungen des betr. Kartells, eine Unzahl ähnlicher Verträge eingegangen worden. Das Urteil eines Richters über einen solchen Vertrag enthält also gleichzeitig eine Entscheidung über alle auf Grund des betr. Kartellbeschlusses von allen Kartellmitgliedern mit ihren Abnehmern geschlossenen Verträge. Es handelt sich also hier um die wirtschaftlichen Grundlagen und die innersten Verhältnisse eines ganzen Industriezweiges, und es ist dem Richter unmöglich, diese Grundlagen, d. h. die Gründe für die Festsetzung der Kartellpreise mit vollkommener Sachkenntnis zu prüfen.

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III. Staatliche Preisfestsetzungen.

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Nichtsdestoweniger kann der Staat unter Umstünden gezwungen sein, direkt in die Preisfestsetzungen der Kartelle einzugreifen, sofern er sie als der Gesamtheit schädlich erkennt. Dieser abgesehen von der Verstaatlichung tiefste Eingriff des Staats in einen Erwerbszweig darf aber nur im Notfall erfolgen, wenn die sonstigen gleich zu erwähnenden indirekten Massregeln der Wirtschaftspolitik versagen, und es müssen dafür besondere aus Sachverständigen zusammengesetzte Organe geschaffen werden. So habe ich schon vor mehreren Jahren die Errichtung von Kartellkommissionen vorgeschlagen, die aus den beteiligten Interessengruppen, also kartellierten Unternehmern, etwaigen Aussenstehenden, Weiterverarbeitern, Konsumenten, Händlern, Arbeitern, unter Mitwirkung von sonstigen Sachverständigen und Regierungsbeamten für jeden Fall, dass erhebliche Klagen über die Tätigkeit eines Kartells laut werden und andere Massregeln versagen, zu bilden wären. Tatsächlich hat denn auch die Reichsregierung bei ihrer Regelung der Kaliindustrie (s. darüber unten) in die Preisfestsetzungen eingegriffen d. h. Höchstpreise festgesetzt und die Änderung derselben von einer Entscheidung des Bundesrates unter Zuziehung von Sachverständigen abhängig gemacht.

IV. Zollpolitische Massregeln.

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Jedenfalls aber kann der Staat das Kartellwesen nicht durch allgemeine gesetzliche Normen regeln, sondern nur durch eine spezielle Kartellpolitik, indem er in jedem einzelnen Falle besondere Massregeln anwendet. Als solche kommen vor allem die Mittel der Wirtschaftspolitik in Betracht und von ihnen liegen Massregeln auf dem Gebiete des Zollwesens besonders nahe. Sie treffen zwar in der Hauptsache nur zollgeschützte Industrien, aber ihnen gegenüber wird es damit in den meisten Fällen möglich sein, übermässigen Preiserhöhungen der Kartelle entgegenzuwirken. Dahin gehört natürlich vor allem die Herabsetzung oder Aufhebung der Zölle. Man hat vorgeschlagen, eine dahingehende Bestimmung in das Zolltarifgesetz aufzunehmen. Es wurde aber dem keine Folge gegeben. In den meisten Fällen dürfte schon der Umstand, dass eine Zollherabsetzung im Reichstage erörtert wird, genügen, um das Kartell vorsichtiger in seiner Preispolitik zu machen.

Praktisch angewendet wurden derartige Massregeln Kartellen gegenüber zuerst in Kanada auf Grund der Zolltarifgesetze von 1897 und 1907. So wurde dem kanadischen Papierkartell gegenüber der Papierzoll von 25 auf 15% herabgesetzt. Noch weiter ist Neu-Seeland gegangen. Ein Gesetz von 1907 bezweckt Schutz der Konsumenten gegen die Monopole im Mehl-, Weizen- und Kartoffelhandel und ermöglicht auf Vorschlag einer Untersuchungskommission Aufhebung der betr. Zölle auf mindestens 3 Monate.

Umgekehrt wurden Zollerhöhungen empfohlen, um die inländische Industrie vor den monopolistischen Organisationen des Auslandes zu schützen, welche, um eine Überproduktion im eigenen Lande zu beseitigen, billig exportieren. Man hat vorgeschlagen, in die Handelsverträge eine Antiexportprämienklausel aufzunehmen, welche dem Staate das Recht geben soll, die Zölle auf eine Ware zu erhöhen, die von einem ausländischen Staate billiger exportiert als im eigenen Lande verkauft wird. Aber eine solche Massregel ist schwierig durchzuführen. Der billige Export ist nicht leicht festzustellen und erfolgt sehr oft auch nur vorübergehend. Auch dieses Mittel ist insbesondere in Kanada angewendet worden, namentlich gegenüber dem billigeren Export amerikanischer Trusts.

Der billigere Export mancher Rohstoffe und Halbfabrikate wird aber auch im Inlande von den Weiterverarbeitern naturgemäss nicht gern gesehen, und um ihn zu bekämpfen, hat man eine weitere zollpolitische Massregel vorgeschlagen: den Ausfuhrzoll. Der Plan eines Ausfuhrzolls auf Kohle wurde in den Zeiten der Kohlenknappheit 1900 und 1906, bei den Zolltarifverhandlungen und bei der ersten Reichsfinanzreform viel erörtert, der eines Kaliausfuhrzolls namentlich im Sommer 1909, als das Kalisyndikat zu scheitern drohte. Letzterer hätte deswegen grosse Bedeutung, weil eir ein Mittel gäbe, um auch ohne ein Zwangssyndikat in der Kaliindustrie, also auch bei freier Konkurrenz [416] zu verhindern, dass das Ausland Kali zu billigeren Preisen erhält als die deutsche Landwirtschaft. Aber die Furcht vor Repressalien bewirkte, dass dieses Mittel bisher noch nie praktisch angewendet wurde. Er ist auch insofern eine zweischneidige Massregel, als er das Abflussventil verstopft, das die grossen Industrien in der Förderung des Exports gegenüber Konjunkturenschwankungen haben. Diese werden also verstärkt werden.

Von viel grösserer praktischer Bedeutung als der Ausfuhrzoll ist im Interesse der Weiterverarbeiter, welche durch billige Auslandsreise und hohe Kartellpreise im Inlande geschädigt werden, eine weitere zollpolitische Massregel: der zollfreie Veredlungsverkehr. Er besteht darin, dass der Zoll bei der Einfuhr von Rohstoffen und Halbfabrikaten gestundet und endgiltig erlassen wird, wenn diese Stoffe in veredelter Form wieder ausgeführt werden. Der Weiterverarbeiter wird dadurch instand gesetzt, den Teil der Rohstoffe, den er für zu exportierende Waren braucht, zu Weltmarktpreisen zu beziehen, und er wird dadurch im Auslande konkurrenzfähiger. Natürlich nützt der zollfreie Veredelungsverkehr den Weiterverarbeitern um so weniger, je geringer in ihrer Industrie die Bedeutung des Exports im Verhältnis zum inländischen Markte ist. Erheblich weiterreichende Wirkungen hätte dagegen die Ausgestaltung des zollfreien Veredelungsverkehrs zum System der Einfuhrscheine. Sie wird besonders für Roheisen vom Verbande der Halbzeugverbraucher gefordert und ein dahingehender von der Zentrumsfraktion gestellter Antrag wurde im Februar 1909 vom Reichstage angenommen. Im Gegensatz zum zollfreien Veredelungsverkehr gehen die Einfuhrscheine von der Ausfuhr aus und gewähren z. B. die zollfreie Einfuhr einer gleichen Menge Roheisen, als in exportierten Eisen waren enthalten ist. Das ist aber eine sehr viel grössere Menge, als tatsächlich ausländisches Roheisen nach Deutschland eingeführt wird. Die erhaltenen Einfuhrscheine aber sind wie bares Geld, sie können für Zollzahlungen auf neue importierte Waren verwendet oder verkauft werden. Daher kann mit dieser Massregel viel eher ein Druck auf die Inlandspreise ausgeübt werden. Doch scheint sie mir eine Durchbrechung unseres Schutzzollsystems darzustellen. Dann wäre es einfacher und zweckmässiger, überhaupt die betr. Zölle herabzusetzen.

Neben Massregeln der Zollpolitik kommen auch solche der Tarifpolitik der Verkehrsanstalten in Betracht. Billige Frachttarife für den Export z. B. von Kohlen könnten aufgehoben, die Einfuhrtarife für ein kartelliertes Produkt herabgesetzt werden. In Deutschland sind derartige Massregeln wegen des ausgedehnten Staatsbahnsystems am ersten möglich, aber bisher noch nicht angewendet worden.

V. Verstaatlichung.

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Ich glaube, dass mit derartigen wirtschaftspolitischen Massregeln es in fast allen Fällen möglich sein wird, den Gefahren der Monopolbildung die Spitze abzubrechen. Trotzdem ist, solange man die Kartelle kennt, noch von einem viel weitergehenden Mittel ihrer Bekämpfung die Rede gewesen, der Verstaatlichung des ganzen Industriezweiges. Der Gedanke daran ist durch den Sozialismus so verbreitet worden, dass selbst vielen bürgerlichen Nationalökonomen die Verstaatlichung der monopolisierten Industrien als das selbstverständliche Ziel der ganzen heutigen Entwicklung erscheint. Namentlich auf dem Gebiete des Bergbaues, für Kohlen und Kali, ist die Verstaatlichung der Unternehmungen sehr häufig empfohlen worden, weil hier bekanntlich besonders fest organisierte Kartelle bestehen. Unter dem Einfluss dieser Anschauungen hat der preussische Staat in der Tat seinen Besitz im Kohlen- und Kalibergbau ausgedehnt. Er hat im Ruhrgebiet, wo er vorher keine Zechen besass, grosse Kohlenfelder erworben und mehrere Zechen angelegt. Er suchte ferner durch Erwerbung der Aktien die Bergwerksgesellschaft Hibernia an sich zu bringen, was ihm jedoch infolge des Widerstandes der rheinischen Grossaktionäre und der beteiligten Banken nicht gelang. Der Staat hat aber seinen nahezu die Hälfte des Aktienkapitals umfassenden Aktienbesitz bisher festgehalten. Ein Vetorecht gegen Preiserhöhungen, das ihm vom Rheinisch-westfälischen Kohlensyndikat angeboten war, hat er früher abgelehnt in der richtigen Erkenntnis, dass damit die Preise des Syndikats als durch ihn legitimiert erschienen wären. Die Verstaatlichungen erfolgten hier entschieden [417] nicht sowohl zwecks Bekämpfung der Kartelle als vielmehr, um den Kohlenbedarf der preussischen Staatsbahnen unabhängig von ihnen sicher zu stellen. 1911 ist der preussische Fiskus mit seinen Ruhrwerken dem Rheinisch-westfälischen Kohlensyndikat beigetreten, um den weiteren Bestand des Syndikats zu sichern. An den tatsächlichen Verhältnissen hat sich dadurch nicht viel geändert. Denn er hatte bisher dem Kartellmonopol in keiner Weise Konkurrenz gemacht. Im Oktober 1912 ist der Fiskus dann, weil er die vom Syndikat beschlossene Preiserhöhung nicht mitmachen wollte, aus dem Syndikat wieder ausgetreten. Da seine Zechen aber nicht sehr günstig produzieren, ist er doch an hohen Preisen interessiert und wird dem Syndikat keine ernsthafte Konkurrenz machen, möglicherweise ihm auch wieder beitreten, oder sonst einen Vertrag mit ihm schliessen, um die Erneuerung des Kartells zu sichern.

Dagegen geschah die Ausdehnung des Staatsbesitzes im Kalibergbau zu dem ausdrücklichen Zwecke, im Kalisyndikat, dem der preussische und der anhaltische Fiskus von Anfang an angehörten, entsprechend der Vermehrung der Privatwerke den alten Einfluss zu erhalten. So wurde namentlich im Jahre 1905 die Gewerkschaft Hercynia um den Preis von 30 Mill. Mk. erworben.

Ende 1912 wurde dem Reichstage ein Gesetzentwurf vorgelegt, welcher die Errichtung eines Petroleumhandelsmonopols bezweckt. Der Ein- und Verkauf im grossen sollte einer privaten Aktiengesellschaft übergeben werden. Das Reich sollte unter staatlicher Leitung die Verkaufspreise festsetzen und am Gewinn beteiligt sein. Die Massregel war vor allem als Mittel gegen die überragende Stellung der Standard Oil Company und ihrer Verkaufsorganisationen auf dem deutschen Markte gedacht, die 70 Proz. des deutschen Konsums liefern. Man glaubte unter Umgehung des Trusts sich die nötige Petroleummenge von den russischen, rumänischen, österreichischen und bisher trustfreien amerikanischen Produzenten sichern zu können. Ob damit aber wirklich die deutsche Versorgung sicher gestellt und ob insbesondere den Konsumenten damit billigere Preise gewährt werden könnten, steht dahin. Eine Reichstagskommission hat zwar den Entwurf nach mancherlei Änderungen angenommen, aber eine Entscheidung ist darüber noch nicht erfolgt.

Das gesamte Problem der Verstaatlichung ganzer Unternehmungszweige zu erörtern liegt ausserhalb des Rahmens dieser Skizze. Als radikalstes Mittel zur Bekämpfung von Missbräuchen monopolistischer Vereinigungen wird sie kaum oft in Betracht kommen, weil andere sehr viel einfachere Mittel, im Notfall staatliche Preisfestsetzungen, genügend zu Gebote stehen. Bisher haben sich auch im Bergbau die preussischen Verstaatlichungen und die Beteiligung des Staates au kartellierten Industrien durch eigene Unternehmungen nicht als nützlich und erfolgreich erwiesen. Das zeigte sich besonders in der neueren Entwickelung der Kaliindustrie.

VI. Regelung der Kaliindustrie und das deutsche Kaligesetz.

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Während man bisher immer glaubte, dass eine staatliche Regelung des Kartellwesens Massregeln gegen die Kartelle zum Schutze der Allgemeinheit enthalten müsse, ist das einzige wirklich weitgehende Eingreifen in die Kartellfrage, das in Deutschland bisher zu verzeichnen war, ein Gesetz zum Schutze eines Kartells. Es ist das Reichskaligesetz vom 25. Mai 1910. Während bis Ende der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts die Zahl der vorhandenen Kalilagerstätten und der Werke gering war, wurden seitdem ungeheure neue Kalilager in ganz Mittel-, Nordwestdeutschland und im Elsass erschlossen. So entstanden immer neue Werke und eine gewaltige Überkapitalisation, dergestalt, dass 10–12 Werke mit 100–200 Mill. Mk. Anlagekapital, wenn ihre Leistungsfähigkeit voll ausgenützt würde, den ganzen heutigen Bedarf versorgen könnten, während tatsächlich bei Erlass des Gesetzes 65 fördernde Werke vorhanden waren. Inzwischen ist ihre Zahl bis zum Juli 1913 auf nicht weniger als 142 gestiegen. Einschliesslich der zahllosen Bohrgesellschaften sind mindestens 1½ Milliarden Mk. in der Industrie investiert. Diese Zustände hätten schon längst zur Auflösung des Syndikats und zur Konkurrenz zwischen den Werken führen müssen, wodurch weitere Kapitalinvestitionen in der Industrie verhindert worden wären. Aber man suchte immer wieder das Syndikat zusammenzuhalten und zwar insbesondere mit Rücksicht auf das Ausland. Man fürchtete, dass bei freier Konkurrenz inbesondere Amerika billig Kaliwerke [418] erwerben und daraus seinen Bedarf decken werde. Wenn die übrigen sich dann aber für die Versorgung des Inlandes allein wieder zu einem Kartell vereinigten, würde die deutsche Landwirtschaft sehr viel höhere Preise zu bezahlen haben. Um das zu verhindern, hielt die Reichsregierung allein ein Zwangssyndikat für geeignet. In einem ersten Entwurf, den Preussen Ende 1909 an den Bundesrat brachte, sollte nur den schon fördernden Werken der Beitritt gestattet sein, alle anderen sollten entschädigt werden. Dies war aber eine Benachteiligung der Gegenden, in denen man noch Kali zu finden hoffte, und der Unternehmungen, die mit Schachtbau beschäftigt waren. Daher machte der 2te Entwurf allen neuen Werken den Beitritt möglich, freilich anfangs mit nur sehr geringen Beteiligungsziffern. Die Erwartung der Regierung, dass das von der Gründung neuer Werke abschrecken werde, erfüllte sich nicht. Vielmehr wurden, was Einsichtige vorausgesehen hatten, noch viele weitere Millionen in die Industrie hineingesteckt und die Überkapitalisation enorm vergrössert, zumal auch manche der älteren Werke auf abgetrennten Feldesteilen neue Schachtanlagen errichteten. Durch den Reichstag wurden noch Bestimmungen im Interesse der Arbeiter in das Gesetz hineingebracht, wonach die Beteiligungsziffern eines Werkes im selben Verhältnis gekürzt werden sollen, in dem sich der Lohn der Arbeiter gegenüber dem Durchschnitt von 1907–9 vermindert.

Das Gesetz statuiert also ein Zwangssyndikat und legt ein Handelsmonopol in dessen Hände: Kali darf nur durch die Vertriebsstelle verkauft werden. Ferner setzt das Gesetz die Höchstpreise für Kali auf 3 Jahre fest, die späteren Preisfestsetzungen erfolgen durch den Bundesrat nach Anhörung der Kaliwerksbesitzer und der Verbraucher von 5 zu 5 Jahren. Die jetzt geltenden Preise sind gegen die früheren nur sehr wenig ermässigt worden. Eine sog. Überkontingentssteuer trifft diejenigen Werke, die die ihnen zugebilligten Absatzgebiete überschreiten. Diese Steuer richtete sich hauptsächlich gegen die grossen, nur etwa zur Hälfte des Inlandpreises abgeschlossenen aussersyndikatlichen Verkäufe einiger Werke nach Amerika. Ausserdem ist noch eine allgemeine Steuer von 0,60 Mk. pro DZ. eingeführt worden, welche zur Deckung der Syndikatskosten und zur Förderung des Kaliabsatzes dienen soll. Ein derartiges Zwangskartell ist übrigens keineswegs etwas Neues, sondern ein solches ist schon 1896 in der russischen Zuckerindustrie, später in der rumänischen Petroleumindustrie und der sizilianischen Schwefelindustrie geschaffen worden.

Der Haupteinwand gegen dieses staatliche Eingreifen in die Kalindustrie ist wohl, dass dadurch die enorme Überkapitalisation nicht vermindert, sondern im Gegenteil noch vermehrt wird, wie die neueste Entwicklung schlagend oder zum grössten Schaden der deutschen Volkswirtschaft bewiesen hat. Je früher freie Konkurrenz eingetreten wäre, um so vorteilhafter wäre das für die ganze Volkswirtschaft gewesen. Denn es hätte ihr Hunderte von Millionen erspart, die jetzt unproduktiv in dieser Industrie angelegt sind. Im Interesse der augenblicklichen Rentabilität seiner eigenen und der neueren schwächeren Werke hat der Staat aber immer wieder zum Zustandekommen des Syndikats gewirkt. Er hat auch die hohen Preise sanktioniert, die nötig waren, um den Werken, die alle nur zu einem Bruchteil ihrer Leistungsfähigkeit beschäftigt sind, trotz der dadurch enorm gesteigerten Selbstkosten eine gewisse Rentabilität zu sichern. Heute noch die freie Konkurrenz eintreten zu lassen, erscheint allerdings nicht zweckmässig. Weniger mit Rücksicht auf das Ausland. Denn es gibt, wie wir sahen, andere Mittel, dafür zu sorgen, dass die inländische Landwirtschaft das Kali nicht teurer bekommt als das Ausland. Vielmehr vor allem deshalb, weil die nötige Propaganda zur Ausdehnung des Absatzes am besten durch eine gemeinsame Organisation erfolgt. Eine solche Propaganda hat das Syndikat auch in die Hand genommen und so war das zwangsweise Zusammenhalten desselben wohl der beste Ausweg. Aber – und daran hat es das Gesetz fehlen lassen – es hätten gleichzeitig ganz bedeutende Preisherabsetzungen stattfinden müssen, um den Absatz auszudehnen. Denn eine ganze Anzahl von Werken kann, wofern sie vollbeschäftigt sind, bei nur die Hälfte der heutigen betragenden Preisen noch sehr gut verdienen. Das Hochhalten der Preise, nur um alle die schwächeren für die Versorgung des Bedarfs ganz überflüssigen Werke, die aus spekulativem Übereifer gegründet sind, am Leben zu erhalten, entspricht aber nicht dem Interesse der ganzen Volkswirtschaft.

Allgemein ergibt sich aus der neueren Entwicklung der Kaliindustrie für die Kartellpolitik der Satz, dass der Staat sich an monopolisierten Erwerbszweigen nicht mit eigenen Unternehmungen [419] beteiligen soll. Einmal, weil er dadurch zu eng mit Privatinteressen verknüpft wird, die wenn sie in einem Kartell organisiert sind, schon selbst mächtig genug sind. Und zweitens, weil er dadurch dem privaten Kapital einen zu grossen Anreiz zu Investierungen in dieser Industrie bietet. Ein solcher Reiz ist durch jedes Kartell schon in genügendem Umfange gegeben. Der Staat verstärkt ihn unnützerweise durch seine Beteiligung und erleichtert dadurch eine Überkapitalisation.

VII. Die amerikanische Trustgesetzgebung.

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In den Ver. Staaten hat die Trustgesetzgebung bis in die neueste Zeit nur das Prinzip verfolgt, den Zustand der freien Konkurrenz möglichst zu stabilisieren. Von den zahlreichen einzelstaatlichen Antitrustgesetzen abgesehen, die teilweise sehr rigoros waren, gelangte man zu einem bundesstaatlichen Vorgehen zuerst den Eisenbahnen gegenüber. Das Interstate Commerce-Gesetz von 1887 bestimmt, dass die Frachtsätze „mässig und gerecht“ sein müssen, verbietet Verträge über die Verteilung der Frachteinnahmen auf konkurrierenden Eisenbahnen (pooling) und statuiert einen Frachtzwang. Die gleichzeitig eingesetzte Interstate Commerce Commission hatte anfangs nur die Aufgabe der Überwachung. Sehr erweitert wurden die Befugnisse der Kommission durch das Hepburn-Gesetz von 1908, durch das ihr die sog. rate making power verliehen wurde, d. h. sie kann die Höchstsätze für den Personen- und Gütertransport festsetzen. Auch dehnte dieses Gesetz die Bestimmungen über die Eisenbahnen auf die Petroleumleitungen und die Paketbeförderung aus.

Das wichtigste allgemeine Gesetz ist das Sherman-Gesetz von 1890. Es sucht auf allen Gebieten die freie Konkurrenz im zwischenstaatlichen Verkehr aufrecht zu halten. Es wurde durch Zollgesetze wie das Wilson-Gesetz von 1894 und das Dingley-Gesetz von 1897 ergänzt, namentlich aber durch das Elkins-Gesetz von 1903, welches Zuwiderhandlungen gegen die älteren Gesetze durch Beamte von Korporationen als Vergehen der Korporation selbst erklärt. Auf Grund dieses Gesetzes wurde gegen die Standard Oil Company eine Strafe von 29 Mill. Pfund verhängt, die aber angefochten und nicht vollstreckt wurde.

Den weitesten Eingriff in die grossen Korporationen bedeutet aber das neue Eisenbahngesetz vom Juni 1910. Danach muss jede beabsichtigte Tarifänderung von der Interstate Commerce Commission genehmigt werden, die Bahnen müssen im Falle einer beabsichtigten Erhöhung der Tarife den Nachweis der Notwendigkeit und Billigkeit führen. Die Befugnisse der Kommission sind auch auf die Telephon- und Telegraphengesellschaften ausgedehnt worden. Gegen Entscheidungen der Kommission ist als Berufungsinstanz ein neues Gericht, Commerce Court, geschaffen; gegen das Urteil dieses Gerichts ist nur Appell an den Obersten Gerichtshof der Ver. Staaten zulässig. In letzter Zeit ist die Bundesregierung gegen einige, der grossen Kapitalorganisationen, insbesondere gegen die Standard Oil Company, den Pulvertrust und den Tabaktrust eingeschritten und hat auf Grund des Sherman-Gesetzes ihre Auflösung und Zerlegung in ihre Untergesellschaften verlangt. Der Petroleumtrust hat dem Folge geleistet, diese Massregel wird vielleicht die Spekulation in den Effekten derartiger Unternehmungen etwas einschränken, aber sicher nicht die Wirkung haben, dass die grossen Kapitalisten ihre Kontrolle über die Industrien aufgeben. Gegen eine grosse Anzahl weiterer Trusts schweben noch Untersuchungen und auch eine Reihe von Eisenbahngesellschaften, die die Kontrolle über andere Eisenbahnen erlangt hatten, insbesondere die Southern Pacific Company über die Union Company Pacific mussten eine Auflösung und Zerlegung ihres Besitzes vornehmen. Neuestens will Präsident Wilson gegen alle Trusts in ähnlicher Weise vorgehen.

Gegen die wichtigsten und ungünstigsten Wirkungen der amerikanischen Trusts, die Missstände, die sich bei der Gründung, Finanzierung und Verwaltung der grossen Unternehmungen, ihrer Beherrschung des Kapitalmarktes, ihrer Beeinflussung der Börsenspekulation gezeigt haben, sind bisher keine wirklich durchgreifenden Massregeln ergriffen worden. Hier sieht sich die Wirtschaftspolitik vor die schwierigsten Aufgaben gestellt, die nur durch eine bundesstaatliche Korporationsgesetzgebung gelöst werden können. Auch in Deutschland werden sich in nicht zu ferner Zeit Massregeln zur Herbeiführung grösserer Öffentlichkeit in der Geschäftsführung grosser, weitverzweigter Unternehmungen und zur Überwachung des Finanzierungsgeschäfts der Banken als notwendig erweisen.





  1. Veröffentlicht in 12 Heften im Verlage von F. Siemenroth, Berlin.