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beteiligen soll. Einmal, weil er dadurch zu eng mit Privatinteressen verknüpft wird, die wenn sie in einem Kartell organisiert sind, schon selbst mächtig genug sind. Und zweitens, weil er dadurch dem privaten Kapital einen zu grossen Anreiz zu Investierungen in dieser Industrie bietet. Ein solcher Reiz ist durch jedes Kartell schon in genügendem Umfange gegeben. Der Staat verstärkt ihn unnützerweise durch seine Beteiligung und erleichtert dadurch eine Überkapitalisation.

VII. Die amerikanische Trustgesetzgebung.

In den Ver. Staaten hat die Trustgesetzgebung bis in die neueste Zeit nur das Prinzip verfolgt, den Zustand der freien Konkurrenz möglichst zu stabilisieren. Von den zahlreichen einzelstaatlichen Antitrustgesetzen abgesehen, die teilweise sehr rigoros waren, gelangte man zu einem bundesstaatlichen Vorgehen zuerst den Eisenbahnen gegenüber. Das Interstate Commerce-Gesetz von 1887 bestimmt, dass die Frachtsätze „mässig und gerecht“ sein müssen, verbietet Verträge über die Verteilung der Frachteinnahmen auf konkurrierenden Eisenbahnen (pooling) und statuiert einen Frachtzwang. Die gleichzeitig eingesetzte Interstate Commerce Commission hatte anfangs nur die Aufgabe der Überwachung. Sehr erweitert wurden die Befugnisse der Kommission durch das Hepburn-Gesetz von 1908, durch das ihr die sog. rate making power verliehen wurde, d. h. sie kann die Höchstsätze für den Personen- und Gütertransport festsetzen. Auch dehnte dieses Gesetz die Bestimmungen über die Eisenbahnen auf die Petroleumleitungen und die Paketbeförderung aus.

Das wichtigste allgemeine Gesetz ist das Sherman-Gesetz von 1890. Es sucht auf allen Gebieten die freie Konkurrenz im zwischenstaatlichen Verkehr aufrecht zu halten. Es wurde durch Zollgesetze wie das Wilson-Gesetz von 1894 und das Dingley-Gesetz von 1897 ergänzt, namentlich aber durch das Elkins-Gesetz von 1903, welches Zuwiderhandlungen gegen die älteren Gesetze durch Beamte von Korporationen als Vergehen der Korporation selbst erklärt. Auf Grund dieses Gesetzes wurde gegen die Standard Oil Company eine Strafe von 29 Mill. Pfund verhängt, die aber angefochten und nicht vollstreckt wurde.

Den weitesten Eingriff in die grossen Korporationen bedeutet aber das neue Eisenbahngesetz vom Juni 1910. Danach muss jede beabsichtigte Tarifänderung von der Interstate Commerce Commission genehmigt werden, die Bahnen müssen im Falle einer beabsichtigten Erhöhung der Tarife den Nachweis der Notwendigkeit und Billigkeit führen. Die Befugnisse der Kommission sind auch auf die Telephon- und Telegraphengesellschaften ausgedehnt worden. Gegen Entscheidungen der Kommission ist als Berufungsinstanz ein neues Gericht, Commerce Court, geschaffen; gegen das Urteil dieses Gerichts ist nur Appell an den Obersten Gerichtshof der Ver. Staaten zulässig. In letzter Zeit ist die Bundesregierung gegen einige, der grossen Kapitalorganisationen, insbesondere gegen die Standard Oil Company, den Pulvertrust und den Tabaktrust eingeschritten und hat auf Grund des Sherman-Gesetzes ihre Auflösung und Zerlegung in ihre Untergesellschaften verlangt. Der Petroleumtrust hat dem Folge geleistet, diese Massregel wird vielleicht die Spekulation in den Effekten derartiger Unternehmungen etwas einschränken, aber sicher nicht die Wirkung haben, dass die grossen Kapitalisten ihre Kontrolle über die Industrien aufgeben. Gegen eine grosse Anzahl weiterer Trusts schweben noch Untersuchungen und auch eine Reihe von Eisenbahngesellschaften, die die Kontrolle über andere Eisenbahnen erlangt hatten, insbesondere die Southern Pacific Company über die Union Company Pacific mussten eine Auflösung und Zerlegung ihres Besitzes vornehmen. Neuestens will Präsident Wilson gegen alle Trusts in ähnlicher Weise vorgehen.

Gegen die wichtigsten und ungünstigsten Wirkungen der amerikanischen Trusts, die Missstände, die sich bei der Gründung, Finanzierung und Verwaltung der grossen Unternehmungen, ihrer Beherrschung des Kapitalmarktes, ihrer Beeinflussung der Börsenspekulation gezeigt haben, sind bisher keine wirklich durchgreifenden Massregeln ergriffen worden. Hier sieht sich die Wirtschaftspolitik vor die schwierigsten Aufgaben gestellt, die nur durch eine bundesstaatliche Korporationsgesetzgebung gelöst werden können. Auch in Deutschland werden sich in nicht zu ferner Zeit Massregeln zur Herbeiführung grösserer Öffentlichkeit in der Geschäftsführung grosser, weitverzweigter Unternehmungen und zur Überwachung des Finanzierungsgeschäfts der Banken als notwendig erweisen.



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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 419. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/435&oldid=- (Version vom 1.11.2021)