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über Kartelle vor, die in 4 Teilen eine Statistik deutscher Kartelle, eine Sammlung von Kartellstatuten, eine Zusammenstellung der die Kartelle betreffenden Vorschriften des deutschen Zivil- und Strafrechts sowie von Reichsgerichtsurteilen, eine ausführliche Darstellung der Verbände im deutschen Kohlenbergbau, endlich eine Übersicht über die ausländische Kartell- und Trustgesetzgebung enthält. Aber damit wird man auf die Dauer nicht auskommen. Ein ständiges Kartellamt wird immer mehr zu einer Notwendigkeit. Am zweckmässigsten wäre wohl die Einrichtung eines allgemeinen „Industrie-und Handelsamtes“, das auch andere als Kartellfragen, die Handel und Industrie betreffen, zu behandeln und die wichtigsten Unternehmungszweige, auch z. B. das Bankwesen zu überwachen hätte, Auskünfte einholen und Enqueten veranstalten könnte. In Verbindung damit könnte den Kartellen die Erstattung regelmässiger Jahresberichte über die Lage ihres Unternehmungszweiges, den Grad der Beschäftigung, die Preise und dergl. zur Pflicht gemacht werden.

II. Zivil- und Strafrechtsnormen.

Die Forderungen, über bloss kontrollierende Massregeln hinaus das Kartellwesen staatlich zu regeln, sind sehr zahlreich und sehr verschiedenartig. Manche verlangen ein allgemeines Kartellgesetz und mehrere derartige Entwürfe wurden von den politischen Parteien vorgelegt. Aber allgemeine Bestimmungen, die über bloss kontrollierende Massregeln hinausgehen, würden unbedingt verfehlt sein. Es liegt z. B. gar kein volkswirtschaftliches Interesse vor, die Kartelle in irgend eine bestimmte juristische Form zu pressen. Am ersten könnten noch besondere Zwangsmittel, welche die Kartelle (aber auch andere, gemeinsame Organisationen) anwenden, um Aussenstehende zum Beitritt zu veranlassen: die sog. Exklusionsverträge oder Verpflichtungen zum ausschliesslichen Verkehr, die verschiedenen Formen des Organisationszwangs, einer allgemeinen gesetzlichen Regelung unterworfen werden. Ganz zu verbieten sind jedoch derartige Verpflichtungen ebenso wenig wie Boykott, Streik und Aussperrung, bisher hat aber noch kein allgemeiner Gesichtspunkt gefunden werden können, bis zu welcher Grenze derartige Massregeln berechtigt und wann sie unberechtigt sind; die Gerichte entscheiden hier von Fall zu Fall und oft sehr willkürlich.

Von juristischer Seite wurden teilweise besonders Zivil- und Strafrechtsnormen gegen die Kartelle gefordert, von der Mehrzahl jedoch, z. B. auf dem deutschen Juristentage, erklärt, dass die vorhandenen Rechtsnormen zur Bekämpfung von Missbrauchen der monopolistischen Vereinigungen genügen. Das ist aber nur insofern zutreffend, als damit nicht die Notwendigkeit wirtschaftspolitischer Massregeln verneint werden soll. Denn es ist klar, dass die Hauptwirkungen der Kartelle durch die Zivil- und Strafrechtsordnung gar nicht erfasst werden können. Diese liegen ja wie bei allen Monopolorganisationen in der Gefahr übermässig hoher Preise. Es ist aber ganz undenkbar, dass ein Richter, z. B. auf eine Zivilrechtsklage hin, entscheiden sollte, ob die Preise eines Kartells zu hoch sind und ein Verstoss gegen die guten Sitten oder wucherische Ausbeutung vorliegt (§ 138 bezw. 134 B.G.B.) Die Preise können nur im Zusammenhang mit der ganzen Konjunktur des Wirtschaftslebens beurteilt werden. Aber selbst Sachverständigen aus der betr. Industrie wird es oft nicht möglich sein, zu sagen, wann die Preise zu hoch sind, geschweige denn, wann von wucherischer Ausbeutung die Rede sein kann. Es ist dabei auch zu berücksichtigen, dass es sich hier nicht um einen einzigen Verkaufsvertrag handelt, der dem Richter gerade vorliegt, sondern es sind auf der gleichen Grundlage, z. B. den Preisfestsetzungen oder Absatzbedingungen des betr. Kartells, eine Unzahl ähnlicher Verträge eingegangen worden. Das Urteil eines Richters über einen solchen Vertrag enthält also gleichzeitig eine Entscheidung über alle auf Grund des betr. Kartellbeschlusses von allen Kartellmitgliedern mit ihren Abnehmern geschlossenen Verträge. Es handelt sich also hier um die wirtschaftlichen Grundlagen und die innersten Verhältnisse eines ganzen Industriezweiges, und es ist dem Richter unmöglich, diese Grundlagen, d. h. die Gründe für die Festsetzung der Kartellpreise mit vollkommener Sachkenntnis zu prüfen.

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 414. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/430&oldid=- (Version vom 1.11.2021)